Nr. 147. 35. Jahrg.
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Sozialdemokrat Berlin".
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Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutfchlands.
Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3.
Fernivrecher: Am: Moriables, Nr. 151 90-151 97.
Freitag, den 31. Mai 1918.
Expedition: SW. 68, Lindenstraße 3. Fernfbrecher: Amt Moritplag, Nr. 151 90-151 97.
Neue Proteste Tschitscherins an Joffe.
Kiew , 29. Mai. Die öffentlichen großrussischen Friedensberhandlungen sind noch nicht wieder aufgenommen worden, da die Kommissionsverhandlungen wegen der Demarkationslinie noch nicht abgeschlossen sind. ,, Kiewskaja Mysl" veröffentlicht ein Protesttelegramm Tschitscherins an Joffe wegen einer bedeutenden Grenzverschiebung auf der Donaufront nach Osten, desgleichen wegen der Garantie, welche die deutsche Regierung für die Unantastbarkeit der russischen Delegation während des Aufenthalts in Kiew und der Hin- und Rückreise übernommen habe.
Die lettische Frage.
Ein Lettischer Genosse schreibt uns: Selten wohl ist eine nationale Frage so einfach gewesen wie die lettische. Daß aber diese Frage in den Zusammenhängen der ganzen Politik der Ostprobleme eine unflare Stellung erhalten hat, läßt sich nur dadurch erklären, daß Interessen bei dieser Frage im Spiele sind, die geradezu auf eine Verdrehung und Mißgestaltung dieser wichtigen Teilfrage des Ostseeproblems hindrängen. Unter diesen Interessen stehen an erster Stelle diejenigen des deutsch - baltischen Großgrundbesizes, für den es natürlich von Wichtigkeit ist, eine möglichst enge Angliederung des ganzen baltischen Landes an Preußen zu erreichen. Aus diesen Kreisen sind denn auch die eifrigsten Versuche gemacht worden, die Verhältnisse des lettischen Landes so darzustellen, als ob das lettische Volt ganzunmündig wäre und für eine eigene Staatspolitik gar nicht in Frage komme. Man hat wiederholt in alldeutschen Auslassungen lesen können, daß die Letten ein Volf von Analphabeten seien.
Wenn etwas sehr leicht zu widerlegen ist, so sind es derartige Behauptungen. Man braucht nur einige Vergleichszahlen anzuführen, um eines anderen überzeugt zu werden. Nicht weniger als 95 Proz. sind selbst in den Landkreisen lesekundig. Im Jahre 1910 hatte Bettland nicht weniger als 98 Mittelschulen mit 22 000 Schülern. In derselben Zeit gab es in Bulgarien bloß 25 Mittelschulen, in Rumänien 75, in Griechenland 40. Die Zahl der lettischen Studenten an verschiedenen Hochschulen betrug im Jahre 1913 nicht weniger als 1850, während Schweden in derselben Zeit nur 1200 zählte, Norwegen 1400, Dänemark 1460. Diese Zahlen sprechen eine sehr deutliche Sprache. Ein Volf das bereits über eine gute Elementarbildung verfügt, in einigen Jahrzehnten es bermocht hat, eine starke Intelligenz zu entwickeln deren. Vertreter in ganz Rußland Beschäftigung finden fann wohl nicht weniger reif zur staatlichen Tätigkeit sein ale jedes andere Volk. Soweit also die lettische Frage bzw. die Frage der Bildung eines lettischen Staates von der kulturellen Vorbereitung dieses Volkes abhängig gemacht werden darf, fann wohl fein logischer Einspruch gegen eine derartige Entwicklung zu einem lettischen Nationalstaat erhoben werden.
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Einnahme von Soissons Unaufhaltsames Vordringen südlich der Veste über Villemontoire und Brauscourt Die Nordwestforts von Reims genommen 35 000 Gefangene!
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Berlin , 30. Mai 1918, a bends. Amtlich. Südlich von Fere- en- Tardenois nähern wir uns kämpfend der Marne . Amtlich. Großes Hauptquartier, 30. Mai 1918.(.. B.)
Westlicher Kriegsschauplatz.
An den Kampffronten zwischen Pier und Dise nahm die Gefechtstätigkeit vielfach zu. Dertliche Infanteriegefechte.
Der Angriff der Kampfarmeen des Deutschen Kronprinzen schreitet siegreich vorwärts.
Nördlich der Aisne wurde in hartem Kampf bei Crécy- au- Mont, Juvigny and Cuffies Gelände genommen. Brandenburgische Truppen haben Soissons genommen. Südlich der Vesle brach die in der Bildung begriffene neue Front der Franzosen in den unaushaltsamen Angriffen unserer Divisionen zusammen. Wir warsen den Feind nach hartnäckigem Widerstand bis über die Linie Villemontoire Fèee- en- Tardenois Conlonges- Brouillet- Branscourt zurüď.
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Die Forts der Nordwestfront von Reims find gefallen. Der Nordteil von La Neuvillette und Betheny wurden genommen.
Die Gefangenenzahl ist auf über 35 000 geftiegen. Die Beute an Artillerie und Kriegsmaterial ist gewaltig. Geschüße aller Art bis zu Eisenbahngeschützen schwersten Kalibers wurden erobert. Das stürmische Vordringen unserer Angriffstruppen verwehrte dem Feinde, die im eroberten Gebiete aufgestapelten reichen Kriegsvorräte zurückzuführen. Große Bestände fielen in Soissons , Braisne und Fismes in unsere Hand. Ausgedehnte Munitionslager, Eisenbahnzüge, Lazarettanlagen mit zahlreichen Sanitätsausrüstungen famen in unseren Besitz. Flughäfen mit startbereiten Maschinen nud Flugzengmaterial wurden erbeutet.
Bei den Heeresgruppen Gallwig und Herzog Albrecht lebte die Gefechtstätigkeit nur zeitweilig auf.
Unsere Flieger schossen in den letzten drei Tagen 38 feindliche Flugzeuge ab. Oberleutnant Berthold errang seinen 29. Luftsieg. Leutnant Roeth brachte in einem Flug von Diksmuide bis südlich von Ypern fünf feindliche Fesselballone brennend zum Absturz. Der Erste Generalquartiermeister.
Ludendorff.
Der österreichische Bericht.
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Wien , 30. Mai 1918. A milich wird verlautbart: Die Kämpfe im Tonale Gebiet dauern an. Auch im Adamello - Gebiet steigerte sich das feindliche Artilleriefeuer. Mehrere feindliche Angriffe auf unsere Stellungen südlich des Presena Gletschers wurden abgeschlagen. Ein feind licher Erkundungsversuch über die Piave nördlich St. Dona mißlang.
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Der Chef des Generalstabes.
Nicht selten hört man auch, ein staatlich organisiertes Lettland wäre ein undenkbarer Kleinstaat. Auch das trifft gleichfalls nicht Denn Lettland umfaßt im ganzen 63 076 Quadratkilometer, zu. Belgien 29 454, Holland 34 186 , Dänemark 38 969. Von den deut schen Bundesstaaten sind lediglich Bayern und Preußen größer als das lettische Land. Auf dem Territorium dieses Landes lebt eine fompakte lettische Nationalität. Auf dem Lande überfteigt sie sogar 95 Proz. Die deutsche Bevölkerung bildet in diesem Gebiet einen sehr geringen Prozentsab; im ganzen sind es es nicht mehr als etwas über 120 000, von denen gegen 100 000 in den Städten Riga , Libau und Mitau leben. Bezeichnend ist es, daß in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Deutschen sowohl absolut als relativ abgenommen hat. Will man also bei der Neuordnung der baltischen Verhältnisse staatlich und völkisch einheitliche Gebilde schaffen, so ist es für die staatswissenschaftliche Auffassung wohl ohne weiteres klar, daß das lettische Land sehr wohl fanzler ist vor kurzem eine Denkschrift der Exekutive des lettischen zu einer staatlichen Ausgestaltung die nötige Grundlage bietet. Nationalrats, der die Vertretung aller lett schen Parteien bildet, In sozialer Hinsicht und insbesondere in der Befißverteilung übersandt worden, in welcher der bezeichnete Standpunkt eine aus spaltet sich aber Lettland in zwei scharf geschiedene Gruppen: auf führliche Begründung findet. Es dürfte sehr zu wünschen sein, daß der einen Seite die Letten mit dem lettischen Kleingrundbesitz, dem man die wahren Volksbestrebungen des lettischen Landes lettischen Bürgertum und der lettischen Arbeiterschaft, auf der an- in Deutschland kennen lernt und sie vorurteilslos prüft Man würde beren der noch stark extensiv wirtschaftende Großgrundbesik, mit fehlgehen, wenn Versuche gemacht werden sollten, das baltische Gütern, die die Größe der oftelbischen weit übersteigen. Dieser Problem anders zu lösen, als wie es die baltischen Völker selbst Batifundienbesitz ist das wirtschaftliche Fundament der heißen An- wünschen. Eine Lösung, die das baltische Land zu einem Anhängsel gliederungsbestrebungen, die durch falsche Vorspiegelungen auf die oftelbischen Junkertums machen wollte, dürfte nur weitere BerBerpreußung Lettlands und Estlands hinarbeiten. Gegen widlungen und Reibungen erzielen und in keiner Weise das diese Bestrebungen treten die beiden Völkerschaften sowohl Betten baltische Problem aus der Welt schaffen. Ein Fehler wäre es auch geschlossen auf. Ihr Standpunkt wird flar in ver- zu meinen, daß es sich bei diesem Problem um den Schutz des schiedenen Beschlußfassungen der größten Parteien dargelegt und es Deutschtums in den baltischen Provinzen handelt. Der Schutz der ift fein Geheimnis auch in Deutschland mehr, daß die Letten und Minorität in einem Lande kann durch staatliche RechtsEsten mit nur geringen, kaum in Betracht kommenden Ausnahmen garantien geschaffen werden, und auch das lettische für die handelspolitische und völkerrechtliche Neu- Staatsvolk würde gegen eine derartige staatsitalisierung Lettlands und Estlands eintreten. Dem Reichs- rechtliche Garantie nichts einzuwenden haben.
als auch Esten
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In der Einleitung zum Entwurf des sozialdemokratischen Aktionsprogramms( siehe Nr. 139 des Vorwärts") ist gesagt, daß mit ihm das Erfurter Programm nicht aufgehoben, sondern ergänzt werden soll. Damit wird wohl weniger eine Bestätigung des Erfurter Programms in all feinen Einzelheiten ausgesprochen, als der Erkenntnis Rechnung getragen, daß wir noch mitten im reißenden Strom der Entwicklung stehen". Dieser Strom der Entwicklung hat auch das Erfurter Programm nicht unberührt gelassen, nur ist es noch nicht an der Zeit, letzte Schlußfolgerungen zu ziehen.
Soviel läßt sich immerhin heute schon sagen, daß die Erfahrungen der vier Jahre an den Willenszielen der Arbeiterbewegung nicht das geringste geändert haben. Was sich ändert, ist dre Art, die Dinge zu betrachten, und vielleicht auch die Anforderung, die man an ein Parteiprogramm stellt. Das Erfurter Programm ist in seinem ersten grundsäblichen Teil Bekenntnisschrift, es will die wissenschaftlichen Ueberzeugungen formulieren, auf deren Gemeinsamkeit der Zusammenhalt der Partei gegründet ist. In wissenschaftlichen Ueberzeugungen gibt es aber keinen Gleichschritt des Marsches, der ist nur zu erzielen in gemeinsamen Bestrebungen. Für die junge Partei bor bald dreißig Jahren war es ein erzieherisches Moment von größter Bedeutung, daß sie sich ihrer Nolle als Faktor einer notwendigen Entwicklung bewußt wurde, und diese Erziehung geleistet zu haben, ist das historische Verdienst des Erfurter Programms. Fehler dieses Vorzugs aber war, daß Erkenntnisse, mochten sie nun falsch oder richtig sein, zur Grundlage der Gemeinsambeit gemacht wurden. Selbstverständlich wurden diese Erkenntnisse mit der Seit vielfach angezweifelt, Meinungsverschiedenheiten wurden zur Ursache lebhafter Parteifämpfe, die das geistige Leben der Partei befruchtet haben mögen, sicher aber vielfach die Aktionskraft der Bewegung lähmten. Darum ist allen, denen die Tat wichtiger ist als die bloße Meinung, schon das Wort ,, Aktionsprogramm" Musik in den Ohren.
Das Aktionsprogramm sagt uns, wie wir für den Sozialismus fämpfen und arbeiten sollen. Lohnende Aufgabe wäre es, in einer wissenschaftlichen Arbeit, die auf den Erfahrungen der Kriegswirtschaft beruht, nachzuweisen, daß wir diesen Kampf im Bunde mit einer notwendigen Entwicklung" führen. War doch keine Zeit besser geeignet, Sozialisten zu machen, als die gegenwärtige! Aber ganz richtig hat die Kommission erkannt, daß eine solche Beweisführung nicht in ein Aftionsprogramm gehört, daß es nicht ihre Aufgabe war, Lehrsätze zu formen, die leicht zu Glaubenssäßen und als solche zum Gegenstand spitfindiger Streitigteiten werden, sondern Forderungen aufzustellen, auf die sich vielleicht mit fleinen Vorbehalten einzelner im einzelnen die ganze Partei einigen kann.
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Ueberblickt man diese Forderungen und stellt man sie sich als verwirklicht vor, so bemerkt man, daß damit ein gewaltiger Schritt in der Richtung zur sozialistischen Gesellschaftsordnung vollzogen wäre. Noch ist die Bergesellschaftung nicht allenthalben durchgeführt, aber die Herrschaft des Volks sta ats über die Volkswirtschaft ist auf allen Gebieten aufgerichtet. Man sieht das Ziel und man sieht den Weg. Die alte Frage Reform dder Nevolution" wird zum bloßen Wortspiel vergangener Zeit, umwälzende Reformtätigkeit an allen Ecken und Enden des Staats und der Gesellschaft ist die Forderung des Tages. Die Sozialdemofratie muß in zielbewußter Mitarbeit die Neugestaltung der politischen und wirtschaftlichen Lebensver. hältnisse unseres Volkes in eine zum Sozialismus führende Bahn zu lenken fuchen". Vielleicht hätte die Einleitung, der dieser Satz entnommen ist, einen etwas höheren Aussichtsturm errichten können, von dem aus das Ganze zu übersehen ist! Aber sie sagt ja auch, daß das Erfurter Programm nicht aufgehoben ist. Was an Zuver sicht und Kraftbewußtsein in ihm lebt, das wollen wir unbeschadet unserer Meinung über einzelne seiner Behauptungen lebendig erhalten!
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In einer Beziehung bedeutet aber das Aktionsprogramm eher einen Rückschritt gegenüber Erfurt als einen Fortschritt, denn der Fehler des Erfurter Programms, zu induſtrieproletarisch, städtisch gedacht zu sein, kehrt im Aktionsprogramm in verstärktem Maße wieder. Da liest man nämlich bei Punkt IX Kommunalpolitik" die sehr schöne Forderung: Versorgung der Bevölkerung mit gesunden und preiswerten Nahrungsmitteln". Nahrungsmittel wachsen aber nicht im Rathaus, sondern auf dem Acker, und die beste kommunale Lebensmittelpolitik bleibt in der Luft hängen ohne Sicherung ihrer agrarischen Grundlage.
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Ein Aktionsprogramm, das zeigen will, wie die Neugestaltung der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse auf die