Das sind Folgen des Krieges, die nur ern verschwindend kleiner Teil der deutschen Reederei zu genießen vermag, unge- fähr ein Zehntel der gesamten Reederei. Neun Zehntel der deutschen Reederei, namentlich in den Nordseehäfen, stehen heute vor förmlichen Trümmerhaufen ihrer einstigen mari- timen Herrlichkeit. Glänzend hat sich gegenüber der deutschen Großschiffahrt die Lage des deutschen S ch i f f b a n s in den Kriegsjahren 1914—1918 gestaltet. Kaum eine zweite deutsche Industrie befand sich in den letzten Friedensjahrcn in einer so prekären Lage wie der deutsche Schiffbau, soweit die Gewinnerzielung in Frage kommt. Die Krieg hat darin eine grundstürzende Acnderung bewirkt. Konkurrenzlos produzieren die deut- scheu Wersten fast ausschließlich für die Marine, in Neubau, Umbau und in Reparaturen. Riesig schwellen ihre Aufträge für Neubauten nach dem Kriege an. Ihre Bilanzen nehmen erhebliche Dimensionen an, und Aktionäre deutscher Werften, die in Friedenszeiten sich mit 9—5 Proz. Dividende abspeisen lassen mußten, oder gar mit Verlusten zu rechnen hatten und vor der Pleite standen, quittieren heute über Dividenden von 19—29 Proz. bei starken Abschreibungen, beachtlichen Be- triebkapitalserhöhungen und riesenhaften Betriebserweite- rungen. Tie Folge ist, daß lebhafte Spekulationen in der deutschen Schiffbauindustrie einsetzen. Neben den 22 alten deutschen Sseschiffwerften sind bereits 14 neue Werften ge- gründet und zum Teil bereits im Entstehen begriffen, und die Gründung von 6— 7 weiteren neuen Seeschiffswcrften steht noch zu erwarten. Also ein reines Gründungsfieber. Ohne Frage: Auch die Zeit nach dem Kriege wird der deutschen Schiffbauindustrie eine glänzende Baukonjunktur für den Handels- und Kriegsschiffbau bringen. Diese Konjunktur kann aber naturgemäß nur für einige 5— 6 Jahre anhalten, dann muß ein Sinken der Baukonjunktur eintreten, und der Krach muß über die meisten der heutigen neuen Werftgründungeu hereinbrechen, die heute wie Pilze au? der Erde hervorschießen. Ich habe hier ein knappes aber getreues Bild von der Lage der deutschen Seeschiffahrt und des Schiffbaus quasi als Nachwort zu der Hamburger Tagung des Reichstages entworfen. Ernst ist demnach die Lage der deutschen Reederei in ihrer übergroßen Mehrheit, und zum mindesten zweifelhaft find ihre Zukunftsaussichten, namentlich wenn wir uns die wirtschaftlichen Kriegs*! cle der Entente vor Augen führen, die sehr ernste Miene m/cht, dem Waffenkrieg in einem Wirt- fchaftskriege ein äußerst bedenkliches Nachspiel zu geben. Das sind Tatsachen und Möglichkeiten, auf die Regierung und Reichstag bei ihren zu treffenden Maßnahmen der See- ichiffahrt gegenüber auch im Interesse der Arbeiterschaft Rück- ficht zu nehmen haben.
Die Monarchiefrage Zinnlanös. Svinhnstmd gegen Ednnrd Dav'd. Stockholm, 39. Juni. (Eig. Drahtbertcht de?„Vorwärts".) Aus Helsingfors wird gemeldet: Senator Svinhufvud erklärt gegen den deutschen Reichstagsabgeordrieten Dr. David, Ursache des Aufruhrs in Finnland seien nicht mon- archistische Pläne der Bourgeoisie, denn der Senat schlug im Dezember die republikanische Regierungsform vor. Die Ent- sckeidung lag bei den sozialistischen Landtags- Männern, welche den Aufruhr vorzogen. Vorher dachte niemand in Finnland an ein Königtum.„Hufvudstads- blad" fügt hinzu, David heiße selber ein Volksköntgtum in Deutschland gut. Die auf Grund des nationaldemokratischen Wahlsystems gewählten Sozialisten seien nicht vom Landtage ausgeschlossen. Gegen Svinhufvud ist einzuwenden, daß die Sozialisten nicht den Aufruhr vorzogen, sondern ablehnten und erst, als dieser vollzogene Tatsache war, eine Regierung bildeten.„Hufvudstadsblad" argumentiert sophistisch, da im Landtag nur zwei Sozialisten übrig blieben, die übrigen aber teilweise verhaftet sind. Tatsache ist, daß der Landtag jetzt statt 209 110 Mitglieder hat, wovon fast die Hälfte republi- lanisch ist. Die finnischen Monarchisten haben die Hoffnung aufgegeben, die Monarchie derzeit durchzusetzen, da selbst im jetzigen zusammen- geschmolzenen Landtag nur 58 Abgeordnete für Monarchie find, was die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittel- Mehrheit ausschließt. Ein Referendum ist eben darum schwierig. besonders da die Monarchisten selbst einen republikanischen Ans- gang deö Referendums befürchten. Darum halten die schwedischen Finnen, welche mit den Allfinnen die Monarchie verfechten, eine Königswahl vor ILM für unmöglich. Die Anwendung der von feiten der Rechten vorgebrachten juristischen Konstruktion, daß Finn- land gemäß der Verfassung von 1772 noch Monarchie sei und der König einfach gewählt werden könne, ohne die Verfassung abzu» Ludern, liefe auf einen Staatsstreich hinaus, welchen die Mon- archisten selbst angesichts der fortdauernden, durch Hungersnot der- schärften Jnnenkrisis ablehnen. Vorläufig soll der Rechtsblock regieren, es ist aber fraglich, ob die Mehrheit solange beisammen- bleibt, wenngleich die Altfinnen derzeit den schwedischen Finnen in der Sprachenfrage Konzessionen machen wollen. Jedenfalls lehnen fic die administrative Zweiteilung ab. Die Monarchisten werfen den Republikanern vor, daß sie unter Einfluß der Entente arbeiten. Tatsächlich sind bei den Linksparteien antideutsche Strö- m u n g e n bemerklich, die aber just der Befürchtung enistammen. daß Finnlands Selbstbestimmungrecht in der Monarchiesrage be- schränkt werden könnte.
Das polnische yeeresgesetz. Warschau , 29. Juni. Der Entwurf deS polnischen HcereS- gefetzeS, welcher dem Staatsrate vorliegt, sieht nach den Blättern aktiven Heeresdienst und Hilfsdienst vor. Die Dienstpflicht beginnt mit dem 18. und endet mit dem 50. Lebensjahre. Der Dienst i m st e b e n d e n H e e r e ist zweijährig, sodann Reserve. Landwehr und Landsturm. HilfSdienftpflich- t i g(nur im Kriege) sind alle nicht unter die Waffen Gerufenen vom IS. bis 60. Lebensjahre. Befreit vom Heeresdienst sind die geweihten Kapläne und Mönche, Pastoren der evangelischen Konfessionen sowie die Vorsitzenden der jüdischen und anderen Kultusgemeinden. Abiturienten der Mittelschulen oder solche, die mindesten« sechs Klassen mit Erfolg besuchten, können einjährig- f r e i w i l i g dienen. Der Staatsrat oder Landtag setzt das jedes Jahr einzuziehende Kontingent fest. Aus den Uebergangsvorschristen sei erwähnt, daß der Dienst in den polnischen Legionen oder anderen polnischen Truppenteilen während dieses Krieges als Heeres- d i e n st gilt. Die Dienstzeit im russischen Heere wird a n g e- rechnet. Russische Reserveossiziere können nach entsprechender ergänzender Susbildung übernommen werden.
Der Prozeß gegen ö!e polnischen Legionäre. MarmaroS Sziget, 30. Juni. Am 28. Juni sagte Legion?- oberleurnant Gliniecki aus, er habe am 15. 2. Pen Befehl erhalten, seine Batterie nach Walawa zu verlegen. Vor Walawa habe ihm LegionSfähnrich Uziemblo gemeldet, daß alle Geschütze bis auf eins schon in Walawa seien. Er sei daher nach Kotzmann zu- rückgcgangen, um dieses Geschütz besichtigen zu können. Da habe er zwei Automobile bemerkt, auS denen österrcichisch-ungarische Offiziere ausgestiegen seien. Die Beschuldigung, daß er Untergebene zur Auflehnung aufgewiegelt habe, wobei die einschreitenden t. und k. Offiziere mir schußfertigen Waffen umstellt und zum Halten gezwungen seien, stellte der An- gellagte in Abrede. Er habe die Aufforderung deS Hauptmanns Knapp, nach Suchowerkow zurückzukehren, damit beantwortet, daß er dies nicht tun könne, weil er den Befehl seines Abteilungs- kommandantcn ausführen müsse. Er vermutete, daß eS sich um eine politische Demonstration bandle. Dann habe er über Czernowitz nach Sadagora fahren wollen. In Czernowitz sei er verhaftet und in die Kaserne geführt worden. In der Verhandlung am 29. 6. wurden alle Offiziere der ersten Feldkanonenbatterie vernommen. Legionsleutnant Anton B i l i n S k i Ostrowski sagte ähnlich auS wie Gliniecki. Er fei gleichfalls unweit Czernowitz mit seiner Batterie von einer starken österreichisch- ungarischen Patrouille umzingelt und verhastet worden. Dort habe er erfahren, daß die Infanterie ju Musnicki Lberzchcn wollte- Fähnrich Uziemblo gestand, daß Lei den Legionären viel über MuSnicki gesprochen wurde. Von dem ihm zur Last gelegten Vor« haben will er jedoch nichts wissen.
Skanölnavifche Nmifterkonferenz. Auf Einladung der dänischen Regierung fand vom 26. bi� 28. Juni 1918 in Kopenhagen eine gemeinsame Beratung deS dänischen Minister» der auswärtigen Angelegenheiten und der Staatsminister und Minister der auswärtigen Angelegenheiten Norwegens und Schweden ? statt. Man stellte vollkommene Ueber- einstimmung fest in bezug auf einer Politik unparteiischer Neutralität. Auf der Grundlage bereits gemachter Erfahrungen einigte man sich über einen Versuch, die Mittel für ein gemeinsames bandelSpolitifcheSWirken auch nach demKriege aus« findig zu machen. Ferner wurde die Frage einer gemeinsamen Tätigkeit der drei skandinavischen Länder auf dem Gebiet der Sozialpolitik erörtert und eine Kundgebung de? intcrparla» mentarischen Rate? führte zu dem Beschluß, Vertreter der drei Regierungen zu ernenenn, um die Möglichkeit einer solchen Zusammen« arbeit zu prüfen. Man erörterte noch die folgenden Fragen: Bestimmungen über ine Einschränkung des Zuzugs Fremder in die drei Länder mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten der inneren Ordnung, der Ernährung und Ilnlerbringung. Man einigte sich über einen Versuch, entsprechende Maßregeln über die Frage zu treffen, in welchen Fällen Fremde der Steuerpflicht unterworfen werden sollen. ES handelt sich hierbei um da« bei Kriegsschluß aktuell werdende Problem, die kapitalistischen Elemente zu erfassen, die sich den ungeheuren Steuerlasten, denen di� Länder des Krieges aus- geliefert sind, durch Abwanderung entziehen werden.
der Kampf um üeu Monte valbella. Italienischer Bericht vom 80. Juni. Auf der Hoch- fläche von A s i a g o, wo der heldenmütige Widerstand unserer Truppen am 15. Juni den Ansturm der an Zahl überlegenen feindlichen Massen brach und wo italienisch«, französische und englische Truppen der tapferen S, Armee in täglichem Wett- eifer an Tapferkeit sich im Kampfe verbrüderten, lebte der Kampf gestern früh, durch starkes Artilleriefeuer genährt und unter- stützt� durch DiversionSunternehnuingen der Artillerie und Truppen, energisch von den Alliierten geführt, wieder auf. Unsere Truppen griffen den Monte Valbella an und eS gelang ihnen. ihn dem Feinde nach hariein Kampfe fortzunehmen. Tag und Nacht wurden große Massen des Feindes vergebens zu Gegen- angriffen und zuih Massenmord vorgeworfen, wurden aber durch unsere Infanterie zurückgetrieben und durch konzentriertes Artillerie« feuer und durch. kühne Kampfflieger mit Maschinengewehren de- zimrert. Die eroberte Stellung wurde durch uns siegreich gehalten. Wir machten 21 Offiziere und 783 Mann der feindlichen Truppe, die zu vier verschiedenen Divisionen gehörten, zu Gefangenen. Wir eroberten außerdem Kanonen, Mörser und zahlreiche Maschinengewehre.'Mehr nach Osten zwischen dem Frenzela-Tal und der Brenta nahm eine unserer Ab- teilungen einen starken Stützpunkt und einen feindlichen Beob- achtungSposten auf den Südabhängen de? S a f f o R o f s o im Sturm und machte dabei zwei Offiziere und 81 Mann zu Ge- fangcnen. Auf dem übrigen Teil der Front führte unsere Artillerie wirksames Störungsfeuer aus. Bei Capo Sile brachten uns Patrouillenunternehmungen Gefangene ein.
Der U-Boot-Krieg in der Irischen See. TaS unter dem Kom- mando des Kapitänleutnants Jeß stehende U-Boot hat in der Irischen See und deren Zufahrtsstraßen drei besonders wertvolle Dampfer von je 5000 bis 6000 Br.-R.-T. Größe versenkt. Zwei dieser Dampfer wurden auS starken, nach England einlaufenden Geleitzügen herausgeschossen. Im Ganzen nach neu eingegangenen Meldungen unserer U-Boote: 20 000 Br.-R.-T. Der Lockspitzel Dagajetv ermordet. Wie die.Prawda' vom 28./13. April 1918 berichtet, soll der berühmteste aller russischen Lockspitzel, S. T. Tagajew, kürzlich in Amerika auf Beschluß einer Gruppe internationaler Terroristen ermordet worden sein. Der Petersburger Wintcrpolast al? Maifeier-Festl-kal. Der Rat der Kommissare der Petersburger Arbeiterkommune hat be- schlössen, das Gebäude des WinterpalasteS künftig zur Veranstaltung von Maifeiern und Ämlichen Festen deS Volkes zu verwenden. Tie Ermordung Wolodarskis. Wie„Politiken " auS Peters- bürg erfährt, teilte dort Uritzkh hei dem Zusammentritt der Sow- jetS am letzten Sonnabend mit, die Polizei habe sichere Beweise da- für, daß die Ermordung WolodarskiS von Sozialrevolutio- nären der Rechten mit Unterstützung englischer Gelder or- g a n i st i e r t worden sei. Wolodarski wurde am Sonntag unter großen Feierlichkeiten begraben. Kriegsgericht über die griechischen Offiziere in Görlitz . Wie der„Tcmps" berichtet, wird dos Kassationsgericht von Athen diese Woche den Fall der griechischen Offiziere m Görlitz aburteilen. Der Staatsanwalt verlangt Bestätigung der Todesstrafe. Die vereitelte Autonomie des Pcloponnes. Bern, 1. Juli. Vor dem Kriegsgericht von Sparta erschienen zwei Deputierte sowie ein chrmaliger Staatsanwalt und ein Oberst, d:e versucht hatten, vor der Einsetzung der Regierung Venizelos die Autonomie des P-loponneS zu verkümden. Das Gericht verurteilte sie sowie ncorn ihrer Genossen zu acht Jahren Zwangsarbeit.
DaS Wrack der Koningin RegenteS vergeben? gesucht. Amsterdam , 1. Juli. Die� Niederländische Telegr.-Agentur meldet aas dem Haag, daß der Seeschleppdampfer Zeeland. der am Sonnabendmittag zur Untersuchung des Wracks der Koningin RegenteS ausgefahren war, vorläufig wieder nach Nieuwe Deep zurückgekehrt ist, da man von dem Wrack keine Spur mehr entdecken konnte. Seetreffcn an der Flanbernküste. London , 29. Juni. Reuter. Die britische Admiralität teilt mit: Am Abend deS 27, Juni sichteten vier englische Zerstörer, während sie an der belgischen Küste pa- trouillicrien, acht feindliche Torpedobootszerstörer. Unsere Zer- stöver fuhren mit. ostlichem Kurs und voller Geschwindigkeit und verwickelten den Feind auf großen Abstand in ein Ge- fecht. Nach einviertelstündigcm Kampf stießen drei wettere Tor- psdozerftörer zum Feinde, worauf sich unser Geschwader auf die Hauptfront zurückzog(wörtlich: kell baclc on their supperts). Der Feind folgte nicht und das Gefecht wurde abgebrochen. Kein? unserer Schiffe wurde beschädigt.
Gstmarkenpolitik im verorünungswege. Anfiedlungsunternehmen Kurland. Kowno , 27. Juni. (W. T. B.) Generalfeldmarschall v. Hindcn- bürg als Chef des Generalstabes des Feldheeres bat, wie die„Bai- tisch-Litanischen Mitteilungen" erfahren, unter dem 17. Juni eine Verfügung über die Bodenfrage in den Gebieten der östlichen Militärverwaltungen erlassen, die in großzügiger Weise die Besiedelung Kurlands anbahnt. Sie hebt hervor, daß, wenn die von Rußland jahrhundertelang ver- nachlässigtem Randstaaten in den schützen.den Kreis des deutschen Wirtschaftslebens treten, das ganze Volk, die Allgemeinheit, den, Nutzen davon haben soll.„Volkswohlstand besteht nicht in einer kleinen Zahl von Großkapitalisten, son- dern einer möglichst großen Zahl leistungsfähiger, selbständiger, heimfester und heimfroher Staatsbürger, die dem Staate da? liesern, was er in allererster Linie braucht: Menschen, gesund an Leib und Seele. Solch ein Geschlecht von Siedlern läßt sich nur be- gründen, wenn die Spekulation ferngehalten wird." Durch zielbewußte Handhabung der vom Generalquartier- meister und vom Oberbefehlshaber Ost erlassenen Verordnungen sind die gemeinschädlichen Gefahren der Boden- Preissteigerung zu bannen und einer gesunden Besiedelung des Landes die Wege frei zu halten. Di« vom gleichen Tage datierte Verordnung des General « quartiermeisters Hahndorff über diese Landabgabe und Siedelung in Kurland verpflichtet jeden kurländischen Ritte-rgutSbesitzer, dessen Gesamtgrundbesitz die Größe von 1000 Löf- stellen(gleich 860 Hektar) erreicht, an die Landgesellschaft„Kur- land" als Trägerin des Ansiedelungsunternehmens ein Drittel feine? Gesamtareals, und zwar für Zwecke der Besiedelung geeignete? Land im Wege des Kaufvertrages zu überlassen. Der Erwerbspreis für die Landgesellschaft„Kurland" hat dem Friedenspreis des JahreS 1914 zu entsprechen. Die Verpflichtung ist zunächst in dem Umfang« zu erfüllen, daß jedes beteiligte Gut 25 Proz. seiner Fläche an die Landgesellschaft„Kurland" verkauft. Die restlichen 81tz Proz. sollen nach Möglichkeit freihändig zum Friedens- preis des JahreS 1014 durch die Landgesellschaft„Kurland" er- warben werden. Die Verordnung gilt auch für die im Herzogtum Kurland gelegenen Fideikommiss«. 4 Es scheint uns aus verfassungsrechtlichen Gründen, nicht mög- lich, die Frage der Siedelung in Kurland so kurzerhand auf dem Verordnungswege zu erledigen, wie das anscheinend ge- schehen soll. Die baltischen Barone sollen ein Drihel ihres Grundbesitzes gegen Bezahlung hergeben,— der Plan einer u n- entgeltlichen Hergabe, wie sie diese Kreise selber ursprüng- lich als Dank für die Einbeziehung Kurlands in die deutsche Machi- spbäre in Aussicht gestellt haben, ist offenbar als zu„bolschewistisch" fallen gelassen worden. Sollen aber die Güter bezahlt werden, so ist es doch das Reich, das zunächst mittelbar oder unmittelbar die Gelder dazu hergibt. Daraus ergibt sich ganz von selber Recht und Pflicht deS Reichstages, in dieser Sache mit- zureden. Aber auch abgeseheu vom rein Finanziellen handelt es sich um eine Frage, die für t-aS Geschick von vielen Hundert- tausend Reichsangebörigen entscheidend werden kann. Auch deshalb ist eine Ausschaltung deL Reichstages bei ihrer Lösung nicht angängig. Schließlich hat die" ganze Frage aber noch eine hochpolitische Bedeutung: Es wird hier eine neue O st m a r k e u- Politik inauguriert, die mit der preußisch-polnischen Ostmarken- Politik gewisse Parallelen aufweist. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist eine scharfe parlamentarische Kontrolle des Unternehmens notwendig. Die Verfügung des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg legt auch noch einige weitere Fragen nahe: Ist die Bodenspekulation und der agrarische G-roßkapitalismus nur in Kurland ein Uebel? Warum werden nicht auch iunerhalb der deutschen Grenz- Pfähle die„gemein schädlichen Gefahren der, Boden- Preissteigerung" Arbannt, anstatt wie bisher durch eine ver- kehrte Gesetzgebung gesteigert zu werden? Wird auch bezüg- lich des o st e l b i s ch e n Großgrundbesitzes eine ähnliche Maßregel wie in Kurland geplant? Und warum werden Fidei- ko m m i s s e nur in Kurland angegriffen, während man in Preußen mit immer neu tu Schutzbestimmungen ihr entlvicklungs- feindliches Wachstum zu stärken sucht?
Kurze Anfrage Nr. 600. Auch ein Jubiläum. Haupt- und Stichwahlen im Januar 1912 waren darüber. Neu- und wiedergewählte Abgeordnete rüsten zu neuer Arbeit. zu parlamentarischer Tätigkeit. Die Geschäftsordnung des Reichstags ist nicht mcbr zeitgemäß, sie muß geändert werden. Zentrum, Freisinnige, Nationalliberale und Sozialdemokraten verlangen in der Zeit vom 9. bis 13. Februar 1912 durch gesonderte Anträge die Wahl einer besonderen Kommisston zur Prüfung und Neufassung der Geschäftsordnung, in tvelcher vor allem eine Bestimmung enthalten sein soll, durch welche die Stellung„Kurzer Anfragen" ermöglicht wird. In der sechsten Plenarsitzung am 15. Februar 1912 bei Gelegenheit der ersten Beratung des Reichshaushaltsetats führt der Abg. Dr. Junck u. a. folgendes aus Meine Herren, wir wünschen ferner, daß eS diesem Rei-bStag gelingen möge, das Antragsrecht bei Interpellationen einzuführen. ES ist unerträglich, daß der Reichsiag sich durch seine eigene Geschäftsordnung gerade bei den wichtigsten Angelegenheiten selbst einen Maulkorb vorbindet. Wir wünschen ferner, daß das Institut der kurzen Anfragen eingeführt werde, die ganz besonders geeignet sind, eine nähere Verbindung zwischen Par- lament und Exekutive herzustellen, ein Recht, daS um so er« giebiger sein wird, wie offen bekannt werden möge, je zurück- haltender und klüger der Reichstag bei Ausübung seines Fragerechtes sein wird. Die Kunst de« Fragens in Angelegenheiten namentlich der auswärtigen Politik und die >wlige Zurückhaltung bei Ausübung deS FragcrechteS muß natür- lich gelernt werden. Wir sind aber überzeugt, daß der Deutsche Reichstag das nötige VerantwortlichkeitSgesühl haben wird.