flt. 93 ♦ 36. Jahrgang
Seilage öes Vorwärts
Vonnerstag, 26. Jebroar 1919
GroßSerlw flm Sonntag wirü gewählt. Sozialdemokratisch« Kandidatenlisten für die Gemeinde- Wahlen am Sonntag. I« Berlin : Lift» H e i m a n n „ Ghariotteaburg;„ Dr. Benno Barch erbt h Neukölln:„ Scholz „ Schöneberg : m K ü t er „ Lichtenberg :„ John „ WilencrSdorf:„ Lübemaon Spandau„ Stahl u Cöpenick:„ W« i ck H Steglitz:„ A ß m a n» ff Friedenau :„ P a a, ch e „ Schmargendorf: n Z t a m p e ff Krunewalb:„ M» j e n> tz li „ Lichtcrselde:, Wenzel „ Nikolassee :„ K ir s ch ft ein „ Trmprlhof:, Ewald ff Bi-riendors„ W a l d h« j« „ Marien, elde:„»alinawtzti „ Britz : H G u« s ch m i d t „ Lichtenrade :„ Groß „ Treptow :„ G e r i s ch ff Johannisthal :„ D ü h r i o ß .m Rdlershof: m■ Zabel H Sichwalde:, B r S s ch t« » Frirdrichshagen:„ Miete » RabnSdors:„ M i« t h ke tt Weißens»»:, Taobwaoo „ Reinickendorf :„ Ichönberg „ Pankow :„ Schmidt ff Staaken:, Noll mann tt Tegel :„ Halles „ Zehlendorf :„ Gohr« „ Nowawe»:„ O s m e r „ Kaulsdorf :„ Himpel „ Fredersdorf : H Kreuer M Buckow ff v Mohlsdorf M Ohne Hansagrarier geht's wohl nicht bat den bürgerlichen Parteien, die für die G e m e i n d e w a h I« n um die Gunst der Wähler werben. In Berlin haben, wie im .Vorwärts" bereits hervorgehoben wurde, die Kommunal-.Demo- traten" der deutfchdemokratischen Partei zwei der schlimmsten HauSagrarierführer auf ihr« Kandi» datenlifte gesetzt, die Herren Ladendorss und Vissing. In scharfem Gegensatz zur Deutschdemokratifchen'Partei stebl die Deutschnationale Dolkipartei, aber darin stimmt diese mil jener überein. dah auch sie sich der Fuchtel des Hausagrariertum» beugt. Aus der deutschnationalen Kandidatenliste steht und zwar an erster Stell« der Magistrats- sekretär Weg«, ein HauSagrarierführer. der seinen.demokra- tischen" Kollegen Ladendorss und Bissing durchaus ebenbürtig ist. Ein Blättchen seiner Richtung rühmt ihn alS einen.patriotischen Mann, bekannt durch sene Tätigkeit als Vertreter de» Grund- besitzes". Jawohl. Vertreter d« S Grundbesitzes! Und ausgerechnet ihn und seinesgleichen empfiehlt man den Wählern aus der gewerbetreibenden Bevölkerung, die von den Hauswirten durch Mietfteigcrungen drangsaliert wirdl Können wir nicht froh sein, datz die sozialistrsch« Regierung durch die Beseitigung d«S Dreiklasienwahlspstems und de» Hausbesitzer- Privilegs dre hausagrarische Herrschast in den Gemeinden ge- brachen hat? Ts lennzeichnet die bürgerlichen Parteien, dah sie in den Stadtparlamenten ihre HauSagrarier nicfjl misten wollen. Gebt ihnen am 28. Februar die Antwort und NxchU die Lifte der koz ia l d e m o l r a t i sch« n Partei!
a d a m« ck S». Schumau»
LebenSmittelfkandal in Wilmersdorf . Der A.- und S.-Rat gibt bekaarnt: Seit einiger Zeit ist dem Arbeiter, unld Soldatenrat von Ber- lrwWilmerSdorf«in überaus uurfangrÄcheS Matenas über grobe PrrseHlungen urtd Mißstände im LtzbenSmirtelamt zugegangen. Bei näherer Prüfung hat sich an Hand von Dokumenten und Belegen ergeben, daß die behaupteten Tatsachen durchaus ermvandfrei sind. Der Arbeiter, und Soldatenrai trat infolge dessen an den hiesigen Magistvot mit dem Ersuchen heran, für schleunigste Abstellung und
für Suspercdierunn der betreffenden Beamten Sorge zu tragen. Da aus diesem Weg« ein positiver Erfolg nicht zu erzielen war, sieht sich der A.. und S.-Rot veranlagt, das Mate ml der Oeffentlichkeit zu übergeben. Hier seien narr ewige Tatsachen festgestellt, die für sich selbst sprechen: l. Von einem Posten Graupen, die für die gesamte Bevölke- rung bestimmt waren, sind am ö. September 1318 nicht weni» oer als 120 Zentner durch einen Hilfsarbeiter auf dem Weg« de» Schleichhandels verschoben worden. Diese Graupen sollen durch länger« Lagerung zur menschlichen Ernährung nicht geeignet gewesen sein. Bon demselben Postem sind aber 100 Zentner an die Mrttelstandslüche. Volksspeisehalle usw. geliefert Warden. Die Ab- gab« vom SeltenSmettelami«rfplgte an ein« fingiert« Berlin « Firma. 2. Ein zweiter Posten soll nach den Lieferscheinen durch einen anderen Beamten an eine hiesige Firm» abgegeben sein. Tot- sächlich aber rührt die gestempelie Unterschrift über die Empfang- nahm« der Waren nicht von der Firma her. Der Beamte hat zu- geben müssen, dah er die in Frag« stehenden Waren zur Fütterung der von ihm und anderen Lage rangaste Ilten gehaltenen Schweine verwendet hat. Auch ein höherer Beamter bezieht der Einfachheit halber für sein auf einem Gut« be- findliche» Vieh da» Futter au« den Beständen de» Lebensmittelamtes. Als Ersatz für die in den Schleich - Handel gebrachten Waren sind zurüdgrtlieboiw lose Suppen ausgeteilt worden. Bei dieser Gelegenheit schreckte man auch nicht vor einer Fälschung der Wochenbericht« an d« Reich». Nährmittelstelle zurück! 3. Im Amaust 1918 ist die für August bis Oktober überwiwfen« Marmel Äde und Kunsthonig in Höhe von 100 Zentnern al» angab- lick> verdorben durch einen HilsZarbaiter an Konditoren im Schleichhandel verkauft worden. Auch hierbei sind die Quittungen aus den Lieserscheinen gefälscht worden. Trotzdem ist den Beamten von leiten der Stobt da» glänzendste Zeugnis ausgestellt worden! 4. Trotz der erheblichen Mengen an Nährmitteln, die Wil- merSdors von der staatlichen BerteilungZstell« bezieht, werden einer großen Zahl von Kranken, entgegen ärztlicher Gutachten. Ab« züge gemacht, und bisweilen jede» Quantum versagt. Dafür werden große Mengen von Nährmitteln aller Art ftvi« z. B. ganze Eimer Biemenhonig bis zu 24 Pfund Inhalt) ohne Atteste und ohne Lebensmittelkarten lediglich auf Grund von Zetteln mit MagistratSstegeln, an gute Bekannte und Freund« ausgegeben. Aus diese Weise erhält man auch Reis, Schokolade, AuSzugmehl. Ervsen, Bohnen, sogar feinste» S p«» s e- öl in Flaschen, welches bei der Beschlagnahm« im Juli>917 wider- rechtlich zurückbehalten wurde. Einem Fabrikanten von Tort-n und Fnuckbpasteten werden pro Monat 24 Zentner Mehl und 20 Zentner Zucker geliefert, außerdem 194 Zentner feinste AuZlrndS- marmelad, ohne Karte und ohne sachliche Berechtigung auSgr- händigt. B. Evschvecksnd groß sind die Verluste Im LebcnZmittrllager. Binnen vier Monaten sind u. a. nicht weniger al» 180 Zentner Geritensäbrikoi«, OS Zentner Grieß, B4 Zentner Teigwaren, 400 Tafoln Schokolabe. 18 000 Pakete Zwieback verschwunden; ferner ganz« Kisten Saccharin und Schokolade, ahne daß ivginb je- wand zur Verantwortung gezogen würbe. 6. BemevkenSwert sind die Einkäufe wie z. B. die Siärk«. Mischung unter rem vielversprechenden Namen„Fenfte Egger». dorfer Siänkemischung aus der Eggersdorser Mühle", ir. Wirtlich- keit au» Schlemmkreide destehenid. zum Preise von lOOOOO Mark. Jedes Päckchen sollte hier zu BO Pf. ahg-�?b?n verde«, während in Charlvttenibuvg die gleiche Menge ahn« Bezugskarte zum halbem Preis« verkauft wurde. Die WrimerLdo/.ür Brnölke- ruiog lehnte diesen wenig vorteilhaften Einkauf ab, und so befindet sich die Stärke zum allergrößten Teil noch aus Lager. Der A.» und S.-Rat unterbreitet fürs erste ditsc charakterifti- schen Tatsachen dem Urteil der Oessentlirkckeit and wird seinerseits auf amberen, geeignet erscheinenden Wegen zu d�a Mißständen und deren Beseitigung Stellung nehmen- Er ersucht die gesamte Bevölkerung, ihn im fernem Bestreben zu nnteistüdev, damit schnell und gründlich Wandel geschaffen, und ein« jjerechte Vertrffuna der an und für sich dürftigen Lebensmittel gewährleistet werben bann. Betriebs-Arbeiterrätel vetriebS-Arbeiterräte. die aus dem Boden der 6. P. D. stehen, «erden gebeten, am DannerStag, nachmittag» 4 Uhr, i» Sitzung»- saal de» Herrenhauses zu erscheinen. Organisationsausweis und Legitimation find mitzubringen. Die 2V Mark-Stadtkasscnscheine der Stadt Berlin werden bis zum 28. Februar einchließlich au» dem Verkehr gezogen; sie der- lieren mit dem t.Mär: d I.>bre Gültigkeit und werden an den
wmmmmmmsm Kasten eingelöst, dt« im Anzeigenteil unserer Zeitung bekanntgegeben werden. Rur echte Scheine werden angenommen. Dir neue vorläufige Dienstvorschrift für dir Schutzmannschast wird in ihren Kreisen lebhaft kritisiert n>«il sie nur gering« Aende- rungen gegen den früheren Zustand bcmgt. E« erscheint sehr nriin» schenSwert, dah gemeinsam mit den Vertr.ruenSmännerv. der Schutz- Mannschaft«in« wirklich neu« Vorschrift ausgearbeitet wirb. Die Leiche Rofa Luxemburg« glaubte man am Mittwoch im Landwehrkanal an der Möckernbrück«, treiben zu sehen, stellte ab« nach Bergung der Leiche fest, daß man sich getäuscht hatte. Früherer Berkehrsschluh auf der Hoch« und Untergrund« bahn. Ab Freitag, den Lt., müssen die letzten Züge etwa ein« Stunde früher als bisher abgelassen werden, beispielsweise vom Bahnhof Fried richstvaß« ULI Uhr nach WilmerSoor' und 11.20 Uhr nach Charlottenburg . Dieser Zug bietet aus GinSbreieck, Nollendorf» platz und Wiit«tberMlatz Anschlüsse nach dem Osten, Sckvnecerg und Uhlandstraße. Letzter Zug ab Frieidrichstraße nach Nord r: na 11 LS Uhr nacht». Ein« Versammlung van Obleuten de, Großbetriebe, die in der Arbeiterbildungsschule. Schicklerstraße, tagte, protestiert« einstimmig gegen unwürdige Behandlung der politischen Gefangenen in den Berliner Gesängnissen. Während die Ernährung der freiwilligen Truppen reichlicher sei als die kür die Arbeiterschaft behörd 'ich festgesetzt« Ration, müßten die Gefangenen schmachten und leiden dadurch große Not an Leib und Seele. Di« Regierung wird auf- gefordert, sofort für menschenwürdig« Behandlung und Ernährung ! Sorg« zu trägen, da die Regierung für all« Schaden hieraus ver- antwortlich gemacht und zur gegebenen Zeft Rechenschast von ihr verlangt werden würde. E» wird Ledebour » sofortig« Freilassung verlangt, dagegen aber sofortige Verhaftung der Mörder Lieb- knecht» und Rosa Luxemburgs. Gleich«» Recht für Allel Mord in der Hedemannstrahe. Ermo-rdet wurde Mittwoch vormittag die 89 Iah» alt« Erna Schwandt, die in der Hedemannftr. 4 im zweiten Stock vier Zimmer und Küche innehaibe Frau Sckeoandt lebte im Haus« scheinbar ganz ordentlich. Sie«zählte, dah sie früher ein« Konditorei be- seffen habe. In Mntlichteit empfing sie viel Männerbesuche. Kurz vor 11 Uhr vormittag hört« oin Mieter, ber unter ihrer Wohnung in seinem Kontor saß. oben Lärm und hoftige» Ausstoßen mit Geschrei, da» auf einen schweren Kampf schließen lieh. Er hotte gleich die Polizei. Dies« öffnete, fand aber nur noch Frau Sebwandt allein und tot in der Wohnung. Sie lag in einem Vov- derzimmer. dem Salon, zwischen Ofen und Ruhesosa auf dem Fußboden. Das Gesicht leg aus dem Parkettboden in einer großen Blutloche. Der Kopf zeigte zwei schwer« Wunlden. au» den«: da» BSut in großer Menge ausgeströmt war. Di« Frau hatte vor dem Kampfe ohne Zweifel aus dem Ruhesofa gesessen. Aus diesem lag noch ihr Nähzeug. Bei der Ernwrdoten wohnte»n den letzten Tagen ein bisher nicht wieder erschienener Unteroffizier Rudolph. ES steht noch nicht fest, ob etwa» geraubt worden ist. Der Täter mag durch da» Ein- schreiten de» Unterwohner» an der Ausführung seiner Raubabsicht verhindert worden sein. Ermittlungen ergaben, daß morgens um 7 Uhr'ew großer Soldat die Hintertreppe hinunter gegangen und eiligst das Hau » verlassen hat. Er hatte e» so eilig, daß er sich nicht einmal ordentlich angezogen hatte, sondern erst aus der Treppe den Mantel znreckt machen mußte. ES ist möglich, daß dieser Pol- bat die Nacht über bei Frau SchwaNdt gewesen und durch den Tater verscheucht worden ist. Vielleicht ist eS om Mann, der sich j aus der Durchreis« befunden und den die Ermordet« am Anhalter �Bahnhof getroffen und mitgenommen hat. Dieser Soldat ist ein ! wichtiger Zeuge. Er wird ersucht, sich unverzüglich bei der Krimi- ' nalpolizei zu melden. Aus dm Ermittelung de» Täter» sind BOO Mark Belohnung ausgesetzt._ Paeteigenösslsch« Juristen, Rechtsanwälte wie beamtete, treffe» sich Sonnabend, 7 Uhr abend», im Jugendheim, Lindenstr. 8, 2. Hof, 8 Treppen, zur Besprochung über«inen organisawrischoa Zusammenschlkuß.— Pros. Radbruch . Assessor Flatmv. Setiochspieler. Der freie Schachverkehr In Neukölln kestndet stch setzt Donauftratze lvs bei Gütig. Sonntag» von lv Uhr an. Unterricht wird an jebeimann unentgeltlich erteilt. Sozialismus und Bolschewismus. Heute, Donnerstag, abend» 7>/, Uhr, ipricht über obige« Tdema der„vorwärts". Redakteur Erwin Barth im Neslamant Kaiierballen(Buggenhagen), Oranicnftr. 147. Danach spricht Schristileller Erich K S h re r über:„Da« wabre Gesicht deS BolichewiSmuS". Herr Köbrer bat in Libau dem BolickewiSmu« m
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Stiue NelMenkmd.
von Martin Andersen NejrS. Da ward« daS gute Essen für Stine in ein allerfiebsteS Körbchen aus rat und weißem Stroh gepackt, urtd sie bekam einen Florentinerhut auf den Kops und eine große rote Schleife auf die Brust. Das olles machte Spaß— aber Plötz- sich fiel Stine die Großmutter ein. und sie wollte nach Hause. Sie stand und zerrte an der Türklinke; es blieb nichts anderes Wrig, man mußte den unterhaltenden kleinen Waldkobold wieder freilassen. In Eile gab man ihr noch Erdbeeren zu dem übrigen in den Korb, und dann verschwand sie im Walde. „Wenn sie nur den Weg nach Hause findet!" sagte Fräu- lein Asta und starrte ihr mit träumerischen Augen nach. Ja, Stine fand den Weg nach Hause. Aber ein Glück war es. daß sie so große Sehnsucht hatte und ganz vergaß. waS in dem Korbe lvar. Sonst wäre die alte Maren in ihr Grab gegangen, ohne jemals Erdbeeren gekostet zu haben. Seitdem lief Stine oft tief in den WaS> hinein, in der Hoffnung, daß das Märchen sich wiederholen würde. Es war ein großes Erlebnis gewesen, dos größte in ihrem Seben. Die alte Maren ermunterte sie selber...Geh' nur ins Dickicht." sagte sie.„Dir kann nichts schaden, denn du bist ein Sonn- tagssind. Und wenn du zu dem verzauberten Hause kommst. dann bitt' auch für mich um ein Paar Pantoffeln. Sag', daS alte Großchen habe Wasser in den Beinen und könne kaum Schuhwerk an den Füßen vertragen." Den Bach fand sie leicht, aber sie begegnete keinen vor-j nehisten Damen mehr, und der Brückensteg mit dem Pförtchen � war verschwunden. Aus der andern Seite des Baches war! Wald wie aus dieser, das Gesicht des lieben Gottes konnte sie nicht mehr erspähen, soviel sie auch guckte; das Märchenland war nicht mehr da. „Du hast gewiß alles geträumt, wir werden'» sehen." meinte die alt? Maren. „Ja. aber d'e Erdbeeren. Großchew" sagte Stine. Ja, die Erdbeeren— das war auch wahrl Maren hatte ja selber davon gegessen und auch nie etwas so Merkwürdiges gekostet. Zwanzigmal lo groß wie Wolderdbeeren waren sie, und dann fühlte man sich ganz satt danach— ganz im Gegensatz zu allen anderen Beeren, die bloß Unruhe im Magen er- zeugte».
„Die hat dir dann der Traum-Kobold, der dich in? Märchenland führte, in den Schoß gelegt, damit unsereins auch etwas mitbekommen sollte," sagte die Alte endlich. Und bei dieser Erklärung beruhigten sie stch 10. Stine bekommt einen Pater. Als Maren eines Morgens ausstand, waren ihre Meter fort; sie waren in der Nacht ausgezogen.„Der Teufel war hier und hat sie geholt." sagte sie aufgeräumt. Sie war gar nicht ärgerlich darüber, daß sie verduftet waren; ei war eine beschwerliche, querköpfige Familie! Das schlimmste war, daß sie die Mete für zwölf Wochen schuldig geblieben waren— zwölf Kronen—. womit Maren dem Winter hätte entgegen- gehen sollen. Sie heftete einen Zettel ans Spritzenhaus und wartete auf neue Mieter, aber es meldete sich niemand. Die alten Meter hatten das Gerücht verbreitet, es spuke in dem Hause. Die Sindußx der Miteseinnahme traf um so härter, als Maren sich vowihrer Tätigkeit losgesagt hatte. Sie wollte nicht mehr weise Frau sein, der Fluch ließ sich nicht ertragen. „Geht zu klügeren Leuten und laßt mich in Frieden." er- widerte sie denen, die kamen, um Rat zu suchen oder sie zu holen. Sie mußten nnverrichteter Eacbe fortgehen; und bald erzählte man sich in der Gegend, daß Maren die Kraft der- loren habe. Ja. mit den Kräften ging es bergab. daS Sehvermögen versagte fast ganz, und di? Beine wollten sie nicht tragen. Sie spann und strickte für die Leute und nahm das Betteln wieder auf; Stine mußte sie die weiten Wege von Hos zu Hof führen. Das war ein mühseliger Gang; die Alte klagte be- ständig und stützte sich schwer auf die Schultern des Kindes. Stine begriff das Ganze nicht, die Blumen des Grabens und hundert andere D'nq? riefen nach ihr, sie fühlte den Drang, den bleischweren Arm abzuschütteln und sich auf eigene Faust zu rühren, GroßmntterS ewiges Klagen erfüllte sie mit hoff- nungsloi'em Widerwillen. Dann blitzte die Bosheit durch ihren Sinn.„Nun kann ich den Weg nicht finden. Großchen." erklärte sie plötzl'ch und wollte keinen Schritt weitergehen, oder sie entschlüpfte der Alten und versteckte sich in der Nähe. Maren schalt und drohte eine Weil«. Wenn sie dann damit fertig war und sich an den Wegrand setzte und weinte, wurde @tine wieder weich, eilte herbei und faßte sie um den Hall.
Dann weinten sie zusammen, aus Kummer und über das Elend der Welt und aus Freude, daß sie einander wiedergefunde» Sitten. Ein Ende landeinwärts wohnt« ein Bäcker; bei ihm durften sie jede Woche ein Weizenbrot holen. Wenn Maren zu Bett lag. schickte sie daS Kind hin. Sttne war hungrig, und die Versuchung war sehr groß. Sie lief immer den Sanzen Weg nach Hause, um sich den Versucher vom Leibe zu alten; und wenn eS ihr glückte, das Brot wohlbehalten heim- zubringen, taten sie und Großmutter sich gleich wichtig. Manch- mal aber war der Hunger zu stark, und sie fing an. im Laufen die Krumen an der Seite des warmen Brotes abzuessen. ES sollte nicht gesehen werden, darum zupfte sie an der Seite des Brotes— nur ganz wenig; und ehe sie es sich versah, hatte sie eS ganz ausgehöhlt. Dann wurde sie ärgerlich, auf sich und Großmutter und alles. „Bitte schön, Großchen, hier ist das Weißbrot," sagte sie und warf das Brot rasch auf den Tisch. „Danke, mein Kind, ist es frisch?" „Ja. Großchen!" Und Sttne rannte weg. Dann mußte die Alte sitzen und mit ihrem wunden Zahn» fleisch die Rinde benagen, und dabei schalt sie das Kind auS. Das boshafte Mädchen— nun sollte sie Prügel haben. Weg- geiagt lallte sie werden— ins Armenbmis. Das ArmenbauS war für die beiden daS Schlimmste, da? sie kannten: e» stand also böse Drohung hinter ihrem ganzen Dasein. Und wenn Maren so weit war, dann kam Stine auS ihrem Versteck hervor und weinte»nd bat um Verzeihung. Die Alte weinte gleichfalls, und sie redeten ein- arder gut zu. um einander wieder zu beschwichtigen. „Ach ja. bat Leben ist schwer." sagte dann die alte Maren.„Hättest du wenigstens einen Vater gebabt— einen. an dem etwa» dran war. Dann bättest du wohl die Hiebe gekriegt, die der Mensch nicht entbehren kann und unsereinS hott' vielleicht zu Hause bei euch gesessen, statt sich daS tägliche Brot zu erbetteln I" Gerade als Maren da» gesagt hatte, machte ein Leiter- wagen mit einer alten schwerknochigen Mäbre davor draußen auf dem Wege Halt. Ein großer Mann mie gebückter Hal» tnng und zerzaustem Haar und Bart sprang vom Wagen herab, warf die Zügel über den Rücken des GaulS und kam auf daS Haus zu. Er sah auS wie ein Köhler. Dortt. folgt)