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Nr. 148-1918

Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Begegnung.

Von Wilhelm Scharrelmann .

Seit Jahren gehe ich jeden Morgen zur felben Stunde den­felben Weg, sebe jeden Morgen im Gewimmel der Passanten die­selben Gefichter auftauchen, die einem befannt und vertraut werden, wie die Häuserfronten, die an jedem Morgen die gleichen sind. Eines ist mir seit langem darunter besonders aufgefallen und beinahe vertraut geworden: schöne große Mädchenaugen, schwer­mütig und dunkel, blicken aus einem schmalen, bleichen Angesicht, der Mund ist ein wenig abwärts gezogen und fest geschlossen, als habe er eine Klage zurückzuhalten, die unausgesprochen bleiben soll. Ich weiß nicht, wer sie ist, und habe nie einen Versuch ge= macht, es zu erfahren. Es ist viel schöner so. Eine der vielen, die an einem vorübertreiben, wie stille Nachen auf einem belebten Sie selbst beachtet mich gar nicht.

Strom.

Jahrelang begegnet fie nfir so an jedem Morgen fast zur selben Minute und an der gleichen Stelle.

Da erfahre ich eines Tages durch das Spiel des Zufalls ihren Namen. Gines Abends nach Geschäftsschluß steigt sie zus fällig in die Straßenbahn, in der ich size und meine Abendzeitung Tese. Zwei junge Mädchen sind bei ihr. Gerade vor mir nehmen fie Play. Die eine scheint eine Bekannte. " Fräulein Weſt," sagt fie. Die andere ist wohl vertrauter mit ihr. Klara," hör' ich es herüberklingen. Klara! Daß ich auf den Vornamen nicht schon selbst gekommen bin. Mir will nämlich scheinen, als wenn alvischen unseren Vor­namen und unserem Wesen eine Art Beziehung bestände, und es dünkt mich zuweilen, als könnte dieser oder jener meiner Bekannten wirklich nicht anders heißen. Klara? Ja, der Name paßt gut zu ihr. Soweit ich sie kenne, heißt das. Aber schließlich gehen wir alle vie Bermummte aneinander vorbei...

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Ein paar Wochen später bleibt sie plöglich des Morgens aus. Auch den zweiten und dritten Tag begegne ich ihr nicht. Irgendeine Verhinderung, denfe ich. Da sind tausend Möglich­

Leiten.

Auch während der folgenden Tage sehe ich sie nicht.

Ich babe mich nie damit beschäftigt, wohin sie geht, was sie treibt. Nun fange ich an, zu spintisieren. Ein Ladenmädchen vielleicht, und ich muß an ihre zarten, tindlichen Hände denken, die vielleicht gewohnt sind, Seidenstoffe zu falten und zurechtzulegen. Sie kann verreist sein, denke ich. Oder verzogen und geht nun auf einem anderen Wege ins Geschäft. Am Ende hat sie auch ge­heiratet, was weiß ich? über der Gedanke kommt mir plötzlich beinahe lächerlich vor, ich weiß felbst nicht warum. Vielleicht ist fie auch erkrankt. Sie sab schon lange wie eine Leidende aus. Dann vergesse ich sie. Man hat wirklich an wichtigere Dinge zu denken. Vierzehn Tage später begegnet mir in derselben Straße, fast genau an derselben Stelle, an der ich ihr so oft begegnet bin, ein Leichenzug.

Ein fleines Gefolge, nur auffällig viele Blumen und Kränze. Blößlich durchzudt es mich: Stlara West. Ich weiß, daß es tindisch ist, und es foftet einen heimlichen Stampfaber ich muß fragen. Der legte im Gefolge, ein huge­liger Alter unter einem vorsintflutichen Bilinder, sieht mich ver­wundert an und antwortet leise:" Fräulein West. Nur kurze Zeit ist sie frank gewefen. Ja."

Was ist da weiter? frage ich mich und kämpfe damit gegen eir alte Trauer an, die wie eine Wolke in mir aufsteigt. Ein Mensch lebt, leidet und freut sich des Lichtes und stirbt. Was ist

da weiter?

Und doch ist mir sonderbar und eigen. Als hätt' ich der Toten, die da vorn in dem schmalen, blumenüberschütteten Sarge ibre letzte Fahrt macht, näher gestanden und zwischen uns wären Fäden ge­wesen, die nun zerrissen sind. In plözlichem Entschluß reihe ich mich dem Gefolge an.

Sie haben sie gekannt? fragt mich der Alte, der an meiner Seite geht, und als ich wortlos nice: Ja, haben Sie denn die Anzeige in den Zeitungen nicht gelesen?

Dhne daß ich frage, erfahre ich, daß fie in einem Blumengeschäft der Stadt gearbeitet hat. Natürlich, sage ich mir. Das pakt zu ihr. Blumen und feine Drähte und Treibhausluft, feucht und schwer von Blumendüften. Sie ist vor Jahren einmal verlobt gewesen, und ist verlassen worden. Aber das ist es wohl nicht gewesen. Ein Lungenleiden,

Vater und Sohn.

Skizze von Erna Löwenwarter. ( Schluß.)

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Der Morgen ist neblig. Die Häuser und Straßen seben aus, als wäre die Welt in eine sanfte, graue Wolke gebüllt, um selbst die niedrigste Gasie noch mit dem Hauch der Höhe zu umkleiden. Auf dem Kirchhof sieht man kaum die nächsten Gräber, die taubeperkt und reglos still unter den Bäumen liegen. Wie welte Blumen, die man vergeblich besprengt hat, um sie noch einen Tag zu erhalten.

Sonnabend, 1. Juni

ja. Und den großen Kranz, der mit den Orchideenblüten dort am mancher Reichstag hat in den Mauern der Stadt getagt. Aber die Kopfende des Sarges, haben ihr die Kolleginnen vom Geschäft ge- Aisne - Stadt ist heut nicht mehr als eine Landstadt. Von Soissons stiftet. An dem Kianz wäre wirklich nichts gespart, so prächtig wie fommt ein großer Teil der frischen Gemüse, die Paris täglich verzehrt. der sei. Die Denkmäler der Stadt führen zum Teil noch bis in die Römer­zeit zurück. Als die Eisenbahn nach Soissons geführt wurde, standen noch die alten Mauerwälle; man legte daher den Bahnhof vor diesen an, und so entstand zwischen Bahnhof und Alistadt eine anderthalb Kilometer breite Allee, die allmählich zur modernen Brachtstraße von Soissons sich entwickelte. In einen ganz anderen Bezirk tritt man. wenn man sie durchwandert hat und sich der Alt­stadt nähert. Da erst beginnt die Geschichte von Soissons zu sprechen. Noch birgt die Altstadt einige ehrwürdige Bürgerhäuser. Vor allem find es natürlich die Kirchen, die von der vergangenen Da ist die Größe der Hauptstadt des Aisne - Landes erzählen. Kathedrale, ein wuchtiger gotischer Bau des 12. und 13. Jahr­die schwarz und glänzend auf hunderts, deren nicht bis zur letzten Vollendung gedichener Wenn der einem Grabhügel sizt und mit dem gelben Schnabel die trockenen mächtiger Turm 66 Meter hoch emporsteigt. Kühles fo behält,

Der Pastor hat eine schöne weiche Stimme, die in der fühlen Morgenluft warm und wohlig wirft, als legte sich eine weiche warme Hand auf einen. Was er sagt, höre ich kaum. Ich sehe einer Amiel zu,

Blätter wendet.

Eindruck dieses

Baues doch etwas

Als alles zu ende ist, drückt der Pastor nach der Sitte den besitzt Soissons zum Ersatz eine Kirchenruine aus gotischer Leidtragenden nacheinander die Hand, der weinenden Mutter, einer Beit, die die Phantasie gewaltig anregt: das sind die noch stehenden jüngeren Schwester, die ähnlich große, etwas verwunderte Augen hat Bauteile der alten Abteifirche von St. Jean- des- Vignes, deren präch und obne Tränen gestanden hat, bis sie plötzlich jäh und heiß auf- tige, von zwei majestätischen Türmen überragte Hauptseite, die zuschluchzen beginnt. Höchste Bewunderung erregt. Auf dem Marktplage steht ein hübscher Bierbrunnen.

Nach einigen leisen Worten des Trostes wendet sich der Pastor den übrigen zu, den Nachbarn und dem Geschäftsinhaber, bei dem Klara gearbeitet hat und der in tadellofer schwarzer Aufmachung nervös und unruhig bagestanden hat und nun eilig

davongeht.

Unvermutet fommt der Pastor auch zu mir. Er weiß nicht recht, was aus mir machen. Eine Verwandte? fragt er leise uud teilnehmend. Die Frage berührt mich wunderlich, flingt einen Augenblid in mir nach, ohne daß ich antworten kann. Nicht, nein, sage ich hastig. Eine Verwandte? und vielleicht eine Verwandte... Wer will das ent­

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doch scheiden?

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Um und in Soissons .

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Es ist eine friedliche Stimmung, die den Marktplatz von Soissons fennzeichnete, und wenn man die Stadt umwanderte, so verstärkte sich der Eindrud, daß fie in ihrer Fruchtbarkeit und Wohlhabenheit ein friedliches, verträumtes Dasein führte. Nur hier und da er­innert dann ein Bau, ein Rest an die größere, aber auch gefähr­lichere und bewegtere Bergangenheit. Nur noch der Name eines Vorortes gemahnt an St. Médard, die Krönungskirche des alten Frankenreiches, und die berühmte Abtei mit ihren sieben Kirchen, zu der 1530 über 300 000 Pilger strömten, ist gleichfalls vollständig verschwunden.

Die Lernfähigkeit der Mäuse.

Zur Feststellung des biologisch- richtigen Verlaufs des Lern vorgangs bei Mäusen hat Prof. Czymanski im physiologischen In­Eine liebliche und mannigfaltige Landschaft ist es, in die durch stitut der Wiener Universität erfolgreiche Verfuche angestellt. Die das siegreiche Vorrücken der deutschen Truppen der Krieg jetzt ein- Untersuchungen wurden, wie die Naturwissenschaftliche Wochenschrift" gedrungen ist. Zwischen ihren Hügeln in mannigfach gewundenem berichtet, bei weißen Mäufen vorgenommen, weil dieie bekanntlich Laufe friedlich dabinfließend, bald von ihnen eng zusammengedrängt, während eines Tages 16 Ruhe und Aktivitätsperioden haben, der bald in bequemerem Talgrunde sich ausbreitend, erinnert die Aisne Beitraum von 24 Stunden für sie also 16 Tage und 16 Nächte vielfach an das mittlere Saaletal in Thüringen . Unterhalb und umfaßt. Als Antrieb für die Handlung, deren Erlernbarkeit unter­oberhalb von Soissons ist der Charakter der Landschaft etwas ver- fucht werden sollte, wurde der Hunger benutzt. Und zwar wurde schieden. Unterhalb der alten Römer- und Frankenstadt ist das Tal dabei logisch angenommen, daß die Freßperioden mit den Aktivitäts­enger; zu beiden Seiten des Flusses dehnen sich Rübenfelder, perioden zusammenfallen. In dem Glaskäfig wurde ein etwa während an den Hängen Gemüse- und Obstgärten angelegt find, 15 Bentimeter hohes Tischchen mit zwei Futternäpfen angebracht, Die schmalen Seitentäler, die ihre Gewässer zur Aisne entienden, zu dem auf beiden Seiten eine Leiter führt, doch wurden Leiter­bergen zum Teil Landschaften von noch fast unberührtem Reize. ende und Tischchen noch durch eine Brücke von 10 Zentimeter ge­Dann weichen die Berge auf beiden Ufern auseinander, inmitten trennt, die bei dem geringsten Anstoß hinunterklappte, um dann sofort eines Gedränges zahlreicher Dächer werden stattliche hohe Türme ficht wieder in die alte Lage zurückzukehren. Beim Hinunterklappen der Brücke bar: das ist Soissons , das sich mit seiner Hauptmasse am linken Aisnes und dem gleichzeitigen Federn des Tischchens wurde durch Kontakte ufer ausbreitet. Und nun bleibt das Tal auch weiterhin breit. ein elektrischer Strom geschlossen, der die Bewegungen auf einer sich Blühende Dörfer drängen einander, der Rübenbau ist fast voll- drehenden Trommel außerhalb des Käfigs verzeichnete. Da der ständig verschwunden und hat dem ertragreicheren Getreidebau Platz ganze Apparat so eingerichtet wurde, daß die Futternäpfe immer gemacht, und an den Hängen werden vornehmlich Bohnen und nur von einer der beiden Brücken erreicht werden konnten, wurde Erbien gebaut. Es ist eine fruchtbare und reiche Gegend, und auch durch die Aufzeichnungen des Stromes auf der Trommel jeder Fehler berlehrspolitisch eine wichtige Straße. Der Wasserlauf der Aisne festgestellt. Es zeigte sich dabei, daß die Mäuse sich sehr schnell bildet noch immer eine wichtige Verkehrsstraße. Lei Condé, wo der daran gewöhnten, nur die richtige Brücke zu benuzen. Am dreißigsten Besle- Bach von Süden in die Aisne fällt, wird diese schiffbar, Tage wurde nur je 1 Fehler unter je 8 Freßperioden gemacht. Die und dieser Schiffahrtsweg spielt im Warenaustausche zwischen dem Mäuse lernen also bereits nach wenigen vergeblichen Versuchen, ihr Osten und Nordosten des Landes mit Paris eine große Rolle. Wo Futter auf dem richtigen Wege zu erreichen, und diese Lernfähigkeit die Besle in die Aisne fließt, ist das Tal breit und gleicht einer ist sehr wichtig, da sie sonst den Ort der Nahrung nicht wiederfinden fleinen Ebene, während weiter stromaufwärts dann die Berge wieder fönnten. näher aneinanderrüden und eine Art natürlichen Engpasses bilden. Fort Condé, das von weitem wie ein riesiger Maulwurfshügel aus sieht, beherrscht diesen Engpaß und die Ausmündung des Tales in - Theater chronit. Die Erstaufführung von Flimmer­die östlich beginnende Ebene der Champagne. Den Hauptort dieses Bezirkes bildet das durch seine Bohnen weithin berühmte Bailly. flärchen" im Residenz- Theater ist von Sonnabend auf Dienstag ver­Im Herzen diefer fruchtbaren Landschaft hat nun von uralten legt worden. Eine neue labemie, die den Namen Fürst­Zeiten her als eine der wichtigsten Städte Galliens Soissons die Herrschaft behauptet. Lange Zeit bildete sie die Hauptstadt der Leopold- Alademie führt, wurde in Demold eingeweiht. Sie will fränkischen Könige, und die Schlachten, die Chlodwig und Karl insbesondere Kriegsbeschädigten und Heeresangehörigen den Weg zu Martell in dieser Gegend geschlagen haben, bezeugen die große praktischer Tätigkeit eröffnen und darüber hinaus auch den übrigen Bedeutung, die Eoisions in alten Zeiten beseffen hat. Bippin Böglingen eine wissenschaftlich- praktische Vorbereitung für das Be­wurde 751 in der dortigen Kathedrale zum Könige gekrönt und rufsleben gewähren.

laus hat sich berrechmet. Walter stemmt sich gegen seine Ge­walt, trott feinem Willen und verdient durch Stundengeben seinen Unterhalt, zeigt, daß er nicht von ihm abhängt. Be­sondere Vergünstigung ebnet ihm den Weg zu freiem Studium auf der Universität.-Jekt hat er über den Sohn seiner Frau völlig die Macht verloren. Da fomunt der Krieg und streckt seine Faust nach ihm aus. Donnernd rollt ein Burg über den Bahndamm. Weiße Dampfschwaden verhüllen auf Augenblide die herbstlichen Felder. Nikolaus schaut auf.

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Soldaten winken aus den Fenstern.

So zog auch Walter hinaus, jubelnd, voll Lebensmut. und solch ein Zug bringt ihn dann heim; gebrochen und stumm.

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Notizen.

stehen steile Furchen, wie vom scharfen Schnabel eines Vogels in schlaflosen Nächten hineingehackt. Er ist erschüttert. Der eiserne Weif, der all die Jahre sein Herz zusammenschnürte, fpringt mit einem Male entzwei. Angesichts des leidenden jungen Menschen erkennt er, wie sehr er an ihm gefehlt. Darf er dem Unschuldigen die Sünde seiner Mutter entgelten lassen? Das Schidsal bietet ihm selbst die Hand, die Schuld zu fühnen.... Weiße zu fühnen.... Es kommt die Zeit, da er Walter ein treuer Pfleger wird; denn Marie ist über Nacht zur alten Frau ge­worden. Ihre Nerven versagen, ihre Schaffenskraft ist dahin. Wie er den Genesenden mit eigenen Händen betraut, taſtet sich sein Herz langsam in dessen Seele. Nie und nimmer hätte er geahnt, daß sie soviel Gemeinsames verbindet. Mit Erstaunen sieht er, daß Walter ihn und seinen Stand nie ver­achtet hat; daß er sich selbst, jest umd immer, zum Bolke zählt. Aus dem frischen Quell des Volkstums schöpft er seine Kraft; berherrlichen doch seine Gedichte die Religion der Arbeit, die Fabrit, die Kinder des Volkes. Und dann die Lieder, die er Draußen ersungen; flammende Hymmen der Bruderliebe, die Mut entfact, Hoffnung entzündet, Mihsal gelindert. Seine Verse leben draußen in aller Munde. Er ist ein Dichter, ein Dichter fürs Wolf, will er Rhythmus und Freude ins Leben der Geringen tragen. Seine Gedichte verkünden die Arbeit, verkünden Glück und Erhebung im Werk der Hände und des Geistes; verkünden im Alltag das Feierliche und Göttliche. Langsam spinnt sich da Faden auf Faden von Seele zu Seele und webt ummerklich dichte Maschen um ihrer beider Herzen. Nikolaus sieht schon mit Stolz der Zukunft dieses hoffnungs­bollen Menschen entgegen, der feinen Namen trägt, und wenn auch förperlich gebrochen, doch mit ungebeugtem, festem Schritt als Dichter seinen Weg gehen wird.

Im Spätherbst gibt Marie unter Todesgefahr einem zweiten Jungen das Leben; doch das Verhängnis ist mit demi Neugeborenen, der so zart und gebrechlich. Warum durfte das schwache Flämmchen nicht erlöschen? Viel Summer und Sorge wäre ihm erspart geblieben. Mengstlich wacht Marie über das kleine Leben. Walter bleibt ihr Sorgenkind, sie ver­zehrt sich über seiner Pflege und vergißt darüber fast die andern. Wie der Junge heranwächst, ähnelt er weder der Mutter noch ihm, noch den Geschwistern. Sein blasses Wie Nikolaus dem entschwindenden Buge nachsteht, denkt schmales Gesicht mit dem tiefschwarzen Schlichthaar sticht wie er an jene Zeiten zurück. Damals... Gott verzeih ihm, ein Fremdes zwischen den blondbraunen Krausköpfen der hat er nicht gefrohlodt, als Walter sein eigenes Schidfal trifft! anderen hervor. Da gehen ihm plötzlich die Augen auf. Welcher Schlag für die Mutter ihr hochstrebender Sohn, Nun sieht er flar. Die Rache vergiftet sein Blut. Ach, gefnidt, gelähmt. Das war die gerechte Strafe! ein Krüppel muß alles hinunterwürgen. Da heißt es, die Ein Granatsplitter ift tief in den Schenkel gedrungen, Zähne aufeinanderbeißen, still sein, ertragen. Aber im hat die Sehnen zerrissen. Walter darf schwerlich hoffen, ie Innern focht es ihm. O, biefer grenzenlose, ohnmächtige Haß, wieder aufrecht zu gehen. O, er weiß, was es heißt, Strüppel auch gegen Walter, den unschuldigen Kleinen!- Daß Marie zu sein! Er ist nicht besser dran als du selbst," hat damals den Jungen am zärtlichsten liebt, hat er erwartet. Es ist ihm seine Stimme in ihm gejubelt; jekt bist du gefühnt!" eine Genugtuung, daß Wilhelm und Lisa um so fester zu ihm Aber dann kommt doch der graufige Tag, da Tod und halten. Jahre vergehen. Walter fommt zur Schule. Er Leben um den Fieberfranken streiten. Da erwacht sein Ge­ist ein selten begabtes Rind, lernt mit Feuereifer. Sein Fleiß wissen. Er sieht sich wieder unruhig mit fämpfendem trägt ihm die Freistelle am Gymnasium ein. Lehrer und Herzen. Es leidet ihn nicht zu Hause. Zu später Stunde Bastor verwenden sich für ihn. Soll der Junge etivas hinft er noch ins Lazarett. Die langen ballenden Gänge, Besseres als die anderen werden? Nie und nimmer! Und Aerzte in weißen Ritteln. Schwestern.- Karbolgeruch dann läßt er sich doch vom Pfarrer überreden. Der Vorschlägt ihm entgegen. Hier hat er auch einmal gelegen. Er sehung will er nicht in die Hände fallen; so gibt er denn seine fennt alles wieder: die weißgefalften Wände, die Steinfliesen, Einwilligung. O diese Gymnasiumsiabre!, Sekt tut sich unten im Hof der Klostergarten mit den Kastanien, Säle mit die Kluft zwischen ihm und Walter erst recht flaffend auf. bunten Bibelsprüchen. Eine Nonne weist ihm die Tür zu Wie er ihn beneidet, der mit den Söhnen der Reichen wie mit Walters Stube. Wild schlägt sein Herz gegen die Rippen. feinesgleichen verkehrt. Er glaubt sich von ihm berachtet, von Mit bleichen Leidensmienen liegt der Kranke schlummernd in ihm, der sein Brot ist, der ihn Vater nennt. Bu spät bereut den Kissen. Vornübergeneigt gegen sein Bett, fikt Marie er die Erlaubnis zum Studium. Doch wer verbietet ihm noch und verwendet kein Auge von Walters Antlik. Das Schicksal jekt, den Vierzehnjährigen von der Anstalt zu nehmen? Er ist der Mutter gnädig. Regelmäßig hebt und fenkt sich die als Vater hat schließlich ein Wörtchen mitzureden. Eines Bruft des Geretteten. Was muß die Wermste um ihr Kind Tages fragt er Walter gereizt, ob er ihm ewig auf der Tasche gelitten haben! Ein seltsames Mitgefühl beschleicht ihn beim liegen wolle; hält ihm das Beispiel der Geschwister vor, die Anblick der gebrochenen Frau. Das Leben hat auch sie in schon ein schönes Stüd Geld verdienen. Anstatt ihn zu de- seine rauben Hände genommen. Ihre Gestalt ist von Leid mütigen, wedt er den Stolz des Knaben. Wer hätte das um und um getan. Im Schein des Nachtlämpchens sieht er, hinter dem schmächtigen Jungen gesucht, der immer still hinter daß tausend feine Fältchen über ihre Haut laufen ein den Büchern bodt, heimlich die ersten Berse schmiedet! Nito- Spinnek, das die Sorge dort gesponnen. Auf der Stirn

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Die sterbende Sonne beglüht das abendliche Land. Purpurleuchtend ragen Kamine wie schlanke Tempel, aus denen der Opferrauch der Arbeit steigt. Jern am Horizonte dämmert das frause Gewirr der Dächer und Türme der Stadt. Der Wind weht die gelben Herzblätter des Flieders auf Nikolaus herab. Irgendwo im Baube versteckt, wie die unsichtbar tönende Seele des Baumes, zwitschert ein letter Sommervogel.

Beise tut sich ein Fenster auf. Bater, komm zu uns herein!" ruft eine flangvolle männliche Stimme. Da nimmt er seine Krücken und humpelt ins Haus. Der Friede des. milden Abends spiegelt sich in den Augen des Zahmen. Er weiß sich in Liebe dadrinnen geborgen.

Jett tann er ohne Bitterkeit das nahende Alter ertragen; mag es kommen....