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fasserZ ärztlich festgestellt ist, in den Salons weiter vergöttert, so hat man kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß schließlich auch Jemand die Konsequenz zieht und durch die T h a t zeigt, da» er von allen hergebrachten moralischen Vorurtheilen gänzlich frei da- st e h t. Mögen die Bevölkerungsklassen, welche in dem Anarchismus ein zu bekämpsenves Uebel erblicken, den G e i st des An- archismus zunächst da bekämpfen, wo sie seiner am ehe st entzerr werden können, näm- l i ch in sich s e l b st." Ter Mörder Carnot's . Aus Lyon wird tele- graphirt: Die Auklagekammer beschloß die Verweisung Caserio's vor das Schwurgericht. Die Akten wurden sofort dem Präsidenten zugestellt. Wie man einem sehr interessanten Berichte desJournal des Debats ' aus Montpellier entnimmt, so scheint die gegen Caserio eingeleitete Untersuchung immer mehr darzulhun, daß Caserio alsEinsamer" lebte, plante und handelte, und daß er wohl gelegentliche Bekannte, aber keine Vertrauten hatte. Aus der Beurtheilung Caserio's durch Lombroso , den man, so wenig man auch mit seinen kriminalistischen Theorien einverstanden zu.sein braucht, wegen seiner großen Er- fahrungen als Irrenarzt doch als eine Autorität betrachten kann, entnehmen wir das folgende: Im Jahre 1848 wurde der Vater Caserio's von Organen der österreichischen Regierung unter dem falschen Verdachte des Grenzschmuggels verhastet und in die San Rocco-Kirche ge­sperrt. Er wurde mit dem Tode bedroht und stand dabei eine so große Angst aus, daß er von jenem Tage an häufig von epileptischen Anfällen gequält wurde. Er zeigte jedoch schon in seiner frühesten Jugend Anzeichen von Epilepsie, und dazu mag»ine hereditäre(erbliche) p e l l a g r ö s e Tendenz beigetragen haben, denn an der t o l l s ü ch t i g e n Pellagra litten zwei seiner Brüder, die heute noch in der Irrenanstalt von Mombello untergebracht sind. Die Pellagra hat stets in Motto Visconti gewüthel.... Das, was für die Wissenschaft von großer Wichtigkeit ist, ist die Epilepsie des Vaters. Inmitten einer vollkommen gesunden Familie, treibt diese Krankheit einen sonst friedfertigen jungen Burschen zu einer ungewöhnlich großen Heftigkeit, einen im allgemeinen apathischen und zu- iriedenen Menschen zu den furchtbarsten Ausschreitungen des Fanatismus. Und während der Bursche Nachts arbeitet, be- schäftigt er sich am Tage mit Zeilungslektüre und setzt seine Freiheit durch ein gewagtes Unternehmen, wie es die Ver- theilung von anarchistischen Flugschriften an die Soldaten ist. auf's Spiel. Ein ignoranter Mensch, der kaum lesen und schreiben kann, denkt an die Gründung eines Blattes, und end- lich bringt er es bis zur Ausführung eines fürchterlichen Ver- brechens, ohne sich weder vorher noch nachher aufzuregen, gleichsam als wäre er ein hartgesottener, an das Blutvergießen gewöhnter Mörder. Der Fanatismus, der durch die Epilepsie verstärkt wird, macht den Menschen eben blind und tollkühn. Mau thäte demnach gut, Caserio von ehrlichen Nerven- Lrzten untersuchen zu lassen, bevor man ihn vor Gericht stellt.- Die französischen Anarchistcngesetzker handeln durch- ans nicht in blinder Angst; sie wissen sehr gut, daß sie blos eine infame Komödie spielen, und daß ihre Knebelgesetze keinen Meuchelmord verhindern können. DerTemps" selbst, das Pariser Hauptorgan des herrschenden Kapitalismus, giebt zu, daß es vor allem daraus ankomme, eine ord en t- liche Polizei zu schaffen. Wir theilten seiner Zeit mit, daß Carnot's Erniordung die Folge einer beispiellosen Nachlässigkeit der französischen Polizei war, die recht- zeitig eine Warnung erhalten hatte. Allein, die Hauptsache ist: daß die französische Polizei durch die infame politische Rolle, die ihr unter der zweiten Republik noch mehr als unter dem Kaiserreich Napoleon's des Kleinen und unter früheren Regierungen zugewiesen ward, bis zur Unbrauchbar keit de- m o r a l i s i r t ist. Statt Verbrecher zu fangen, züchtete die Polizei Anarchisten, und statt Attentate zu verhüten, ließ sie, wie Herr Andrieux mit dürren Worten bekannt hat, Attentate anfertigen, um Stinmmng für reaktionäre Politik zu machen. Eine Polizei, die hunderte von anarchistischen Lockspitzeln bezahlt und eine förmliche Schule anarchistischer Attentate errichtet hat, ist selbstverständlich nicht in der Lage, die Geister, welche sie durch ihreLockspitzel" hatlocken" lassen, alle zu kontrolliren. Die auf der Schwelle des Irrenhauses stehenden Opfer sind schwer kauderwelschcm Deutsch, doch auch die Antisemiten zu bestrafen und schließt sein Machwerk mit dem Hinweis, daßzwiespältige Anwendung desselben Rechts das Vertrauen zu einer unparteiischen Rechtspflege erschüttern und dadurch den Boden ebne für Gesetzlosigkeit und Anarchie." Folgerichtig müßte der Doktor der Rechte Parmod sich selbst bei der Slaatsanwallschaft wegen Ver- Übung groben Unfugs, begangen durch seine Schrift, zur Anzeige bringen. Erbärmlich ist solch' elendes Denunziantengesindel. Ypsilon. Neun Wetterprognosen für die Monate Juli bis Dezember 1894 von Rudolf Falb . Verlag von Hugo Slemitz. Berlin . Preis 1 M. Häusig ist aus grnnd der thatsächlich beobachteten und fest- gestellten Wilterungsverhältnisse nachgewiesen, daß des ehe- maligen Gollesmannes Falb Wetterprophezeihungen eitel Dunst sind. Trotzdem wird das oben angezeigte Büchelchen weite Ber- breitung finden: die Klasse derer, die nicht alle werden, ist groß. Falb's.Prophezeihungen" sollen für ganz Europa uiöglicherweise für das Gebiet der gesammlen Erdoberfläche Geltung haben. Ihr Inhalt läßt sich etwa dahin zusammen- fassen:an denkritischen Tagen", die sich auf etwa ein Drittel des Jahres erstrecken, werden irgendwo Niederschläge oder Slürine bemerkbar werden; allerdings können diese bösen Tage sich um 23 Tag- versrühen oder verspäten." Fürwahr, da das Jahr nicht mehr als drei Drittel umsaßt. eine stets zutreffende Regel, insbesondere da Falb selbst jetzt zu der Erkeimtniß gelangt ist, dafi durch ihn die Wilterungssrage noch nicht vollständig gelost ist. Chroniken- schreibern. die Falb'sProphezeihungen" beweisen wollen, wird es nicht schwer werden darzulegen, daß mit sehr seltenen Aus- nahmen Schlachten noch nie an Tagen geliefert sind, an denen selbst oder 2 3 Tage früher oder später es nicht irgendwo ans dem Erdball geregnet, geschneit, gehagelt, geblitzt oder gestürmt hätte. Daß eine Verlagsbuchhan dtung solchen Schund wie die Falb'schen Wetterprophezeihungen für eine Mark ausmeten kann, zeigt wie tief die Gedankenlosigkeit bei der bürgerlichen Klaffe verbreitet ist. Der gute Schäfer Thomas machte es billiger und sicherlich nicht schlechter. Erfreulich'st, daß die astrouomische und meteorologische Wissenschast fast«üihellig Humbug Falb- scheu Schlages verurtheilt. zu überwachen, und die Polizei mußte mit der Herrschaft über die gerufenen Geister auch den Ueberblick über dieselben verlieren. Thatsache ist: die französische Polizei weiß nicht mehr was Lockspitzel und was gläubiger Attentats- zögling ist die tausende vonAnarchisten"-Verhaftungen, die sie seit Anfang dieses Jahres vornahm, beweisen, daß sie völlig im Blinden herumtappte. Das Lockspitzelthum, dem wir die Attentats-Epidemie verdanken, hat die französische Polizei als Sicherheits- polizei total aufgelöst und aus Rand und Band gebracht. Und unsere Genossen in der französischen Kammer haben deshalb ganz Recht, wenn sie die strenge Bestrafung aller Polizeibehörden verlangen, die L o ck s p i tz e l de- s ch ä s t i g e n. Ohne die Lockspitzel keine Vaillants und keine Caserios. Und, wie wir schon vor Monaten sagten: wenn einmal die Brotherren und Gönner der Jhring-Mahlow, Ponrbaix, Ravachol und Konsorten im Zuchthaus sitzen, dann werden wir bald von anarchistischen Attentaten verschont sein. Aber der Anarchismus und die Attentate gehören nun einmal zum Regierungs-Apparat der kapitalistischen Gesellschaft. Tic groste Redeschlacht um dieverbrecherischen Gesetze" hat vorgestern begonnen. Unser Freund Vaillant giebt in derPetite Republique" den Rath, die Debatten in die Länge zu ziehen. Wenn die Gesetze nicht binnen eines Monats beschlossen und fertig seien, werde Niemand, selbst kein Minister mehr, den Muth haben, diese Monstra- sitäten zu befürworten. Das mag wahr sein. Aber das ist auch den Urhebern derMonstrositäten" ein Grund, sie möglichst rasch durchzudrücken. Und es ist bezeichnend, daß unter den 19 Rednern, die sich gemeldet haben, nicht einer f ü r die Vorlage ist. Die Casimir-Perier -Leute schämen sich ihrer schmutzigen Arbeit, sie wollen nicht reden, aber sie werden st i m m e n. Und mitverzehrendem Eifer". Jede der drei bisherigen Abstimmungen über die Behandlung der Frage hat eine größere Mehrheit für dieverbrecherischen Gesetze" ergeben. Die Mehrheit hat die Generaldebatte scholl gewaltsam abgeschnitten, und heute sängt bereits die Einzelberathung an, zu der allerdings vierzig Ab- änderungsanträge vorliegen. Neues sozialistisches Blatt i« Belgien . Vom 20. August an erscheint in G e n t ein ausschließlich der Propaganda unter der ländlichen Bevölkerung gewidmetes Blatt in vlämischer Sprache und betitelt:Land b o u w e r'(der Bauer). Bravo . Die politische Aktion in Holland . Unser holländischer Korrespondent schreibt uns: Es ist eine erfreuliche Nachricht, die ich den Lesern des Vonvärts" zu melden habe. Wie bekannt, war die holländische Arbeiterpartei, durch die Schwenkungen ihres bisherigen Führers Domela Nieuwenhuis , über den Weg irre geworden. Welche Folgen diese Unsicherheil der weniger gebildeten Genossen, die Gleichgiltigkeit der offiziellen Partei während der letzte» Wahlbewegung, auf die Propaganda gehabt haben mnß, wird man leicht berechnen können. Am klarsten stellt sich das heraus in der im Norden Hollands liegenden Pro- vinz Groningen , wo die Versammlungen der sozialistischen, resp. anarchistischen Führer, beinahe überhaupt nicht mehr besucht werden. Als ich dieses schon einmal imVorwärts" voraussagte, schimpfteRecht v o o r Alle»" in der gewohnten Art und Weise, nannte mich Lügner u. s. w., allein, jetzt geht das nicht länger, denn das Organ LeqtjesDe Arbeider" ist diesmal die sickere Quelle, aus der ich schöpfe. Zwar macht das Blatt gute Miene zum schlechten Spiel, indem es behauptet, es freue sich über diese Erscheinung, weil daraus die geistige Selbst- ständigkeit der Arbeiter hervorgehe, aber gerade diese Trostworte, die, nebenbei bemerkt, einen bitteren Beigeschmack haben, bilden einen Beleg für meine Behaupiung. Im Zentrum des Landes, von Utrecht aus, wo die Bevölkerung am tiefsten unter dem ökonomischen Joche seufzt, und verdummt durch Schnaps und Priestermacht, sich ihrer Lage durchaus nicht bewußt ist, ist um so mehr PropagPida gemacht worden. Deutlich wird dies erwiesen durch die große Verbreitung des sozial- demokratischen OrgansDe Baanbrekcr". das erst vor einem halben Jahre gegründet wurde, und jetzt allein in der Stadl Utrecht einen Leserkreis hat, der so groß ist, wie der des Recht voor Allen" im ganzen Lande. Dieses Blatt vertritt ertschlossen die parlamentarische Taktik nnd führt überall den Kampf gegen die verderbliche, entnervende Taktik des ossiziellen Organs. Auch andere Arbeiterorgane, D e W o ch t e rD e V o l k s- vruend",De Bolkstribune" und dieser TageD e Bryheid" haben sich jetzt auf Seiten des Parlamentarismus gescklagcn. Von den gegnerischen Blättern hat bis setzt nur der oben erwähnteDe Arbeider" den Muth gehabt, sein« Meinung zu dokumentiren, indem die Redaktion den zweiten Namen: sozialistische Zeitung" umänderte infrei kommunistisches Organ". Die Nebel der Verwirrung heben sich also, und deutlich sieht man jetzt die beiden Armeen, welche die Festung des Kapitalismus bedrohen. Tie sozialdemokratische Armee, welche eben anfängt sich zu organisiren, und die anarchistische?lrmee, welche in schönster Unordnung einherzieht, und deren Soldaten ihre Knüppel an der starken Mauer der Zwingburg vergebens zersplittern. Die Sozialdemokraten organisiren sich. Die erste That war das Wahlrechtnieeting in Deventer ; die zweite That war eine Zusammenkunft einiger bewährter Ge- nassen in Utrecht , wo unter anderem die Frage der Presse behandelt ivurde. Mißverständnisse, die bedauerlicherweise bis jetzt die Genossen noch am geschlossenen Vorwärtsschreiten hin- dertcn, wurden weggeräumt. Das WochenblattDe N i e u w e T y d" ist eingegangen. DerSozialdemokraat" wird jetzt das Zcntralorgan der Sozialdemokraten. Alle hervorragenden Parteigenossen sind Mitarbeiter. Aber die Organisation der iniernationalen Sozialdemokratie in Holland wird eifrig vorbereitet, und inzwischen sind die Genossen, die in ei»eni Friesischen Gemeinderathe die Majorität haben, eifrig bemüht, in ihrer Gemeinde bessere Zustände zu schaffen und auf diese Weise Propaganda zu machen. Sie haben schon bewirkt, daß in den Subinisfionsausschreiben der Gemeinde Minimallöhne und eine Maxinialarbeitszeit als Bedingungen auf- genommen worden sind. Die Gemeiiidesteuern sind auf die trag- fähigen Schultern abgewälzt, der Unterricht ist für die Kinder der Armen unentgeltlich geworden; die Löhne der Gemeinde- beamlen sind verbessert worden. Durch die freisinnige Auffassung der Unsrigen in Sachen der Freiheit der Lehrer außerhalb der Schule ist die Gemeinde ein Zufluchtsort für gemaßregelte Lehrer geworden. Die Armenverwallung ist in bessere Hände gekommen. Wenn also die Regierung auch eingreifendere Besserungen, die unsere Genoffen einführen wollten, unmöglich gemacht hat, so ist die Thätigkeit der Sozialdemokraten im Opsterlandschen Ge- nieinderatb dennoch derarl, daß sie unserer Propaganda zu gute kommt. Wenn dann die lange ersehnte Wahlrechtsausdehnung kommt, wird«ine kampfbereite Arbeiterpartei sie nicht ver- schmähen. Italienische Kolonialfrenden. Nach einer Meldung derAgenzia Stefani' aus Massauah haben die italienischen Kolonialtruppeu unter dem Oberbefehl des Generals Baratieri am 17. Juni nach heftigem Kampfe die Stadt Kassala erobert. DieserErfolg" wird die Italiener über das Elend der inneren Politik nicht trösten. Der Lockspitzel Baron von Ungern-Sternberg soll nun wirklich von der serbischen Polizei verhastet worden sein. Die in Brüssel erscheinendeGazette" meldet, die Staatsanwaltschaft von Lüttich habe eine offizielle Depesche aus Serbien erhalten, welche die Verhaftung des angeblichen russischen Barons von Ungern-Sternberg in Alexinatz be- stätige. Wir wollen abwarten, ob diese Nachricht sich auch bewahrheitet. Die Sittlichkeitsvereine sehen ihre Aufgabe in der Hebung der Sittlichkeit der arbeitenden Klasse. Daß in anderen Kreisen das Feld für ihre Wirksamkeit größer wäre, beweisen die folgenden Notizen. In dem von der französischen Akademie preisgekrönten Werke K. Waliszewski : Liö Roman d'une Imperatrice(Der Roman einer Kaiserin) finden sich folgende Zahlenangaben über die Kosten der außerehelichen Liebe der Kaiserin Katharina II. von Rußland: Die Ziffern sind festgestellt, und sie sprechen ihre eigene Sprache. Nie hat Gott Amor über ein solches Budget verfügt, auch in Versailles nickt: Die Orlows bekamen 17 Millionen Rubel, Wisotski 300 OVO, Wassiltschikow 1110 000, Potemkin 50 Millionen! Ferner Zavadowski 1330 000 Rubel. Soritsch 1 420 000, Korsakow 920 000, Lanskoi, der Viel- geliebte, dessen Tod die Zarin schmerzlich beweinte, 7 260 000 Rubel die theuersten Thränen der Welt Yermolow dafür. daß er sie trocknete: 550 000 Rubel, Mamonow 880 000, die Brüder Subow endlich, welche den Reigen schließen, 3 500 000 Rubel. Zu diesen Summen, unter denen man nur Ge- schenke zu verstehen hat, kommen noch 8>/2 Millionen für die Verpflegung der Günstlinge, gar nicht zu sprechen von den Hundcrlrausenden vonSeelen", die auf diese Weise an den jeweiligen Mann des Tages verschleudert wurden. Rechnet man beiläufig zusammen, so erhält man eine Gesammtsumme von ca. 350 Millionen Mark, die in baarem Gelde unter Katharina's vierunddreißigjähriger Regierung für das National-Jnstitut des Favorilismus verbraucht wurde. Trotzdem war die Kaiserin Katharina eifrig für die Wahrung der Sittlichkeit an ihrem Hofe und in ihrem Reiche besorgt. Niemand durfte es wagen, in ihrer Gegenwart auch nur die leiseste Zote zu äußern, streng sah sie darauf, daß ihre Beamten sich in keiner Weise unsittlichem Lebenswandel hingaben, die Franzosen wollte sie einmal aus ihrem Reiche ausweisen lassen, weil diese nach ihrer Meinung die Unsittlichkeit unter den Russen verbreiten. Der Gegensatz zwischen dem privaten Lebenswandel und der offiziellen Sittlichkeit ist auch schon bei anderen Herrschern der Vergangenheit und Gegenwart konstatirt worden. Hierzu ein Bild aus der Gegenwart. Einer Korre- spondenz derVossischen Ztg." aus Konstantinopel entnehmen wir das folgende Nachspiel zu einer Liebesepisode aus dem Leben des König Milan's: Milan hatte mit der Frau des serbischen Diplomaten Christitsch schon vor Jahren ein intimes Verhältniß unter- halten. Dieses wurde von Milan auch dann noch einige Zeit fortgesetzt, als sich Christitsch von seiner Frau scheiden ließ. Die frühere Frau Chriftitsck, eine Tochter des kaiserlich türkischen Architekten Joannides Effendi, lebt seitdem hier. AlS nun ber serbische Exkönig vor einigen Jahren hier weilte und das Ver- hältniß wieder anknüpfte, blieb dies nicht ohne Folgen. Die Geliebte Milan's wurde Mutter eineS Knaben. Dieses Ereigniß führte zwischen ihr und ihm zu einer regen Korrespondenz: Frau Ariemista Joannides kam auf diese Weise m den Besitz von elf Briefen, in denen sich Milan als den Vater des Kindes bekannte und ihr eine größere Abfertigung man spricht von 500 000 Fr. versprach. Während der Anwesenheit des jungen Königs in der türkischen Hauptstadt war nun der in seiner Begleitung befindliche Bauten- minister General Zdrawkowitfch mit der Erledigung der An- pelegenheit: der Zurückerlangung der Briefe gegen eine Ab- fertigung beauftragt. Diese Schritte führten anfänglich zu keinem Erfolg, trotzdem man türkischerseits auf die Familie der Frau einen starken Druck ausübte. Bei den Verhandlungen ist es sogar zwischen dem kaiserlichen Kammerherrn Raghib Bcy und dem Bruder der Frau Artemisia zu einer sehr dramatischen Szene gekommen. Schließlich mußte aber die Familie dem energischen türkischen Drängen nachgeben; die Frau erhielt für ihr Kind 8000 Pfd. und gab acht Briefe zurück. Für die fehlen- den drei Briefe, die sie leugnet empfangen zu haben, mußte sie ein Papier unterzeichnen, rn dem sie erklärt, daß, falls noch Briefe gefunden werden sollten, diese null und nichtig sind und weder sie noch ihre Familie davon irgend welchen Gebrauch inachen würden. Daß man ein solches Verfahren im bürgerlichen Leben Erpressung nennt, ist ebenso sicher, wie daß dies dem Rufe des Königs Milan nicht mehr schaden kann.- Der Staatsbankrott Griechenlands ist ein ganz vollkommener. Die Delegirten der Gläubiger haben Athen nach fruchtlos geführten Verhandlungen verlassen. Besten- falls erhalten die Gläubiger ca. 42 pCt. der geliehenen Summen. Griechenland hat sich durch seine Militäraus- gaben und seine äußere Politik diese seine Kräfte über» steigende Schuldenlast aufgehalst. Mit den Gläubigern baben wir kein Mitleid.(Siehe auch unsere NotizDaS Kapital flüchtet ins Ausland".) Aus Amerika wird telegraphirt: Chicago . 19. Juli. Infolge der günstigeren Gestaltung der Lage sind alle Bundestruppen aus der Stadt zurückgezogen, ebenso sind alle Milizen im Staate Illinois entlassen worden mit Ausnahme von 3000 Mann in Chicago . Des Weiteren wird gemeldet, die Armee der Vereinigten Staaten , die allerdings sehr klein ist 36 000 Mann soll in Folge der jüngsten Ereignisse vermehrt werden. Die alte Dumniheit, wenn der Dampfkeffel überheizt ist« Gewichte drauf zu legen. Die Zollreform in den Vereinigten Staaten , durch die eine Abschwächung der hoch- schntzzöllnerischen Mac Kinley- Bill angebahnt werden soll, zieht sich infolge des Widerstandes der Interessenten, die es an Beeinflussung der öffentlichen Meinung ebenso wenig wie an Bestechungen fehlen lassen, sehr in die Länge. Die Beschlüsse der Repräsentantenkammer und des Senats sind nicht gleichlautend ausgefallen, was die Verabschiedung des Gesetzes unmöglich macht. In der am Mittwoch gemeinschaftlichen Kommisston des Repräsentantenhauses nnd des Senats wurde eine Ver- ständigung über die Tarifvorlage auch nicht erreicht. Haupldiffereuzpunkte find die Zölle für Zucker und Eisen- erze. Der englisch - japanische Konflikt scheint doch nicht so drohend zu sein, wie es nach den gestrigen Depeschen