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Dienstag, de« 9. Juli 1918.
Selagemngszustanö in Moskau . Die Liuksrevolutionäre und der Gesandtenmord. Moskau, ?. Juli, nachts. In M o s k a u ist der B e- lagerungszustand erklärt. Die gestern Nacht von den Linken Sozialrevolutio- n ä r e n besetzte Telephon- und Telegraphenstation ist von den Bol- lchewiki einige Stunden später zurückerobert worden. Die in ihren Quartieren mit Artillerie beschossenen Linken So- zialrevolutionäre haben im Laufe des gestrigen Tage» P a r l a. mentäre geschickt. Die Bolschcwiki haben bedingungS - lose Unterwerfung gefordert. Die Sozialrevolutionäre sollen sich auch mit der Aufforderung zum Streik au die Eisenbahner gewandt haben. Sie haben anscheinend eine Absage erhalten. Gerüchte, daß in Petersburg , Jaroslaw und in anderen Städten der Auf st and losgebrochen sei, werden von der Regierung als unbegründet bezeichnet. Die Linksrcvolutionäre haben gestern nacht ein B« l- lrtin herausgegeben, in dem sie mitteilen, daß Gras Mirbach von der Terror! st ensrktion der LinkS-Sozial- revolutionäre getötet worden sei. Nach einer Mitteilung der Regierung haben die bisher verhafteten Führer der Linken So- zialrevolutionäre, worunter sich die S p i r i d o n o w a befindet, zu- gestanden, daß das Attentat mit Wissen der Parteileitung ausgeführt worden ist, um den Bruch des Brester Friedens zu erzwinge». Soweit bisher festzustellen, hat das Attentat und die feiten? der Grgenrevolutionäre ausgegebene Parole:„Krieg gegen Deutschland " diesen viele Anhänger und Helfer abwendig ge- macht, infolgedessen besteht begründete Aussicht, daß die B» l s ch e- wiki der Lage in Moskau Herr werden. Die über den Gesandtcnmord«»gestellte Untersuchung hat weiter ergeben, daß das Verbrechen offenbar von langerHand vorbereitet worden ist. Der ungarische Graf Robert Mirbach wurde nämlich vor ungefähr vier Wochen als Bewohner eines HotclS, in dem eine- schwedische Artistin in angeblich gegen- revolutionärem Zusammenhang Selbstmord verübt hatte, verhastet. Er war, wie die übrigen verhafteten Hotelbewohner völlig un- schuldig. Indessen blieb er, während die anderen freigelassen wur- den, verhaftet. Die ganze Angelegenheit ist höchstwahrscheinlich von Mitgliedern der Kommission zur Bekämpfung der Gegenrevo- lution künstlich geschaffen worden, um einen Borwaud zu haben, zu dem Gesandten persönlich vorzudringen. Moskau , 8. Juli. (Meldung der Petersburger Telegraphen- Agentur.) Ter Moskauer Sowjet hat beschlossen, dir den Parteien der Sozialrevolutionäre und der Mensche» wiki ungehörigen Mitglieder aus seiner Körperschaft auSzu- stoßen. » Moskau , 8. Juli. Die Kämpfe in Moskau sind bisher zugunsten der Bolschewiki ausgelaufen.
Aufruf der Bolschewiki von Moskau . Moskau , 7. Juli.„Prawda" veröffentlicht über die Ermordung des Grafen Mirbach eineu Aufruf, in dem u. a. folgendes gesagt wird: „Gegen 3 Uhr nachmittags sind zwei Agenten des russisch- englifch-französischcn Imperialismus zum deutschen Gesandten, Grase» Mirbach, auf Grund einer gefälschten Unter- schrift deS Genossen DserjinSki mit falschen Be- glaubigungspapicren vorgedrungen und ermordeten unter dem Schutze dieses Dokuments den Grafen Mirbach. Einer dieser Hallunkcn, der diese provokatorische Tat begangen hat, die schon seit langem und verschiedentlich in der Sowjetpresse mit der Verschwörung der Monarchisten und Gegenrcvolutionäre im Zusammenhang gebracht worden ist, ist nach vorhandenen Räch- richten ein Linker Sozialrevolutionär, ein Mitglied der Kommission von Dserjinski, der sich verräterischerweife von dem Dienst der Svwjetregierung lossagte und zum Dienst bei Leuten überging, die Rußland in einen Krieg zu verwickeln trachten und damit Wiederherstellung der Regierung der Guts- besitzer und der Kapitalisten sichern wollen. Ruß- land befindet sich augenblicklich durch die Schuld von Hallunkcn aus den Reihen Linker Sozialrevolutionäre, die sich auf den Weg Sa- winkows und seiner Genossen verleiten ließen, auf Haaresbreite vor einem Kriege. Schon die ersten Schritte der Sowjetregierung in Moskau zur Er- greifung deS Mörders und der Helfershelfer wurden von de» Linken Sozialrevolutionären damit beantwortet, daß sie einen Ausstand gegen die Sowjetregierung begannen. Sie besetzten zeitweilig daS Kommissariat von DserjinSki, verhafteten den Vorsitzenden DserjinSki und das Mit- glied LaziS und die hervorragendsten Mitglieder der russischen kommunistischen Partei(Bolschewiki). Die Linken Sozialrevolutionäre bemächtigten sich sodann der T e- lephonstatio», begannen eine Reihe militärischer Handln». gen, in denen sie mit bewafsneten Kräften einen kleinen Teil Moskaus besetzten und die Sowjetautomobil« abzufangen begannen. Die Sowjctregiernng hat tzls Gesseln alle im Großen
Theater befindlichen Delegierte» des fünften Kongresse» der Sowjets aus den Reihen der Linken Sozialrevolutionäre frstgehal- ten und alle Maßregeln getroffen, um die Pläne der Weiße« Gardisten sofort zu unterdrücken und zu liquidieren. Alle, die den Wahnsinn und das Verbrechen einsehen, wodurch Rußland jetzt in«inen Krieg verwickelt würde, unterstützen die Sowjetregierung. Daran, daß der Aufstand schnellstens liquidiert wird, besteht auch nicht der lei- feste Zweifel. Alle auf ihre Posten! Alle zu den Waffen! Nieder mit den Dirnern der Weißen Garde!
die Linksrevolutionäre. Die während der Revolution aus der„Partei der Sozia- listen-Revolutionäre" ausgeschiedene Linke, die sich seitdem als eine besondere Partei— die„Partei der linken Sozialisten- Revolutionäre"— konssituiert hat, ging mit den Bolschewiki bis zum Abschluß des Brester Friedens durch dick und dünn. Jetzt bekennt sie, ein Attentat verübt zu haben, das zu den schwerwiegendsten Folgen führen könnte. In diesem Kalkül auf die politischen Folgen des Attentats äußert sich die politische Naivität, die allerdings stets das Merkmal der Partei der Sozialisten-Revolutionäre bildete. Die Partei der Sozialisten-Revolutionäre unterscheidet sich in ihrem Programm von der Sozialdemokratie dadurch, daß sie die materialistische Geschichtsauffassung von Marx und Engels verwirft und nur seine rein ökonomische Lehre vom Mehrwert akzeptiert. Sie lehnte es ab, das Proletariat allein als den Träger des Sozialismus anzusehen und behauptete seit jeher, die russische Bauernschaft stelle dank den ihr angeblich innewoh- nenden Veranlagungen ein nicht minder sicheres, vielleicht über- legeneres Bollwerk des Sozialismus dar. Ihre Argumente aus den Lehren der idealistischen Philosophie schöpfend, predigten sie den Zusammenschluß der Bauernschaft und des Proletariats unter Fichrung des dritten Faktors— der zielbewußten, durch hohe Ideale begeisterten kenntnis- und initiativereichen In- telligenz. Indem sie diesen dritten Faktor eine so hohe Be- deutung beimaßen, traten die Sozialisten-Revolutionäre bnfjir ein, daß durch großartige persönliche Taten, Beispiele von Auf- opferung für die Sache der Revolution und dergleichen eine günstige politische Atmosphäre für die Entfaltung der in der Masse schlummernden revolutionären Kräfte herbeigeführt werde. Daher waren sie stets Terroristen, programmatisch und kon- sequent. Es ist denn aber klar, daß während einer Revolution, in der die revolutionären Kräfte auf das angespannteste wirken, die Weiterführung des terroristischen Kampfes zwecklos ist. So hat die Partei nach Ausbruch der ersten Revolution 1905 und während der Tagung der ersten Duma durch offiziellen Partei- beschluß die terroristische Tätigkeit zeitweise eingestellt. Aehn- lich war es auch während der gegenwärtigen Revolution, und von einem TerrorismuS der Partei konnte daher keine Rede sein. Aehnlich wie bei der Sozialdemokratie vollzog sich inner- halb der Partei der Sozialisten-Revolutionäre vom Standpunkt der Taktik aus eine Scheidung nach drei Richtungen: die Linke, das Zentrum und die Rechte. Während die Linke, wie erwähnt, mit den Bolschewiki zusammenging, gerieten die anderen Strö- mungen in die Opposition, die sie der in Opposition befind- lichen Sozialdemokratie nichtbolschewistischer Färbung näher- brachte. Die„LinkenSozialisten-Revolutionäre" — um sie genau so zu nennen, wie sie sich selbst bezeichnen— waren auch in der Sowjet-Regierung vertreten; sie stellten sieben von den 18„Volkskommissaren"(Minister nach der bolsche- wistischen Redeweise). In allen Fragen der Politik waren sie mft den Bolschewiki einig, und nur der Brest er Friede brachte eine W a nd l u n g. Die linken Sozialisten-Revolntio- näre vertraten die Ansicht, daß das Nachgebenden deutschen Forderungen gegenüber die Durchführung des Sozialismus— wie sie und die Bolschewiki diesen versieben— gefährde, daß die Kavitulation vor dem deutschen Imperialismus unbedingt die Kapitulation vor der einheimischen Bourgeoisie bedeute. Als die Bolschewiki trotz ihrer Proteste den Friedensvertrag unter- zeichneten, sagten sie sich von diesen los»nd traten zur Opposi- tion über, ohne sich mit der Stellungnahme der übrigen sozia- listischen Parteien zu identifizieren. Nicht an der Seite der imperialistischen Entente wollten sie gegen Deutschland kämpfen, sondern sie wollten den Widerstand der Revolution gegen jede Bedrückung durch äußere Gewalt bis zuletzt fortsetzen. Da sie keine anderen Wege sahen, um ihre Ansichten durchzusetzen, griffen sie jetzt zu ihrem früher er- probten Mittel, in dem Glauben daß das Attentat gegen den Botschafter des Deutschen Reiches die von ihnen ersehnten Folgen bringen würde. In einigen Meldungen wird im Zusammenhang mit dem Attentat der Name Sawinkow genannt. Sawinkow, der der Rechten der Partei der Sozialisten-Revolutionäre ange- hört, jvjffr früher KN Spitze der terroristischen Kampf«
organisation der Gesamtpartei. Während des Krieges ist er mit Haar und Haut der Sache der Entente ergeben. Die Verquickung der Namen der Attentäter aus dem Lager der linken und rechten Sozialisten-Revolutionäre macht da? Bild unklar und läßt nicht mit Sicherheit erkennen, welchen Ursachen und Motiven die Ermordung des Grafen v. Mirbach entsprungen sein mochte. vor der zweiten Lesung der Steuervorlagen. Die nächsten Tage werden im Reichstag ltec Verodschie- düng der Steuervorlagen gewidmet sein. Es waren ihrer 12, als sie dem Reichstag zugingen. Sie sind durch die Ausschuß- beratungen noch um eine vermehrt worden. An dem Tage, an dem der Reichstag in die Sommerferien geht, wird er also der Regierung ein volles Bäckerdutzend fertiger Steuergcsetze über- reichen, die im ganzen einen Jahresertrag von 4,2 Milliarden Mark liefern sollen. Das neue Gesetz, daS noch hinzugekommen ist, schafft keine neue Steuer, wird aber doch der Reichskasse fehr erhebliche Einnahmen zuführen. Es ist das aus der Initiative des Haupt- ausschusses hervorgegangene Gesetz über die Errichtung eines Reichsfinanzhofes und über die ReichSaufsicht für Zölle und Steuem. Nach der prinzipiellen S e i t e hin drückt dieses Ge- setz der diesjährigen Steuerarbeit des Reichstags das Gepräge auf. Der Bundesrat würde eine solche Vorloge dem Reichstag nimmermehr gemacht haben, und wenn er könnte, wie er möchte, würde er auch dem vom Reichstag ihm vorzulegenden Gesetz seine Zustimmung nicht geben. Aber der Reichstag wird Vorkehr treffen, damit der Bundesrat dieses Gesetz nicht ab- lehnen kann. Er wird entsprechend dem AuSschußantrag eine ausdrückliche Gesetzesbestimmung beschließen, wonach daS Ge- setz über den Reichsfinanzhof und die Reichsaufficht e i n h e i t- lich mit allen übrigen Steuer gesehen in Kraft tritt. Der Bundesrat müßte also die sämtlichen 12 Steuer- gesetze ablehnen und auf die Jahreseinnahme von 4 200 000 000 Mark verzichten, wenn er das Zustandekommen dieses einen Gesetzes verhindern wollte. DaS wird er nun kaum tun. Die Schaffung des Reichsfinanzhofes ist ein grundlegender Schritt in der Richtung einer Vereinheitlichung der deutschen Steuergesetzgebung und-Verwaltung. Der Reichsfinanzhof hat Recht zu sprechen in allen die Reichssteuerverwaltung betreffen- den Streitfragen. Man erkennt sofort die Bedeutung dieser neuen Reichsinstanz, wenn man sich vor Augen hält, daß heute in den Reichs steuerfragen noch die obersten Spruch- und Beschlußbehörden der einzelnen Bundes staaten endgültig entscheiden. Es wird nicht dabei bleiben, daß der Reichsfinanzhof nur Reichs steuerfragen entscheidet. Auch die bundesstaatliche Steuerverwaltung bedarf der Vereinheitlichung. Die Entwick- lung wird, allen Widerständen zum Trotz, ähnlich wie auf dem Gebiete der Zivil- und Strafrechtspflege dahin führen, daß zwar die unteren und mittleren Steuerbehörden bundesstaat- lichen Charakter tragen, die oberste Instanz aber— auch in den Fragen der einzelstaatlichen Steuerpraxis— eine einheitliche Reichsinstanz wird.' Es liegt nicht nur im Zuge der Zeit, daß die großen Verschiedenheiten der Steuergesetzgebung der ein- zelnen Bundesstaaten schwinden müssen, nein, das lawinenartige Anschwellen der gesamten Steuerlasten und vor allem das un- abwendbare Eindringen deS Reichs in das Gebiet der Besitz- besteuerung erfordert gebieterisch möglichst gleichmäßige Be- lastung ohne Rücksichwahme auf die bundesstaatlichen Grenz- pfähle. In der gleichen Richtung liegt die nicht minder bedeutsame reichsgesetzliche Ausgestaltung der Reichsaufsicht über Zölle und Steuern. Aus dem Rudiment, das im Artikel 30 der ReichS- verfassung verborgen schlummerte, wird plötzlich ein entwickelte? Organ. Bisher wurde durch sogenannt« Reichszoll- und Steuer- beamte, die Zwittergestaltcn waren, die Aufsicht über die Er- Hebung der Zölle und Verbrauchsabgaben des ReühS ausgeübt. Diese Beamten hatten keinen klaren RechModen unter den Füßen, ihre Befugnisse waren zweifelhafter Art, sie vegetierten bescheiden neben den Landessteuerbehörden, die sich von ihnen nicht imponieren ließen. Jetzt wird durch Gesetz klar auSge- sprachen, daß die ReichSaufsicht auf dem Gebiete der Zölle und Reichssteuern(vor allem auch der Be sitzsteuern I) durch be- sondere, dem Reichskanzler unterstellte B»Hörden wahrgenommen wird. Diele Behörden haben die gleichen Ueberwqchungsbefug- niste, wie sie den mit der Verwaltung der Reichsabgaoen be- trauten LandeSbShörden zustehen, sind berechtigt, sich an einem Streitverfqhren über einen Abgabeanspruch zu beteiligen und selbständig Rechtsmittel einzulegen. Wenn also der Landrat, der in großen Teilen Preußens noch Bezirkssteuerbeamter ist, mit dei Exhchung dex KrjegSgewmnsteuex betpaut ist, so nmß