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Nr. 271 1H1S
Unterhaltungsblatt öes Vorwärts
Mittwoch, 2. Oktober
Cm gefährlicher versuch. In diesen KriegÄagen, da die Luft über den Fronten wimmelt vonfliegenden Menschen", die dort oben so sicher ihre Kreise ziehen wie schwebende Vögel, ist es von besonderem Interesse, jener Vorläufer zu gedenken, die als erste im Schweiße ihres Angesichts bemüht waren, das Problem derLusteroberunz" zu lösen. Zu ihnen gehörte auch der Mmer Schneider Albrecht Berbling« dessen Leben Max Eyth   imSchneider von Ulm  " prächtig geschildert hat�). Wie packend wird uns hier der glühende Er- sindergeist nabcgebracht, der schon im Knaben aufloderte und ihm nicht Ruh ließ bei Tag und Nachtl Eine Episode soll hier zum Anreiz, den Roman zu lesen, wiedergegeben werden. Berblinger   hauste noch als Zögling in der Kloster- schule zu Blaubenrcn, als er schon seine ersten Luftschifferversuche anstellte. Zur Werkstatt hatte er sich die verlassene alte Klosterkirche erkoren, und hierher schlich er des Nachts, um wieder und wieder das Erdachte zu probieren. Die letzte Nacht, die ihm seine Ent>- lassung aus der Schule eintrug und ihn auf den Schneidertisch drängte, beschreibt Eyth   so: Zunächst schob Berblinger   etliche schwere Bretter, die gegen die Rückseite des Hochaltars gelegt waren, auf die Seite. Unter den- selben lagen drei kleine zerdrückte Papierkugeln, die er mit dem Fuße wegstieß, um eine mehr als mannslange Masse ähnlichen Papiers hervorzuziehen, welche er sorgfältig ausbreitete. Sie hatte die Form eines plattgedrückten Schlauchs oder Sackst Mit großer Vorsicht trug er den rätselhaften Gegenstand nach der Empore am andern Ende des Chors, von deren Geländer ein Bindfaden herabhing, den er wohl bei früherer Gelegenheit angebracht hatte. Ein paar gefäbrlich wackelnde Böcke, die Maurern gedient haben mochten, ermöglichten es ihm, das herabhängende Ende der Schnur zu erreichen und den Papierschlauch daran aufzuhängen, so daß sein unteres Ende etwa einen Meter vom Boden entfernt war. An diesem Ende befand sich ein rundes Loch, durch das er mit dem Arm und schließlich mit dem ganzen Oberkörper in das Innere des Papiermantels schlüpfen konnte und denselben nach allen Seiten ausbauschte. Das wunderliche Ding nahm mehr und mehr die Form einer unregelmäßigen Kugel oder eines riesigen Kopfes au, der auf zwei Beinen stand. Wer es in diesem Augenblick inmitten des gespenstisch erhellten Kirchenchors gesehen hätte, wäre nicht ohne einen gelinden Schreck davongekommen. Einem späteren Geschlecht wäre es allerdings kaum zweifelhaft gewesen, daß es sich um einen Ballon bandelte, der auf seine Füllung wartete. Berblinger   schlüpfte jetzt heraus und betrachtete sein Werk mit einem Gefühl von Stolz und Erwartung, das seinen Augen einen seltenen Glanz gab und das Rot auf seine bleichen Wangen triebe In der Mitte der Papicrhülle hingen Bindfäden bis zur Erde herab. Sie wurden an Stiften befestigt, die in einem auf dem Boden liegenden runden Brett staken, auf das er jetzt mehrere Backsteine legte. All diese Gegenstände brachte er hinter dem Hoch- altar hervor, wo er ein förmliches Magazin angelegt zu haben schien. Der Rand der Oeffnung am unteren Ende des Schlauchs war durch eine kreisförmig zusammengebundene Weidengerte der- stärkt, von der ebenfalls Bindfäden berabhingen. An diese befestigte er jetzt den blechernen Deckel des Topfes, und zwar so, daß dessen bohle Seite nach oben gekehrt war. Auch dies schien ihn lebhast zu befriedigen. Mit leichten leisen Schritten eilte er wieder hinter den Altar und kehrte mit einem Steinkrug zurück, aus dem er in den als Schale dienenden Deckel eine stark riechende Flüssigkeit goß. Es war roher Zwetschgenbranntwetn, den er durch Büschs Vermittlung von einer gutherzigen Wirtin in Sonderbuch   erhalten hatte, die sich nicht wenig über die Entartung der künstigen Seel­sorger des Landes entrüstete:Bier ja, soviel sie wollten und �er Schnaps!" Und nun ging es ans Feuer- schlagen und"auch' das gelang, obgleich nicht ohne Mühe. Ein kleines Flämmchcn glimmte zwischen seinen Fingern, und einen Augenblick später brannte eine große blaue Flamm« ruhig unter dem Ballon, vor dem er sich, um sie besser beobachten zu können, auf die Knie warf. Man hätte vermuten können, ein Feueranbeter sei in die alte Klosterkirche geraten. Es war der fünfte und der weitaus größte Ballon den er zu­sammengeklebt hatte. Sie waren stetig gcwacf'sen und alle hatten bisher im Zlugenblick ihres Aufstiegs den Weg durch das zer- brochene Fenster genommen, das die Ursache eines lebhaften Luft- * Der vortreffliche Roman erscheint gegenwärtig in der ittu- strierten WochenschriftI n Freien Stunden"(Verlag Buch- Handlung Vorwärts, Berlin   SW, 68) mit Bildern von Professor Dambcrger-München. Das Heft kostet Li) Pf.
zugs in dieser Richtung war. Bei den vorangegangenen Versuchen war es ihm nur darum zu tun, die von der verdünnten heißen Luft getragenen Kugeln emporsteigen und dann fliegen zu sehen. Dies- mal sollte ihve Tragfähigkeit geprüft werden, denn auch er wollte schließlich, wenn einmal die Klostormauern hinter ihm lägen, Ballons bauen, die ihn selbst über alle Berge trügen, auch wenn er irgendwo auf der Alb Landpfarrer geworden wäre. Dang erst recht I Von oben herunter wie ein Engel vom Himmel, gedachte er seinen Mitmenschen zu erklären, daß eine neue Zeit angebrochen sei und daß sie alle in Zukunft frei vom Erdenstaub durch die Lüfte fliegen könnten, wenn sie nur wollten. Jetzt setzte er sich auf einen der bresthaften Böcke und sah mit leuchtenden Augen, wie sich die Hülle langsam dehnte, als wäre es ein lebendiges Ding, wie hier eine Beule dort eine Falte der- schwand und das Ganze mehr und mehr eine hübsche kugelige Ge- stall annahm.... Von Zeit zu Zeit speiste er das Feuer unter dem Ballon mit ein paar Löffeln frischen Branntweins, das dann hoch aufflammte und den Ballon in leises Schwanken versetzte. Bereits hing den- selbe nicht mehr an dem ihn von oben haltenden Bindfäden, welcher ganz schlaff geworden war, sondern umgekehrt an den sechs Schnü- ren, die ihn mit dem belasteten Brett am Boden verbanden. Wie er fett geworden ist," dachte der junge Erfinder, letse lachend,und dabei sieht eS aus, als ob er atmete wie ein lebendes Wesen. Aber»das alles ist nur ein Anfang. Wenn ich einmal die Klostermouern hinter mir habe, sollen ganz andere Dinge gebaut werden. Was ich jetzt mit Müh und Not und in hundert Aengsten zusammenbringe, ist, was der berühmte Montgolfier längst vor mir gemacht hat. Schweben, vom Wind getragen werden, wohrn es dem Wind beliebt, das kann jede Feder, jeder Strohhalm, jedes Wölk- chen. Ohne Zweifel muß man von einem Ding wie ein Ballon getragen werden, dann aber gilt es zu fliegen, nicht wo der Wind, sondern wo der Wille hinweist. Das soll mein Ziel sein! Dann erst hat die Sache Bedeutung für die Menschen, die wollenden, freien I" Nun aber war es Zeit. Der Ballon schwebte; seine Hülle fühlte sich fast heiß an. Berblinger   stieg aus den Bock, auf dem er ge- sessen hatte, und schnitt den Bindfaden durch, dch schlapp von der Decke hing. Dann rückte er das Brett mit den Ziegelsteinen nach der Mitte des Chors. Der Ballon schwankte hin und her, wie wenn er sich von seinen Fesseln befreien wollie. Er schwebte nun mitten im Mondlicht, das durch die südlichen Chorfenster hereinfiel. Mattblau, aber groß und mutig brannte die Flamme, die ihm Leben gab. Es war herrlich und doch ein wenig grausig anzusehen. Der Junge zitterte jetzt ein wenig, und sein Herz schlug fast hörbar. Nun nahm er einen Backstein von dem Brett und jetzt den zweiten. Mit dem dritten hob sich der Ballon lautlos, langsam, feierlich mannshoch zweimal mannshoch. Berblinger   stand da, andächtig nach oben starrend, als ob ein Wunder vor ihm auf- stiege. Er vergaß nach dem Bindfaden zu greisen, an dem er ihn zurückziehen wollte. Das Ende der Schnur hing schon hoch über seinem Kopf, als ihm dies einfiel. Und nun, in mehr als halber Höhe des Chors, machte der Ballon eine seitliche Bewegung und zog. ohne anzustoßen, über di« Empore weg nach dem westlichen Schiff der Kirche. Bebend vor Aufregung lief Berblinger   unter der Empore durch trat die morsche Tür ein, die den Chor von dem Schiff trennte, und bemerkte empor- sehend, wie der Ballon plötzlich wieder zu steigen begann und sein blaues Flamm eben wie ein großes Irrlicht schon di« Sparren des Dachstuhls erhellte. Jetzt stieß er an und neigte sich, wie nach einem Ausweg suchend, bald nach links, bald nach rechts. Starr, mit dem Gefühl, daß er träume, sah dies Berblinger. Und jetzt ein jäher Schreck! stürzte blaues Feuer wie Wasser von oben herunter und droben schlug eine große rote Flamme in die Höhe, aus der Fetzen von Feuer nach allen Seiten herausschössen. Gleichzeitig wurden außerhalb der Kirche Stimmen laut: Feuer I Feuer!" Wütendes Rütteln am Hauptportal, dann dumpfe Schläge und das krachende Einbreiben eines Torflügels. Berblinger   sank auf die Knie, schloß die Augen und drückte sein Gesicht auf die Steinplatten. Di« ganze Welt schien ihm in Flammen zu stehen. Er wußte für den Augenblick nicht mehr, was er tat, noch was ihm geschah....
Cöuarö v. Kepserlkng. Der vor einigen Tagen gestorbene Eduard v. Keyserling  , dieser Kurländer, der den Schatz deutscher Dichtung um feingenreihelte Werte bereicherte, hat bis etwa zu seinem 45. LebcmSjahr« lite- rarisch nichts bedeutet. WvS er an Erzählendem und Dramatischem zunächst erscheinen ließ, hatte nicht die volle Eigenart dessen, was
seinen Ruf sichern konnte. Erst um 1900, wo er sich in München  n:ederli«ß, um ganz literarischem Schaffen zu leben, drang er entscheidend vorwärts. Er zog durch sein in München   und Berlin   hier von derFreien Bühne" aufgeführtes innig-zartes SchauspielFrühlingsopfer" die Aufmerksamkeit auf sich und hat seitdem ein gutes halbes Dutzend Romane und No- Vellen sammlungen sowie auch einige Dramen veröffentlicht. Das ist kein großes literarisches Gepäck, aber es wiegt. Es befindet sich in der kleinen Reihe seiner Schöpfungen ein« Anzahl unanfecht- barer Meisterstücke, so vor allen: die ErzählungenBeate und Ma« voile" undDumala  ". Ueberblickt man die dichterische Welt Keyserlings, so wirkt ihre Abgeschlossenheit seltsam und beinahe ergreisend. Vom Großstadt- und Künstlcrleben der Stadt, in der er sich niedergelassen hatte, spürt map m seinen Romanen kaum einen Hauch. Schauplatz und Gegenstand seines Schaffens war und blieb allein seine Heimat, blteben die Schlössor und Herreusitze des Baltenlandes. Vielleicht hat das schwere Augenleiden, mit dem der Dichter seit langem be- lastet war, dazu beigetragen, ihn ganz auf das innere Gesicht, auf? Erinnerungsbild zurückzudrängen. So ist es eine verhältnismäßig enge Welt, die Keyserling   Gestalten und Motive gellefert hat: der baltische Adel und alles, was sonst seine Schlösser und ihre Um- gebung bevölkert, bilden dos Personal seiner Erzählungen.Raffe" sind fein« Barone und Edelfrauen im höchsten Sinne des Wortes, Abkömmlinge und Hüter einer durch Jahrhunderte entwickelten und gepflegten Herrenkultur großen Stils. Obgleich in entlegene Winkel gebannt, sind sie doch nichts weniger als Provmzialeu. Die große Welt haben sie so oder so zumeist alle einmal gesehcn. Aber sie sind nicht mehr Mitspieler, sondern nur Zuschauer des Lebens. Sie verstehen alles, haben höchst differenziiertcs Empfinden, ge- klärte? Urteil, kühle Selbstkritik, seine Ironie aber sie sind zu- letzt lebensunmächtig. Das starke Leben sendet wohl einmal eine Welle zu ihnen hinein, der sie dann in der Regel nicht gewachsen sind. Sie fühlen ihre Uninacht auch selber, und es fallen feine Worte darüber. Einmal heißt es aus solchem Munde:Die draußen machen so prachtvoll viel Lärm, und zuweilen sieh da Hab ich«inen so wütenden Durst nach Lärm." Oder:Wir sind hier wie die Ausgeschiedenen, wie Gespenster  ... Wir alle gehen herum und suchen jemanden, für den wir wirklich sind, der uns unsere Wirklichkeit bestätigt." An einer anderen Stell« wird von den vornehmen, alten Adelsherren gesagt:Man sollte diese Leute, zum Tapezierer schicken." Im Grunde hat in all diesen Menschen, in ihrer Entsagung Keyserling   sich und sein Leben selbst geschildert. Auch er ist Nach- fahr, letzter eines Geschlechts. Alte Kultur hat sich bei ihm ganz in Künstlertum umgesetzt, in ein Künstlcrtum, dem begreiflicher- weis« ein starker Beisatz von Aestbetcntum nicht fehlen kau?. Aber soviel ist gewiß, daß es tiefste Wirkung ausübt. Alle Gestalten Keyserlings leben und bewegen sich, sind organische Gebilde. Ganz besonders meisterlich, ist Keyserling   in seinen Landschaftsschilde. rungän. Seine Sprache ist von einer gesammelten Bildhaftigkeit; wie er z. B. die Wiesen, Felder und Gärten auf dem gelben Sande seiner Heimatskmdschvst gezeichnet alseine verblaßte Stickerei auf einem blindgewordenen Goldgrunde". Diese Landschaften prägen sich in Linien und Farben unvergeßlich ein.
Nottzen. Altdeutsche Schwänke im Kleinen Theater. Die auf den 4. Oktober angesetzte Erstaustührung vonAlt-Nürn- berg" wird eingeleitet mit HanS Sachsens SckwSnienDer Krämers- korb" und.Da« Narrenschneiden". Auf dem Programm steht auch Hans RosenplütS. Den Beschluß macht der SchwankIm Wirtshaus zum teutschen Hof"..Spiel wie Frauen ein Kleinod aussetzten" und.Der Bauer mit dem Hasen' von Hans Folz  . Da? Porträt der Renaissaucezeit. Pau� Schübling beginnt im Sch'lleriaal, Charlottenburg  , heute Mittwoch, abend» 3V, Uhr, einen fünfstündigen VortragS-Zyklus mit Licht­bildern über:«Da» Porträt in der Kunst der italienischen Re- naissance". Abonnemenisheste 5 M., Einzelkarten 1,50 M. Standesämter für Rindvieh! In Süddeutsch« land gibt eS seil einiger Zeit Viehkataster, die im Volksmunde den bezeichnenden Namen.Standesämter für Rindvieh' bekommen baben. Durch diese.Standesämter" soll das sogenannte Schwarz- schlachten gehemmt werden. Wie nun ein Beauftragter des Kriegs- ernährungsamt» gelegentlich einer BezirkSpresiebeiprechung mitteilte. sollen diese.Standesämter" demnächst auch in Preußen eingeführt werdeu. Der Erfolg ihrer Tätigkeit bleibt abzuwarten.
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Lodz  .
Das gelobte Land. Roman von W. S t. R e y m o n t.- Max feuerte ihn noch besonders zur Arbeit an. Mit sichtlichem Vergnügen betätigte er sich an der Montierung der Maschinen und ging abends mit den Arbeitern in die Kneipe, verschlang unglaubliche Mengen Bier, schlief bloß ein paar Stunden täglich und hatte überhaupt alle seine Faulheiten vergessen. Seit der Rückkehr vom Lande hatte sich das Verhältnis zwischen ihm Und Vorowiecki etwas ab- gekühlt, weil die Fabrik beide völlig in Anspruch nahm, und dann auch wegen Borowieckis Bemerkung beim Abschied in Kurowo. Max konnte sie ihm nicht vergessen, vor allem deshalb. Werl   er setzt immer öfters an Anka dachte und sich immer mehr über die häufigen Besuche Borowieckis bei Müllers ärgerte. Er sah ein Doppelspiel darin, das seine einfache, gerade Natur tief verletzte. Es war schon gegen 12 Uhr, als Borowiecki die Fabrik verließ und in einen langen Garten trat, der sich rückwärts bis zur nächsten Straße hinzog, wo ein großes Parterrehaus stand. Auch dieses wurde in größter Eile von Grund auf umgebaut, ivcil in ein paar Wochen Anka und der alte Vorowiecki es beziehen sollten. Vorläufig lvohnte Vorowiecki hier, um in der Nähe der Fabrik zu sein. Als die schrillen Fabrikspfeifen zu Mittag riefen, hatte er sich schon umgezogen. Er las nochmals einen Brief von Lucy, die ihn im Helenower Park treffen wollte, an der Grotte, um vier Uhr nachmittags. Ich hab's schon satt," dachte er und zerriß den Brief in Feyen. Er hatte es wirklich satt. Die geheimen Zusammen- künfte, die täglich wo anders stattfanden, waren ihm zu- Wider, und die Ausbrüche ihrer Eifersucht, sogar ihre große Liebe langweilten ihn schoit. Sic war ihm eigentlich völlig gleichgültig und nahm nur seine für die Fabrik so kostbare Zeit in Anspruch. Er jetzt bei Baums, weil es in der?!äbe der Fabrik war. Heute ging er aber nicht wie gewöhnlich über den Garten und seine Bauplätze zu ihnen hin, sondern trat auf die Straße heraus, in der das Müllersche �Palais stand, der- langsarnte an dem Häuschen, das Müllers bewohnten, seine Schritte und blickte in die Fenster.
Er hatte sich nicht getäuscht. In einem Fenster er- schien Madas Gesicht, und gleich darauf trat sie selbst aus dem Hause. Gehen Sie schon zum Mittagesien?" rief sie fröhlich, ihre blauen Porzellanaugen zu ihm erhebend. Scbon. Haben Sie noch nicht gegessen?" er streckte ihr chie Hand entgegen. Noch nicht. Gleich geb' ich Ihnen die Hand, ich muß sie erst abwischen, üh war grab beim Kochen," rief sie lachend. Ist die Küche jetzt im Wohnzimmer?" bemerkte Boro- wiecki bösartig. Ich... ich... habe da aufgeräumt!" sagte sie leise, und eine tiefe Röte bedeckte ihr Gesicht, aus Angst, er hätte es merken können, daß sie auf ihn am Fenster des Wohn- zimnrers gewartet hatte. Er küßte ihr die Hand und wollte auch die andere er- greifen, sie trat aber plötzlich zurück und bedeckte die vor Erregung verdunkelten Augen mit ihren goldenen Wimpern. Karl lachte über ihre Verlegenheit. Sie lachen mich aus," flüsterte sie betrübt. Glauben Sie? Dann geh' ich gleich wieder." Kommen doch abends, mit Herrn Baum." Lächelnd blickte er sie an und ging zum Mittagesien. Vieles hatte sich seit dem Winter bei Baums verändert. Noch trauriger und trüber sah es bei ihnen aus. Die großen Pavillons standen vereinsamt in einer sclt- samen Stille des Absterbens. Kaum der vierte Teil der Arbeiter war noch beschäftigt. Aus dem einsamen, mit GraS bewachsenen Hof schleppten sich Hühner und alte Hunde herum, und aus den verstaubten und mit Spinnweben überzogenen Fenstern drang schläfrig murmelnd das eintönige, leise Knattern der Webstühle. Grabesstille und Verfall breiteten sich aus. Auch das Wohnhaus machte einen traurigen Eindruck. An der einen Seite war die Tünche abgefallen, die zur Veranda führenden Stiegen waren schief geworden und der- sanken in den Boden, und das Weinlaub, das die Veranda umrankte, war ohne ersichtlichen Grund gleich nach dem Grünen welk geworden und hing jetzt wie gelbe, beschmutzte Fetzen schlapp herunter. Die Zimmer im Wohnhaus lagen still da, voll muffigem Dunst und Einsamkeit. Das Kontor war fast leer, weil Baum alle Angestellten, außer Jusiu Jaskulski und einigen Frauen im Warenlager, entlassen hatte.
Die Fabrik roch nach Bankrott, und das ganze Haus war erfüllt vom Geruch verschiedener Medikamente, welche die seit mehreren Monaten kranke Frau Baum einnahm. Berta war mit den Kindern zu ihrem Mann gefckhren. Bloß Frau Auguste war dageblieben, mit ihren Katzen und der nie heilenden Geschwulst in dem umwickelten Gesicht. Der alte Baum verbrachte ganze Tage allein in seinem kleinen Kontor im ersten Stock, und Jusiu Jaskulski war noch verschüchterter wie gewöhnlich. Borowiecki ging direkt in das Zimmer, in dem Frau Baum lag, um einige Worte mit ihr zu wechseln. Sie saß aufrecht im Bett, von unzähligen Kisten um- geben, und starrte gedankenlos mit den leblosen, wie ver- schossenen Augen ins Fenster, hinter dem die Bäume hin und her schwankten. Den Strickstrumpf hielt sie in der Hand, strickte aber nicht und lächelte bloß, mit einem traurigen, herzzerreißenden Lächeln. Guten Tag," erwiderte sie leise zur Begrüßung..Ist Max da?" Noch nicht, er kommt aber gleich." Borowiecki erkundigte sich nach ihrer Gesundheit, wie sie heute geschlafen hätte, wie sie sich heute fühlte, und so weiter. Ihr Zustand durchdrang ihn mit einer seltsamen Zärtlichkeit und Rührung. »Gut, gut!" erwiderte sie und schleppte ihre Augen, gleich- sam aus einem langen Schlaf erwachend, langsam zu den Photographien der Enkel und Kinder auf den Wänden, dann folgten ihre Blicke dem Pendel der Uhr, dann versuchte sie zu stricken, der Strickstrumpf entglitt aber sofort den abgemagerten und krastlosen Händen. Gut, gut!" erwiderte sie gedankenlos. Sie achtete nicht auf Frau Auguste, die mehrmals durchs Zimmer schritt und ihr die Kisten richtete, auch nicht auf ihren Mann, der an das Bett trat und mit blutunterlaufenen Augen lange in das abgemagerte, fahlgelbe Gesicht blickte. Max!" flüsterte sie. und für einen Augenblick belebte sich das Leichengesicht, beim Schall der Schritte des Sohnes. Max trat ein und küßte ihr die Hand. Sie preßte seinen Kopf an ihre Brust und streickelte ihn. Aber als er zum Mittagessen weggegangen war, starrte sie wieder leblos ins Fenster, auf die Äkazienbäume. Die Mahlzeit wurde schnell und schweigend eingenommen. Alle bedrückte die im Hause herrschende Traurigkeit. Eotts. folgt.)