Nr. 81— 7H?S
Unterhaltungsblatt öes Vorwärts
Freitag, 22. März
Die lchweinerne Himmelfahrt. Ich mutz voran bemerken, datz der Anfang von der Geschichte etwas unklar ist. Es kann nämlich nicht erklärt werden, wieso in der Hinlerstube des„Goldenen Hirschen' in Dingsda echtes Braunbier derM'fl werden konnte und zwei Stunden danach das Gemeinderaismitglied David Obermoser unter Hilfeleistung seiner beiden Spezies, des Sleuerrendanten Hirl und des Bäckermeisters Guldenickläger, unweit der Strotze nach Hippeldingen seine Gedärme umkrempeln mutzte, weil er zuviel Schweinernes gegessen hatte. Im vierten Jahre des Weltkrieges! Doch wir wollen in dieses Mysterium nicht weiter eindringen, wollen auch diskret über die Umständlichkeiten der Heimkehr wie über die eindrucksvolle Be- grützungsansprache seiner Gemahlin hinweggehen; denn dies alles ist schlietzlich nichts Autzergewöhnliches. Merkwürdig ist nur, datz, als Obermosers Seele aus leckeren Tranmgebilden in ihre schwere Hülle zurückkehren wollte, diese das Zeitliche gesegnet hatte. David Obermoser sah fich auf einer Bahre liegen, beweint von seiner Gattin und seiner Verwandtschaft. Nebe» ihm stand der Tod und sprach:„Wir müssen uns beeilen, David Obermoser, sonst verpassen wir den Anschlug an die Selig- keil!' Sie gingen durch die Strotzen von Dingsda, wo die Einwohner in Gruppen beieinander standen und den traurigen Fall eifrig be- sprachen. Vorbei an der Tischlerei, wo der Meister eben einen jiostenentwurf ausstellte. Vorbei an der Schule, wo eben der Lehrer den Hieronymus Deppenbacher durchwichste, weil er das Sterbelied: »Wir find alle nur ein Gast.. hartnäckig falsch sang. Vorbei auch am.Goldenen Hirschen', wo seine beiden Spezies wehmütig auf den dritten Mann zum Skat warteten. Ganz am Ende des Dorfes stand noch eine Seele und wartete aus den Tod. Das war der Gausenheimer Schorch, ein Häusler, der 7 Kinder mühsam durchs Leben gefrettet halte. Er machte einen tiefen Diener und sagte:.Grütz Gott, Herr Gemeinderat I' Obermoier gab ihm keine Antwort, denn der Schorch war im ganzen Dorfe bekannt, datz er Mein und Dein nicht unterscheiden konnte; mit dem Flohstetter Gefängniswärter stand er fich schon auf Du. Nack einiger Zeit kamen sie auf einen Berg, wo fie schon eine Anzahl Seelen versammelt fanden. Diese schrien Hosiannah und Halleluja; Obermoser aber tat nicht mit, er fand das albern und mir der Würde eines Gemeinderates unvereinbar. Es dauerte nicht lange, da kam eine rosenrote Wolke, und alle? stieg ein. Mit raiender Geschwindigkeit ging eS los, Obermoser fand das Hofianna- geickrei nackgerade unanständig, da noch dazu dieser Gauienheimer Eckorch fick am wildesten gebärdet«. Sie fuhren rechts an der Sonne vorbei und kamen gegen Abend an der Himmelsgrenze an. Sie wurde« in das Vorzimmer der ewigen Seligkeit geführt, von dem der eigentliche Himmel durch einen langwallenden Sternenvorhang abgetrennt war, durch den ein überirdischer Glanz schimmerte. Auch das zarte Rauschen himmlischer Geigen war zu höre». Die Menge schrie wieder Halleluja, wurde aber vom Himmelpförtner sowie von einem Erzengel mit goldenem Säbel'zur Ruhe verwiesen. Denn der Herrgott erschien, begleitet von einigen Engeln als Vrotokollsührern. nahm auf einem erhöhten Sesiel Platz und be- � um mit dem Verhör. In alphabetischer Reihenfolge mutzte jede Seele ihren Namen rufen, der dann vom Protokollengel im Sünden- register nachgeschlagen wurde. Hierauf fällte der Herrgott seinen Richteripruck Denen Gnade zuteil wurde, öffnete der Pförtner rechts ein Türlein, durch das die Seelen jauchzend in die Seligkeit schlüpften. Die Verdammten aber wurden links durch ein Fenster in die grauS- liche Tiefe des Weltalls gestotzen. Obermoser rnteressierte fich nicht weiter für das Schicksal seiner Fahrtgenoffen, das seine stand ihm ja auher Zweifel. Er hatte regelmätzig seine Steuern bezahlt, nie die Kirche versäumt, und das Armesünderbänklein nur vom Schöffentisch aus gesehen Nur einmal hörte er hin, als der Gausenheimer Schorch an der Reibe war. Sprach der Herrgott:.Zwölfmal vorbestraft. Schorch, wegen Felddiebstahls, und dreitzigmal nicht erwischt worden. Das ist schlimm!'— Der Gausenheimer Schorch krümmte sich wie ein Wurm; .Gottvater,' schrie er,.i bin a arms Hascherl, sieben Kinder Hab i. und die fressen wie die LöuS'!'—.Woran bist Du gestorben?' fragte der Herrgott schon milder. .Pkerderüben,' schrie der Schorch,»alleweil Pferderüben l Das ging auf guterletzt durch wie nix...' Der Herrgon winkte lächelnd ab:.Ihm fei vergeben!'— Der Gausenhetmer Schorsch fauste durch die HimmelStuke, als wären sämtlich? Ortsbültel der Welt hinter ihm der.
Nach einer Weile kam der Obermoser dran, er schob fich be- häbig in den Vordergrund. Der Protokollengel las:.David Ober- moser hat sich dreihundertfünfundzwanzigmal gegen 34 Bundesrats- Verordnungen vergangen und ist niemals erwischt worden—' Obermoier schnappte nach Luft. „Und ist gestorben, weil er sich an Schweinernem überfressen hat 1*-- Gottvater runzelte die Stirn, rollte mit den Augen und zeigte schweigend nach dem Fenster. Obermoser ächzte und stöhnte. Doch der Erzengel hatte ihn schon beim Kragen und schleifte ihn an das Gesims, haute ihm obendrein mit der stachen Säbelklinge derart auf die empfindlichste Stelle des Körpers, datz Obermoser im weiten Bogen in die Tiefe sauste. Er schlotz im Fallen die Augen und glaubte schon in der Hölle zu sein; denn er vernahm auf einmal einen lauten Knall und die Stimme feiner— Gattin, die sich an ihm wohlbekannten Redensarten erprobte.„Rindvieh, damisches!' war davon noch das zarteste. Obermoser rieb sich die Augen— und fand sich in seinen wohlbekannten vier Wänden wieder. Er war durch den Bettboden gebrochen. In seinem Schädel rumorte noch der Weltenäther, dessen Jndentität mit Braunbierdunst damit wohl für alle Zeiten einwandfrei festgestellt sein dürfte. Seine Freunde im.Goldnen Hirschen" sahen schon wieder im Hinterstübchen. Sie merkten wobl, als sich Obermoier kleinlaut an den Tisch setzte, datz er etwas auf dem Herzen hatte. Obermoser errählte ihnen seinen schweren Traum. Da wurden auch sie ernst und zogen nachdenklich an ihren Pfeifen. Bis plötzlich dem Steuer- rendanten Hirl ein Gedanke kam. Er nahm seine Pfeife aus dem Munde und sagte:— ,J glaub gar net, datz dös der Herrgott gewesen ist,— dös war— Seine Spezerln starrten ihm auf den Mund. .— dös war a verkleideter— Bolschewik!!" Da ging ihnen allen ein Licht auf. David Obermoser wurde es sichtlich leichter zumute; er nahm sich aber doch vor, künftig nicht soviel Schweinernes auf einmal zu essen. P a u l ch e». Kritifther Spaziergang. Man möchte wieder einmal etwas Lustiges sehen. Freilich weitz man von vornherein, datz, so sehr man fich auch bemüht, ihn nieder- zuhalten, der Krittler, der nun einmal in einem drin fitzt und sein Unwesen treibt, nicht ganz stillzuhalten sein wird. Immerhin, man macht sich aus den Weg, im Gemüt so harmlos wie irgend möglich. in den Augen einen manierlichen Hunger. In der Sammlung des Herrn Wilhelm Gumprecht, die demnächst getreu dem Schicksal, das nun einmal Sammlungen bestimmt ist, versteigert werden soll, gibt es eine Kuriosität zu beschauen, ein Rendez-vouS von porzellanen Zwergen. Anfang des 18. Jahrhunderls; meist Meißen und Venedig . ES find Püppchen, nur wenige Zoll hoch. Der Ein- druck ist nicht so grotesk, wie man ihn erwartet hat. Eigentlich verblüffend wirkt nur einer dieser kleinen Kerle: er ist im Brand mitzraten und ganz in sich zusammengesunken. Nur noch ein Orna- ment, ein Gebuckel, aus dem angedeutet eine Nase, ein Schopf, ein Nückenhöcker hervorstotzen. Die Uebrigen der verwachsenen Burschen sind zu fertig, zu säuberlich� zu sehr durchmodelliert. Der Mitzratene, der Zerflossene wirkt wcsenhaft stärker, sowohl als Plastik wie im besonderen als Keramik. Das ist keine Laune des Beschauers, ist vielmehr ein entschiedener Beweis, datz genau ge- nommen Europa mit dem Porzellan wie überhaupt mit den kera- mischen Stoffen nichts anzufangen weitz. Selbstverständlich, es gibt ausgezeichnete Manufakturen, die vortreffliche Stücke, schlichtes und lostbares Gebrauchsgesätz. pompöse Basen und auch allerlei Figuren zu verfertigen wissen.b Aer eben wissen. Viel Technik, guter Ge- schmack und autzerordentliche Kenntnisse in Allegorie und Mythologie. Aber zumeist mangelt es an der naiven Sinnlichkeit, die dem ge- ringsten keramischen Scherben, der durch eines Asiaten Hand ge- gangen ist, monumentale Grötze sichert. Es fitzt da bei Gumprecht ein kleiner Buddha in einem gelben Thronmantel, rund wie ein Gefätz, der Kopf ist kahl und das Geficht lacht in breiten, behaglichen Wellen. Vor unfern Angen wächst dieser Kerl ins Riesenhafte. Die europäischen Figuren bleiben immer Miniaturen, Spiel für Kavaliere. Sie find nervös und für den Augenblick geschaffen, ein Gefunk, ein Fingerspitzengefühl. In allem, was Asien gemacht hat, lebt die Wucht des Harmlosen, daS Matz'des Unbegrenzten, die Selbstverständlichkeit des Rätselhaften. Es ist da ein chinesischer Hund zu sehen; man fühlt das Räumliche, die Rippen umspannen eine Höhle. Das ist Töpferarbeit und zu- gleich herrlicher Götzendienst. Ein Gefätz ist da, irgendein Tier, ganz Bauch; man mutz notwendig mit dem Knöchel daran klopfen und auf das Gebrumm dieses Trommelleibes hören. Dazu ist diese Bestie mit einer Glaiur Übergossen, schwimmend zwischen Grün und
reisa»
Blau ; niemals hat ein Europäer ähnliches geleistet. Am ehesten nähern sich solcher Vollkommenheit noch die harmlosen Hainer, die ohne Ergeiz auf den Dörfern wohnen oder irgendwo in einer primilive» Werkstatt an der Stadtmauer. Zwei solcher Gefäße find hier zu sehen, tönern; Tulipanen blühen daraui, aus Liebe gepflanzt und zu Märiens Ehre bestinimt. Diese Näpfe haben gewiß einst nur wenige Groschen gelostet; heute ist das Stück mit 2500 3K. geschätzt. Schade. Ich bin dann noch ein wenig über den Kurfürstendamm spaziert. Da gibt es jetzt mancherlei Läden, in denen moderrrcs Kunstgewerbe zu sehen ist. Aber lvenig Erfreuliches. Die Bewegung, die einst hoffnungs- voll eingesetzt hat, scheint steckengeblieben zu sein. ES fehlt uns letzten EndeS wohl doch der Sinn oder richtiger die Sinnlichkeit, um dem Porzellan, der Fayence, dem Silber und den verschiedeneu Faser» das eingeborene Leben zu entlocken. Nur selten, ach, gar so selten wird man vor solch einem Stück innerlich froh. Meist meint man, datz das Material, wenn es unbearbeitet geblieben wäre, stärker wirken würde. Und dann die Mode; alles wird bei uns zur Mode. Jetzt gibt es deutsche Batiks. Das ist etwas geradezu Fürchterliches. Abgesehen davon, datz all dies Zeug auch verlogen ist. Batik, das kommt von Javg. Dort sitzen die Ein- geborenen und lassen aus einem kupfernen Pfeifchen heißes Wachs auf Leinwand oder Baumwolle fließen. Unter ihren flinken Händen erblühen Blumen, wächst Urwaldrausch. Die ivachsgezeichneten Tücher tauchen sie in Farbe, sie vergrah-n sie in die Erde imd verschaffen ihnen so durch Gerbung und Oxidierung eine Patina, die in tiefen Tönen orgelt. Was aber macht aus solcher tropischen Herrlichkeit der deutsche Konfektionär? Um es rund heraus zu sagen: eine Schweinerei. Ein grelles, formloses Gekreisch von giftigen Mißtönen. Und daraus nun Blusen und Lampenschirme, Vorhänge und Tischdecken. Die Barbaren kaufen es. Wir andere» aber beneiden die Insulaner. Ich bin dann nach Hause gegangen und habe im Gauguin gelesen._ R. Breuer. Notizen. — L i ch n o w s k y über auswärtige Politik. Der frühere Botschafter Lichnowsky hat seine Ansicht vom Wesen der auswärtigen Politik im vergangenen Fahre dahin zusammengesatzt: „Auswärtige Politik ist Liebe und Hätz für nationalistische Schwärmer, Traditio» und Satisfaktion für ignorantc Romantiker. Treue und Verrat für naive Philister, Aktensport für krausköpfige Berater, amüsanter Zeitvertreib für gelcmgioeilte Höfe, ihre Karriere für viele Diplomaten, kür ungeduldige Generäle der Weg zum Ruhme und für deutsche Gelehrte ein unbekanntes Land. In Wahrheit die Geschäfte der eigenen Firma mit fremden Firmen.' In dieser Sammlung von Begriffsbestimmungen fehlt jede demokratische und sozialistische, die sich noch etwas Höheres als Geschäftsvertretung unter auswärtiger Pslink vorstellen kann. — Theaterdirektor und Kritiker sind in Berlin wielder einmal aneinander geraten: Der Direktor des Lessing- thcat�rs, Barnowsli, beschwerte sich über eine. Theaterkritik des „Kleinen Journals" bei der Redaktion. Theaterkritiker»nd Redaktion weisen diesen Eingriff energisch zurück, Kollegen des An- gegriffenen bezeugen ihm seine Stubenreinheit und Moriz Seeler bricht eine Lanze„für Ketzheit, Kerr und Kunst",(Gott bewahre Kerr vor ähnlichem.) Dieser Fall scheint uns keiner werden zu wollen. — Vorlesung. Catherina G o d wi n wird Sonnabend in der Berliner Sezession , Kursürstendamm 232, aus eigenen neuen Werken vorlesen. — Die größte drahtlose Anlage der Welt soll dieser Tage dem Betriebe übergeben werden. Sie befindet sich nicht in der Neuen Welt, sondern in Norwegen , und zwar in Stavcmger. Von Stavanger soll hauptkächlich der Verkehr mit einer anderen neu eingerichteten Riesenttation, der in Boston , unterhalten werden. — Ein neues Stratzenpflaster. Nach der langen Dauer des Krieges wird die Wichtigkeit eines dauerhaften Straße»- Pflasters wegen der Erschwerung der Ausbesserungsarbeitcn be- sonders fühlbar. Daher könnte eS von hoher Bedeutung werden. wenn noch bessere Mittel zur Stratzenpflasterung dargeboten würden� Nach einer Mitteilung der„Tonindustiezeitung" sind in Oesterreich- Ungarn künstliche Pflastersteine in Gebrauch genommen worden, deren Eigenschaften nach den gemachten Angaben fast als ideal be- zeichnet werden müssen. Sie bestehen aus einem Gemisch von Ton und Kalk, daS bei hoher Temperatur gebrannt wird. Es soll zehn mal widerstandsfähiger sein als Baialt, vollkommen beständig gegen Frost und Säuren und würde daher emer sehr geringen Abnutzung unterliegen, also auch wenig Staub erzeugen. Ausserdem wird ihnen Geräukchlofigkeil nachgerühmt.
BifSs
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Töchter öer yekuba.
Ein Roman aus unserer Zeit von Clara Viebig . Die Stana und die Kasia und die Minka steckten die Köpfe zusammen, sie hatten immer etwas zu bereden; mit den beiden hatte die Dombrowski doch mehr Gemeinsames als mit der Hieselhahn. Die sah sie gar nicht mehr. Sonn- tags fuhren die drei zusammen nach Berlin . Dann waren sie Montags so müde, datz ihnen die Augen fast zufielen bei der Arbeit. Der Aufseher schimpfte mit den Mädels: hatte das keine Knochen im Leib? Bei der Dombrowski traute er sich nicht so. die hatte ein doppeltgcschliffenes Mundwerk. Aber nach solchen Sonntagen konnte es doch oft sein, datz die Dombrowski, wie in tiefe Gedanken versunken, auf ihrer Hacke lehnte und schier schwermütig einem Zug nach- sah, der an ihr vorübersauste. Soldaten drin, Soldaten, lauter Soldaten. Die sangen: „Im Feld des Morgens früh, Wenn noch die Nebel sanken,' Die Halme fallen und wanken, Da denkt die junge Mähderin An ihren Schatz mit frohem Sinn, Im Feld des Morgens früh.' Sie konnte an keinen denken mit frohem Sinn, und das reute sie. Es war doch eigentlich gar nichts, datz sie blotz mit den Mädels ausging, im Laffee Vaterland' satz oder in einem Kino. War das wohl ein Leben? Die Soldaten, die vorüberfuhren, winkten, schrien ihr zu: Scherze, Liebesworte, begehrliche Redensarten; dann fuhr sie auf. ritz das rote Tüchelchen, mit dem sie sich die kecke Mütze fest aufs Haar gebunden hatte, ab und winkte ihnen. Lachend, ungestüm. Winkte, datz Haare und Röcke flogen, sah den nickenden Köpfen, den ausgestreckten Armen nach, als wollten ihr die Augen aus dem Kopfe springen.-- Es kamen noch ein paar goldene Herbsttage. Heute am Montag war die Dombrowski ausnahmsweise vergnügt; sonst war sie gerade dann immer verdrossen; aber der gestrige Sonntag, der war es wert gewesen, datz sie nach Berlin ge- fahren war. Einen so schönen Sonntag hatte sie lange nicht verlebt. Ob der hübsche Unteroffizier, der sich im Kaffee zu ihnen an den Tisch gesetzt hatte, wohl heute an sie dachte s Sicherlich! Ein Glücksgefühl durchschoß sie Plötz-
lich: sie war doch noch die schöne Minka. Wo sie wohnte? hatte er sie leise gefragt— und Augen dabei gemacht, Augen l, Sie hatte es ihm gesagt, ganz genau. Oh, er würde kommen, er hatte es ja versprochen, und dann— und dann— »Patz auf I' schrie die Kasia, packte sie am Arm und ritz sie aufs Nebengleis. Sie hatte das Warnungssignal des Aufsehers gar nicht gehört. In langer Reihe standen die Weiber nun und lietzen den Zug passieren. Es war ein Güterzug. Wie im Traum sah die Frau die hochbefrachteten Wagen— ein unendlich langer Zug— schwarz, schwer, rauchig, schnaubend stampfte er. Nun traten sie wieder aufs Gleise zurück; sie zerkleinerten Schotter. Was kümmerte es die Dombrowski, datz der Aufseher jetzt auf sie losfuhr: konnte sie nicht besser aufpassen? Er war wütend vor lauter Schrecken: stand das Weib da und duselte! Er hatte laut genug gepfiffen; hatte sie denn keine Ohren mehr, keine Augen? Oh ja, die hatte sie. Ganz träumerisch lächelte sie den Aufseher an: Augen hatte er gemacht, Augen— und kommen wollte er, kommen — wann er wohl kam? Ob morgen, ob vielleicht heute schon?! Schon wieder ein Zug. War das ein Gefahre! Es gingen heute wieder große Truppentransporte an die Front. Es flog an den Weibern vorüber, donnernd, sausend, winkend,' singend, juchzend; lauter brausendes Getöse. Und mitten im Brausen und Vorübersausen— war das nicht, war das nicht—?! Minka starrte und staunte: ihr Unteroffizier! Da fuhr er hin. Er fuhr fort, konnte nicht kommen? War er's denn, war er's denn wirklich? Nein, er war's nicht I Dock, doch, er war's! Sie sprang in die Höhe, sie schrie gellend auf— er sah nach ihr hin— eine flüchtige Sekunde, ein Augenblitz, eine winkende Hand, ein wildeS Begehren, ein lähmendes Bedauern-- „Zurück!" Von entgegengesetzter Seite rast noch ein Zug heran. Sie sind alle auf die rettende Böschung gesprungen. Nur Minka nicht. Und Räder rasseln wieder, und rasseln weiter und begraben unter sich.
Tag und Nacht hörte auch'Gertrud Hieselhahn die Trans- Porte bei sich vorüberrasen. Ihr Ohr wqr schon geübt; sie konnte ganz genau unterscheiden, ob Menschen verladen waren odet nur lebloses Material. ES versetzte sie in eine krank- hafte Unruhe, wenn sie wußte: da werden wieder so und so viele hinausgefahren, um zu verbluten. Man hörte an der Arbeitsstätte zuviel erzählen von den Schrecknissen der Front — jede wußte etwas anderes. Fürchterliches— und hier im Lande, war es hier nicht auch fürchterlich? War es wohl eine Art, datz die einen sich eingesckleppt hatten wie die Hamster? Denen sollte man einmal die Nester ausräumen. Nun kamen sie auch noch und holten auf ihre Karten und bekamen genau soviel wie die, die gar nichts, in Vorrat hatte«. Eine schreiende Ungerechtigkeit! Bei dein Lebensmittelverkauf der Gemeinde war es ein Paarmal schon erregt zugegangen. Frau Richter, die für Ger- trud das Wenige mitbrachte, erzählte zwar nichts, ihr war eS schon zuviel, den Mimd aufzumachen; aber sie warf am heutt- gen Abend Gertruds Lebensmittelkarte vor sie hm:»Da, Fräu- lein, holen Se sich's man jetzt alleene, ich bin müde und alt. Ich leg mer hin, ich niag nu nich mehr. Zum Verrecken zuviel, zum Leben zu wenig!" Der Blöde jammerte:„'ne Stulle, Mutter,'ne Stulle!" Der kleine Knabe bettelte auch, er wollte gern etwas essen, und Gertrud selber empfand einen quälenden Hunger. Aber schlimmer als das Hungergefühl war die Schwäche, die sie beschlich. Die hatte sie schon seit Tagen empfunden, sich aber immer dagegen gewehrt: nur nicht nachgeben. Sie hatte sich auch immer wieder zusammengerafft, die Augen, die ihr oftmals bei der geisttötenden Eintönigkeit ihrer Arbeit zuzufallen drohten, immer wieder aufgerissen. Verzagtheit und Mutlosigkeit immer wieder abgeschüttelt. Nun war dies zu viel. Dies einfache Hinwerfen der Karte, dieses gleichgültige: .Ich mag nich mehr!' der Frau, löste verwandte Gefühle in ihr selber. Sie brach in Tränen aus. Auch sie mochte nicht mehr. Wozu sich noch quälen? Von früh bis spät dieses Hungern und Frieren, dieses Darben' an Leib und Seele— wozu, wozu? Wozu all der furchtbare Kampf? Es gab ja doch keinen Sieg. Verloren, verloren! Sie hörte nicht das Lallen des armen Alten mehr, nicht das bittende Stimnichen ihres Kindes. Mit starren Augen sah sie ins Leere, während Träne auf Träne ihr in den Schoß tropfte.(Forts, folgt.)