Nr. 320a. 35. Jahrg.
Bezugspreis:
Bierteljabr. 5,40 m monatl. 1,80 1. fret ins paus, borauszahlbar. Einzelne Nummern 10 Biennig. Boftbezug: Monatuch vom Boftichalter abzuholen 1,80 mt, bom Briefträger ins Haus ge bracht 1,94 t Unter Kreuzband für Deutschland und Desterreich- Ungarn 4, Rt. für das übrige Ausland 5,50 2. monatlich. Beriand ins Feld bei direfter Beitellung monatl. 2.- L Boitbestellungen nehmen an Däne. mari, bolland Luxemburg , Schweden und die Schweiz . Eingetragen in die
Boft- Reitungs- Breisliste.
Erfchemt täglich.
Vorwärts
Berliner Volksblatt.
10 Pfennig
Anzeigenpreis:
Die fiebengespaltene Rolonelzelle foftet 80 Bfg. leine Anzeigen", das fettgedruckte Bort 30 Big( zufäffig 2 fettgedruckte Borte), jedes weitere Bort 15 Blg. Stehengefuche und Schlafftellenanzeigen bas erite Wort 20 Big.. jedes weitere Bort 10 Big 28orte über 15 Buchitaben zählen für zmei Borte Teuerungszuschlag 30% Familien- Anzeigen, bolitifche una gemertschaftliche Bereins Anzeigen 70 Bfg die Zeile. Anzeigen für die nachite Nummer müssen bis 5 ht nachmittags im Hauptgeschäft Berlin SW.68, Lindenstraße 3, ab regeben werden. Geöffnet von 8 thr früh bis 7 Uhr abends.
Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3. Fernivrecher: Amt Morisblas, Nr. 151 90-151 97.
Donnerstag, den 21. November 1918.
Expedition: SW. 68, Lindenstraße 3. Werniprecher: Amt Morinplan, Nr. 15190-15197.
Als der Zug über Brandenburger Tor und Linden" die Echloßinfel erreicht hatte und die Zeichentvagen an dem ehemaligen Staiserschloß vorüberfuhren, wurden sie nach soldatischem Brauch mit Gewehrfalven begrüßt.
Acht Tote werden beerdigt. Acht Tote in einer Zeit, auf den ersten Stunden des Vormittags sah man die langen Reihen be hörden, der Gemeindebehörden, der Partei- und die das Sterben Tausender kaum noch Eindruck macht. Die der Arbeiter, die nach Betrieben gesondert waren, durch die Stadt Gewerkschaftsorganisationen. Nerben haben sich abgestumpft. Vier Jahre lang haben wir ziehen. Lange bor Beginn der Feier war das Tempelhofer Feld Dann kamen die Leichenwagen, proletarisch schlichte Rollwagen, es Tag für Tag erlebt, daß tausend der frischesten und blühend- von unübersehbaren Menschenmassen bevölfert und von allen Bu- mit rotem Tuch umhüllt, jeder von vier stämmigen Arbeitspferden ften Söhne auf den Schlachtfeldern niedersanten. Wir haben gangsstraßen strömten immer neue Tausende zu. Die Straßen- gezogen. Jeder Wagen trug mehrere der blumengeschmückten den Tod bei uns zu Hause Einkehr halten sehen, wie saben bahnen waren überfüllt, aber der Verkehr, dessen Ordnung von Särge. Die vielen Hunderttausende, die auf dem langen Wege Säuglinge an mangelnder Nahrung, Alte an Entfräftung Golbaten aufrechterhalten wurde, ging ungehemmt, ja mit einer vom Tempelhofer Feld bis zum Friedrichshain die Straßen fäumund junge Menschenfinder an der heimtückischen Grippe in Reibungslosigkeit vonstatten, die sich die Blauen des alten Regimes ten, entblößten überall bei der Ankunft der Särge das Haupt. Massen sterben. Was war uns der Lod? zum Muster nehmen konnten. Belebend glänzte das leuchtende Aber min werden acht Menschen begraben und Hundert Rot der Fahnen, Armbinden und Abzeichen in den grauen Notausende geben ihnen ein feierliches Geleite. Hunderttausende bembertag. Von einfacher starter Schönheit war das Holzgerüft, opfern ihren Feiertag, um diesen Acht die legte Ehre zu er- bas der Architekt Taut auf der Mitte des Tempelhofer Feldes wefen. Alle Blumenläden der größten deutschen Stadt errichtet hatte. Auf dem schwarzen Unterbau erhoben sich Wände Hinter ben Särgen unb ben nächsten Angehörigen ber Toten müssen ihren Inhalt bis zum legten hergeben, um die Gruft des Oberbaus in fattem Rot, gegen die fich das Schwarz der Särge marschierte aine Ghrenfompagnie, geftellt von den Matrosen. Ihr dieser Acht bergehoch mit Kränzen zu überhäufen. abhob. folgten die Arbeiter der Betriebe, boran die der Firma Echwarh Wer waren diese Acht? Waren cs Fürsten, Schlachten- Weihevolle länge des Posaunenbläsertorps leiteten die Feier fopff, die Mitglieber der sozialdemokratischen Organisationen. JahlTenter, große Stadtsmänner, Gelehrte, Künstler? Nichts ein. Als erste sprachen Richard Müller und Brutus reiche rote Fahnen und Banner wurden in dem endlosen Zuge ge von alledem. Hier sind ihre Namen, einfach und schlicht, wie wollenbuhr namens des Vollzugsrates der Arbeiter und tragen. Er hatte in seiner vollen Ausdehnung eine Länge von fie selber waren: Gastwirt Richard Glate, Werkzeugmacher Soldatenräte kurze herzliche Worte des Abschieds und Gedenkens. ettva zwei Wegstunden. Drei Stunden dauerte es von Erich Haberjaat, Arbeiterin Charlotte Nagel, Gasarbeiter Wir wollen nicht lagen, fagte Müller, sondern dafür sorgen, daß seinem Abmarsch bis zur Ankunft seiner Spiße im Friedrichshain . Otto Mai, Straftwagenführer Walter Kaminski, Soldat Karl das erhalten bleibt, was die Toten uns erkämpft haben. Für Thiel, Kraftfahrer Spengler, ein unbekannter Matrose. Acht die Soldaten gelobte Molfenbuhr: Wir haben unser Deutschland Proletarier, die fast niemand gefannt hat außerhalb des beschützt gegen jeden feindlichen Eingriff von außen und von innen. fleinen Kreises, in dem sie lebten und wirkten. Für die Republik werden wir alle Opfer bringen.
Aber diese Acht sind für die Freiheit gestorben. Das hebt ihre Namen himmelan und schafft ihnen ein Begräbnis, deffen Glanz ein Raiser vielleicht sich vergeblich gewünscht hat. In unserer von Individualismus gesättigten Zeit werden wir einmal wieder daran erinnert, daß es ein größeres Ideal für das Volk gibt, als für sich ein großes Genie zu werden. Das ist: treu und schlicht und bis zum Tode der größten Sache zu dienen.
Die Sache adelt. Sie adelt das dürftige Proletarierdasein, auch wenn ihm aller Glanz und Schmuck des Lebens fehlte. Ele adelt den Mangel an Bildung, an Wissen und Kultur reichtum, den ein hartes Los dem Menschen auferlegte, dessen Miege in einer Proletarierwohnung stand.
In diesen Toten ehrt das Proletariat sich selber. Denn es gleicht ihnen. Es hat in harter, geduldiger, aufopfernder und begeisterter Arbeit im Dienste der höchsten Sache aus fich als ångem gemacht, was der einzelne nicht werden fonnte: eine Kulturmacht von höchstem Werte, den vorwärtstreibenden Motor der Weltgeschichte, die Kraft im Dasein der Bölfer, die auf das Künftige und Höhere, auf die besseren und bollkommeneren Lebensformen zuftrebt.
Es ist etwas lingebeures. Dieselben Menschen, denen das Geschick am wenigsten auf den Weg gab, denen die Güter der Kultur am färglichsten zugemessen wurden, fie organisieren sich zu der Bewegung, die den höchsten Stulturwert innerhalb der Menschheit vorstellt, sie geben als Gemeinschaft der Menschheit den Frieden und die Frei heit.
Das war im Bewußtsein der Hunderttausend lebendig. die am Mittwoch die Beerdigung von acht Toten durch ihre Teilnahme zu einem weltgeschichtlichen Ereignis machten. Das war das Band, das sie mit den Toten verknüpfte: der Stolz auf eine gemeinschaftlich vollbrachte Kulturtat von ungeheurer Tragweite.
Diese Kulturtat aber gibt dem Volfe auch das Recht zu herrschen und zu führen. Es ist in diesen Tagen von feiten der gestürzten Mächte oft gefragt worden, mit welchem Rechte denn die Revolution alte Einrichtungen bei feite schiebe, das Bergangene für vergangen und begraben und das Neue für lebendig erkläre.
-
Darauf sprach namens der Reichsleitung Volksbeauftragter ugo Haafe. Er erinnerte an die 70 Jahre der Enttäuschung und Unterdrückung, die seit 1848 verfloffen sind. Unsere Toten vom 9. November rufen uns zu, was Freiligrath im Juli 1848 die Toten an die Lebenden sprechen ließ:
-
O, steht gerüstet! Seid bereit, o schaffet, daß die Erde, Darin wir liegen straff und starr, ganz eine freie werde! Daß fürder der Gedanke nicht uns stören tann im Schlafe, Gie waren frei, doch wieber jetzt und ewig!- find fie Glaven! Die Revolution ist noch nicht zu Ende. Nicht nur die politische, sondern die soziale Freiheit ist zu erkämpfen. Wir geloben, die politische Umwälzung zu einer sozialen auszubauen, bis das Glüd der Menschheit erreicht ist.
Anf dem Friedhof der Märzgefallenen.
Der stille Friedhof der Märzgefallenen ist für die Aufnahme der Opfer des November feierlich vorbereitet. Nahe dem Gingang hat man ihnen die Gruft gerüstet. An hohen, schwarz umflorten Masten wehen rote Banner und schwarze Wimpel.
Alle Straßen und Wege, die zum Begräbnisplatz führen, find von einer nach Zehntausenden zählenden Menschenmenge besetzt. Ordner und Soldaten halten die Fahrstraße frei. Der Friedhof bietet wenig Raum. Nur ein engbegrenzter Personenkreis wird eingelaffen: Angehörige der Gefallenen, einige Krangträger. Auch die türkische Kolonie in Berlin hat als Zeichen ihrer Sympathie mit der deutschen Revolution einen Krang gefandt. Eine sechshundert Köpfe starke Abteilung des Arbeiterfängerbundes, mit ihrem Banner an der Spike stellt sich längs der Gräbereihe auf.- Oberbürgermeister Wermuth und Bürgermeister Reide, begleitet von mehreren Stadträten, erscheinen als Bertretung des Berliner Magistrats. Ihnen folgen Vertreter der StadtverordnetenNamens der Preußischen Regierung sprach Boltsbeauftragter bersammlung. Baul Sirsch: In tiefem Schmerz, aber voll froher Hoffnung Stunden vergeben. Die Ankunft des Juges wird erwartet. stehen wir an der Bahre der Toten. Schmerzerfüllt darüber, daß- Um 3 Uhr hört man in der Ferne Mufit. Näher und näher sie den Aufstieg des Boltes nicht mehr mit eigenen Augen erbliden kommen die Klänge. Die alte Weise: Ich hatt' einen Kameraden" tönnen, hoffnungsfreudig in der bestimmten Zuversicht, daß die Klingt berüber. Tat der Freiheit, die so herrlich zu sprießen begonnen hat, in nie da. Die Krangträger Tommen. Ihre Reihe scheint, endlos. gewesener Blüte aufgehen wird. Für die Sache des Voltes habt Außerhalb des Friedhofes, am Rande des Weges, legen sie die mit Ihr Toten Euer Leben eingesetzt, Worte reichen nicht aus, Euch den roten Schleifen gezierten Stränge nieder. Zu einem langen und Dant abzustatten. Durch Taten werden wir beweisen, daß wir dichten Wall häufen sich die nach vielen Hunderten zählenden KransGurer wert sind. Deutschland hat seit dem 9. November sein aus. Spenden. sehen verändert. Gestürzt sind die früheren Machthaber, die durch Inzwischen hat sich der tnappe Raum des Friedhofes dicht ihre verbrecherische Politit die Menschheit ins Glend gestürzt haben, gefüllt: Mitglieder der republikanischen Behörden, Abteilungen der das Bolt hat seine Retten gesprengt, die Freiheit marschiert. Bu Matrosen und des Alexanderregiments find erschienen. diesen Umwälzungen habt ihr Toben, beseelt von einem Jdealismus, Um 8 Uhr wird der erste Sarg hereingetragen. für den Ihr in den Tod gegangen seid, mit den Grund gelegt. Ale Alle Häupter entblößen sich. Der Sängerchor grüßt die Toten Bertreter der Breußischen Regierung gelobe ich: Wozu Ihr Toten mit dem Liede unsterblichfeit". Glodengeläut ballt von allen den Grund gelegt habt, das werden wir weiter ausbauen. Die Kirchtürmen ringsum.- Kraftboll- ernste Klänge eines PosaunenIdeale, für die ihr in den Zob gegangen feib, werden wir ber- chors ertönen. Giner nach dem anderen werden die ad Särge wirklichen. Die neue Freiheit werden wir so fest verankern, daß in die Gruft gesenkt. teine Macht imftande ist, fie uns zu rauben.
Blickt auf die Hunderttausende, die gestern den Särgen von acht Proletariern folgten, blidt auf die Hunderttausende, Bug sezte sich in Bewegung. welche die Straßen umjäumten und das Haupt vor ihnen entblößten: da liegt unser Recht! Unfer Recht ist das Bewußtsein, eins zu fein mit dem großen Volfswillen, mit dem Fühlen und Streben der namenlosen großen Masse die aus ihrer dunklen Eristenz dem Volfe und der Welt das Licht gebracht hat.
Der Weg zum Friedrichshain . Berlin huldigte den Kämpfern der Revolution! Bu einer undgebung, so machtvoll und gewaltig, wie die Reichshauptstadt nie zuvor sie fah, hatte das werftätige Boff sich gerüstet.
Barth, Mitglieb der Reichsregierung, nimmt das Mari: Bulegt sprach Sturt Rosenfeld als Boltsbeauftragter von Freunde, Genossen, ihr habt getan, was notwendig war, um das Berlin . Much er fnüpfte an 1848 an. Damals galt es nur die elenbe System zu stürzen, das uns den schauderhaften Strieg politische, heute gilt es die soziale Freiheit. Trok des größeren gebracht hat. Ihr habt nicht gezaubert, nicht gezagt. Ihr waret Biels ist diesmal viel weniger Blut geflossen als 1848. Wenn wir euch bewußt, daß das, was ihr tatet, nur mit dem Siege oder diesmal am Schloß borbeiziehen, wird fein Hohenzoller sich vor den mit dem Tode enden kann. Ihr alle waret erfüllt von dem GeToten verneigen, wie es Friedrich Wilhelm 1848 tat. Dafür weht danken: Siegen oder sterben! Gurer Tätigkeit ist es zu über dem Schloß die rote Fahne und der Kaiser ist verjagt. danken, daß durch so wenige Blutopfer das scheinbar so festgefügte, Die Särge wurden auf drei Wagen gehoben; der ungeheure unerschütterliche Gebäude des preußischen Militarismus gestürzt ist. Ich weiß aus berufenem Munde, daß es die Angst vor den Tausenben bewaffneter Arbeiter war, was die Polizei und das Militärtommando veranlaßte, die Waffen zu streden und uns das Feld zu räumen. Ihr, die ihr hier in den Gräbern ruht, seid feigen Mördern, die aus dem Hinterhalt geschossen haben, zum Opfer gefallen. Nicht Tränen wollen wir um euch weinen, jonViele Hunderttausende füllten die Straßen, durch die der dern rühmend wollen mir euer gedenken. Grfüllt bon Leichenzug seinen Weg nehmen sollte. An den Häusern sah man dem Gedanken, der euch befeelt hat, find wir be nichts von dem prunkenden Schmud, den wir es war einmal reit, das Werk, das ihr begonnen habt, au vollenden: von höfifchen Festen und Feiern tennen. Aber die auf Halbmast Eine wirkliche soziale Republit, wo es feine Gefnechteten, gehißten roten Fahnen vieler Gebäude zeigten, daß heute das keine Unterdrüdten, feine Hungernden mehr gibt. Wir geloben hier Bolt die im Freiheitstampf Gefallenen zu Grabe geleitete. an eurem Grabe: Wir werden versuchen, das Werk, das wir begonMusikflänge, die flagenden Afforde, eines Trauermarsches, nen haben, friedlich zu vollenden. Wir schwören aber: Wenn fünbeten, das Serannahen des Buges and Feierliche Stille legte sich eine Gegen revolution erheben sollte, um unsere Gtfich über die Menge, die in den Straßen wartend ihm entgegen- rungenschaften zunichte zu machen, wir jeden solchen Versuch bis zirm fab. Eine Ehrentompagnie, bom Alegander- Regiment lebten Blutstropfen und bis gum lebten temauge befämpfen und gestellt, eröffnete ihn. Hinter den Gelbgrauen, ben Mitfämpfern alle zur Teilnahme an diesem Stampf aufrufen werben. Hier au Die gestrige Bestattung der Revolutionsopfer gestaltete sich zu der Stevolution, schritten die unabsehbaren Meihen der Strang diesem Grabe geloben wir: Wir werden teine Liftatur ausüben. einer Demonstration, die an Ausdehnung und Wucht alle deputationen. Wie ein Meer von Not flutete es vorüber. Es Wenn aber von der Gegenseite versucht werden sollte, eine Diktatur früheren Massenaufgebote in den Schatten stellte. Schon in folgten die Vertreter der Reichsbehörden, der Lanbes aufzurichten, dann werden wir rüdsichtslos dagegen vorgehen.
Die acht Toten des 9. November hat das Volk vor allen anderen geehrt, selbst vor den größten und besten Einzelmenschen, die je unter uns gelebt haben. Es hat sie geehrt um der Sache willen, für die fie gestorben sind. Das gibt uns das Recht, nein, das zwingt uns zu der Pflicht, diese Sache durchzuführen und den Willen der Toten zu vollstrecken, es fofte, mas es wolle.
Das ist der Sinn, das ist die Bedeutung des gèstrigen Tages. Die Feier auf dem Tempelhofer Feld.
-
-