Nr.272.36.Jahrg.
Bezugspreis:
Bierteljährl. 7,50 L, monatl. 2,50 M frei ins Haus, vorauszahlbar. Einzelne Nummern 10 Bfennig. Bostbezug: Monatlich 250 M., erfl. Suftellungs. gebühr, Unter Kreuzband für Deutsch land u. Desterreich- Ungarn 5,75 ML für das übrige Ausland 9,75 ML, bei täglich einmaliger Zustellung 7.75 Mt. Bostbestellungen nehmen an Däne mart, Holland , Luxemburg , Schweden und die Schweiz . Eingetragen in die
Bost- Zettungs- Preisliste.
Der Borwärts" erscheint wochentäglich zweimal Sonntags einmal
Vorwärts
Berliner Volksblatt.
10 Pfennig
Anzeigenpreis:
Die achtgespalte ne Nonpareillegeile loftet 1,20 M. Kleine Anzeigen", das fettgedruckte Bort 50 Pfg.( zuläffig 2 fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 25 Pfg. Stellengesuche und Schlafstellenanzeigen das erste Wort 40 Bfg., jedes weitere Wort 20 Bfg Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Teuerungszuschlag 50% Familien- Anzeigen, politische und gewerkschaftliche Bereins Anzeigen 1,20 Mr. die Zeile. Anzeigen für die nächste Nummer müssen bis 5 Uhr nachmittags im Hauptgeschäft, Berlin SW.68, Lindenstraße 8, abgegeben werden. Geöffnet von 9 Uhr früh bis 5 Uhr abends.
Donnerstag, den 29. Mai 1919.
B
Dokumente zur Kriegsschuld.
Der Vertragsentwurf der Entente geht von der Vorausfegung aus, daß die Schuld an dem Ausbruch des Krieges, der Europa vier Jahre lang verheerte, ausschließlich auf Dies alles war noch lange vor dem Mord von Serajewo feiten Deutschlands zu suchen sei. In Deutschland gibt es heute Versailles , 28. Mai. Reichsminister Graf Brocund vor den blödsinnigen Entschlüssen, zu denen sich die Berlinfaum noch einen Menschen, der den großen und schweren Teil der Kriegsschuld verfennt, den die früheren deutschen Machthaber dorff- Rantau hat heute namens der deutschen Friedens- Wiener Diplomatie durch ihn hinreißen ließ. auf sich geladen haben, aber auch kaum einen, der bereit wäre, delegation dem Ministerpräsidenten Clemenceau den ersten Zeit der Krisz, auf die zurückzukommen wir uns vorbehalten. Es folgt nun die Wiedergabe geheimer Depeschen aus der auf sich geladen haben, aber auch faum einen, der bereit wäre, Teil der ausführlichen deutschen Denkschrift zu dem von den Nur ein Glanzstück der russischen Diplomatie sei schon heute ins den Kriegshehern und Geheimdiplomaten von drüben das Beugnis ihrer Unschuld auszustellen, das sie iekt, auf ihre Gegnern überreichten Friedensvertragsentwurf mit einer rechte Licht gestellt. Am 30. Juli telegraphiert Jewolsfi aus Siegermacht gestützt, von uns verlangen. Diesem Verlangen furzen Begleitnote übermittelt. Der Rest der Denkschrift rear. fann um so weniger Rechnung getragen werden, als sich auch in wird am Donnerstag vormittag übergeben zuden Ländern, die der Kriegsausbruch im Lager unserer Gegner ſammen mit einer die Grundgedanken und Vorschläge der fand, die Selbstkritik zu regen beginnt. Sie wird noch viel stär- Denkschrift erläuternden Mantelnote. fer auftreten als bisher, wenn erst einmal die Fesseln der 8enjur überall gefallen sein werden.
"
In der Wochenausgabe der Moskauer Prawda" hat der sofort als einen Bündnis fall an und wird auch nicht bolschewistische Schriftsteller M. Pokrowsti eine Reihe von eine Minute zögern, seine Verpflichtungen gegenüber RußArtikeln veröffentlicht, die sich auf das Studium der russischen fand zu erfüllen. Geheimarchive gründen und zur Aufhellung der umstrittenen
lautete:
Margerit, den ich eben gesprochen habe, sagte mir, die fran zösische Regierung, die sich keineswegs in unsere militärischen Vorbereitungen einmischen will, würde in Anbetracht der fortgesetten Verhandlungen wegen Wahrung des Friedens es für äußerst wünschenswert halten, daß diese Vorbereitungen einen mögs lichst wenig offenen und herausfordernden Charakter tragen. Der Kriegsminister, der denselben Gedanken entwidelte, sagte seinerseits Graf Ignatjew, wir könnten erklären, daß wir im höchsten Interesse des Friedens bereit seien, die Mobilisationsmaßnahmen zeitweilig zu verlangsamen, was uns nicht hindern würde, die militärischen Vorbereitungen fortzusehen und sie sogar zu verstärken, indem wir uns nach Möglichkeit der Massentruppentransporte enthalten.
Sjasonow:
Frage Beachtenswertes beitragen. Pokrowski kommt zu dem Im September desselben Jahres 1912, also am Vorabend Ergebnis, daß die Schuld an dem Blutvergießen„ nicht den des ersten Balkankrieges, begab sich der russische Minister des einen oder den anderen Imperialismus trifft, sondern den Im- Auswärtigen Siasa now nach England, um dort den Boden perialismus überhaupt, den franzöfifchen, englischen oder russi- au fondieren. Darüber berichtet er an den Baren: schen nicht minder als den deutschen und den österreichischen," Nachdem ich Grey vertraulich in den Inhalt unseres MarineUnd noch eins! Am 2. August telegraphiert Jawolski an und er gießt die Schale seines Spottes über die Naivität der abkommens mit Frankreich eingeweiht und darauf hinUnabhängigen aus, die keine Schuld außer bei der deutschen gewiesen hatte, daß laut dem abgeschlossenen Vertrag die französische Regierung erkennen wollen. Flotte um die Sicherung unserer Interessen auf dem südlichen Heute ist die Nachricht eingetroffen, daß deutsche Truppen das Potrowski erinnert an das italienisch- russische Abkommen Kriegsschauplatz bemüht sein wird, indem sie die österreichische Flotte luxemburgische Territorium betveten und so die Neutralität bon Racconigi vom 24. Oktober 1909, deffen letzter Paragraph hindert, nach dem Schwarzen Meere durchzubrechen, fragte ich den des Herzogtums verlebt haben, die durch den unter anderm Staatssekretär, ob nicht England seinerseits uns den von England und Italien unterzeichneten Trattat von 1867 garanItalien und Rußland verpflichten sich, sich wohlwollend zu ver- gleichen Dienst im Norden erweisen könnte durch Ablenkung des tiert wurde. Dieser Umstand wird als sehr vorteilhaft für Frant halten, das erstere zu den Interessen der russischen Meer- Härte ohne zu schwanken, daß, wenn die in Frage stehenden Um Englands hervorrufen und es zu einer energischeren Handlungshalten, das erstere zu den Interessen der russischen Meer- deutschen Geschwaders von unserer Küste in der Ostsee . Greh er- reich betrachtet, denn er wird unvermeidlich( eine Bücke) seitens engenfrage, das zweite zu den Interessen der Jtaliener in tände eingetreten sein würden, England alles baran.weise veranlassen. Es liegt auch Nachricht vor, daß die deutschen Damit war tatsächlich ein Abkommen zur Aufteilung fühlbarsten Schlag zuzufügen. feben würde, um der deutschen Machtstellung den Truppen sich angeblich in der Richtung Arloung bewegen, was auf die Absicht hinweist, auch die belgische Neutralität zu verlegen. der Türkei geschlossen: Tripolis den Italienern , Konstanti nopel den Russen. Ein Jahr später begann der tripolitanische über das Vorhandensein eines französisch - englischen Abkommens, Ministerrats telegraphierte sofort nach London und beauftragte Grey bestätigte bei dieser Gelegenheit Safonom gegen. Das wird noch fühlbarer für England sein. Der Vorsitzende des Krieg, der erste seit langer Zeit, der wieder zwischen zwei euro- wonach sich England im Falle eines Krieges mit Deutsch- Cambon, die Aufmerksamkeit Greys darauf zu lenken. päischen Staaten geführt wurde. Gleich zu Beginn dieses and verpflichtet habe, Frankreich nicht nur zur See, sondern Während sich die Welt mit Recht über die Verlegung Krieges schrieb swoisti( 26. September 1911): auch auf dem Kontinent durch Landung von Truppen zu Hilfe der belgischen Neutralität durch Deutschland entrüstet, telezu kommen. Siajonow setzt dann seinen Bericht an den Baren graphiert der geheimdiplomatische Zynismus stillvergnügt: wörtlich folgendermaßen fort: „ Höchst vorteilhaft für Frankreich !"
Außerdem erlaube ich mir zu bemerken, daß man sich auf jeden Fall, in der einen oder in der anderen Form der Erklärung Jtaliens bergewissern müßte, daß, indem es jetzt seine in der Vereinbarung mit uns vorgesehenen Ansprüche auf Tripolis verwirklicht, es sich auch in Zukunft uns gegenüber in der Meerengenfrage für gebunden halten wird.
Jswolski läßt es fich indes nicht genügen, Stalien für seinen aggressiven Imperialismus zu interessieren, er sucht auch Grantreich zu gewinnen, wobei ein nicht gerade schmeichelhaftes Licht auf die französische Presse fällt. Am 12. Oftober 1911 schreibt er: Wenn wir uns wirklich jetzt entschließen, die Meerengenfrage aufzuwerfen, so ist es überaus wichtig, dafür Sorge zu tragen, hier eine gute Bresse zu haben. Indessen bin ich in dieser Beziehung Jeider des Hauptwerkzeuges beraubt, denn aus allen meinen beharrlichen Forderungen, mich mit Geldfonds für die Presse zu versehen, ist nichts geworden. Ich werde natürlich alles tun, was von mir abhängt, doch ist dies eben eine von jenen Fragen, denen die öffentliche Meinung traft althergebrachter Traditionen eher gegen uns
gestimmt ist. Als Beispiel dessen, wie nüßlich es hier ist, Gold auf die Presse zu verwenden, mag die Tripolisaffaire dienen. Mir ist bekannt, daß Tittoni die hauptsächlichsten französischen Zeitungen gründlich und mit überaus freigiebiger Hand bearbeitet hat. Die Resultate liegen auf der Hand.
I
Der König, der in einer der Unterredungen mit mir dieselbe
Frage berührte, sprach sich noch viel entschiedener als sein Minister aus. Mit sichtlicher Erregung erwähnte Seine Majestät das Streben Deutschlands nach Gleichstellung mit Großbritannien in bezug auf die Seestreitkräfte und rief aus, daß im Falle eines Zusammenstoßes dieser verhängnisvolle Folgen nicht nur für die deutsche Flotte, sondern auch für den deutschen Seehandel haben müsse, denn die Engländer würden jedes deutsche Schiff, das ihnen in die Hände kommt, in den Grund bohren.
Die letteren Worte spiegeln augenscheinlich nicht nur persönliche Gefühle S. Majestät, sondern auch die in England herrschende Stimmung in bezug auf Deutschland .
-
Es kann in feiner Weise der Zweck dieser Ausführungen sein, Deutschland von aller Schuld reinzuwaschen. Aber die Rolle, die die deutschen Machthaber im Jahre 1914 spielten, wird doch durch die zitierten Dokumente in weitem Maße geklärt. Sie hatten, nicht ohne Grund, eine Höllenangst vor den Plänen der Entente, die ihnen nicht ganz unbekannt waren und die sie noch schwärzer und drohender sahen, als sie vielleicht waren. In dieser Stimmung schlugen sie in der plumpſten Weise los. Es ging ihnen dabei wie dem Mann in Schillers Bürgschaft":
Da packt ihn die Angst, da faßt er sich Mut Und stürzt sich hinein in die brausende Flut. So also der Vetter! Seine Festedruff- Stimmung berrät geschichte hat gerichtet; sie sind geschlagen und ins Nichts zurüc Nur daß mit ihnen kein Gott Erbarmen hatte. Die Welteine uns Deutschen sehr sympathische Familienähnlichkeit. Der Dritte aber, Nikolaus, äußert sich in einem chiffrierten geschleudert. Aber zurückgewiesen werden muß der Versuch, aus Geheimbericht aus Livadia vom 11. April 1914 folgendermaßen: ihrer grenzenlosen Unfähigkeit ein moralisches Verschulden des ganzen deutschen Volkes zu konstruieren. Und noch eines wird Um die Meerengen zu öffnen, werde ich Gewalt anwenden. klar: Die Männer der Entente, die an den weltWilhelm II. war nicht der Einzige seiner Art! politischen Bettelungen bon 1909-1914 teilSewolski berichtet über eine Unterredung Greys mit Doumergue, Gericht zu siten. Das Beweismaterial der" Prawda" Im April 1914 meilen König Georg und Grey in Paris . nahmen, haben nicht das Recht, über andere zu in der erwähnt wird, daß unter den englischen Kabinettsmit- spricht nicht für die Unschuld der früheren deutschen Machthaber, Ungefähr um dieselbe Zeit spricht Iswolski seine Sorge gliedern Elemente vorhanden seien, die gegen Rußland vorein- desto mehr aber für die Forderung der jeßigen deutschen Regieaus, in Frankreich genügende Unterstützung zu finden. An der genommen ,, find. Als ein solches wird besonders Asquith rung nach Einseßung eines unparteiischen GerichtsSpike stand damals der kriegerischen Abenteuern nicht geneigte genannt. Der Bericht sagt weiter: hofs. Sie konnte keine glänzendere Rechtfertigung finden als Caillaur, und swolski findet es unter diesen Umständen Nach dem Gedanken von Sir Edward Greh könnte zwischen uns durch die Anklagen, die Pokrowski gegen die Sieger von heute fruchtlos, mit Frankreich über allgemeine Politik zu sprechen". und England nur eine Marinetonvention und teine erhebt. Das Bild ändert sich aber sofort, wie Poincaré die Re- Kontinentalfonvention abgeschlossen werden, denn die Landstreitgierung übernimmt, den Iswolski , im Gegensatz zu Caillaug, träfte Englands sind schon im voraus verteilt und können offenin überschwänglichen Tönen feiert. Einige Monate später mer fundig nicht mit russischen Streitkräften gemeinsam operieren. den die gewohnten Beratungen zwischen den Chefs der beiderseitigen Generalſtäbe durch ebensolche Beratungen der sisch- englische Konvention wurde beschlossen, sich untergeordneter Bei den folgenden Verhandlungen über die russisch - franzöMarine ergänzt. Am 12. September 1912 berichtete wolski Organe als Mittelspersonen zu bedienen, um nicht Deutschlands aus Paris über eine Unterredung mit Poincaré , der für den Aufmerksamkeit zu erregen. Beschäftigt mit ihnen war ruffischer- lungen aus Roblenz hat dort noch keine Ausrufung einer theiFall von Ereignissen auf dem Balkan nur die diplomatische feits ein gewisser Hauptmann Wolkow, der die Beschlüsse des nischen Republik stattgefunden. Die Zentrumsführer Unterstützung Frankreichs in Aussicht stellte, dann aber in fol- Marinestabs nach Petersburg mitteilt. Danach war der Plan in haben sich kräftig gegen diefe Bestrebungen ausgesprochen und wüt. gender Weise dem Zaren seine Bündnistreue versicherte: Erwägung gezogen worden, die deutsche Flotte durch die eng- den sich nur einverstanden erklären, wenn die Ausrufung von der Sollte jedoch der Zusammenstoß mit Oesterreich ein bewaffnetes lische in der Nordsee festzuhalten und englische Transportschiffe Deutschen Nationalversammlung und preußischen LandesversammEingreifen Deutschlands nach sich ziehen, so erkennt Frankreich dies noch vor Eröffnung der Kriegsoperationen in die Ostsee zu lung ausginge und im Friedensvertrag ausdrücklich festgelegt würde.