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Nr. 237 im

Unterhaltungsblatt öes vorwärts

Vsntterstag, 2?. fZuguft

Jm Dienst.

Son Emma HauShofer-Merk (München ). Auf dem vahngleise w Rosenhetm steht ein Militärzug. ES wimmelt von Soldaten, lauter Ocsierreichssr. Sie haben eine lange Fahrt hinter sich, eine lange vor sich und mancher freut sich, nur wieder frische Luft zu atinen, die Füße bewegen zu können. Bicie drängen sich um da« Büfett, andere kaufen Zeitungen, Ztgarctt-n. schreiben Karten, plaudrrn, lachen, tauschen lustige Blicke mit den jungen Mädchen, die auf dem Bahnsteig stehen. Am Zug entlang geht ritigen Schrtltcs eine junge Schaffneri». Unter der Üniformmüye kraust sich ihr Helles Haar. Dir Soldaten lächeln dem hübschen Früutein zu. grllhen; aber st« bleibt ernst und gleichgültig, tn ihrem Amtseiser nur bestrebt, rasch wieder zu ihrem Zug zurückzukehren. Sie hatte nur gerade Zeil, eine» Teller Suppe zu essen, ehe die Fahrt weiterging. Plötzlich kommt aus einem Wagen wie ein Schrei der Ruf: »Bürge! , Burgel!" Mit jähem Ruck bleibt sie stehen. Diele Stimm«! Schaut mit grotzen Lugen, halb in Freude, halb in Schrecken. Schon stürzt ein Soldat aus dem Wagen heraus; auf sie z», hager, braun, mit einem Vollbort, der ihn verändert. Aber wie sie feine Augen steht, erkennt sie ihn doch. »Pauli! Pauli! Lebst denn wirklich noch?' stammelt sie wirr, atemlos vor Herzklopsen. Die zwei Arme die sie umschlingen, lassen an der Lebendigkeit deS Pauli keinen Zweifel übrig. Die herumstehenden Soldaten lachen über die feurige Begrügung. Aber die beiden merken nichts, hören nichts, haben alles um sich her vergesse» tn dem überwälti- genden Glück dieses Wiedersehens. Sie halten sich lange schon gern, und wenn der Krieg nicht gekommen wäre, hätte» sie wohl schon vor ein paar Jachren ge« heiratet und bei Kussstein eine Wirtschast übernommen. Und nun wußten sie nichts mehr von einander, mußte« sich gerade nur aus Zufall auf dem Bahnhof Ireffen. »So viel g'weim Hab ich um dich, Pauli! Weil ich g'laubt Hab. du bist totl Kein Wort hast mehr von dir boren lassen!' »WaS! So oft Hab' ich geschrieben! Und keine Aniwori kriegt. Ich Hab g'mcint, du hast mich ganz vergessen! Da war mir'« auch gar net mehr um einen Urlaub z' tun.' »Ja, hast denn das Paketel net kriegt mit die wollenen Sachen und die Zigarren, und den Brief, wo ich dir g'fchneben bab, daß d' Mutter g'ftorben ist, daß der Vater g'fangen worden ist von die Franzosen?" »So bist jetzt nimmer daheim! Nix weiß ich. gar nix--' »Mein Gott ! Daheim? Jm Eisenbahnwagen bin ich daheim. Ich Hab mir doch was verdienen müssen--" .Jesus Maria und Joseph l' schreit sie auf..Ich muß ja fort!' Alles war versunken einige Minuten lang. Nun erinnert sie sich, erschrocken an ihre Pflicht und will sich von ihm losmachen. Sie sucht in ihrer Tasche, ob sie ihm denn gar nichts als Andenken geben lann:»Da,, meine Photographie in Uniform. Und schreib mir, gelt!' Aufgeregt sagt sie ihm ihre Adresse.»Wenn du in unser Dorf g'schriebcn hast, da hat mich freilich niemand mehr g'funden. Und ich Hab ja auch net g'wußt. wo du bist l Weil du nur noch lebst. Pauli. Gott sei Lob und Dank!' Er hält sie fest. .Wer weiß, ob Ich wieder heimkomm I Vielleicht ist'S letzte Mal, Burgel, daß wir uns sehen I Wirst doch net gleich wieder davon lausen!' .Aber schau-- ich mutz ja ich darf sa net, ich kann ja net! B'hüt dt Gott, Pauli! Mein Zug! Er pfeift ja schon!' Mii einer raschen Bewegung ist sie weg, springt über das Gleise in den Wagen. Der Zugführer schreit sie zornig an: »Warum kommen Sie denn nicht! Wir haben ohnehin schon Verspälung! Man muß auf die Schaffnerin warten! Unpünktlich ind diese Frauenzimmer 1' Sie hört die Vorwürfe nicht. DaS kleine Fenster reißt sie her- . nter und schaut hinüber.. Kaum vermag sie unter allen Feldgrauen den Einen zu entdecken. Nun ist er eine Streck« vorgelaufen, winkt mit beiden Händen über die Schienen hinweg, die sie voneinander trennen. Da drüben steht er noch; so nah: Wie viel hätte sie ihm zu sagen gehabt I »Wer weiß, ob ich wieder heimkomm?' Die Worte hämmern ihr durch das Herz..

Eine Viertelstunde Kälten sie gewiß noch gehabt, ehe der Militär- zug absährt. Wenn eS die letzte wäre I Wie zerrissen von Eehnincht, überlegt sie, ob sie aus dem Wagen springen, ihr Amt, ihren Verdienst preisgeben, sich strafen lassen soll für dies» Minuten mit ihrem Pauli! Schon liegt die Hand am Türgriff. Sie will, sie muß zu ihm! Ihm noch einen Kuß geben, ihn fragen, ob er sie Noch aern hat. Zu nichts hat sie Zeit gehabt in ihrer glückseligen Verblüffung, daß er wieder vor ihr stand. Aber wie eS sie auch hinauStreibt, hinüber über daS trennende Schienengleife, es hält sie doch auch etwas wie mit Eisenklammern an ihrem Posten: DaS Gefühl, du bist im Dienst l Du mußt bleiben; das Bcwußisein der Pflicht. Nun vfeist die Lvkomolive, langsam setzt sich der Zug in Be- wegnng. Si« schalst hinaus, bis alles tn graneut Dunst verschwimmt, bis sie nichts mehr sieht vor Trane». Nun muß sie wieder warten. Wie sie jahrelang gewartet hat und schon mischt sich in die Freude, daß ihr Pauli lem, die heiße, die neue Angst um ihn. »Ach Galt, ach Gott !' senszt sie vor sich hin. Das große Paket mit den Wollsachen und die vielen Zigarten, die sie von ihrem ersien Gehalt als Schaffnerin nekaust hat alle? verloren! Nichts bat er kriegt' Hat gstaubt, daß sie ihn vergessen hatt'! Wie er das hat glauben lönnen, der Pauli! Ihr Zug bält an jeder Station. Der Militärtransport wird vorgesabren. Wann? wo? Sie weiß es nicht. Bielleicht sieht er sie gar nicht, wenn sie hinüber winkt. I» der Dämmerung sausen sie wohl aneinander vorbei, weit, weit auseinander l Hart ist das! Noch immer starrt sie zurück auf den fernen Nosenheimer Bahn- Hof, wo der Soldat wohl noch siebl und an sie denkt. Aber dann kommt daS letzte Bahnwärtethaus vor der nächsten Haltestelle. Die jlinge Schaffnerin streicht das Haar zurück, setzt die Dienst- mutze wieder auf. trocknet tapser die nassen Augen. Jetzt darf sie nicht mehr an sich denken. Nun Muß sie ihre Schuldigkelt tun, wie er, wie alle! Eine neue NlethoSe öes Schreibunterrichts. Daß die bisherige Methode des Schreibunierrichts reform- bedürftig ist. wird immer allgemeiner erkannt. Einen eigenartigen neuen Weg dazu bat Pros. Fritz Kuhlmann beschritten, und er hat seine Methode auch in BttsuchZichuIeii in Hamburg und München bereits mit großem Erfolge praktisch erprobt. Er gebt, wie er selbst in derUmschau' ausführt, davon aus. daß das Kind zwar auch.schreiben' möchte wie die Großen eS tun. daß eS jedoch nicht die Formen und Gestalten der Buchstaben ebenso hervorzubringen vermag. Es ist daher Unnatürlich, wenn der heutige Schreib- Unterricht da» Kind zwingt, die den Bewegimaen der Erwachsenen gemäß gebildeten Normalbuchstaben mechanisch nachzuahmen. Es kommt vielmehr daraus an, den Drang zum Schaffen und Selbst- gestalten, der im Kinde liegt, auch hierfür zu benutzen. Wie sich die Schrift aus der römischen Monumentalichrift ent> wickelt hat, indem die nachgeahmten Buchstaben bei der eiligen Schreibbewegung mit Federn und Pinseln eine neue, dieser Herstellung entsprechende Form annahmen, so soll das Kind auf demselben Wege zum Schreiben geführt werden. Die Kinder, bei denen die Versuche im Alter von 6'/<> Jahren begonnen wurden, lernten zunächst, laietnische Schrift zu leien und aus dem Kopf zu zeichnen. Dann wurden sie veranlaßt/ ihre Buchstaben schneller und schneller zu zeichnen, und so gelangten sie ans eigener Kraft zum Schretbzug. Sie durchliefen so gleichsam den Werdegang der Schrift, und eS ergab sich dabei, daß die unverdorbenen Kinderhände naiv schöne Buchstabensormen bildeten, die selbst die Bewunderung anerkannter Schriftkünstler erregten. Dabei erwarben die Kinder in einigen Wochen eine Schreibfertigkeit, wie sie sonst erst in einigen Jahcen erreicht wird. Obwohl ihnen vollste Freiheit in der Formengestaltung gelassen war, war eine außerordentliche Ein- heitlichkeit in der Schriftgettalrung zu beobachten. In gleich kurzer Zeit konnten Kinder aus deinselbe» Wege zum Schreiben einer ichönen, ausgeprägt deutschen Schrift geführt werden, so daß der beute jahrelang mehrere Wochenstunden in Anspruch nehmende systematische Schreibunterricht bei ihnen wegfallen kann. Die schweren Nachteile und gesundheitlichen Schädigungen deS bisherigen Schreibunierrichts fallen dabei fort.__ wie man sich feinen Tabak felbsi herstellt. Zu Nutz und Frommen aller jetzt so schwer notleidenden Raucher schildert ein Jäger in»St. Hubertus' dt« Art, wie er sich seinen

Tabak selbst herstellt und welche Hilssmiüet er dazu verwendet, übrigen? aiicht erst in der KriegSzeit, sondern schon seit Jahren vorher. E« handelt sich dabei allerding« nur um den Selbstanbau und die Zubereitung eines guten Pfeifentabak«, der als durchaus nickt besouders mühevoll uns sehr lohnend geschildert wird. Die Blälier werden, wenn sie einen gelblichen Schein am Blattansatz bekommen und sich leicht abbrechen lassen, an einen Fäden oder Draht mit Abständen von einander aufgerecht, damit sie gut aus- trocknen. Zur Fermentation(Gärung!, die den Tabak im Ge« schmück veredeln und ihn haltbar machen soll, werden die trockenen Blätter gut angefeuchtet, glatt gestrichen, aus einen Haufen ge­schichtet und mit einem Brett und Stein beschwert. DaS ganze wird in eine Kiste mit fest verschlossenem Deckel gelegt, bis, wie durch ein elngeschobeneS Thermometer sestzustellen ist, die Temperatur 8ll Grad Celsius erreicht.(Weiteres hierüber im»Merkblatt für die Tabakfermentation im Kleinen" von Direktor Lamberger. Gust. WinterS Buchhandlung. Bremen .) Nach fünf bis zehn Tagen wird der Tühak umgepackt und zum zweiten Male fermentiert. Dann wird noch eine Nachgärung bor « genommen und hieraus werden die Blätter zum Trocknen und Kühlen ausgebreitet. Nach einigen Tagen Lügerns wird der Tabak leickt besprengt, die größeren Rippen werden auS den Blättern ge- rissen, nochmals durch Wasser geschmeidiger gemacht, platt gewalzt und geschnitten und unter den andern Schnitiabal gemischt. Zum Schluß wird der Tabak am besten am Herde gedörrt Und in Stein- töpfen verwahrt. Der Jäger gibt aber auch gute Mittel den Tabak zu strecken. Am besten geschieht die« mit den Blättern des Huf- lattich oder Rhabarber, die zugleich mit dem Tabak zusammen fermentiert werden können. Zum Wohlgeschmack tragen ferner bei, getrocknete Noscnblätter, Sauerktrschblätter, in geringen Mengen zugesetzter Waldmeister, der noch besser in einem Leinenbcutel in den Tabak zur Erztelung deS Aromas hinzugelegt wird, auch dle Blätter der Walderdbeere sind als Tabatbeimischung gut zu ver« wenden. Wenn der selbsthergestellte Tabak manchem Raucher zu stark erscheint, so empfiehlt sich ein Ausdrücken in dünnein Salz- Wasser.

Notizen. Die Konzerte der Volksbühne.

Der Verband der

Fveien Volksbühnen veranstaltet im Einvernehmen mir der General- mtendantur der Königl. Schauspiele drei Konzerte der Königlichen Kapekle im Theater am Bülowplatz unter Leitung von Richard Strauß Leo Blech und Fritz Siiedry. Für die weiteren Konzerte haben daS Philharmonische Orchester unter Leitung von Artur Nikisch und OSkar Fried , der Königliche Hof- und Domchor»nter Leitung von Hugo Rädel, der Berliner VolkS-Chor unter Leitung von Max Tfchke ihre Mitwirkung zugesagt. Außerdem: Artur Schnabel , Wando LandowSka, Emmi Leisner , das Klingler-Ouavtett, da» Fiedeman-Ouartett, die Berliner Tvio-Vereinigun«. Professor Mayer-Mahr, Grünfeld und Wittenberg , die Madrigal-Bereinigung dcZ Königl. Akademischen Institut« für Kirchenmusik, die Kammer- musikveretnlgung der Königl. Kapell«. ---Die Organisation der Filmschauspieler. Die Bühnengenossenschaft Deutscher Bühnenangchöriger richtet für ihre Mitglieder, die als Filmschauspieler tätig sind, eine eigene Abteilung ein und ruft einen Ausschuß für Filmschauspieler uberhavvt in« Leben. Vorträge über Speise- und Giftpilze wird ani Sonnabend, den 31. August, nachm. 6 Uhr, und am Freitag, den S. September, nachm. 5 Uhr, Herr Dr. E. Ulbrich als E.mcu.mz zu der am 12. September beginnenden PilzauSstcllung hatten. Die Vorträge und die Ausstellung finden im Botanischen Museum in Dahlem statt. Eintritt uncmgeltlich. Gesellschaft zur Förderung der Entwick- lungSlehr«. Im Zusaminenhang mit dem in Jena neu- gegründeten Haeckel-Museum hat sich dort«ine besondere Gesellschaft gebildet, die sich zum Ziele setzt: Zusammenfassung der eniwicklungS- qeschichilichen Einzelforschung, Gsschichle der Entwicklungslehre, Er­weiterung der EiUwicklunoS-Tbrorie zu einer aktivtstischeu Eni- wickiungS-Eihit. AuSbau deS Haeckel-Archiv» zu einen, Seminar für entwicklungSgeschichlliche Forschung und Lehre, Einrichtung von wandernden VqlkS- Hochschulen. Vorsitzender ist Dr. Heinrich Schmidt. Die Gemälde der Petersburger Eremitage, die auf Gruud de? Abkommens mit der Sowjetrepublik an den früheren Besitzer, die Kasseler Galerie, zurückgegeben werden, sollen in Berlin ausgestellt werden.

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Loöz. vas gelobte Land.

Roman von W. St. R e y m o n t. Er hatte in allem volles Vertrauen zum ihm und brauchte ihn jetzt, biö Kuoll wieder zurück war. Auf die Aufforderung zur Rückkehr wegen der Krankheit des Schivicgervaters antwortete jener nämlich telcgraphifch, er werde zurückkommen, wenn der Alte stürbe, sonst denke er gar nicht daran, sich die Geschäfte zu verderbe». Buchholz blätterte in einem großen Buch, das August ihm hinhielt, blickte bloß auf den Eintretenden, nickte ihm mit dem Kopfe zu und prüfte weiter die einzelnen Posten des Budgets. Schweigend ging Karl an das Sortieren der Korrcspoit- denz und Prüfte dann die Pläne und Kostenanschläge der neuen Einrichtungen in der Färberei, dle er selbst vor- geschlagen hatte! die Arbeit war dringlich, weil auf den neuen Maschinen schon die Ware für die nächste Wintersaison gedruckt werden sollte. Der Abend brach schnell herein, und immer schwärzer wurde der Park vor den Fenstern deS Kontors und rauschte mit den nackten Bäumen, die von: Winde bewegt in die Fenster schauten, eine Weile im Licht erzitterten und wieder zurückwichen. Die Arbeit ging nicht recht vorwärts, jeden Augenblick kam ihm Müller in den Sinn, und er legte dann die steifen, von Zeichnungen. Ziffern und Notizen bedeckten Karten bei- feite und versank in tiefes Nachsinnen. Völlige Stille herrschte im Kontor, bloß der Wind draußen schwoll an und heulte in den Bäumen und schleuderte sie aeaen die Wände und Fenster und prasselte dumpf gegen die blechernen Dächer. Buchholz riß die Augey von dem Buche los und versenkte sich in die fernen Töne einer Harmonika, die mit dem Winde irgend woher aus einem Heim herüberflosson; seine Lippen zuckten nervöS. die roten Habichtsaugen, die heute noch röter waren wie gewöhnlich, verschleierte etwas wie Traurigkeit; lange hörte er zu und sagte endlich leise:/ ..Langweilig ist's hier, nicht wahr?" »Wie in jedem Kontor." »Sine seltsame Lust Hab' ich, Musik zu hören, sehr laute Mujtk. großen Liwn, viele Renschen möchte ich sogar sehen."

»Herr Rat kämen noch inS Theater zurecht. Es ist erst neun." Buchholz erwiderte nichts, legte seinen Kopf auf die Rückenlehne des Fauteuils und starrte vor sich hin. Langsam legten sich Unlust und Langeweile auf sein Gesicht. »Wie fühlen sich der Herr Rat heute?' fragte Karl nach einer Weile. Gut. gut!' erwiderte er mit gedämpfter Stimme, und ein scharfes, bitteres Lächeln umspielte seine blauen Lippen. Nein, er fühlte sich nicht wohl; daS Herz schlug zwar ruhig und normal, die Schmerzen in den Beinen waren ver- schwunden, er konnte sich ziemlich leicht bewegen!, fühlte aber, daß eS ihm nicht gut ging. Eine sonderbare Schwere fühlte er in sich, er konnte nicht denken, weil jeden Augenblick das Gewebe seines Beivußtseins riß und er in eine dumpfe Apathie verfiel; die Arbeit langivcilte ihn, die'Ziffern, die Gewinne und die Verluste, alles wurde ihm heute allmählich ifrtb ttcf unter der Linie des Bewußtseins, durch den schweren, grauen Nebel der Langeweile hindurch loderten blitzartig unbestimmte Wünsche und Gelüste auf, so blitzartig, daß sie auf dem Wege zum Bewußtsein schon zerflatterten, das Gehirn in düstere Schleier hüllten und daS Herz mit der Trauer der Unlust erfüllten. »Furchtbar leer ist es im ganzen Haus," sagte ex leise und schaute im Kontor herum, an den Schranken entlang, an den Fenstern: er blickte ans August, der. mit dem Rücken an die Türnische gelehnt, sich plötzlich aufrichtete und auf die Be- fehle wartete. Alles schaute er mit einem seltsam prüfenden Blick an, als ob er eS zum ersten Male sähe, und fiel kraftlos in den Fauteuil zurück, senkte den Kopf auf die Brust und atmete schwer, weil ein kräftiger, sehr schmerzhafter Krampf einer unerklärlichen Angst seine Seele packte. Er klammerte sich mit den Augen an die schwarzen Ztffcrnpunkte auf dem weißen Blatt des Büches, an den Lichtschein auf dem großen, bronzenen Tintenfaß, und klammerte sich dann wieder an den immer leiser herübcrklingenden Ton der Harmonika, an das Rauschen des Parkes und an den fernen, dumpfen Schall deS Straßenlärms; aber die Seele glitt kraftlos von diesen letzten Stützen herab und sank in die finstere, furchtbare Stille zurück. Vor zehn wurde Karl mit der Arbeit fertig. Er reichte Buchholz die Papiere und erklärte ihm ausführlich jeden Posten.

Gut, gut," sprach Buchholz von Zeit zu Zeit, ohn irgend etwas zu hören. Es interessierte ihn gar nicht mehr, denn immer tiefer spürte er die Leere und die Einsamkeit, tn der er lebte, mit immer engerem Kreis umspannen Unlust und Erschöpfung seine Seele. Wozu soll ich mich damit befassen? Ob eS soviel oder soviel kostet, das ist doch Sache des Kassierers," sagte er un- willig. Borowiecki wollte gehen. Sie gehen schon?" Ich bin mit der Arbeit für heute fertig: gute Nacht!" Er drückte ihm die Hand und ging. Buchholz konnte sich nicht zu der Bitte aufraffen, er möchte noch bleiben, denn im letzten Augenblick schämte er sich seiner kindlichen Schwäche. Er horchte auf den in der Ferne sich verlierenden Schall der Schritte und hätte viel darum gegeben, wenn Borowicckt noch einmal zurückgekommen wäre. August, wir gehen nach oben," sagt- er leise, erhob sich von seinem Platz und ging ohne Hilfe des Lakais, der die Lichter auslöschte und die Türen schloß. Der zweite Lakai, der im Vorzimmer wachte, ging mit einer Kerze voran, und Buchholz schleppte sich langsam durch die rtestge, stille und leere Wohnung. So seltsam leer kam sie ihm heute vor. so sehr drückte ihn heute die Einsamkeit, daß er zu seiner Frau hinüberging. Sie schlief aber schon, und bloß der Papagei, den der Licht- schein aufweckte, sprang vom Käfig herunter, krallte sich an den Vorhang und schrie wehmütig! Pudel, Pudel!,, Enttäuscht trat er zurück und ging direkt auf sein Zimmer. August!" rief er halblaut. Der Lakai richtete sich erwartungsvoll auf, Buchholz sagte ihm aber nichts, faß im Fauteuil am Ofen, schütte mit seinem Stock im verglimmenden Feuer und sah mit einer seltsamen, daS erste Mal im Leben verspürten Angst, daß er allein bleiben mußte. Mach' die Fensterläden zu." sagte er endlich und ver- gcwisserte sich selbst, daß die eisernen Jnnenläden auch gut verschlossen waren; zog sich aus, legte sich hin und versuchte zu lesen, aber die Augen waren schwer wie Blei. Er konnte ste nicht wehr jhewoaen. Ksitj. folflU