die rechtmäßige Mcicht, die man vernünftigerweise anerkennt.f ohne daß sie erst durch ihre Umsetzung zu blutiger Gewalt den fühlbaren Beweis ihrer Stärke zu geben braucht. Es ist selbstverständlich, daß bei einem solchen unblutigen Machtausgleich die wirtschaftlichen Verhältnisse eine bedeutende Nolle spielen werden. Die kapitalistische Welt ist ja von Nawr nicht kriegerisch— an der Börse ohrfeigt man sich höchstens, aber man duelliert sich nicht—, der Krieg ist ein Ueberbleibsel aus barbarischer Zeit, und dieser letzte wird zugutcrletzt für die Kapitalistenklasse keines Landes ein gutes Geschäft gewesen sein. Ist es also auch o n Fortschritt, wenn man sich auf den friedlichen Charakter des Wettbewerbs zurückbesinnt, so liegt in ihm noch keine Gewähr dauernder Besserung. Der kapitalistische Geist, der diesen Völkerbund- vertrag durchweht, ist allzu deutlich fühlbar, am fühlbarsten in dem einen kurzen Artikel, der sich mit den Arbeiter» fragen besaßt, über die er nicht mehr und nicht weniger zu sagen weiß als folgendes: z 20. Die Mächte werden sich bemühen, billige, menschliche Arbeitsbedingungen für Männer, Frauen und Kinder ihrer Länder herzustellen und aufrechtzuerhalten. Sie werden eine dauernde Geschäftsstelle für Arbeiterfragen einrichten, welche einen Bestandteil der Verwaltung des Völkerbundes bilden wird. Man erinnert sich unwillkürlich an die alte Geschichte von einer liberalen Versammlung in den sechziger Jahren, in der ein Sozialist die große Bedeutung der Arbeiterklasse hervor- hob. Der Vorsitzende sagte dann zum Schluß, auch er sei von der Erkenntnis dieser Bedeutung durchdrungen und darum fordere er die Versammlung auf, sich zu Ehren der Arbeiter- klaffe von den Plätzen zu erheben. Und also geschah es. Der Artikel 20 des Völkerbundvertrags ist eine Derbeu- gring vor der Arbeiterklasse, vollzogen von Leuten, denen Sinn und Bedeutung der Sache vollkommen fremd sind. WaS heißt das, man werde sich bemühen usw.? Es heißt weniger als irichtZ, es heißt, daß alles beim alten bleiben soll, es heißt, daß die Forderungen von Leeds und Bern ebensowenig Aussicht haben vor den Augen des Völkerbundes Gnade zu finden, wie der ausführliche soziälpolitische Entwurf, den die deutsche Regierung für die Friedenskonferenz vor- bereitet hat. Man fragt erstaunt, welche Achtung die Arbeiterklasse in den Ententeländern genießen muß, wenn es dort noch mög- lich ist, ihre Forderungen in solcher Weise zu bchandeln! Und es muß festgestellt werden, daß die gegenwärtige deutsche Negierung für die Forderungen der e n g l i s ch e n, a m e r i- ra nischen und französischen Arbeiter hundertmal mehr Verständnis besitzt, als die Ententehäuptiinge und Völkerbnndgründer, die glauben, an allen Nöten, Sorgen und Wünschen des Proletariats mit einer höflich-höhnischen Geste vorbeischreiten zu dürfen. Dabei handelt es sich weder in den Beschlüssen von Leeds und Bern noch in dem Vor- schlag der deutschen Negierung um„umstürzlerischen" Sozia-, lismus, sondern nur um Forderungen einer fortschreitenden Sozialresorm, die— wenigstens bei uns in Deutschland — d-e volle Billigung auch bürgerlicher Sozialpolitiker finden. Die Gründer scheinen übersehen zu haben, daß die Zu- kunft des Völkerbundes nicht abhängt von dem Gang der kapi- talistischeu Geschäfte, sondern von dem Wohl st and der arbeitenden Völker. Hier waltet ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen den drüben noch herrschenden und den hier schon zum Durchbruch gelangten Anschauungen, der beim Werden und in der Zukunft des Völkerbundes noch eine bedeu- tungsvolle Rolle zu spielen berufen ist.
Wilson über üen völterbimü.
:eji über den Entwurf deutlich erkennen. In einer Rede von ohcm Gedankenschwung legte Wilson zuerst den Zweck, die Einrichtung und die Anwendung des Völker- bundeS dar,„der dazu geschaffen wird, um jede Art von Zweifel über den gemeinsamen Willen der Nationen für die Aufrechterhal- lung des Friedens auf der Grundlage allseitiger Ehre und der Unuerletzlichkeit internationaler Verpflichtungen zu beseitigen." Weiler sagte Wilson:.Wir glauben nicht, daß irgendeine Macht der Erde diesem Bunde widerstehen könnte, noch daß irgendein Volk eS wagen dürs«. ihm zu widerstehen. Ter Völkerbund wird nicht nur sllr dir Aufrechterhaltung des Friedens zwischen den Nationen ein- treten, sondern auch für ihr Zusammenarbeiten bei allen großen Fragen von intrrnationalrm Interesse bei NechtSverlehunge» und bei Einverleibung wehrloser Böller durch ihre Besscger." C e c i l und Orlando brachten sodann die vorbehaltlos« Zustimmung de» britischen Reiches und Jtalv-nS zu dem Entwurf. Leon Bourgeois seinerseits stellte die lieber- einstimmung aller derjenigen fest, die für das Recht gekämpft haben, eS stets verteidigen zu wollen und versicherte die Konferenz des besonders hingebenden Beistandes Frankreichs für die Sache des Friedens. Aber als Vertreter des Landes, welche? den schwer- sten Kriegstribut bezahlt habe, habe er die Pflicht, besonders die Gefahr ins Licht zu stellen, welche Frankreich durchgemacht habe, und welche gewisse Länder, wie Frankreich , Belgien und Serbien bedrohe, die dagegen offizielle Garantien forderten. Daher sei es zu begrüßen, daß Artikel S des Entwurfes eine Herab- setzung der Rüstungen vorsehe und der besonderen geo- graphischen Lage eines jeden Landes und seiner Umstände als für die Entscheidung matzgebend Rechnung trage. Leon Bourgeois sprach den Wunsch auS, es möge ein dauernder Organismus geschaffen werden, um die militärischen und marinetechnischen Mittel vorzu- sehen und vorzubereiten zur Ausführung der Verpflichtungen, welche das borliegende Uebereinkommen den vertragschließenden Mächten auferlegt, und um deren sofortig« Wirksamkeit in allen dringenden Fällen zu gewährleisten. Der englische Arbeitsminister Barne» unterstützte die Auffassung de» französischen Delegierten hinsichtlich des Punktes, welcher übrigens zur Erörterung kommen wird. Denn der Entwurf des Ausschusses wird später vor der gan- zen Konferenz erörtert werden; aber schon jetzt jand der vorliegende Entwurf ein st immige Annahme. Wilson sagte ferner. eS handele sich um einen Bund, der für die Zusammenarbeit bei ollen internationalen Angelegen. heiten benutzt werden kann..DaS ist die Bedeutung der Bestim- mungen über die Arbeiterfragen. Darunter befindet sich eine Menge von Verbesserungen der Arbeiterverhältnisse, die sich durch Konferenzen und öfsentlich« Er- örterungen herbeiführen lassen. Ich nehme an, daß von sehr großem Nutzen daS beabsichtigte ÄrbeitSbureau fem wird, das der Völkerbund aufstellen wird. Während die Regierungen ein wachsames Auge auf die gegenseitigen Schachzüge richteten, während die Staatsmänner an Verfi»ssungSfragen und große kommerzielle und finanzielle Maßnahmen gedacht haben, kommt nun. wenn ich die Zeiche» recht deute, die große Masse der arbeitenden Bevölkerung in der Welt in den Bordergrund, die Männer, Frauen und Kinder, auf die die große Last der Deckung de« LebenöbederfS der Welt von Tag zu Tag fällt. Ob wir wollen oder nicht, eS handelt sich um die Leute, dir zu Bett gehen und aufwachen ohne den Anreiz lebendiger Hoffnung." Wilson abgereist. Brest , 15. Februar.„George Washington " mit W i l s« u an Bord, ist um 11,15 Uhr vormittags inSeesegaugeu.
Paris , 15. Februar.(HavaS.) Die dritte Vollsitzung der Friedenskonferenz, noch feierlicher als die vorhergehen- den, war ausschließlich der Gründung des Völkerbundes gewidmet, die, er idealen Vereinigung der Völker, die von hoch- herzigen Denkern oft erträumt und noch niemals verwirklicht wo» den ist. DieseSmal gewann der Gedanke Gestalt durch den Antrieb\ jetzt Gebäude
Nürnberg , 1K. Februar. Nach Abschluß der gestrigen De- monstration von Soldaten der Garnison Nürnberg gegen das Verbleiben Roßhaupters in seinem Amte fanden im Laufe de? Nachmittags an verschiedenen Stellen der innere« Stadt An- sammlungcn von Menschcnmassea statt, wobei Reden gehalten und die Vorgänge der letzten Stunden erörtert wurden. Allgemein ist unter den Soldaten die Mißbilligung gegen die AuSführungsbesiim. mungen RoßhaupterS über die Neuorganisation der bayerischen Armee. Heute Sonntag vormittag setzte dir Gegenbewcgung erneut ein. Aus dem Egidienplatz fand eine Versammlung unter freiem Himmel als Protest gegen die sogenannte weiße Garde und die Minister Rotzhan pter und Auer statt, wobei eine Reso- � lution angenommen wurde, die sich mit diesem Thema befaßte. j Nach Schluß der Versammlung zogen die Demonstranten durch da» Stadtinnere. Als der TemonstmioaSzug die DeotschhanSkasrrnr. de» Generalkommandos des 3. bayerischen Armee-
und die persönliche Hartnäckigkeit Wilsons, dem daran lag, nach korps, passierte, fielen angeblich einige Schüsse in die Menge, Amerika ein erstes greifbares Ergebnis der Pariser Konferenz wodurch— wie verlautet— zwei Soldaten getötet und vier verletzt heimzubringen. Die Reden ließen die Einmütigkeit der Gesinmin-> worden seien. Die Menge stürmte da» Generalkim,
mando. Neber dem EingangStor hangt seitdem Plakat mit der Aufschrift:„Besetzt von den Spartakisten und Un, abhängigen." Tic Fenstei des Generalkommandos im ersten Stock sind mit Maschinengewehren bespickt und Bücher zum Schutze der Bedienungsmannschaften aufgeschichtet. Ter die Straße und den Platz vor dem Gcneralkommandogebäude beherrschrnde weiße Turm erhielt gleichfalls Besetzung mit Maschinengewehren. Tie Straße zum Generalkommando sind mit Wachtposten bestellt, die zunächst damit beauftragt sind, den Berkchr aufrecht zu erhalten, der infolge Ansammlung von Neugierigen sich nur schwerfällig vollzieht. Auch in der Korolinriistraße, woselbst die dort bcfindlichen Telephon- und Telegrnphcnämtcr ebenfalls von der Roten Garde besetzt sind, werden Abfperrnngsmahnahmcn getroffen. Soldaten mit geschnltcrten, aber ungesicherten Gewehren, ebenso Abwilungrii mit Maschinengewehren, die nach den mitgefühlten Hölzkästen zu schließen, reichlich mit Munition versehen sind, durchqueren die Straßen, um an den Ihnen zugewiesenen Posten Aufstellung zu nehmen. Hier und da rattern große Lastautos durch die Straßen, auf denen Maschinengewehre aufgebaut sind. Brr- cinzclt erblickt man auch Ha n d g r a n a t e n in den Händen der Soldaten. Bei der Erstürmung des Generalkommandos wurde von Handgranaten Gebrauch gemacht. Auch der„Fränkische Kurier" iLrgan der Deutschen Demokratischen Partei) und unser Partei- organ, dir„Fränkische T a g e S p o st", sind mit B e s a tz u n. gen und Maschinengewehren versehen worden. Ter gesamte Drahtverkehr innerhalb der Stadt wie auch nach außerhalb war bi» 4 Uhr nachmittags stillgelegt. Der Zugverkehr sowie der Verkehr am Hauptbahnhos gebt seinen normalen Gang. Tie schon seit Beginn der Revolution tätige SichcrheitSwache, welche zur.Hüffte ans MchrheitSsozialisten und zur anderen Hälfte aus llnabhängigcn gebildet ist, versieht nach wie vor den Dienst, ebenso wie auf dem benachbarten Bahnpostamt. Wie lange der jetzige Zustand noch andauern wird, läßt sich zurzeit noch ni ch t übersehen. Im Generalkommando finden zwischen den de- sozialdemokratischen Gruppen noch Verhandlungen statt.
�Zus üer Gppositionspre�e. Wahrheitsliebe rechts«ud links. In Weimar hat Sckeidemann in ergreifender Waise gc- schildert, wie das deutsche Volk sich vier Jahre lang über das ihm bestimmte Schicksal täuschen mußte, um nicht vor den, Bilde der Wahrheit zusammenzubrechen. Daraus macht ein Alldeutscher namens Hüttig in den„Verl . Neuesten Nachr." folgendes: Aus den Worten Philipp Scheidemanns spricht diabolische Genugtuung darüber, daß es so gekommen ist, daß Deutsch- land so tief darniedergebeugt wurde. und ein paar Zeilen später: Sagen wir doch nur rund heraus: Herr Scheidemann und seine Freund« haben die Niederlag« Deutsch- landS gewünscht, denn daß unser Volk zu dieser Niederlage bestimmt gewesen wäre, ist eine Behauptung, die schon rein äußer- bich durch Teutschlands Verhalten in fast viereinhalb KriegSjahren auf das glänzendste widerlegt wird. Zweites Bild. Wir haben unfern Lesern gestern das ge- samte Material zum Fall Liebknecht-Luxembuvg unterbreitet. aus dem für jeden ruhig Urteilenden hervorgeht, daß die Regierung bemüht ist, Licht in die Sache zu bringen— wozu hätte sie sonst Rusch. Wegmann, Struve und Haaie zur Untersuchung delegiert—. daß sie aber bei der Militärjustiz. dir sich mit dem Drahtzaun einer formalen Gesetzlichkeit umgibt, auf pass ve Resistenz stößt. Was macht die„Freiheit" dar- aus? Folgendes: Für die Regierung der Weimarer Herren ist dieser neu« Mili taviSmuS ein Pflänzchen R ü hr-m ich-n icht-an. Sie duldet ebenso den Meudtefonvrfc wie dir Meuchelmörder, denen sie verbunden ist. And sie behütet sorgsam die Dunkelkammern der Militärgericht»- barkeit» um nur ja nicht Anstoß»u erregen bei den Herren, denen sie ihre Existenz verdankt. Ist es möglich, in weniger Worte mehr Lüge und Ver- leumdung zusammenzupressen? Die Rogierung verdankt ihre Existenz niemand anders als dem Volk und seiner recht- mäßigen Vertretung, die in ihrer ungeheuren Mehrheit zu ihr stehen, und sie hat mit Meuckzelmördern mindestens ebensowenig zu hin, wie die Redaktion der„Freiheit" mit den Verbrechern, die gefangene Regierungssoldaten niedergeknallt und im ,.Vorwärts"-Hause Geldschränke geknackt haben. Vom alldeutschen Verleumder unterscheidet sich der„unabhängige" dadurch, daß der erste wenigstens den Mut hat. mit seinem Namen hervorzutreten, während sich der zweite feig in dm
Die Gesetze ües Büngerns. Von R. H. France. Weimglestb zu oft getäuschte Hoffnung eS kaum mehr glauben will, so wird doch der Tag kommen, an dem wir nicht mehr daS essen werden, was Gemeindesürsorge oder daS Glück eine?.Zufalls" auf den Tisch bringen, sondern infreier Wahl zur früher gewohnten Lebensweise zurückkehren können— wenn wir es noch wollen. Aber erst dann werden wir bemerken, daß der Krieg auch an unserer ..Körperlichkeit" nicht ohne tiefe Spuren vorübergegangen ist, und daß dann, nach fast fünf Jahren der anderen Einstellungen wirk- lich eine neue Menschheit unser Land bewohnt. Schon heute wird jeder an seinem eigenen Körverbefiniden Aendrrungen gcg>:n früher wahrgcnoinmen haben, die, nur selten er- frenlicder Natur, ihm gewöhnlich den schwächsten Punkt seine» Or- wlnismuS anzeigen. Der eine merkt es an vermehrter Nervenreiz- oarkeit, der andere am Herzen, der dritte an einem anderen der inneren Organe, da? nicht mehr in der Weise den Dienst verrichtet, wie eS in vergangenen Kahren gewohnte Alltäglichkeit war. Denn wir alle sind, heute kann man e» ja ungesckeut sagen, längst über daS erste Stadium eine? hungernden Organismus hinaus, da nur mchr die Fettreserven guter Tage der VergangeNdeit angegriffen wurden, sondern müssen der chronisch gewordenen Unterernährung bereits auch der Bestand lebenswichtiger Organe zum Opfer bringen. Die Naturforscher haben diesen Prozeß längst an Tieren in allen Einzelheiten bcolbachtet, wie wenn sie vorgeahnt hätten, mit welcher grausigen Praxis sie ihre theoretisch erworbenen Kenntnisse einst fruchtbar machen werden. Und sie haben bemerkt, daß der Hunger den Organismus n-uh einem ganz bestimmten Plan angreift. Er wählt vorsorglich aus zwischen dem Notwendigen und nur Nützlichen (direkt Unnützliches gibt c» ja im lebsnden Körper eigentlich gar nichts und schont das Kostbare bis zuletzt. Nur dort, wo ein Organ weniger lebenstüchtig ist, da wird diese? Gesetz merkwürdigerweise durchbrochen. Wie wenn die Natur da? grausam-weise Wort Nietzsches rechtfertigen wollte: Was fällt, das soll man noch stoßen. Man bat sich das io zurechtgelegt, daß alle Organe gegen die Selbstverzcbruug des Körpers, also gegen die Abmagerung gewisse Schutzstoffe ausscheiden, nur die ohnedies geschwächten sind dazu nicht imstande' und fallen den angreifenden Zellen zum Ovfer. Darum sind dann die Lungen bei einem hungernden Lungenkranken, die Nerven bei einem Nenrasthcniker. das Herz bei einem Herz- leidenden ohne genügende Nahrung einem besonders intensiven Schädigungsprr�eß ausgesetzt. Diese Orte de? geringsten Wider- üandes sind dann immer zu verhängnisvollen Verschlimmerungen ihres ZustandeS geneigt. Hauptsächlich dem find die 800 000 Opfer der Hungerblockade zuzuschreiben. Sie waren Kranke, denen der Tod vorzeitig den Abschied gebot. Aber ein Volk besteht nicht nur auS Millionen Einzekhürgern. gewissermaßen Zellen deS Ganzen, sondern ist selbst ein Organi«.
muS, gleich allen anderen Lebenden, das den Hunger dann auch als Ganzes spürt. Und cS ist wunderbar und crichülternd zugleich. wenn uns die neue„objektive Vi-Ikskunde" die gleichen Gesetze. die an Tier und Mensch letzt so leicht beobachtbar und verständlich geworden sind, auch am Voltskörper aufzeigt. Um so erschüttern- der, wenn man dabei erkennt, wie so manche beklagte und unvcr- ständliche, als leicht durch Peroibnung.'n zu beseitigend geglaubte Erscheinung des trüben Heute snst als notwendige, unabweisbare Folge der großen Entbehrungen enthüllt. Man hat in den letzten Jahren von vielen Seiten auS da» Hungern der Tiere in bezug auf ihr innere» Verhalten studiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß dabei stets folgende Er- scheinungen auftreten: Zuerst zeigt sich eine allgemein« Zunahme der Energie in gesteigerter Tätigkeit, Erregungszuständen, ver- mehrter Bewcglickkeit. Sehr bald aber wird sie bei länger dauern- der Unterernährung von einer allgemeinen und sich auf immer weitere Kreise erstreckenden Arbeitsunlust der Organe und Teil- nehmer am Organismus abgelöst. In diesem Stadium kommt e» zu jenem Wettbewerb der einzelnen Organe, bei denen die vorhin erwähnten Orte de» geringsten Widerstandes angegriffen werden und die leichieren Erkvanrungen ihre verhängnisvolle Wendung nehmen. Die Depression der unterernährten Organismen zeigt sich vornehmlich darin, daß weder richtig, noch genügend gearbeitet wird. Zugleich gehl damit Hand in Hand eine Verschiebung der harmonischen LcbenSprozcsse nach der Seite de» sexuellen LebcnS. Alles hungert und feiert, nur in der Sphäre der Geschlechtlichkeit herrscht rege? Treiben und Ucppigkcit. Aber auch das gehl vor- über. Der hungernde Organismus tritt nun in sein Endstadium. Eine allgemeine Reduktion tritt ein: eine Vercinsochnng de» gan- zen komplizierten Getriebes, daS aus längst überwundene Stadien seiner Entwicklung zurückkehrt und auf ihnen verharrt, bis bessere Zustände eintreten oder bei weiterem Hunger der Tod allen Rück- entwicklnngen und Leiden ein Ziel seht. Diese Tatsachen sind von Nußbaum, E. Schultz. Ver- n i n g c r und von anderen bereits so oft beobachtet worden, daß sie sich zu einem allgemeinen Gesetz über die Vorgänge in hun- gernden Organismen oerdicktet haben. Ihre Ilebereinstimmung mit den Erlebnissen de» Tage» springt so in die Augen, daß sich jede Beweisführung erübrigt, um darzulegen. wie berechtigt die Uebcröagung solcher biologischer Ge- letze auf den VokkSorpaniSmuS ist. der den gleichen mechanische« Gesetzen unterliegt, wie sede lebende Vielheit. Längst haben wir den ersten Energieaufschwung de» deutschen Volke» unter dem Einfluß der ihm vom»riege aufgezwungenen Einschränkungen überwunden und sind mitten darin in der er- schreckendsten Depression, die je einem Volk, vielleicht mit AuS- nähme des russischen, beschieden war. Der Kamps oller Schichten gegen alle, der grobmaterielle Wettbewerb im Schieber- und Wuchcrerwcsen, ist ebenso zum Erlebnis geworden, wie die be- ängstigende Apathie, die Arbeitsunlust weiter Krxise deS Volke? und der VergnügunaSlaumel der anderen. Erscheiniingen, vor denen dr Soziologe der alten Schule verftänbnisko», nur mit der
inhaltslosen, höchstens die Tatsachen beschreibenden, nicht aber sie erklärenden Phrase von dem.seelischen Rückschlag" stand, haben nun auf einmal ihre Wurzel in einer tiefliegenden, gemeinsamen Ursache. Nicht mit der Rhetorik des Moralisten, sondern mit dem liefen, gütigen Verständnis des Arzte» steht ihm die neue Ein- ficht gegenüber und weiß Beruhigung zu schöpfen und zu vc» breiten durch die Ueberzeugung. daß alle diese bedrohlichen S» sckeinunoen kein« Entartung deS deutschen Volke», keine Krankbeit, weder.Absinken aus schiefer Bahn", noch.gesunkene Moralität" bedeuten, wie man sie allerorten zu deuten sucht. Sie sind viel- mehr bloß bedauerliche, aber auch unvermeidbare, in Natur- gesehen begründete Folgen der ungeheuren Entbehrungen, denen da» deutsch « Volk durch Jabre hindurch ausgesetzt war und noch ist, und sie werden ebenso naturgemäß von dem Tage an sich rück. bilden und spurlos verschwinden, an dem diesem geschwächten und verelendeten Volkskörper wieder genügende Nahrung zugeführr werden wird. --\ Notizen. — Theater. Als nächste Neueinstudierung der Oper geht am Freitag NtthulS.Joseph in Aegypten " mit den Aczita- tiven von Z enger in Szene.— In den Kammerspielen wird zurzeit Rittners Ton Juan-Drama.Unterwegs" V-» bereitet. — Musik. Helene Siegfried wird in ihrem ersten dies- jährigen Kammerkonzert am 22. Februar u. a. Szenen au» Orseo von Monteverde(16. Jahrhundert) für Alt, Ouartetl. Orgel, Harfe und Klavier zum ersten Male vortragen. — Vorträge. Margarete WallvNe und Actur van Cweh veranstalten am 21. Januar im Schuberlsaal erncn Goethe Abend. — Der Luftomnibu»..Goliath" hat setzt seine erste Fahrt von Paris nach London und zurück gemacht. Der.Goliath". der Führer. Maschinisten und zwölf Fahrgaste an Bord hatte, ging vormittags ll Uhr lv von Toussyle-Noble ab und kam 8 Uhr 50 nachmittags nach einer guten Reise in London an. Am folgenden Tag kehrte der Lufiomnibiis zurück. Er flog>2 Uhr 23 nachmittags von London ob und kam 8 Uhr 31 in Pari» an. — D e r F l u g ü beiden Atlantik. Draußen in den Ge- wässern der Newark Bav bei New Jersey sind ein Dutzend Mecha- niker beschäftigt, modern« Motoren in daS große Wasserflugzeug z einzubauen, mit dem der schwedische Flieger Sundstedt hofft, in diesem Monat den Preis der.Daily Mail von 10 000 Pfund für den ersten Flug über den Atlantischen Ozean zu gewinnen. Da« Flugzeug bat zwei SechSzyIinder-Motoren. die 440 Pferdestärken entwickeln sollen. Tie obere Tragfläche bat 100 Fuß Spannweite, die untere 71 sj Fuß. Der Oelbehälter faßt zwei Tonnen Motoröl, womit Sundstedt auszureichen hofft. Der Flug soll von Newart Bay nach St. John» auf Neufundland und von dort quer über den Atlantischen Ozean führen.