Einzelbild herunterladen
 
Weitere Verfolgungen von Italienern   werden aus Frankreich   gemeldet. Wir werden morgen diese Ereignisse von prinzipiellen Gesichtspunkten würdigen. s�nr Vollstrerfnng der Todesurtheile tritt die Kölnische Zeitung  " in Reproduktion einer Biographie Carnot's aus demDaily Telegraph  " ein, in welcher es heißt: Auch hatte er(Carnot) den Muth seiner Ueberzeugungen kicieeffs der Todesurtheile. Grevy unterzeichnete niemals wäh- reud seiner neunjährigen Amtsdauer ein Todesurtheil, und in« folge dieser Nachsicht mehrten sich die Verbrechen in fürchter- lichem Maße. So oft ein Anarchist Ravachol, Vaillant, Henry zum Tode vcrurtheilt wurde, traten an Carnot alle möglichen Einflüsse heran, um ihn zur Umwandlung der Todes- strafe zu bewegen, aber er gab nicht nach. Merkt denn die gute Kölnische nicht, daß die Hin- richtungen unter Carnot die Vermehrung der Mordthaten nicht verhindert haben, daß aber unter Grevy Thaten eines Ravachol überhaupt nicht vorkamen? Nationalliberale Liige. Die«Münchner Neuesten Nachrichten  " schreiben: Und was ist die Sozialdemokratie, deren parla- mentarische Vertreter die Regierung in Schach   halten? Die Pflanzschule des Anarchismus. Alle Mordbubcn, die seit 2�/? Jahren Frankreich   mit Schrecken erfüllt haben, sind aus ihren Reihe» hervorgegangen. Aber! Aber! Warum so ungeschickt verleumden! Wer weiß denn von Henry, von Ravachol   und anderen, daß sie früher Sozialdemokraten waren? Niemand außer den Ver- leumdern in der nationalliberalen Presse. Wucher in Spanien  . In Spanien   bestehen keine Gesetze gegen den Wucher, so daß dieser in schönster Blüthe steht. Was auf diesem Gebiete hier geleistet wird, davon giebt nachfolgende Geschichte einen schwachen Begriff. Ein gewisser C. G. lieh gegen Einhändigung eines besonderen Schuldscheines einem gewissen W. F. die Summe von SOOv Pesetas. Der in Reoe stehende Schuldschein, welcher das Datum vom 6. Juni 1838 trägt, stellt folgende Bedingung auf. Für das erste Jahr ist der anzubringende Zinsfuß auf 12 pCt. festgestellt. Wird der nach einem Jahr fällige Zahlungsterniin nicht eingehalten, so wird der Zinsfuß von dem Augenblick ab jeden Monat um 2 pCt. erhöht. Seit 1889, das ist seit dem Zahlungstermine, hat der Schuldner noch nichts bezahlt, und so hat sich vor einigen Tagen C. G. veranlaßt gesehen, gerichtlich gegen ihn einzuschreiten. Die Schuld ist indessen auf..... 6 494 OOO Pesetas an­gewachsen. Gladstone'S Rücktritt vom politischen Leben kommt nicht unerwartet, nachdem er vor kurzer Zeit seines Augenleidens halber feinen Ministerposten aufgeben mußte. Die Operation hat ihm wohl eine Erleichterung gebracht, doch konnte sie einem 8Sjährigen Greise nicht die Vollkraft wiedergeben, deren er zur weiteren Fortführung seiner politischen Thäligkeit bedurft hätte. Gladstone ist einer jener seltenen Männer, bei denen die steten Auf- regnngen des politischen Lebens zur Erhaltung ihrer Geistes- und Körperfrische beitragen. Noch bis in die letzten Tage seiner Ministerthätigkeit hat er Reden von großer Bedeutung gehalten. Deshalb wird sein jetziger völliger Rücktritt wohl schwerlich so aufzufassen sein, als ob es zu Ende ginge mit seinem Leben, und so ist es auch zu früh, einen völlig abschließenden Ueberblick über seine lange und abwechselungsreiche politische Laufbahn zu geben. Gladstone ist der hervorragendste Vertreter des modernen englischen Liberalismus, der thurmhoch über seiner schwächlichen Nachahmung, dem deutschen   Liberalismus, steht. Vielleicht ist die Zeit des Liberalismus in England jetzt überhaupt vorbei, seitdem das Proletariat an die Pforten des Parla- ments pocht. Mit Vielem in Gladstone's Thätigkeit können wir uns nicht einverstanden erklären; das braucht uns aber nicht zu hindern, das Gute, was er geleistet, anzuerkennen. Sein Abtritt vom politischen Leben wird dadurch ein würdiger, daß er es> verschmäht, sich Orden oder Titel anhängen zn lassen, während sein langjähriger konservativer Gegner T Israeli bekanntlich klein genug dachte, sich mit einem Grafentitel zu schmücken. Arbeiterversicherung iu Schweden  . Die schwedische Re- gierungskommission, die beauftragt war, einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Arbeiterversicherung auszuarbeiten, hat ihre Arbeit vollendet. Die Hauptbestimmungen des Entwurfes, der sich im wesentlichen ans das betreffende deutsche   Gesetz stützt, find� nach derFrankfurter Zeitung  " die folgenden. Alle un- selbständigen Erwerbenden sind der Versicherung unterworfen. Die Versicherten werden in drei Klassen getheilt, von denen die zwei ersten die männlichen und die dritte die weiblichen Arbeit- nehmer uinfaffen. Für jede Woche sind in der ersten Klasse üv, in der zweiten 30 und in der dritten 20 Oere (1 Oere---1l/s Pf.) als Beitrag vom Arbeitgeber einzuzahlen, und dieser darf die Hälfte desz Beitrages vom Lohn der Versicherten abziehen. Um eine Pension zu erhalten, ist außer dauernder Erwerbsunfähigkeit noch erforderlich, daß für wenig- stens 260 Wochen Beiträge entrichtet worden sind. Die Höhe der jährlichen Pension beträgt in den drei Klassen 80 bezw. 6S und öS Kronen(1 Krone IM. 12'/« Pf.). Die Kosten der Ver- sicherung werden durch die Beiträge und einen Staatszuschuß bestritten. Der Gesetzentwurf ist vom Handelskollegium an fämmtliche Lehneverwaltnngen, Stadträthe, Handwerker- und Arbeitervereine zur Begutachtung geschickt worden. In vielen Autworten wird der Plan in seiner gegenwärtigen Form miß- billigt. So lehnt unter Anderem das Ober-Slatthalteramt in Stockholm   das Projekt ab, theils aus prinzipiellen Gründen, thcils wegen der großen Schwierigkeiten, welche die Einführung von Arbeiterpenstonen verursachen würde. Die Regierung ist jetzt zu nochmaliger Umarbeitung ihres Planes genöthigt. k>k»rkeinsck»vtckzken. In Dresden   wurde eine Volksversammlung aufgelöst, als der Referent Genosse Dr. Gradnauer, der überdie Arbeiterschaft und ihre Feinde" sprach, auf den Waldschlößchen-Boykott eingehen wollte, woran ihn der überwachend« Beamte aber verhinderte. Infolge der durch diese Maßregel entstandenen Unruhe wurde die Versammlung aufgelöst. Polizeiliches, Gerichtliches«. Ans derSchleswig-Holfteinischen Volks- eitung" hatte der Genosse Hülle, Redakteur derThüringer ribüne" einen Artikel entnommen, worin den Lesern über eine ungebührliche Strafvollstreckung, angewendet an einem Marine- soldaten der Besatzung desKönig Wilhelm" berichtet wurde. Durch diese Notiz fühlte sich der Kommandant benannten Schiffes beleidigt und stellte Strafantrag gegen diejenigen Zeitungen. in denen der von einem Augenzeugen geschilderte Vorfall mitgetheilt worden. Indem durch die Kieler   Strafkammer festgestellt wurde, daß besagte Züchtigung in ordnungs- mäßiger Weise vollzogen worden, erfolgte die Verurtheilung des Redakteurs derSchleswig-Holsteinischen Volkszeitung, Genossen Fröbel, zu einem Monat Gesängniß. In derselben Angelegenheit hatte sich Genosse Hülle vor der Erfurter   Strafkammer zu ver- antworten. Auch gegen ihn wurde vom Vertreter der Staats- anwaltschaft dasselbe Strafmaß beantragt. Der Vertheidiger des Genossen Hülle, Herr Rechtsanwalt Dr. Harmening-Jena  , macht« demgegenüber geltend, daß ein Strafmaß, wie es gegen den ursprünglichen Verfasser des Artikels in Anwendung gekommen, hier nicht zutreffe, sei doch der Artikel in der festen Zuversicht, daß er aus Wahrheit beruhe, abgedruckt worden. Wenn auch eine Kritik über besagten Vorfall angefügt worden, so sei immer- hin das Vergehen derartig geringfügig, daß im Fall einer Ver- urtheilung auf eine geringe Geldstrafe zu erkennen sei. Der Gerichtshof schloß sich den Ausführungen der Verthcidigung insofern an, als er zugab, daß der Angeklagte nicht so hart als der eigentliche Verfasser des beleidigenden Artikels zu bestrafen sei, es wurde deshalb die Beleidigung de? Schiffskommandanten, begangen durch die Reproduktion betreffenden Artikels mit 100 M. Geldstrafe für genügend gesühnt erachtet. Eine formelle Beleidigung selbst für den Fall, daß das erwähnte Vorkommniß auf Wahrheit beruht hätte, wurde in dem WorteMenschen- schinderei" gefunden. Der Schutz des Z 193 wurde dem An­geklagten abgesprochen. Wegen Beleidigung durch die Presse hatte sich Genosse Pens vor dem Dessauer Schöffengericht zu verant- worten. Derselbe sollt« einestheils den Konststorialrath Pfarrer Grape und anderntheils den Bergdirektor Franz Johanni in Aschersleben   sowie den Bergingenieur Diez« in Frose   beleidigt haben. Im ersteren Falle handelte es sich um einen Artikel, in welchem im Anschluß an in der ganzen Stadt seinerzeit ver- breitet gewesene Gerüchte ganz im allgemeinen auf die bekannte Thatsache hingewiesen wurde, daß gewisse fromme Kreise mit Eifer den Sozialdemokraten den Vorwurf derfreien Liebe" in einem gewissen Sinne machten, während bei ihnen selber diese freie Liebe ihre Stätte habe. Die Wahrheit der verbreiteten Gerüchte ward dabei völlig unentschieden gelassen, weder be- hauptet noch auch bestimmt verneint. Auch blieb jeder Name unerwähnt. Gleichwohl erfolgte die Anklage. In der gestrigen Verhandlung beschwor Pfarrer Grape als Zeuge, daß er mit der sogenannten Schwester Martha in keinem unerlaubten Ver- hältniß gestanden habe. Die Gerüchte seien auch ihm damals zu Ohren gekommen. Strasantrag habe er auf Drängen seiner Amtsgenossen gestellt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft, Amtsanwalt Dr. Döring, fand in dem Artikel eine schwere Be- leidigung, welche nur durch Freiheitsstrafe gesühnt werden könne. Auch beantrage er, die Anklage auf§ 187 auszudehnen, weil der Angeklagte wider besseres Wissen gehandelt habe. Sein Strafantrag lautete für diesen Fall auf 3 Wochen Gefängniß. Das Schöffengericht erachtete Genossen Peus der Beleidigung des Konsistorialralhs Grape für schuldig. Das Urtheil aber ging weit über den Antrag der Anklagebehörde hinaus. Das Gericht sprach eine mehr als sieben mal so hohe Strafe, nämlich fünf Monate Gefängniß ans. In der zweiten Sache handelte es sich um einen schweren Unglücksfall auf den Bergwerken in Frose  . Ein Förderstuhl war durch Zerreißen des Seiles hinabgestürzt und hatte einen Bergmann   getödtet. ImVolks- blatt" war dieser Unglücksfall in der Weise berichtet, daß gesagt wurde, eine zettigere Erneuerung des Seiles hätte das Unglück wohl verhüten können. Nach einem gerichtlich eingeholten Gutachten soll indessen das Seil durch ein Zahnrad angeschnitten und dadurch zerreißbar geworden sein. Auch in diesem Falle ward Peus der Beleidigung für schuldig befunden. Der Antrag lautete auf 4 Wochen bez. insgesammt 6 Wochen Gefängniß. Das Urtheil lautete dagegen auf ö Wochen resp. zusammen mit den 5 Monaten nicht weniger als sechs Monate Gefängniß. Berufung an das Landgericht wird selbstverständlich eingelegt. Der Dresdener   Maifeier- Prozeß. Ein echt sächsisches Stück Justiz war es, das sich vor dem Dresdener   Schöffengericht unter dem Vorsitz eines Amtsrichters Bockwitz am Mittwoch abspielte. Es wurde gegen öl Leute, darunter drei Frauen verhandelt, die zunächst aus hundert- einundsiebzig Angeklagten herausgegriffen waren, und denen zur Last gelegt war, sich am ersten Mai an einem verbotenen Umzug beheiligt zu haben. Zur Orientirung sei bemerkt, daß in einer Partei- Versammlung, die vor dem 1. Mai im Trianon-Saale stattfand, ein Komitee, bestehend aus den Parteigenossen Findeisen, Heilweck und Sommer zur Leitung der Maifeier gewählt wurde. Dieses Komitee beschloß, einen Umzug zu veranstalten, der sich durch die Johann Georgen-Allee, König Johannstrabe u. f. w. nach der inneren Stadt bewegen sollte und reichte bei der Polizeidirektion Dresden ein Gesuch um Genehmigung des Um- zuges ein. Diese Genehmigung wurde versagt und das Komitee unterließ daher jede derartige Veranstaltung. Trotzdem soll am I. Mai ein Umzug stattgefunden haben, der sich nach der An­klage von der Weißeritzstraße durch die Wettinerstraße über den Postplatz. die Mariensiraße, Waisenhausstraße, Pragerstraße nach dem Böhmischen Bahnhof und von dort durch die Ammonstraße nach Löbtau   zu bewegt haben soll unter Betheiligung von 6000 bis 8000 Personen. Die Betheiligung an diesem Umzüge wird den Angeklagten zur Last gelegt. Sie sollen dadurch das Vereinsgesetz, sowie eine Verordnung über- treten haben, die von der Polizeidirektion Dresden und den Amts- hauptmannschaftcn Dresden- Altstadt und-Neustadt gemeinsam erlassen worden war, und die besagt, daß am 1. und 3. Mai d. I. in den Verwaltungsbezirken dieser drei Behörden alle öffentlichen Auf- und Umzüge, auch sogen. Massen- Spaziergänge verboten seien und daß Zuwiderhandlungen an allen Theilnehmern mit entsprechender Haft oder Geldstrafe bestraft werden. Die Ver- ordnung stützt sich auf ß 12 des Vereinsgesetzes, der besagt, daß bei dringender Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheil Versammlungen, sowie öffent- liche Auf- und Umzüge und Festlichkeiten verboten werden können. Wäre diese Verordnung nicht vorhanden, dann könnten nur die Veranstalter, Ordner oder Leiter einer ohne Genehmigung etwa stattgefundenen Veranstaltung der genannten Art bestraft werden. Außerdem sollen die Angeklagten noch durch ihre Theilnahme an dem verbotswidrigen Umzüge noch Verkehrs- störungen verursacht und so gegen die Dresdener   Berkehrsordnung verstoßen haben. Die Ladungen waren schon auf früh 8 Uhr ergangen, eine Stunde vor dem üblichen Beginn der Gericktsthätigkeit. Vor dem Eingang zum Amtsgericht waren zwei Gendarmen postirt und nur mit Ladungen versehene Personen durften passiren, so daß sogar unser Berichterstatter, der zufällig keine Legitimation bei sich führte, nur auf Umwegen Eintritt erlangen konnte. Der für solche Massenprozesse nicht berechnete Verhandlungssaal war von den 51 Angeklagten und den 20 als Zeugen geladenen Polizcibeamten so ausgestopft, daß nur noch gegen zwanzig Zuhörer, die man später einließ, mühsam, größtentheils stehend, Platz fanden. Unter ziemlich großen Schwierigkeiten wurden die Angeklagten nach der im Eröffnungsbeschluß eingehaltenen Reihenfolge placirt und nach Vortrag des Eröffnungsbeschlusses(ohne Nennung der einzelnen Namen) begann die Vernehmung der Angeklagten. Die Feststellung der Personalien der Angeklagten hatte bereits vorher in der Gerichtsschreiberei stattgefunden und nur drei Angeklagte hatten dort Angaben über ihre Person verweigert. Die An- geklagten, die sich auf die Fragen des Vorsitzenden mit wenigen Ausnahmen als Sozialdemokraten bekennen, stellen sämmtlich in Abrede, an einem verbotenen Umzüge theilgenommeu zu haben. Aus den sich in vielen Dingen drastisch gestaltenden Aussagen der Angeklagten sei die Darlegung des Genossen Walisisch   er- wähnt; derselbe erklärt, er habe an keinem Umzüge theilgenommen, da ein solcher, weil verboten, gar nicht veranstaltet worden sei. Er ist mit seiner Frau und seiner Mutter durch die Stadt ge- gangen und auf dem Wege nach seiner Wohnung in Plauen   mit Gewalt in die Straßen gedrängt worden, die in der Anklage- schrist gmannt sind, da er mehrfach durch polizeiliche Absperrung verhindert worden sei, die Straßen zu gehen, die ihm genehm und näher gewesen; als er dann endlich mit vieler Muhe die entsprechende Pferdebahnlinie erreicht habe, sei er in den Wagen gestiegen und nach Hause gefahren. Der Amtsanwalt hält ihm vor, daß er in der Vorvernehmung zugegeben habe, an der Spitze von 6000 Menschen marschirt zu sein. Der An- geklagte bezeichnet dieS als unwahr, der Amtsanwalt habe thw. dies nur insinuirt, er habe aber erklärt, daß er nichts dafür könne, wenn Menschen um ihn hergehen und sich um diese uickzt gekümmert habe. Der ebenfalls angeklagte Findeisen alS Komiteemitglied gie-bt an, wie das Komitee verfahren fei(siehe oben); nachdem ihm das Verbot des Umzuges zugegangen, habe er nichts mehr in der Sache unternommen: er ist am 1. Mai in Geschäften auf der Straße gewesen. Frau Findeisen behauptet, sie fei den ganzen Tag nicht aus ihrem Geschäft herausgekommen und ihr Mann bestätigt dies. Pflüger, Gründe! und Kohlenhärudler Günther bestreiten jede strafbare Handlung. Eigenartig ist die vom Amtsanwalt an den Angeklcigten Kohlenhändler Günther gerichtete Anfrage, warum er und die übrigen Angeklagten nicht den Muth haben, zu gestehen, daß sie die Feier des 1. Mai durch einen Umzug begangen haben. Das ist so eine eigene Art zu inquiriren, entweder Du gestehst su, daß. Du eine strafbare Handlung begangen hast, wie die An- klage behauptet, oder Du bist ein Feigling! Der Vorsitzende wies diese Frage als ungehörig zurück. Frau Hänsel hat nur in Friedrichstadt   Wäsche geholt. Von Maifeier, Sozialvemo- kratie, Versammlungen verstehe sie überhaupt nichts; sie kann nicht einmal deutsch   lesen, nur böhmisch. Heilweck soll mit Wallsisch an der Spitze eines Zuges marschirt sein, bestreitet aber entschieden, an einem Umzüge theilgenommen zu haben. Auch Heilmann, Hünig, Joseph, Breslauer und Sengpiel stellen dies n entschieden in Abrede. Der letztere erklärt, daß er kein aldemokrat sei. Fehrmann, der selbständiger Schneider ist, hat' einen Geschäftsweg besorgt, ist aber mehrfach von der Polizei verhindert worden, seinen Weg fortzusetzen. Auch die übrigen Angeklagten stellen jede Betheiligung an einen, Umzüge in Ab« rede. Bechthold erklärt, nicht Sozialdemokrat zu sein. Vor der Vernehmung der Zeugen bemerkt der Vorsitzende, es sei doch merkwürdig, daß sämmtliche Angeklagte zumeist meist zugeben oder doch nicht in Abrede stellen können, daß sie am 1. Mai um die angegebene Zeit auf den erwähnten Straßen gewesen seien und doch will keiner vom andern etwas wissen, keiner einen Umzug gemacht haben, und alle seien sich anscheinend frenid. Uns will das weniger merkwürdig erscheinen. Wenn sich an einem beliebigen Tage eine Anzahl Polizeibeamte um die Mittagszeit auf einer beliebigen Hauptverkehrsstraße aufstellen, und die ihnen bekanntm Vorübergehenden notiren und diese werden dann angeklagt, dann wird sich dasselbe Bild entwickeln alle Angeklagte werden zugeben, zu der fraglichen Zeit diese Straße passtrt zu haben, keiner wird vom anderen etwas wissen, alle werden sich fremd sein und jeder wird er» staunt sein, daß man ihm die Theilnahme an einem Umzüge zur Last legt. Als erster Zeuge wird Polizei> Inspektor Unger verhört, nachdem er zuvor vereidigt worden. Er war am 1. Mai, Nach- mittags in der dritten Stunde, in der Weißeritzstraße postirt, und hat da einen Umzug von 60008000 Menschen �beobachtet. Ein geschlossener Zug sei es nicht gewesen, es feien ungeordnete, bald kleinere, bald größere Trupps gewesen, zwischen denen Ab» stände von 2 bis 15 Schritte gewesen sein mögen. Nur der rechtsseitige Fußweg sei in Anspruch genommen gewesen, von einer Verkehrsstörung habe er nichts wahrgenommen. Trotzdem habe er den Eindruck gewonnen, daß alle diese Menschen nach einem gemeinsamen Plane gehandelt und daß sie zusammengehört haben. Er will die Angeklagten Köhn bis Sengpiel(in obiger Reihenfolge) selbst in dem Zuge gesehen haben, kennt sie alle persönlich und hat sie notirt. Ob Köhn mit in die Wettiner- straße eingeschwenkt sei, habe er nicht sehen können. Dieser be- hauptet, er sei in entgegengesetzter Richtung, in die Schäferstraße. eingeschwenkt. Frau Findeisen habe er am Arme ihres Mannes. gesehen, behauptet der Zeuge; diese hält aber ihre obige Er- klärung aufrecht. Auch Frau Hänsel will er mit ihrem Manne gesehen haben, während diese behauptet, ihren Mann an dem Tage überhaupt nicht gesehen zu haben. Einige der Ange- geklagten, die zugegeben haben, daß sie die Weißeritzstraße passtrt haben, halten dem Zeugen vor, daß er hinter einer Hausthür gestanden habe und daß sie im Borbeigehen hörten, wie der bei ihm stehende Kriminal- Wachtmeister Born ihm ihre Namen zu- gerufen habe. Der Zeuge giebt das zu, erklärt jedoch wiederholt. daß er die Angeklagten trotzdem selbst gesehen habe. Auch wesent- liche Differenzen in den Zeitangaben werden dem Zeugen von einigen Angeklagten vorgehalten. Dieser bleibt jedoch bei allen seinen Aussagen stehen. Der nächste Zeuge, Wachtmeister Bor», will die Angeklagten ebenfalls auf der Weißeritzstraße gesehew haben. Auch er hat den Eindruck gehabt, daß es ein gemein- schaftlicher Umzug gewesen sei. Nach seiner Angabe nahm aber der Zug die ganze Straßenbreite ein, auch sei der Verkehr gestört worden. In ähnlicher, zum Theil widersprechender und oft auch sehr unbestimmter Weise lauten die Aussagen der übrigen Beamten, die sämmtlich vor ihrer Vernehmung vereidigt wurden. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft ist von der Schuld sämmtlicher Angeklagten überzeugt. Zum Beweis dafür, daß wirklich ein Zug stattgefunden hat, verweist er auf den Be- richt in derSächsischen Arbeiter-Zeituna."(Derselbe wird verlesen.) Er stellte es dem Ermessen deS Gerichts anHeim  , anstatt der Geldstrafe eventuell eine Freiheitsstrafe zu verhängen. Außerdem verweist er auf den Beschluß in der Trianon-Versammlung. Es sei auch als strafbare Handlung an- zusehen, wenn die einzelnen unabsichtlich oder zufällig betheiligt gewesen seien. In ihrer Vertheidigung wiesen fast fämmtliche Angeklagte auf die vielen Differenzen, die sich bei den Zeugenaussagen her- ausgestellt hatten, hin; viele bezweifeln die Glaubwürdigkeit der Zeugen, auch seien sie sich keiner strafbaren Handlung bewußt und beantragen daher ihre Freisprechung. Viele Angeklagte erklären, daß sie dann, wenn sie ver- urtheilt würden, wüßten, daß sie nur deshalb bestraft würden, weil sie eben Sozialdemokraten seien. Schönseld behauptet, er habe von der Bekanntniachung nichts gewußt, es könnte der Polizeidirektion jederzeit beikommen, derartige Erlasse zu in» szeniren, vielleicht imLeipziger Tageblatt  " bekannt machen und dann verlangen, daß diese seitens der Dresdener   Einwohnerschaft befolgt würden. Es sei doch keineswegs festgestellt, daß der- artige Erlasse nur deshalb, weil sie von der Polizeidirektion kommen, nicht ungesetzlich seien. Der§ 12 des Vereinsgesetzes verbiete keine Spaziergänge, sondern nur Umzüge. Die Ver- ordnung sei ein Eingriff in die persönlichen Rechte der Staats- bürger. Man beachte den geschilderten Verlauf der Verhandlung uro nehme zum Vergleich den Urlheilsspruch des sächsischen Gerichtshofs. Es wurden verurtheilt: Schönfeld, Wall fisch, Heilweck und Hünig zu je zwei Monaten Gefängniß, 42 An geklagte zu je 100 Mark Geld» strafe event. 1 Monat Gefängniß, Frau Hänsel zu 50 Mark Geldstrafe. Frau Findeisen und Dörner werden freigesprochen. Das war die erst« Tagesleistung. Gestern war Fortsetzung; ebenfalls soll am nächsten Montag und Mittwoch verhandelt werden weit über hundert Angeklagte harren noch ihrer Ab- urtheilung.