Hr.t ♦ ZH. Jahrgang
1. Heilage des Vorwärts
Mittwoch, 1. Januar 191 y
Neues?<chr. Neue, Jahr, du sollst un» bringen Friedeusfrohes Talgelingeu, llnsrem Wirken ein Erspriehen, Jedem Freude und Genietzen, Sollst nach blutigem Bekriegen Hand in Hand die Völker fügen! Neues Jahr, an deiner Fülle Wachse, wachse unser Wille!
Groß-Serlw Neüaktions- Silvester. Während draußen alles, was Geld hat, sich rüstet, um die Gilvesterfeier mit mehr oder weniger Stimmung zu begehen, die Restaurants und Caf�s die Menge der Vergnügungs- suchenden kaum zu fassen vermögen, mit Konfetti, Punsch- und Kaffee-Ersatz, Musik und Tanz das alte Jahr verob- schiedet wird, ist hier in der Redaktion ebenfalls Hochbetrieb. Ununterbrochen klingelt das Telephon. Von der Redak- tion zur Setzerei, vom Moschinensaal, der Druckerei und der Expedition. Anfragen. Auskünfte und Rat verlangt man per Telephon. Mord und Totschlag. Feuer, Einbruch, DiÄ> stahl und Liebestragödien werden gemeldet. Dazu die vielen Be- richte von auswärts: Kongresse und Versammlungen. In un- unterbrochener Folge werden sie an die zuständigen Stellen tveitergegeben. Ein Rufen und Fragen. Dazwischen das Re- daktionstelephon. Der Botenmeister schimpft. Boten laufen mit Zeitungen und Manuskripten hin und her, Telegramm- boten, Berichterstatter, Radfahrer und Soldaten, ein unauf- hörliches Kommen und Gehen. Die Rohrpostanlage wirst mit Gepolter ihre Sendungen in den Fangkorb. Es summt und surrt. Immer weiter geht der Zeiger der Uhr, immer fieber- hafter wird gearbeitet. Dieser und jener Artikel soll noch untergebracht werden. Der Metteur klagt bereits über Raum- mangel und der Chestedakteur kaut nervös an seinem Feder- Halter. Um 11 Uhr streiten sich zwei in einer Kneipe, wer der erste Berliner Polizeipräsident war. Der„Vorwärts" muß es wissen. Auch ihm wird Auskunft. Und immer weiter klingest das Telephon. Die Manuskripte wandern in die Setzerei, dann zur Korrektur und zurück zur Redastion, um nochmals geprüft zu werden. Dann abermals zur Setzerei, dann zur Stereotypie und von dort in die Druckerei. Inzwischen werden im Erd- geschoß die Rotati onsmafchinen für den Druck vorbereitet. Ballen auf Ballen Papier werden herangerollt und mittels Fahrstuhl und Kran an Ort und Stelle befördert. Und noch immer wird in der Redaktion fieberhaft gearbeitet. Während draußen die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht und die übriggebliebenen Glocken das neue IFahr einläuten, werden noch Streiks aus.Hamburg ,.Krawalle in Posen und Ober- schlesien und Putsche in München gemeldet und untergebracht. Bereits fahren die ersten Wagen auf den Hof, um die festigen Zeistcngen zu holen. Schon setzen sich die stesigen Rotationsrnaschinen in Bewegung. Das ganz« Haus dröbnt und zsttest, es stirrt und rattert. Und wieder eine halbe Stunde später verläßt der erste Wagen, vollgepackt mit Zei- tungen, den Hof. In der Redastion kennt man keinen Herligabend und keinen Silvester._ Sprengung der U. S. P. i« Neukölln. Di« Neuköllner USP-Gruppe hielt am gestrigen Abend in der Unionsbrouerei eine Mitaliederversanunlung ab, in der die Spol- tung, die sich heute im Kongreste des Spartakusbundeö vollzogen hat. lediglich bestätigt wurde. Di« Versannnlung stellte in der Hauptsache eine Auseinandersetzung zwischen Barth, der in Vcr- tretung von Haase erschienen war, und Liebknecht dar.
Barth spielte die unglückliche Rolle deS Angeklagten vor seinen eigenen Genossen. Er verteidigte die RegierimgSpolitik, die er getrieben hat, vor den Spartakussen, die hiervon nichts wissen wollten. Sckvn seinen Eintritt in die Regierung mußte er wie eine Todsünde gegenüber dem Staatsanwalt Liebknecht ver- teidigen. Er verurteilte scharf die D e m o n st r a t i ö n ch e n deS Spartakusbundes und verlangte Taten durch neue Revolutionierung der Masten. Nack» seinen Wünschen müsse die neue Revolution gegen die Scheidemänner in kürzcster Frist estvlgen. Bezüglich der Sozialisierung verurteilte er die wilden Pläne des Spartakus- bundes. Rosa Luxemburg möchte ihm einmal vor- tragen, wie sie sich die lofortige Sozialisierung vorstelle, da würde er drei Tag« und Nächte, ohne einen Bissen zu sich zu nehmen, zuhören wollen. Liebknecht diskreditiere nur die Sache deS Proletariats durch seine wilden Hetzereien. Wenn man vor der Kommandantur für Putsche agitiere, erzeuge man nur ein Blutbad. Liebknecht behauptete, daß es ihm schwer falle, gegen Barth zu polimisieren, da er sachlich überhaupt nichts gesagt hätte. In Wahrheit sagte er aber in seiner Rede selbst herzlich wenig, sondern erging sich in der ihm eigenen Art in den wildesten Anschuldigungen gegen die Regierung und besonders gegen die früheren, der USPD angehörenden Mitglieder derselben. Barth habe ja nur reaktionär« Arbeit geleistet und kenne das ABC des SozialisterungSprogramms überhaupt nicht. Seine Demonstrationen seien keine Demon- stratiönchen gewesen, sondern Hunderttauscirde(!!) hätten demon- striert. Er uud seine Spartakusbrüder wollen nichts mehr mit der USPD zu tun haben, die sich ja doch nur noch der Scheidemänner würdig zeige. Daher habe sich der Spartakusbund auf seiner Reichs konferenz losgelöst und als Kommunistische Partei Deutschlands konstituiert. Die Spalwng ist daber eine vollzogene Datsache, möge man sie auch noch in der nachher eingebrachten Entschließung verschleiern wollen. Di« wilde Stiinmung, die Liebknechts Rede auslöste, zeigte sich in aller Klarheit in der folgenden Aussprache. Di« Erregung in der Versammlung war schließlich derart, daß man sogar Barth an die Luft setzen wollte. Nach diesem Verlauf dürste fortan auch für Neukölln ein Zu- sammcngehen der USP mit den Spartakisten nicht mehr zu er- warten sein. Schade, sie haben den Unabhängigen zuweilen ganz gute Dienste geleistet; wir erinnern nur an die SprengungS- manöver in den letzten von uns einberufenen Beamtenversanun- langen. Auf solche Maulhelden müssen nun die Unabhängigen verzichten_ Streik im GastwirtSgewerve. Der Verband der GastwirtSgehilsen gibt bekannt: In einer Anzahl von Kaffeehausbetrieben und Weinrestaurants konnten die bestehenden Differenzen nickt beigelegt werden. Sämtliche Ange- stellten sind deshalb in den Streik getreten. Der Anlaß dazu war. daß mehrmalige Verhandlungen wegen Zahlung fester Löhn« durch das geringe Entgegenkommen der Unternehmer scheiterten. Tie Unternehmer lehnten«s strikte ab, feste Löhne einzuführen. Di« im GastwirStgewerbe Beschäftigten, daS ist allgemein be- kamst, haben in bezug<nif fest« Lahne schon immer hinter allen Berufen zurückgestander,. Auch die jetzt gestellten Forderungen sind den Zeitverhältnisten entsprechend minimal. Wir bedauern daher, daß die Botriebsinhaber nicht mehr Entgegenkommen ge- zeigt haben. Die Unternehmer sind durch die guten Verdienste während des kkrieges wohl in der Lage, die Forderung— Einführung fester Löhne— zu bewilligen. Es ist deshalb auch schwer verständlich, daß es die Unternehmer zu Störungen der Betriebe kommen liehen. i Alle gegenseitigen Mitteilungen in t>er Presse, welche dieser Tag« erschienen, sind unrichtig und entsprechen nicht den tatsäch- lichen Verhältnissen und Vorgängen. Wir zweifeln nickt daran, daß die Sympathien der Bevölkerung auf Seite der GastwirtSge- Hilfen stehen werden. Nevolntionäre Zeitenwende. Wer sich der Bedeutung gerode dieser Zeitenwende bewußt ist, wer klar sieht, daß die Würfel über das künftige Geschick des deui- fchen Vaterlandes in wenigen Tagen fallen werden, der höre, was heute die sozialdemokratischen Redner in 6 großen Versammlungen zu sagen haben. Näheres ist aus dem Anzeigenteil zu ersehen.
! Stunde, eine Zersplitterung kann nur zur Schwächung führen. Der ! Werbeousschuß für Beamte der Sozialdemokratischen Partei bittet ' daher dringend, bei allen die Beamtenschaft interessierenden Fragen ! sich vorher mit ihm in Verbindung zu setzen, damit die Einheitlich- i keit des Vorgehens gewährleistet ist. Adresse: PropagondaauSschuß ! der Sozialdemokra t i schen Partei(Werbeäussckuß für Beamte», ! Lindenstr. 114 fMpl. 10380). Die nächste Sitzung der BertranenS Personen findet statt am Donnerstag, den 2. Januar, nachmittags 5% Uhr, im Jugendheim, Lindenstr..ür- Beim Eintritt Mitgliedsbuch vorzeigen! Mne Berfammlunn ehemaliger KriegSgesaugrner findet Areita«, de» ZI. Januar , in Reinhardts Festsälen, Berlin , Hasenhewe S7. Nähe Kaiscr- Friedrich-Platz, statt. Ein BaUSkonzert veranstaltet der PrnpagandaauSschuß der Sozialdemokrat! schen Partei Groß-Berlin heute am Neujahrstage, vormittags 11 Uhr, im Palasttheater am Zoo. Zur Ausführung ge» langt durch das Blüthnerorchester(Dirigent Dr. Schern- Pflug) Beethovens v. S infonie. Eingeleitet wird dir Ver- anstaltung mit der Leonorenouvertüre von Beethove« und durch eine Festansprache des Reichstageabgeordneten H e i n r i ch S ch u l z. Einlaßkarten i 2 M. sind am Saaleingang noch zu haben. WilmerSdvrf-Halense«. Di« Wählerlisten zur Nationalve»'- samnilung liegen heute, NeujahrStag, sowie Sonntag, den 5. Januar, genau wie an Wochentagen von&--3 Uhr vormittags und von S— 7 Uhr nachmittags im Wahlbureau, Gasteinerstr. 11, aus. Versäume niemand die Einsichtnahme zwecks Sicherung seines Wahlrechts. W 2. Januar 1919 wird dep„SZotwärtS" den A&otntettte* t* Halensee toieder durch Boten zugestellt. Bestellungen nimmt der Genosse Kemper, Georg-Wilhelm-Str. 22, entgegen. Spandaiu Ein Streik der Sicherheitsmannschafte« brach gestern wegen Löhnungsdifferenzen ans. In der ganzen Stadt wurden sämtliche Posten verlassen und mußten durch andere Mann- schasten der hier garnisonierenden Regimenter besetzt werden. Groß-Berliner Lebensmittel. Friedrichsfekde. Em« neue Zuckerkundenliste wird ausgelegt. Tie Fa. Millen und Einzelpersonen weiten ersucht, in der Zeit vom SO. Dezember bis S. Januar bei den Händlern ihrer Wahl unter Vorlegung der Zucker- karten die Eintragung zu bewirken. Spätere Anmeldungen können bei der nächste« Ausgabe nicht berücksichtigt werden. Reinickendorf . Auf Abschnitt 87 150 Gramm los« Suppe« fi? Vf.), auf Abschnitt 25 für Jugeirdliche 100 Gramm Grieß(10 Pfst Anmeldung bei Kleinhändlern und amtlichen Verkaufsstellen bis einschließlich 5. Die Kundenlisten zum Bezug« von Zucker verlieren am Sl. d. MtS. ihre Gültigkeit. Die Reueintragungen haben vom 2. bis einschließlich S. zu erfolgen. Bei der Anmeldung sind die Zuckerkarten vorzulege». Zur nachträglichen Emiragung t» die Kundenverzeichnisse find auch diejenigen Verbraucher zugelassen, die ohne ihr Verschulden, Abwesenheit. Krankheit usw. nicht in der Lage waren, sich rechtzeitig eintragen zu lasse». Diese nachträglichen Eintragungen haben ans Grund besonderer von der Brot- komniission auSzusertigender Bescheinigung zu erfolgen.
Grieß und Graupe«. Aus Abschnitt 88 der allgemeinen Lebensmittelkarte der Stadt Berlin entfallen 100 Gramm Graupen. auf Abschnitt 89 100 Gramm Grieß. Die Abschnitte sind vom 1. bis 6. in den KleinhandslSgefchästen abzugeben. Staats- und Gemeindrbeamte! In der augenblicklichen Zeit ist eine Zusammenfassung aller vorhandenen Kräfte das Gebot der
Grosi-Serline? parteinachrichten. 17. Abteilung, Stralauer Tor. Am Donnerstag, den 2., findet i« der Turnhalle der Schule H o h e n l» h e st r. 11 eine Mitgliederversammlung statt.(Näheres siehe im Inserat.) Ausnahme von Ritgliedern w der Ver- sammlung. Petersburger viertel. Für dt« IS. Abteilung findet am Donnerstag, den 2., abends 8 Uhr, bei Kühn,.Schreinerstr. 58, ein Extrazahlabend statt. Zu der 19. Abteilung gehören sämtliche Straßenzüge Mich der Liebig. Itraße zwischen Frankfurter Allee, Viehhos und Ringbahn. Eharlottenburg. Wählerlisten einsehen! Auskunst über alle Wahl- angelegeilheiten erteilt unser ständiges Wahlbureau, Sesenheimer Str. 29, gegenüber dem Opernhaufe. Geöffnet täglich 9—7 Uhr. Charlottenburger Wahlverein. Die Parteigenossen tteffen fich am Freitag, den 8., nachmittags 5 Uhr, zur Flugblattverbreitung. Steglitz . Die Wählerliften liege« aus im Raihause, Zimmer Ar. 18, von morgens 814 bis 7 Uhr abends; am ReujahrStag und am Sonntag, den 5. Jamiar von lllt bis 1 Uhr mittag«. Treptow -Baumschulenweg. Freitag, den 8. Januar, abends 7 Uhr. im Spreegarten Treptow öffentliche Versammlung. Tagesordnung! 1. Die Wahlen zur Nationalversammlung. Referent: Franz Krüger . 2. Freie Aussprache. Johannisthal . Generalversammlung KeS Wahlvereins im Restaurant Bürgergarten lJnh. Schmielgeitj am Donnerstag, den 2. Januar, abends 7ib Uhr. Tagesordnung: 1. Vortrag über Verhältniswahl und Rattonal- Versammlung. 2. Neuwahl des Vorstandes. 8. Vereins angelegenhetten und Verschiedenes. Cipenick. Freitag, den 3. Januar, abendS 7Va Uhr, im.Etadttheaier' (großer Saal) Versammlung. Tagesordnung: 1. Aufnahme neuer Mit- glieder. 2. die Wahlen zur Nationalversammlung. 8. Bericht der Stadt- verordneten-Frafion über die Burgermeist erwähl.«. Allgemeines. Die Bezirksleitung.
i] Das Aloroengrauen. Von Henri Barbusse . EfirZ der Bilder, die den Weltkrieg am erschütterndsten dargestellt haben, verdanken wir Henri Barbusse , dem Re- dakteur deg„Populaire". Sein Buch ,,DaS Feuer' hat sich den Wey durch gang Europa erobert. Barbusse zeichnete darin die Ertfobnisse seiner Korporalschast aus. Di« Zensur Vrvfslgte dies Buch der Wahrheit mit strengsten Verboten. Uns«? Versuch, ein Stück daraus abzudrucken, scheiterte. Heute geben wir den Schlußabschnitt und machen-darauf aufmerksam, daß jetzt in dem Bändchen„Früblicht' vom Züricher Verlag Rascher u. Co. drei wichtige Abschnitte des Wertes auch ge- sondert veröffentlicht worden sind. An der Stelle, an der wir niedergesunken waren, er» warten wir den Tagesanbruch. Er kommt ganz allmählich, eisig und düster, und fließt finster über die fahle Ebene. Es regnet nicht mehr. Der Himmel hat allen Regen her- gegeben. Die bleifarbne Ebene taucht mit ihren blinden Wasserspiegeln nicht nur aus der Nacht, fondern scheinbar aus einem Meer hervor. Halb eingenickt, halb schlafend, öffnen wir dann und wann die Augen, um sie wieder zu schließen: wir sind ge- lähmt, entkräftet und erstarrt. So erleben wir die unglanb- liche Wiedergeburt des Lichtes. Wo sind die Schützengräben? Man sieht Seen und zwischen den Seen milchige Streifen stehenden Wassers. Es hat noch mehr Wasser, als man glaubte. Das Wasser hat alles aufgesogen: es hat alles überschwemmt und die nächtliche Propbezeihung der Leute ist in Erfüllung gegan- gen: es hat keine Schützengräben mehr; sie sind in jenen Kanälen untergegangen, die man dort sieht. Das Schlachtfeld schläft nicht, es ist tot. In der Ferne dauert das Leben viel- leichf fort, aber so weit sieht man von hier aus nicht. Ich richte mich mühsam halb auf, um mir die Gegend anzusehen, und schwanke wie ein Kranker. Mein Mantel er- drückt mich mit seiner ungeheuren Last. Neben mir liegen drei unförmige Gestalten. Die eine ist Paradis: ein unge-
Welch eine Stille! Eine gewaltige Stille. Nicht ein Geräusch: nur dann und wann hört man inmitten der gcister- Haft gelähmten Welt eine Erdscholle ins Wasser fallen. Nie- mand schießt... Kein Geschoß, es würde ja doch nicht Platzen. Keine Kugel, denn die Menschen... Die Menschen, wo sind die Menschen? Allmählich sieht man sie. Nicht weit von uns liegen welche auf der Erde und schlafen. Der Kot bedeckt sie von oben bis unten: es sind beinahe nur noch Gegenstände. Etwas weiter sehe ich andre Soldaten; sie sind in sich zusammengesunken und fleben wie Schnecken an dem runden Hügel, den das Wasser halb aufgesogen hat. Es ist eine unbewegliche Reihe roher Klumpen, die wie Hansen neben- einander liegen, von Kot und Wasser triefend und sie haben die gleiche Farbe wie die Erde, zu der sie gehören. Ich raffe mich auf und unterbreche das Schweigen und sage zu Paradis, der nach derselben Richtung blickt: — Sind sie tot? — Gleich wollen wir sehn, antwortet er leise. Aber bleiben wir noch ein bißchen hier. Nachher werden wir den Mut finden Hinzugehn. Wir schauen uns beide an und wenden unsre Blicke auf die, die sich bis hierher geschleppt haben und hier nieder- gefallen sind. Die Gesichter find so müde, daß es keine Ge- sichter mehr sind: nur etwas Schmutziges. Verwischtes sind Zersckundenes.'mit blutigen Augen oben im Kopf. Wir haben seit Anfang schon nach allem Möglichen ausgesehn und den- noch erkennen wir uns jetzt nicht mebr. Paradis dreht den Kopf und schaut anderswo hin. Plötzlich sehe ich, wie ihn ein Zittern packt. Er streckt die Kotkruste seines ungeheuren Armes aus: — Dort.... dort..., ruft er aus. Auf dem Wasser, das in einem besonders-zerhackten lmd ausgehöhlten Gelände auS dem Schützengraben fließt, schwim- men runde Massen wie FelSriffe. Wir schleppen uns dorthin. ES sind Ertrunkene. Ihre Köpfe und ihre Arme stecken ini Wasser. Man sieht ihre Rücken mit dem Lederzeug durch die Oberfläche der kal
wöhnlicher Kotpanzer bedeckt ihn und sein Gurt ist an der kigen Flüssigkeit durchschimmern, und ihre Waffenröcke aus Stelle, wo die Patronentaschen hängen, aufgebläht. Er �blauem Tuch sind aufgeblasen; die Füße sitzen schief an den richtet fich ebenfalls auf. Die andern schlafen regungslos, l aufgeblähten Beinen wie an den schwarzen,«nförmisen
Beinen von Lederpuppen. Auf einem eingesunkenen Schädel stehen die Haare senkrecht im Wasser wie Seegräser. Hier schwimmt ein Gesicht obenauf: der Kopf hängt am Ufer fest und der Leib verschwindet im frühen Grab. Das Gesicht ist gegen den Himmel gekehrt. Die Augen sind nur noch zwei weiße Löcher, der Mund ein schwarzes Loch. Die gelbe, auf- geblasene Haut dieser Maske ist weich und gefaltet wie kalter Teig. Es sind die im. Schlamm erstickten Wachtposten. Die steile Böschung der Grube war schlüpfrig, das Wasser stieg, und die Anstrengung herauszukommen, zog die Leute mir noch tiefer hinein,— langsam und rettungslos. Sie starben angeklammert am Ufer der Erde, die ihnen entwischte. Dort liegen unsre ersten Linien und auch die deutsche vorderste Linie, über beide die gleiche Stille, beide unter Wasser. Wir gehen bis zn jenen aufgeweichten Trümmern über das Gelände, das gestern noch eine Gegend deS Schreckens war, über den furchtbaren Zwischenraum, an dessen Schwelle der kolossale Ansturm unserer letzten Attacke stehen blieb, über das Gelände, über welches seit anderthalb Jahren die Kugeln und die Geschosse ohne Unterlaß den Raum durchfurcht hatte« und wo sich in diesen Togen ihr wagrechter Platzregen über die Erde hin wütend kreuzte, von einem Horizont zum andern.- Jetzt ist es ein übernatürliches Feld der Ruhe. Ueberall liegen fleckenartig schlafende Wesen: andere bewegen sich leise, heben einen Arm oder den Kopf und denken wieder ans Leben oder liegen gerade im Sterben. Der feindliche Graben stürzt, kotüberladen, vollends i« Schöße wogender Hügel und sumpfiger Trichter in sich zu- sammen; dort zieht sich der Graben durch Lachen und W«sser- gruben. Stellenweise bewegt sich sein Ufer, bröckelt ab und wirft die noch überbänqenden Ränder ab. An einer Stelle kann man sich darüberbeugen. In diesem unglaublichen Kotgelände sieht man keine Leiche. Aber dort ragt, schrecklicher als ein Leichnam anzu- sehen, starr ,und einsam, nackt und bleich wie ein Stein, ei« Arm aus dem Loch einer verworrenen, feuchten Wand. Der Mann wurde in seinem Unterstand verschüttet und konnte nur noch seinen Arm ausstrecken. (Forts, folgt.)