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Nr. 64 im

Unterhaltungsblatt öes Vorwärts

Vievstag, 5. Mär;

Nur ein Saccharinplätzchen... Aon T h. Thomas. Ter Schauplatz ift ein Kaffee in der Nähe deZ Bahnhofes, vier Oriamalkünstler- ouäleii sich redlich ab. durch Geräusch«, die mnsi- kalisch sein sollen. Summung unter die Gäste zu bringen. Es will iiichi reiht gelingen. Daran ist freilich das Quarteil allein nicht schuld. Wer hier iveill, ist mit seinen Gedanken drauffen, wo er jemand ikiebeS hat. Wie soll da Lustigkeit aufkommen'1 Die Kellnerinnen haben wenig zu tun. Sie vlaudern in einer Ecke. Tic mich bedient, ein schwächliches sasl durchsichtiges Ber - sönchen, tritt zu ihnen, woraus olle herüber sehen. Mr stillt es weiter nicht auf; gedankenlos ergreise ich das Tellerchen mit dem Plätzchen, das angeblich oäOmal so süß sein soll wie Zucker. ES verschwindet im See; die vier bedienenden Geister droben sich ab. ihre Teilnahme für mich ist erloschen. Einige Gäste kommen, darunter ein Matrose mit seinem Mädchen. Still und verträumt lauschen beide der Operettenmelodie. Zaghaft vereinigen sich unter dem Tisch ihre Hände. Sie sprechen wenig zusammen, nur ihie Augen verraten, daß sie sich viel zu tagen haben, vielleicht muß er morgen schon wieder fort.... Sie trinken in sich versunken Kaffee, der Saccharin bleibt unberührt. Bei der zweiten Bestellung nimmt ihn die Kellnerin an sich. Am Treffpunkt hinter der Erhöhung übergibt sie die Kleinigkeit der Kollegin, die mich bedient. Diese schaut sich ängstlich um. ob etwa die Aussicht in der Nähe ist, dann zieht sie schlupp ans der Bluse ein Bcutelchen, in das sie die Süßigkeit versenkt. Ebenso schnell ist es wieder durch die Oesfnung am Halse verschwunden. DaS alles geht viel roicher, als man es liest, der Herr im Gehrock mit seinen zwei Zähnen von Gold, der jeden Gast wie crnen guten Bekannten anlächelt, hat nichts gesehen. DaS Zustecken zwischen den Weißgeichürzten wiederholt sich osters. Die Kellnerinnen geben es nur immer der einen aber sedesmal so geschickt, daß der Gebrock gerade vorbeigeschwenkt ist, wenn Rr. drei die Süßigkeit an ihrem Herzen hinabgleiten läßt. Noch einmal bestelle ich mir Tee. Dabei überreiche ich ihr lächelnd die Zugabe. Sie errötete, weil sie merkt, daß ich zum Mitwisser ihres Geheimnisses geworden bin. Sagen Sie, Fräulein," eröffne ich die Unterhaltung,.sind Sie oerliebt in diesen Zuckerersatz, weil Sie ihn so an Ihr Herz drücken?" .Schavens, was wollen's demr macheu/ flüsterte sie mir zu, vier Kinder, darunter ein kleines, dabei nur daZ bißchen Jucker, da langen'« scho zu, dvS dürsen'S glauben." .Bringt denn das viel ein?" Gor nit, die meisten Herrschaften nehmen'S selbst an sich. Meine ktolleginnen sammeln alle mit, weil'S wissen, daß i' erst vor drei Wochen was Kleines kriegt Hab." Sie wird abgerufen. Bor drei Wochen erst entbunden, dabei beute wieder in dieser Luft, dazu die Slenncrei. Wie ein Mensch so- was ouShält! Run hat sie wieder Pause. .Wissen's mein Mann»vor auch sechzehn Monat drauß. Jetzt bnben's ihn mir wieder geschickt. Er gehl auf die Baustelle, bringt aber nichlS von da beim, wie zerrissine Lumpen. Da langt'S halt nicht hin und her. Wann er nu z'hau-s kommt, nachher geh i' fort. Er bleibt d'heim bei den Kindern. O, brav macht er'S. Sie blickt 'cheu um sich. In die Fabrik geh i' nich wegen der Kleinen.Aber von sieben bis zwölf komm i' gut ab...." Fräulein zahlen I".I' kumm scho." Die Tür dreht wieder neue Mcnschcnwellen herein. Einige Spritzer davon fallen in meine Nähe: Drei Damen und zwei Herren. wandelnde Goldankaufsstellen, mit aufreizenden Gesichtern. Wohin man sieht, voll Golde hängt dock alles. Kriegsgewinnler, fährt es mir durch das Hirn, sie sehen mindestens so aus. Fünfmal Kaffee. Fräulein, ober'n bißchen plötzlich." Geräusch- voll setzt sich die Runde. Tann wird aus Damentaschen verteilt: Gebäck, Zucker und ein Fläichchell mit Rum oder Kognak, was weiß ich.... Weibwasser ist es sicher nicht. Man muß heutzutage alles init sich rumschloppen," ächzt die Ticke in der Mitte, die eme Brosche vorgesteckt hat wie einen Teller aus Bückcburg. .Ja. nich. wie unangenehm." Schon vergraben sich die Zähne aller in das Gebäck. Sie kauen, als ob sie zwölf Stunden Steine gerammt hätten. Wenn man ihnen zusieht, rebelliert der Band- wurm. Der Kaffee kommt. Er wird erst mit Zucker, dann durch einen Schuß aus der Flasche veredelt. Der Saccharin verschwindet in einem Muff. .Für unser Mädchen, wir können das Zeug nicht schmecken." Trotzdem rafft sie auch die übrigen»och an sich. Bon dem folgeuden Gespräch höre ich nur immer Bruchstücke.

Haben Sie noch viel?" Q ja. wir sind noch versorgt mit Zucker. Allerdings haben wir drei Mark fünfzig für das Pfund zahlen müssen." .Unverschämt. Kann man da nicht auch was herbekommen?" .Sicher, wir haben uns einen Biertelzentner.. BmnmS. Die dicke Trommel haut dazwischen. Butter", höre ich wieder drüben von dem Tisch", Butter, so- viel Sie wollen. Ich bekomme jede Woche mein Pfund, aber ich muß.. Geheimnisvolles Flüstern. Ann wird wieder gespielt, ich kann nichts mehr verstehen. Ich sage Ihnen, es ist geimg da, nur Geld brauchen Sie, so- viel wie ein Hund Flöhe Hai ." Eben kommt meine Kellnerin wieder: .... Sebn'ö vorgestern ging i' zum Doktor, wollte für die Kleinste was Kräftiges verschrieben haben; er hat nichts getan, nicht um die Welt.Was soll ich Ihnen geben, hat er gesagt, e-Z ist doch nichts da. Ja, für die Reichen, da gibt? alleweil noch immer Restles Äindermchl oder so was." Nun ist eS Feierabend. Die Musiker bringen ihre Instrumente in Ordnung. Nr. drei ist als eine der erste in ihren Kleidern. Bor dem Lokal wartet ihr Mann, der sie anscheinend alle Abend abholt. Er schafft in Wind und Wetter auf dem Bau, dann als Kitwerinädchcn. zum Schluß ist er noch Anstandsdame seiner Frau. Der Mensch ist doch eine unverwüstliche Kreatur. Am Ende der Woche komme ich nochmals in das Kaffee. Meine Saccharinfreundin fehlt. Ich erfahre, daß sie krank geworden ist. An diesem Abend wurde nicht gesammelt. Beinahe wehmütig betrachte ich meinen Anteil. Mir ging die Kellnerin mit ihren vier Kindern nicht auS dem Sinn. Wenn ich Saccharin sehe, fällt sie mir immer ein. Ob sie bald wieder auf die Beine kommt? Wer sorgt jetzt für ihre Kinderchen, wer für die anderen Tausende von Kleinen, denen der Zucker sonst alle» war? Es dreht sich nur um Saccharinplätzcheu, aber ist eS nicht der Menschheit ganzer Jammer, der hier umging?

der Seinbrvchftew. Ungeahnte Möglichkeilen zur EntfaUung der ärztlichen Heilkunst bat uns die Äriegszeit gebracht. Außerordentlich schwierige Fälle von Knochenbrüchcn und.Knochenverletzungen stellen die höchsten Anforderungen an die Fähigkeiten unserer Chirurgen. Die wunder- barsten Heilerfolge sind ihrer Kunst und Nmfichligkeit zu verdanken. Wie seltsam muten unS demgegenüber manche Borstellungen aus der Heilkunst der früheren Jahrhunderte an. Sie führen uns' zurück m jene Zeilen, in denen die Medizin eng mit Aberglauben oller Art verknüpft war. So ist es zum Beispiel mit dem Beinbruch- stein. Wohl einem jeden, der sich etwas in der Landschaft, beson- derS des norddeutschen Tieflands, umgesehen hat, werden schon lange, weiße Gebilde von der Stärke eines Daumens ausgefallen sein, dts in Saudgruben den Sand durchsetzen. Man weiß jetzt, daß es Kalk- ablagerungeu sind. Wo auf Stellen dieser Art früher Bäume wuchsen, die späterhin abgehauen wurden, Venn Odern die Wurzeln und lassen im Sande einen hohlen Abdruck zurück. Die Tagewasser dringen von oben in den Sand ein und lösen den in ihm euthaltcnsu Kall aus. Hier setzt sich der Kalk ab und legt sich als dünne Scbicht über den Rest der Wurzel, lieber diese erste Lage setzt sich bald eine zweite und�. so fort, bis die ganze Form aus- gefüllt ist. Meistenteils bat dieser Kalkluff die Form der Baumwurzel und enthält im Innern oft noch Reste von ibr. Schon der Berliner Botaniker Gleditsch beobachtete derartige Gebilde an den Wurzeln einer lebenden Fichte und konnte dadurch ihren Ursprung zweifelsfrei feststellen. Diese Kalkgebilde waren ehemals ein von den Aerzicn ge- ichütztes Heiimittet. Man sah ihre seltsame knochenähnliche Gestalt, deren Entstehung man sich nicht zu erklären wußte als eine von der Natur gegebene Andeutmig an. sie gegen Knocheubrüche zu benutzen. Die Gelehrten nannten sie Osieocolleii. die Landleute Beinbruch» steine. Man schrieb diesen Steinen eine vorzügliche Kraft bei der Erzeugung des Knochengewebes. CalluS, zu, machte Pflaster davon und ließ sie auch mit Rötwein und zusammenziehenden Kräutern ein- nehmen. Die Mark Brandenburg, iu der dis Ostsocollen häusig vorkamen, war wegen dieses Heilmittels besonders gut angesehen in den Gelchrtenkreisen. Ewgar die Königliche Gesellschaft der Wissen- schasteN zu London ließ m ihren Verhandlungen vom Jahre 1666 «ine Beschreibung abdrucken über eine bei Radinkendorf unweit BeeSkow ausgegrabene Osieocolla. So vergeht die Herrlichkeit der Welt! Aber uns ist es doch wohler bei dem Gedanken, daß es menschlicher Forscherarbeir ge- lungen ist, schweren Scbäden wenigstens in etwas abhelfen zu können, sich von den Ansichten der Alten zu befreien, deren Eingriffe im günstigsten Fall nur der Natur nichts in den Weg legten, oft je-

doib gerade das Gegenteil von dem bewirkten, was die moderne ! Medizin als richtig erkannt hat. Ms öer guten alten Feit. In Meckletlburg-Schwerin tobte vor 200 Jabren ein langer heftiger Kampf zwischen dem absolutistischeil Fürstentum und dem landsässigeir Adel, dem Rittertum. Der damalige Herzog Karl Leopold, der eine Nichte des, Zaren Peter zur Gemahlin halte, gefiel sich in der Rolle eines rujsischen Zaren. Gegen die Ritter- schast, die ihre alten Rechte ebenso hartnäckig verteidigte, unterhielt der schwache Autokrat ein Heer von ll'OÖO Mann, unter denen sich russische Horden befanden. Ter Wiener Reichshofrat, der die inneren politischen Zwiste im alten Reiche beizulegen hatte, er- giiff die Partei der vergewaltigten Ritterschaft, er erklärte_ den Fürsten für abgesetzt. Freilich schreckte der berühmte langsame Reichshofrat lange vor einem bewaffneten Eingriff zurück, wenigstens solange Karl XII. , König von Schweden, am Leben war, von dem man ein Eingreifen befürchtete. Am 11. Dezember 1718 starb Karl XII. , von einer Kugel getroffen. Jetzt endlich er- hielte» die hannöverischen Cxekutionstruppen. die lange schon auf das Losschlagen warteten, den Befehl zum Angriff. Ende Februar gingen sie unter dem Befehl eines Freiherrn von fcülow über die Elbe . Am 6. März kam es zum Gefecht zwischen denKaiserlichen" und der zusammengewürfelten Karlistischen Armee. Schwerin , der Feldherr des Fürsten Karl Leopold , holte sich hier seine Palme, die ikn später in preußische Dienste brachte. Der Proußenlönig stellte Schwerin einst seiner Gemahlin, einer Prinzessin von Hannover , mit den höhnischen Worten vor:Hier siehst du, ist der Man», der deine Landsleute so schön ausgeklopft hat." Aber trotz des Sieges, der einige Hundert Tote und Berwnndete kostete, mußte Karl Leopold nachgeben und die russischen Truppen entlasten. Sein Groll entlud sich in unerhörten Hinrichtungen, und bald hielt Karl eS für ratsam mit seüter Gemahlin nach Danzig zu flüchten. Bon hier aus aber arbeitete er wieder für seine Rückkehr durch Agenten und Diplomaten. Aber alle Machenschaften der zweifelhaftesten und verzweifelten Art retteten den Abenteurer nicht. Seit 1723 regierte m Mecklenburg sein Bruder Christian Ludwig II. Notizen« S! e fan Zweigs...Jeremias"«lebte in Zürich feine erste Aufführung. Der Dichter tut darin von dem gegenwärtigen Kriege den Schritt in die geruhige Vergangenheit, holt aus der Tro�idie eines Volkes der Eroberung Jerusalems das Ewig- erschütternde schickt vom Gipfel reiner Menschlichkeit seine gütige, liebevolle Stimme in de» Sturm heißer Verwirrung. Man erkennt in ihm freudig den ersten Dramätiker, dem es geglückt ist, diesem Kriege als Mensch und Künstl« vollendet gegenüber zu treten. DerJeremias", der kürzlich als Buch im Jnselverlag er- schien, illurde für die Züricher Ilvanfführung umgeändert. Die neunBilder" wurden zu einem Vorspiel und fünf Akten der- schmolzen, wobei der letzte mißlang. Die Aufführung selbst, der die europäisch Gesinnten" beiwohnten, bot kerne lleberraschungen. Begeisterier Beifall dankte Stefan Zweig für sein schönes Werk. C. L. Ein Institut für Kohle»Vergasung und Neben Produktengewinnung ist kürzlich in Oesterreich ge- gründet worden. Der Zweck des Instituts ist die Förderung der ratiouellsn wirtschaftlichen Verwertung der Koblenvarräte unter Ee- winnung der erzielb arcn Nebenprodukte durch Schaffung einer Groß« gasindustrie, durch Bearbeitung aller Fragen der Kohlenvergasung und durch Ausführung technischer Versuche uiw. Durch die ver­mehrte Vergasung der Kohle werden die Grundlagen einer organisch- chemischen Großindustrie in Oesterreich geschaffen. Deutsche in der II l r a i n e. In der Ukraine habe» sich im Lause des IS. Jahrhunderts zahlreiche deutsche Kolonisten angesiedelt. Mau zählte tu Tauricn 322. im Bezirk Jekaterinoslaw III, tu Chersou 124 und in Beßarabien 80 deutsche Dörfer. Im ganzen gibt es jetzt in der Ukraine 400000 Kolonisten deutscher Ab- stammung. Soweit sie enteignet werden, soll ihnen eine Entschädi- gung gewährt werden. Eine Brücke zwischen Ceylon und Border- in dien. Ein großzügiger Plan beschäftigt gegenwärtig die eng- lisch-iudische Technikerwelt: eS hendelt sich um eine feste Eisenbahn- Verbindung zwischen der Südostküste Vorderindiens und der Nord- Westseite Ceylons. Hier liegen mehrere größere Inseln, und inscl- artige Erhebungen, die je nach dem Wasserstande unter oder über der Meeresfläche liegen. Die ganze.Adamsbrücke", soll zu einer festen Eisenbahnstrecke ausgenutzt werden. ES handelt sich um eine Strecke von 36 Kilometer Länge und der Bau stößt auf keine größeren Schwierigkeiten als die berühmteEisenbahn im Meere". die von dem amerikanischen Festlande durch den Floridakanal nach Key-Wesi gebaut ist.

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Töchter öer hekuba.

Ei» Roman aus unserer Zeit von Clara Viebig . .Herr Dombrowski war seinem Weibe nicht tiachgestilrzt. Leicht hätte er die Frau einholen können, mit einem Satz, sie packen, würgen, strafen für ihre schamlose Untreue, für ihren Verrat. Als sie gekreischt hatte:.Er macht mich tot!' war es über ihn gekommen wie Befreiimg. Nein, das wollte er nicht! Wenn er sie gepackt hätte, das fühlte er toohl, hätte er sie auch rnchr mehr losgelassen lebendig. Seine Änie wankten, er fuhr sich nach der Stirn: träumte er daS nicht alles? Lag er nicht noch im Schützen- graben? Da hatte er einmal einen der Eingedrungenen an der Gurgel gepackt gehabt schon auollen dein die Augen heraus, schon bläkte die Zunge genau so, genau so wie jetzt war ihm damals zumute gewesen.' Eine wilde Mordluft hatte ihn gepackt: ob er ihr nicht doch nachlief? Sie konnte ihm nicht entrinnen. Wenn er es wollte, entkam sie ihm nicht. Ihre langen Haare würde er sich um die Linke schlingen, sie daran festhalten, ihr mit der Rechten in das verlogene Gesicht schlagen für jede Lüge ein Puff mit der Faust auf die Nase, auf den Mund, auf die Augen. Blut quoll das war alles ganz gleich ihr Gesicht war ww Brei, sie war die schöne Minka nicht mehr..Willst du mich noch einmal hintergehen, du Canaille?' puff puff. Er. wart sie zur Erde, er trat auf ihr herum, seine Stiefel hatten schwere Nägel. Sie atmete nicht mehr, und er?! Der erste rote Mvrgenstrahl war durchs Fenster gefallen er stand vorm Spiegel mit erhobener Faust. Nun sah er sich darin. Ter Spiegel war nur klein, halb blind das Glas, aber er zeigte genug. Er stand allein im verwüsteten Zimmer; schwerfällig den Kops wendend, sah er langsam hinter sich. Da daS zer­wühlte Bett, ein umgestürzter Stuhl, verstreute Kleider und hier, hier, ganz allein, er, Stanislaus Dombrowski, der Urlauber. Oder war der es nicht? Wie ein Irrer schüttelte der Mann den Kops: das war der Dombrowski doch nicht?! Einer war ausgezogen von hier, der hatte braune Haare, cmen braunen Schnurrbart. Aber dar Kerl im Spiegel war ja so grau, ganz grau wer war das?

Er brachte sein Gesicht näher ans Glas, er sah sich selber und prallte zurück, ganz entsetzt: ein alter Kerl! Eis- grau an den Schläfen, das Gesicht verfurcht. Was hatte er doch für hundert und hundert Schrumpeln! Und so mager am Hals! Wie bei einem alten Gockel der Hautlappen, so hing ihm der Kehlkopf. Der feldgraue Rock schlotterte. Und so ein Mannsbild, so ein alter Kerl vergraut, verstanbt, verschrumpelt so einer, ja was ivollte denn so einer hier? Paßte der zu der schönen Minka, der jungen Frau? Dombrowskis blutunterlaufsue Augen zwinkerren. er ver­zog das Gesicht, als wollte er weinen. Ein gequälter Laut, Schluchzen und Lachen zugleich, entrang sich seiner ver- trockneten Kehle. Was sollte denn werden? Er hatte Plötz- lich Mitleid mit ihr..Mach dich fort, mach dich fort' sagte etwas in ihm. Ja. das war das beste, er ging wieder fort, ging, woher er gekommen war. Lieber wieder im Schützengraben..Zu Hause war's nicht schön,' würde er sagen; sie würden ihm glauben, vielleicht auch nicht. ES war schon manch einer eher wiedergekommen, als der Urlaub zu Ende gewesen. So ein alter Kerl, so ein alter Kerl! Er stierte noch einmal sein graues Spiegelbild an und nickte tiefsinnig. Dann schwang er sich auS dem Fenster. Ohne Geräusch glitt er an der Mauer herab. Tie Nacht war zu Ende. Im Morgenrot schwammen die Felder in rosa Duft, trillernd stieg eine Lerche vom Acker- raiiv und wirbelte empor zum erglühenden Antlitz der Sonne. XIV. Wenn jetzt Frau von Voigt spazieren ging, sah sie, wie überall an Stelle der weiten, gras- und geslrüppbcwachsenen Flächen, die den Vorort umgaben, das Ocland sich anschickte, Acker zu werden. Da hatten überall Häuser hinkommen sollen, freimdliche Villen, in Gärten gebettet, aber der Krieg hatte Halt geboten. Alle Bautätigkeit ruhte. Sie, die da bauen sollten, lagen im Graben oder richteten die Geschütze gegen den Feind, oder fuhreit Munition, oder Ivaren bei den Ar micrungsrr uppen, betonierten die Unterstände und richteten Stacheldrahtverhaue aus. Jetzt waren die Frauen am Werk. ES war fast keine hier, die nicht ein Stückchen Land gepachtet hatte. Wenig war'S, aber es würde genügen, Kartoffeln zu ernten, ein bißchen Kohl, ein paar Rixbsn, das Notdürftigst?,

wäs man zum Leben braucht. Die Karten allein taten's nicht, es war klüger, man baute sich selber etwas an. Wenn man nur Kartoffeln hatte. Auch ohne Fett ersetzen sie das Fleisch und Brot. Wie sollte es werden!! Mit einem gewisien Bangen sah Frau von Voigt tu die Zukunft. Das, tvar ihr Mann schrieb von militärischer Ueberlegenheit, von den Erfolgen zu Wasser Utid zu Lande, van den'Heimsuchungen Englands durch die Luftschiffe, von dem guten Geist in der Marine und au der Front, von den kühnen AnfklacungsMgen der Flieger, das las sich wunderschön, sie las es mit einom Aufatmen. Aber wie sah eS hier im Lande aus? Würde hier auch alles so gut gehen? Wie sich die verhärmten, abgemüdcten Frauen mühten'! Jahrelang war das Land verunkrautet, von Heidegrün über- lvuchcrl; eilt Pflug hätte leichter sich Bahn geschafft, aber sie grubcil's unl mit dem Spaten, legten ihre dürstig« Saat und wanderten jede Freistunde heraus. Und es war eine stete Besorgnis: ging es schon auf? Hackten auch die Krähen nicht alleS weg? Sieh mal. Lili,' sagte Frau von Voigt zu ihrer Tochter, da buddelt wahrhaftig auch imscr Nachbar, der alte Ge- heimrat!" Die Mutter holte jetzt zuweilen die Tochter zum Spazierengehen ab. Es hatte Lili erst Ueberwindung ge- kostet ach, sollte sie die gleichen Wege gehen, ohne ihn! aber die Mutter hatte so herzlich gebeten:Es ivürdc dir doch gut tun, dir und mir, in der Natur ift Friede," daß sie nicht.nein' sagen mochte. Nun kamen sie an einem Stück Land vorbei, das ein paar Pfähle und dünn gespannten Draht abgrenzten. Der alte Herr, der darauf schaffte, bc- merkte es gar incht. daß die Damen stehen blieben. Erst als sie ihit laut grüßten, wurde er aufmerksam. Ter Geheime Rcchnnngsrat war in Hemdärmeln, den Rock hatte er ausgezogen und auf eme Stange gehängt, sein greiseS Haar flatterte sin lustigen Wehwind. Verlegen ivollte er in den Rock schlüpfen, aber die Gencralin hielt ihn davon ab: das wäre ja noch schöner, wenn er zich jetzt genieren wollte.Alle Achtung, Herr Geheimrat, daß Sie so schaffen, Was pflanzen Sie?" afcÄWflU