Nr. 238. 35. Jahrg.
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„ Sozialdemokrat Berlin".
Vorwärts
Berliner Volksblatt.
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Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3. Fernsbrecher: Amt Moritplas, R. 151 90-151 97.
Freitag, den 30. August 1918.
Expedition: SW. 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morisplas, Nr. 151 90-151 97.
Hinter den deutsch - russischen Zusatzverträgen, die jetzt zwar immer noch nicht wörtlich, aber wenigstens inhaltlich publiziert werden, verbirgt sich weit mehr, als der bescheidene Name besagt. Sie sind nicht bloß eine unfelbständige Ergänzung, sondern eine grundlegende Umgestal. tung des Friedensvertrages von Brest- Litowsk und stehen diesem daher an politischer Bedeutung mindestens gleich.
Der Staatssekretär Solf hat jüngst den Frieden von Brest- Litowsk mit einem Rahmen verglichen. Bleibt man in diesem Bilde, so sind die Zusatzverträge nicht die erwartete, Ausfüllung des vorgezeichneten Rahmens, sondern die vollkommene Umgestaltung und Neukonstruktion des gesamten Rahmenwerks. Auch in dem neuen Rahmen bleibt noch ebenso viel auszufüllen wie im alten.
Wir stehen vor der Tatsache, daß der Frieden von BrestRitowsk aufgehoben und durch einen Frieden Nr. 2 erfekt worden ist. Das geht schon daraus hervor, daß die im Frieden Nr. 1 festgelegte Abgrenzungslinie, die Livland und Estland beim Russischen Reiche beließ, durch die nunmehr vollzogene Abtrennung der beiden Provinzen von Rußland einfach aufgehoben worden ist. Ebenso die Kaukasusgrenzlinie durch das selbständig gewordene Ge orgien . Die deutsche Regierung gibt allerdings das Versprechen ab, daß sie weitere Lostrennungsbestrebungen von Rußland nicht unterstüßen wird. Diese Erklärung erfolgt nach vollzogener Abtrennung von Finnlind, Estland , Liv land , Kurland , Litauen , Polen , der Ukraine , der Krim , bon Batum- Kars- Ardahan sowie Georgien . Weitere Abtrennungen hat unseres Wissens bisher auch der extremste AMdeutsche noch nicht verlangt.
Englischer Angriff füdlich der ScarpeErbitterter Kampf um Boiry Notre Dame Siebenmaliger vergeblicher Feindesansturm an der Straße ArrasCambrai Neue Stellungen zwischen Somme und Dije- Bapaume und Noyon aufgegeben.
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Berlin , 29. August 1918, ab ends. Amtlich. Südwestlich von Arras haben sich am nachs mittage neue Kämpfe entwickelt. Vorfeldgefechte vor unseren neuen Linien östlich Bapaume- Pes öftlich Noyon . Infanteriekämpfe an der Zwischen Ailette und Aisne find be. sonders starke Angriffe von Fran zosen und Amerikanern unter schwer ften Verlusten für den Feind völlig gescheiter t. Bisher sind mehr als 50 zerschoffene Panzerwagen gemeldet.
Amtlich. Großes Hauptquartier, 29. August 1918.( WTB)
Weftlicher Kriegsschauplas. Heeresgruppen Kronprinz Rupprecht und Boehn.
Auf dem Schlachtfelde südöstlich von Arra 8 brach am frühen Morgen dicht südlich der Scarpe ein englischer Angriff im Feuer zusammen. Um Mittag nahm der Feind seine Durch bruchsversuche mit neuer Wucht wieder auf. Zwischen Scarpe und Sensée- Bach sette er fünfmal zum Angriff an. Pommersche und weftpreußische Regimenter brachen auch gestern wieder den Ansturm des Feindes. Durch flankierendes Feuer ihrer Artillerie wirksam unterstüßt, warfen sie jedesmal den Feind wieder zurück. Boiry Notre Dame war Brennpunkt erbitterten Kampfes. Dreimal wurden die Trümmer des Ortes im Gegenstoß dem Feinde wieder entrissen. Bei erneutem feindlichen Angriff am Abend blieb der Ort in Feindeshand. Der Hauptstoß des englischen Angriffs traf württembergische Regi menter beiderseits der Straße Arras - Cambrai . Siebenmal stürmte der Feind vergeblich an. Panzerwagen fuhren auf und neben der Straße immer wieder von neuem heran, in tiefer Gliederung folgte die Infanterie. Sie blieb in im Feuer unserer Maschinengewehre und vorderster Linie auffahrender Geschütze liegen. Wo der Feind
in unsere Stellung eindrang, warf ihn unser Gegenstoß wieder völlig zurück.
Südlich von Croisilles und südöstlich von Mory wurden englische Angriffe abgewiesen. Südwestlich von Ba paume teine Infanterietätigkeit. Auf der Stadt felbft lag schweres englisches Fener. Bei den Kämpfen am 27. 8. um Thilloy tat sich das Infanterie- Regiment Nr. 206 besonders hervor. Seine 9. Kompagnie hielt den Westrand des Ortes, obwohl sie durch feindlichen Einbruch nördlich von ihr im Rücken bedroht war, bis zur legten Patrone und dann mit dem Bajonett. Aus selbständigem Entschluß kam ihr die 3. Kompagnie desselben Regiments zur Hilfe und warf den Feind aus dem Orte wieder hinaus.
Nördlich der Somme erneuerte der Feind am frühen Morgen seine Angriffe zwischen Flers und Culu. Bei Hardecourt drang er in unsere Linien ein. Im Gegenangriff warf ihn das Kaiser Franz Garde- Grenadier- Regiment Nr. 2 unter Führung seines Kommandeurs, Major Otto, im Verein mit hessischen Kompagnien wieder zurüd.
Zwischen Somme und Dise blieben Vortruppen vor unseren neuen Stellungen in Gefechtsfühlung mit dem Feinde, der am 27. 8. nur zögernd, gestern schärfer über Dompierre- Belloy- Neste- Beaulieu- Suzoh folgte. Sie zwangen ihn mehrfach zu verlustreichem Angriff und wichen dann aus. Südwestlich von Noyon griff der Feind nach stärkster Feuervorbereitung unsere alten Linien an; sie waren von uns nicht mehr besetzt. Noyon lag unter schwerstem Feuer der Fransofen. Die Stadt liegt vor unserer Kampffront.
Nördlich der Aisne nahm der Franzose unter Heranziehung von Amerikanern seine Angriffe wieder auf. Unter schwersten Berluften wurden sie abgewiesen. Am PaslyKopf schlugen Kavallerie- Schützen- Regimenter fünfmaligen Ansturm des Feindes zurück; mehrere Panzerwagen wurden zerschossen. Der Erste Generalquartiermeister.
Ludendorff.
Der österreichische Bericht. Wien , 29. August. Amtlich wird verlautbart: Italienischer Kriegsschauplah.
In den Judikarien bei Bezzecea und auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden Erkundungsgefechte. Sonst nichts von Belang.
Uebrigens enthält die deutsche offiziöse Verlautbarung über die Rechtsgrundlage der bisher erfolgten Abtrennungen ein beachtenswertes Zugeständnis. An der Stelle, tho bon der Selbständigkeitserklärung Georgiens die Rede ist, heißt es nämlich, daß diese in Formen erfolgt sei, die felbst die von der Sowjet- Regierung aufgestellten, ertrem demokratischen Bedingungen" erfüllten. Damit ist zugegeben, daß die von der Sowjet- Regierung das von ihr proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker an bestimmte demokratische Voraussetzungen gebunden hat, daß es also unzulässig war, die Beschlüsse eines furländischen oder livländischen Landesrats als die Verwirklichung des von der Sowjet- Regierung selbst verfündeten Diesen Selbstbestimmungsrechts anzusprechen. Standpunkt hat die deutsche Sozialdemokratie und der Vorwärts" schon früher gegenüber der rechtsstehenden Bresse vertreten, als diese aus der Proklamation der Sowjet- Regierung habt, als sie der russischen freien Sandel durch das Es handelt sich hier nicht um eine von Staat zu Staat zu einen Rechtstitel für die Loslösung dieser Länder von Ruß- Baltikum und eine Anzahl Freihäfen an der Oftfee zu zahlende Kriegsentschädigung, sondern um die Entschädigung land herleiten wollte. Aber damals ist uns keine Unter- ficherte. Die bolichemistische Regierung hat sich damit be- durch den Krieg in ihren Rechten getroffener Einzelstütung seitens der Regierung zuteil geworden, obwohl diefe gnügt, und es wird ihre Sache sein, das russische Volt davon personen. Der Reichstag wird sich daher auch für die jezt hinterher unsern Standpunkt als den rechtlich zu überzeugen, daß diese Regelung den russischen Interessen Frage interessieren, in welcher Weise die zunächst an das allein haltbaren anerkennt. genüge. Für uns handelt es sich hier nicht um russische, son- Deutsche Reich gezahlte Pauschalsumme den einzelnen Be
Zwischen Janiea und Bojusa sowie im Südteil des TomorGebirges hat der Feind erneut Stellung genommen. Der Chef des Generalstabes.
Aber lassen wir die Rechtsfrage, obwohl sie von der poli- dern um deutsche Interessen. Kein Mensch in Deutsch - schädigten zugeführt wird. tischen Beurteilung der Verträge nicht zu trennen ist, zu- land glaubt an ein unbegrenztes Leben der bolschemistischen Es sind jedenfalls in den Zusatzverträgen noch eine ganze nächst beiseite, und betrachten wir die neuen Festsetzungen Regierung in Rußland , und es ist anzunehmen, daß eine Reihe von Punkten enthalten, die näherer Aufklärung beunter rein politischen Gesichtspunkten. Eine Revision des folgende Regierung nur mit äußerstem Unbehagen eine dürfen. Die Herren Wiemer und Gröber haben, wie Vertrages von Brest- Litowsk ist eingetreten, aber feine Re- Mieterstellung Rußlands an der Ostsee ertragen wird, uns scheint, in jeder Beziehung voreilig gehandelt, als vision in dem Sinne, wie wir sie für unbedingt erforderlich wo es früher Hausherrenrechte ausübte. sie durch ihre persönliche Zustimmung zu diesen Verträgen die
und nüßlich gehalten hätten, sondern gerade in entgegen- Ebenso glauben wir nicht, daß das deutsche Volf an der Zustimmung des Reichstages vorwegnahmen. gesetter Richtung. Wer den im Frieden von Brest - Herbeiführung engerer staatsrechtlicher Beziehungen zu den Herr Solf wird unsere Bedenken vielleicht damit zu beLitowsk eingeschlagenen Kurs für den richtigen bielt und nur baltischen Provinzen, wie sie durch die geplante Personal- schwichtigen suchen, daß ja auch der Zusatzvertrag nur ein beklagte, daß er nicht energisch genug durchgeführt sei, der union entstehen sollen, große Freude erleben wird. In der Rahmen sei. Richtig, aber durch die neue Form des Rahmens mag jett Befriedigung äußern. Wir können umgekehrt nur Schule ist es uns als ein Glüd für Preußen gepriesen ist die Schwierigkeit einer befriedigenden Ausfüllung gesagen, daß unsere seinerzeit gegenüber dem Frieden von worden, daß es 1815 den Anteil an der zweiten und dritten wachsen. Es bestehen noch Möglichkeiten, durch die GewähBrest- Litowsk geäußerten Bedenken und Befürch- polnischen Teilung, der ihm 1807 durch Napoleon entrissen rung freiesten Selbstbestimmungsrechts an die tungen durch die Potenzierung des Friedensinhalts wurde, nur zum geringeren Teile. wieder erlangte. Man von Rußland abgetrennten Randstaaten, auch auf diesen. Zugleichfalls potenziert worden sind. scheut sich auch jetzt, Gebietsteile, von denen man sichere satverträgen noch eine Entwicklung aufzubauen, die eine beWar der Frieden von Brest- Litowsk eine Gefährdung Opposition erwartet, in das Deutsche Reich aufzunehmen. friedigende Zukunft erhoffen läßt. Aber durch die jetzige der Interessen des deutschen Volfes, so ist es aber das bedeutet für diese zugleich, daß sie des Schußes Tätigkeit der deutschen Politik sehen wir diese Möglichkeit der potenzierte Frieden Nr. 2 in gesteigertem Maße. des aus dem gleichen Wahlrecht hervorgegangenen Deut mit jedem Tage sich verengern. Schon in unserem gestrigen Leitartikel haben wir die eine schen Reichstages verlustig gehen. Der Deutsche Kaiser Deswegen gibt freilich die Sozialdemokratie den Kampf Seite der Frage behandelt: wie sehr durch die voreilige erhält ein Land, in dem er ohne Reichstag regieren kann, für eine bessere Lösung der Ostfragen nicht auf. Er geht Zimmerung von Thronen und Thrönchen im Osten der all- sekundiert von einem Landtag, der etwa auf der Höhe des parallel mit dem Kampfe um die Demokratisierung und die gemeine Frieden, den das deutsche Volk herbeisehnt, erschwert mecklenburgischen steht. Wer glaubt, daß solche Zustände freiheitliche Entwicklung des deutschen Volkes selber. Eins und hinausgezögert wird. Aber nicht nur die Herbeiführung im zwanzigsten Jahrhundert längere Zeit ohne schwere Rei- entscheidet das andere. Beides ist aber heute nicht entschieden, des Friedens, sondern auch seine fünffige Aufrechter bungen und Erschütterungen bestehen können, gibt sich schwerer die Ostfrage so wenig durch den Frieden von Brest - Litowst haltung erscheint durch die neuen Abmachungen gefährdet. Selbsttäuschung hin. Und ebenso, wer vom deutschen Volk und die Zusapverträge, wie die Frage der inneren Freiheit Wir glauben, furz gesagt, nicht daran, daß ein Bereitwilligkeit erwartet, dauernd für die Aufrechterhaltung Deutschlands durch die Beschlüsse des Dreiklassenparlaments. dauerndes friedliches und freundschaft- einer Ordnung" einzustehen, die es selbst nicht billigt. Der Kampf mag noch jahrelang dauern, wie er enden wird, liches Verhältnis zwischen dem deutschen und dem Ein Wort verdient auch noch der Finanzvertrag. ist uns nicht zweifelhaft. russischen Volke herbeigeführt wird durch einen Frie- Wir erfahren, daß bei der Pauschalierung und Aufrechnung den, der die deutsche Machtsphäre bis vor die Tore der gegenseitig zu erseßenden Kriegsschäden ein Saldo von Die„ Nordd. Allg. 3tg." teilt halbamtlich mit: Petersburgs vorschiebt und der das Russische Reich, das fechs Milliarden zuungunsten Rußlands bleibt. Als Ergebnis der seit mehreren Monaten in Berlin geführten hundert Jahre und länger um den Zugang der Ditfee ge- wird uns versichert, daß diese Summe auf genauen und ge- deutsch russischen Verhandlungen sind, wie bereits kämpft hat, wieder auf den Stand eines Kontinenta I- wissenhaften Berechnungen beruhe. Trotzdem wird der Reichs- gemeldet wurde, am 27. d. Mts. drei Verträge, nämlich ein Er. staates zurückschraubt. tag nicht darauf verzichten können, diese Berechnungen im gänzungsvertrag zum Brester Friedensvertrag sowie ein Die deutsche Regierung selbst hat hierfür ein Gefühl ge- leinzelnen tennen zu lernen und zu prüfen.linanzablommen und ein Privatrechtsabkommen