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2. Beilage zum Vorwärts" Berliner Volksblatt.

Nr. 173.

10 nolaida

Sonnabend, den 28. Juli 1894.

Arbeiter! Parteigenossen!

11. Jahrg.

Die Einigungsversuche vor dem Gewerbegerichte find an dem Widerstande des Bier- Ringes gescheitert. Der barbarische Aft des kapitalistischen Uebermuths, die unerhörte Maßregelung der völlig schuldlosen Brauereiarbeiter ist nicht zurückgenommen worden. Die Berliner Arbeiterschaft hat den Bierproken die einzig mögliche Antwort ertheilt.

In zweiunddreißig großen Volksversammlungen ist der Bierboykott auf sämmtliche Ringbranereien ausgedehnt worden.

Arbeiter! Parteigenossen! Eure Ehrenpflicht ist es, nicht zu dulden, daß Hunderte von Klaffengenossen der Unternehmer- Willkür zum Opfer fallen, daß der Brauerring in brutalster Weise seine ökonomische Macht mißbraucht. Zum Kampfe gedrängt wird die Arbeiterschaft Berlins ihre gerechte Sache mit aller Energie führen und mit rücksichtsloser Entschlossenheit diejenigen Mittel anwenden, welche den Sieg verbürgen. Arbeiter! Parteigenossen! Sorgt dafür, daß nirgends Ringbier getrunken wird. In keinem Hause, in keiner Werkstatt, bei keinem Ausfluge darf ein Tropfen Boykottbier getrunken werden. Alle Feste und Vergnügungen in Lokalen, in denen Ringbier geschänkt wird, sind zu unterlassen; alle etwa bereits getroffenen Verabredungen rück. gängig zu machen. Den Gastwirthen muß klar gemacht werden, daß sie zu wählen haben zwischen der Kundschaft der Arbeiter und der Gunst der Bierproßen. Wir wollen jede Schädigung der Gastwirthe vermeiden, indem wir dieselben auffordern, sich Bier aus boykottfreien Berliner oder auswärtigen Brauereien anzuschaffen, dann werden die Arbeiter nach wie vor bei ihnen verkehren.

Weder Maßregelungen noch Saalsperre schrecken uns; wir kennen keine Furcht und wissen, daß an der Solidarität der Arbeiter das Unterfangen des Brauerrings scheitern wird. Mit unbeugsamer Entschlossenheit halten wir den

Boykott über fämmtliche Ringbrauereien

so lange aufrecht, bis unsere gerechten Forderungen erfüllt sind.

Arbeiter Berlins , thut Eure Pflicht, meidet das Ringbier und die Lokale, in denen Euch Boykottbier vorgesetzt wird.

Und auch Ihr, Arbeiter und Parteigenossen in Deutschland , helft uns, indem Ihr kein Bier aus den boykottirten Brauereien Verlins trinkt. Der Boykott, dessen Ende nicht abzusehen, ist den Berliner Arbeitern durch einen Akt unerhörter Brutalität aufgezwungen. Wir appelliren an das Ehrgefüh aller klassenbewußten Arbeiter und wissen, daß ihre Solidarität sich stärker erweisen wird als die Zufallseinigkeit des dividendenlüsternen Unternehmerthums.

Vorwärts, Arbeiter und Parteigenossen! Trinkt kein Boykottbier! Meidet die Lokale in denen Ringbier aus­geschänkt wird! Kauft kein Flaschenbier, welches aus Ringbrauereien stammt. Lehteres empfehlen wir besonders den Frauen zur Beachtung.

Hoch die Solidarität der Arbeiter!

Boykottfreies Bier liefern:

Brauerei Carlsberg , Friedrich Reichenkron, Char­ lottenburg .

Brauerei Wilhelmshöhe, E. Lehmann, Berlin . Brauerei Pichelsdorf, Direktor Hoffmann. Münchener Brauhaus, Aktien- Gesellschaft, Berlin . Süddeutsche Brauerei, Karl Kinz u. Ko., Berlin . Brauerei Müggelschlößchen, Friedrichshagen . Nordstern Brauerei, Berlin . Brauerei in Wusterhausen .

Die Boykottkommiffion.

von vornherein eine Ansteckungsgefahr in fich schließt. Schon Markus str. 25, Portal I im Keller, Kloset in der Werk. das eigene Interesse sollte die herrschenden Klassen veranlassen, stelle der Kistenfabrit von Spiegelhauer. Dasselbe, höchst für eine gute Lebensweise der Arbeiter zu sorgen, da Epidemien unsauber, wird im Jahr nur einmal gereinigt. In Ermangelung ja auch vor den Thoren der Reichen nicht Halt machen. Die einer Thür ist es der Länge nach mit Brettern vernagelt, von Arbeiter aber müssen daran erinnert werden, daß sie solche Schäden denen eins ausgelassen wurde, so daß sich gerade eine Person überall und unnachsichtlich zur Aufdeckung zu bringen haben im hindurch zwängen fann. Wenn Frauen und Kinder Spähne Interesse ihrer selbst, ihrer Angehörigen und ihrer Arbeitsbrüder. bolen, müssen sie Zeugen der dort sich vollziehenden Verrich Fruchtstr. 31. Das Haus ist im ganzen sehr verwahrloft. tungen sein. Höfe unsauber gehalten. Sämmtliche Kellerwohnungen Diedenhofen er str. 10, Seitenflügel 2 Tr. rechts. Die Wände haben Löcher, in den Dielen bis zu 50 Quadrat- Zentimeter. der Schlafftube waren im Winter sehr naß, weshalb der Wirth welche theils mit Brettern oder Gisenblech zugedeckt sind, theils eine Bretterwand an der Giebelseite ziehen ließ. Lettere wurde durch Steine ausgefüllt und durch darüber gestellte Körbe ver- mit einer Flüssigkeit( Theer?) bestrichen, welche nach furzer Zeit Exportbrauerei Rathenow, Niederlage bei Max Denn deckt sind. An die Küche der einen Wohnung grenzt ein auf dem bereits erhebliche Kopfschmerzen verursacht. Die Bewohner leiden hardt, N.W. , Hannoversche Straße 18a. Hose liegendes Pissoir, dessen Jauche bei Verstopfung des Ab- sehr darunter; der Mann liegt wegen Nervenerkrankung im Bürgerliches Brauhaus, Dresden . flußrohres durch die Wand in die Küche fließt und in etel- Krankenhause. erregender Weise den Fußboden überschwemmt. Quergebäude Schloßbrauerei, Fürstenwalde . Bürgerliches Brauhaus( in Firma Müller), Frank. 4 Treppen rechts haben die Wände der Wohnung Risse, die mit Lehm und Gips ausgeschmiert sind. In der Küche ist am furt a. D. Gustav Spiekermann, Weberstraße 66, Niederlage des eitungshahn ein zwei Fauft großes Loch, so daß die Leute das Gustav Spiekermann, Weberstraße 66, Niederlage des Herausfallen des Hahnes befürchten. In der Stube läuft bei Bürgerlichen Brauhauses Luckenwalde. Regenwetter das Wasser am rechten Fenster herunter, so daß Phönig- Brauerei, C. Radon, Lichterfelde . stets die Gardinen abgenommen werden müssen. Die Antwort Brauerei Jagdschlöschen , Eberswalde . Niederlage des 5 Häuser befizenden Wirthes auf die mannigfachen Be­Edm. Nenter, Swinemünderstr. 45. schwerden der Miether lautet: Gemacht wird nichts, er ließe Brauerei Tivoli, Strausberg . Niederlage Stabernack, schon so wie so zu viel machen. Mühlenstraße.

Arbeiter- Sanitäts- Kommiſsion.

Engel Ufer 15. Auf dem Hofe 4 Klosets, zwei davon für ca. 30 Arbeiter, alle ohne Wasserspülung und sehr unsauber, Grubensysteme.

Brunnenstr. 112, Seitenflügel, Keller links. Stube naß, Unerbittlich stellt sich Jahr für Jahr die Cholera wieder die Tapeten hängen in Seßen herunter, der Ofen besitzt feine ein. Der irrt aber, welcher meint, daß die Rücksicht auf die Thür. Die Wände sind mit Schimmel belegt. In der Küche Choleragefahr unfere maßgebenden Kreise veranlassen würde, eine soll bei hoher Temperatur das Wasser die Wand hinunterlaufen. allen Ansprüchen der Hygiene genügende Instandhaltung der Der Miether ist am 1. Juni d. J. eingezogen. Die Benutzung Klosets und Bedürfnißanstalten herbeizuführen. Welche Zustände der Wohnung soll im vergangenen Winter dem vorigen Miether noch immer auf diesem Gebiete herrschen, davon giebt unser von der Baupolizer, weil unbewohnbar, verboten worden sein. heutiger Bericht wieder einige Proben. Nicht genug, daß der der Eigenthümer ließ sich jedoch nicht dadurch beirren, die Arbeiter in ungefunden Wohnungen und Arbeitsräumen den Wohnung wieder zu vermiethen, ohne daß an derselben etwas größter Theil seines Lebens verbringt, daß er durch unzureichende gemacht worden ist. und durch den Zwang der Verhältnisse oft recht unzweckmäßige Prinzessinnen str. 21: Auf dem Hofe befinden sich für 60 in Ernährung den Krankheitsteimen den Nährboden liefert, nein der Gürtlerei und Drückerei von E. Guiremand beschäftigte Ar­er wird auch zu Gunsten profitbungriger Hausagrarier und beiter drei Klosets mit ausgehangenen Thüren und mit Koth Fabritbesitzer, zu Ungunsten der Volksgesundheit noch gezwungen, befudelten Sigbrettern, welche monatelang nicht gescheuert sein seine Nothdurft an Plätzen zu verrichten, deren Beschaffenheit sollen und Gestank verbreiten.

Nachdruck verboten.]

# 754

Boykottirt!

Humoreste von Ludwig Hennecke.

I.

Herr Clemens Steigerer faß auf dem Sopha. Vor ihm dampfte der Kaffee und die Menge fleiner Bücher, die auf­geschlagen vor ihm lagen, gaben Zeugniß davon, daß er an­gestrengt gearbeitet hatte.

-

S

Links r. 15. In einem Raum unter der Treppe von nur 160 Zentimeter Höhe sollen zwei Personen, ein Echlossergeselle und-Lehrling schlafen. Ferner befindet sich im Keller neben zwei von vier Familien benutzten Kloſets ein unfauberes, offenes Piffoir ohne Wasserspülung, an dem vorüber muß, wer die Klosets benutzen will.

Brunnen str. 88, Seitenflügel im Keller links. Stube und Küche, mit naffen Wänden. Wohnung liegt neben der Waschküche, Fußboden ist asphaltirt. Daneben in einer Ecke ein Schutthaufen.

Ebendaselb ft. Eine zweite Wohnung", bestehend aus einer Stube ohne Heiz- und Kochvorrichtung. Im Vorraum liegt eine Fuhre Mauersteine, sowie ein Haufen Sand und Lehm. Neben dem Vorraum liegt die Rauchküche eines Schlächters, aus welcher der Rauch in oft unerträglicher Weife in die Wohnung eindringt. Brunnen str. 87, Seitenflügel im Keller links. Wohnung aus Stube und Küche; Wände naß und schimmlig. Tresckow str. 18, Bäckerei von Schulz. Jm Korridor neben dem Laden stehen 2 Bettstellen übereinander; im oberen schläft ein Gehilfe, im unteren 2 Lehrlinge. Das Fenster, das von diesem Raum nach dem Laden führt, ist nur 30 X 40 Benti­meter groß. Das Dienstmädchen schläft auf einem Hängeboden, der ganz ohne Luft und Lichtzufuhr ist.

Wiederum gehen uns aus der Charitee Beschwerden zu; es scheint, als wenn die durch den Boytott erzielten Besserungen­soweit der Militärstaat im allgemeinen und die Kaserne des

an die Kehle möchte, weil sie ihm schon durch so manches schöne Geschäft einen dicken Strich gemacht hatten, und das fonnte er nun einmal nicht vertragen.

( Alle Rechte vorbehalten. gerade diese beiden Brauergefellen. Warum streiften die Leute denn? Zwar hatten sie beide betheuert, daß sie von ihren Herren auf die Straße gesetzt feien; aber Herr Clemens Steigerer wußte, was er von dergleichen Betheuerungen zu halten hatte. Das Herr Clemens blätterte eine Weile in der Zeitung hin und waren windige Ausreden; denn er hatte es doch in der Zeitung her; ein findiger Geschäftsmann, der einen Judenkopf mit einer gelesen, daß das Vorgehen der Brauergesellen frivol sei und furchtbar krummen Nase über sein Inserat batte feßen lassen, frivol, frivol- Herr Clemens Steigerer wußte zwar nicht recht, fand seinen Beifall. Die Sache machte ihm viel Spaß. Dann was das Wort bedeutet frivol war es deshalb auch, wenn ließ er den Blick auf dem Kurszettel verweilen. die Leute ihren Miethzins nicht pünktlich zahlen fonnten. Mein Gott, schon wieder zwei Prozent gefallen... wohin Eigentlich war Herr Clemens Steigerer durchaus kein Freund Was er nicht alles für Aerger hatte herunterschlucken müssen! das noch führen soll.. vom Arbeiten, denn er war Hausbesizer. Aber heute hatte es Der eine der Miether verlangte Ausbesserung der Wohnung, der Auf zum Kampfe gegen den sozialdemokratischen Bierboykott! ihn wie sonst immer am ersten des Monats. mit unwider andere dies, jener das, und die meisten hatten sogar drohende Genossen, helft der guten Sache der Brauereibesitzer zum Siege!" steblicher Gewalt gefaßt. Die Miethsquittungen mußten doch Geberden angenommen, als er ihnen mitgetheilt, daß er las er an anderer Stelle. Ja, das mußte die Parole für jeden gut­vollzogen werden und seine dicken Finger, welche bis an den vom nächsten Quartals Ersten an die Miethspreise um etliche gesinnten Bürgersmann sein, der noch Ehre im Leibe hatte. Und Handknöchel hinauf mit Tinte beschmutzt waren, legten Zeugniß Thaler heraufsetzen müsse. Ja, das war's eben, daß diese Herr Clemens Steigerer hatte, gottlob, noch Ehre im Leibe, er von dem Eifer ab, den er bei diesem ungewohnten, schweren Leute so gar kein Verständniß für die Maßnahmen eines würde für die gute Sache der Brauereibesitzer eingetreten sein, Werke entfaltet hatte. Hauswirthes haben. Die großen Verluste, die er in der letzten wenn er auch nicht Aktionär gewesen wäre, und so wollte er's Ja, das war sein Arbeitstag. Er hatte zwar nur seinen Beit gehabt, mußten doch wieder auf irgend eine Weise aus- denn um so mehr thun. Namen unter die vorgedruckten und von den Miethern ausgeglichen werden. Und welche Verluste hatte er nicht bei den Ein Versammlungsbericht, der von großen Volksmaffen gefüllten Formularen zu setzen, aber er hätte doch lieber, wie schönen, funkelnagelneuen Brauerei- Aktien erlitten, die doch sonst sprach, welche nur boykottirtes Bier zu trinken gelobt früher, als er noch als Schlächtermeister in der X- straße seinen immer ihre guten Prozentchen abgeworfen hatten! Aber diesmal hatten, schien ihm die werthvollste Notiz des ganzen Blattes prächtigen Laden besaß, mit schweren Beilen und Wiessern zu hatte er's in der Hand, diesmal gehörten ja wenigstens zwei zu sein. Ja, auf diese Weise mußte operirt werden. thun gehabt, als jetzt mit dem dünnen Federtiel. Das war aber der Uebelthäter, deren Streit und Böswilligkeit seinen Schaden Versammlungen mußten einberufen und ab und zu auch nun einmal nicht anders. Das Mißtrauen, welches in der verursacht, in den Bereich seiner Macht, und er wollte sie einmal eine gehörige Portion Freibier spendirt werden! Welt Pla z gegriffen hat, weicht selbst vor dem reichsten Haus zwiebeln, det se Christum erkennen sollten", ja, das wollte er. Das würde schon helfen. Herr Klemens Steigerer wußte ja aus befizer nicht und die Miether, die ihre blanken Thaler all­Erfahrung, wie schön sich auf Kosten Anderer leben läßt monatlich pränumerando auf den Tisch des Hauspafchas aber das war ja schließlich ganz was Anderes zahlen, machen in der Regel ein ebenso mürrisches, unzu- Herr Clemens Steigerer schlürfte seinen Kaffee und warf Immerhin war er entschlossen, das Mittel, von dem friedenes Gesicht, wenn sie ihr Quittungsbüchlein nicht selben Tags dann gleichsam prüfend einen langen Blick auf seinen feisten er sich so große Erfolge versprach, selbst zurückerhalten, wie ein Hauswirth, wenn dieser oder jener arme Oberkörper. Das weiße Oberhemd erstrahlte in vollem wenden. Er suchte noch eine Weile in der Zeitung, bis Teufel verlegen um Stundung bittet, weil er den Miethszins Glanze und das gewährte ihm volle Befriedigung, denn er endlich mit Befriedigung die gewünschte Notiz fand. nicht zahlen kann. er gehörte zu den Leuten, welche mehr auf ein reines Vor- Fast traute er seinen Augen kaum. Wie doch sein Und das letztere war nun gerade heute der Fall gewesen hemd als auf ein reines Gewissen sehen. Dann griff er nach der Leibblatt die Stimmung des Herrn Steigerer wieder­Herrn Clemens Steigerer hatte das in die übelste Laune verseyt. Zeitung. spiegelte. In fettem Druck las er. daß gerade am heutigen Tage Er, der als der schneidigste Hauswirth seinen vielen Kollegen das Kauft nicht bei Juder!" stand in Lapidar- Lettern auf dem 32 große Versammlungen sich mit dem Bierboykott beschäftigen Vorbild eines sorgfamen, gewissenhaften Hausvaters war, er Titel des Blattes. Herr Clemens Steigerer war nämlich Anti- würden. Kurz entschlossen warf er das Blatt auf den Tisch; sollte den Mietbezins stunden? Nimmermehr! Und dann auch semit; er haßte die Juden wie Feinde, denen er um jeden Preis er wollte nicht weiter lesen das übertraf alle seine Er

II.

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einmal anzus