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Frankreich   vor üer Ratifikation. Aufhebung von Zensur und Belagerungszustand in Ticht. Paris  , S. Juli. lHavaS.) In Erwiderung auf verschiedene Reden in der Abgeordnetenkammer erklärte Pichon, daß die Re- gierung gewillt sei, die Zensur nach Ratifikation des Frirdensver» träges aufzuheben. Derselbe gilt als vollzogen, wenn drei Mächte den Friedensvertrag ratifiziert haben. Gleichzeitig wird auch der Belagerungszustand aufgehoben werden; es wird ein Gesetzentwurf hierüber eingebracht werden, der gleichzeitig die Einstellung der Feindseligkeiten und die Aufhebung der Zensur und des Belagerungszustandes verkünden wird. Man wird also damit nicht bis zum Abschluß des Friedensvertrages mit Oester­reich oder der Türkei   und Bulgarien   warten. Die Regierung ist der Ansicht, daß die Garantien, die im nationalen Interesse in dem Gesetz vom S. August 1S14 niedergelegt worden sind, bis zur Ratifikation des Friedensvertrages in Kraft bleiben müssen. Die Regierung übernimmt die Verantwortung dafür, daß Zensur und Belagerungszustand jetzt nicht aufgehoben werden können, damit falsche militärische und diplomatische Nachrichten, die den inneren Frieden gefährden, unterdrückt werden können. Rückbeförüerung üer deutschen   Kriegs- gefangenen. Berlin  , 8. Juli. Von zuständiger Stelle wird erklärt: In einer von einem hiesigen Mittagsblatt gebrachten Meldung aus dem Haag ist von einer Besprechung zwischen dem Vorfitzenden der Deutschen Friedcnsdelegation Freiherrn v. LerSner   und dem General- sekretär der Ententekonferenz Dutasta über die Rückbeförde- rung der deutschen   Kriegsgefangenen die Rede. Hierin findet sich die Bemerkung, es stehe grundsätzlich fest, daß die Rücksendung der Kriegsgefangenen in gleichem Maßstabe erfolgen tolle, in welchem d e u t s ch e Z i v i I a r b e i t er in Frankreich   zu den Wiederherstellungsarbeiten im zerstörten Gebiet eintreffen. Dieser Ausfassung muß auf das Entschiedenste entgegengetreten werden. Deutschland   ist selbstverständlich bereit, an dem Wieder- aufbau in Nordfrankreich mitzuwirken und zu diesem Zwecke ge- schulte deutsche Arbeiter zur Verfügung zu stellen. ES ist'indes nicht angängig, die Bereitstellung dieser Arbeitskräfte in irgend- einer Weise mit der Heimbeförderung der Kriegsgefangenen in Zu- sammenhang zu bringen; diese hat vielmehr nach Art. 214 des Friedensvertrages ohne weiteres nach Inkrafttreten mit der größten Beschleunigung zu erfolgen. Die finanziellen öeüingungen für Gefierreich. Amsterdam  , 0. Juli.  Daily Telegraph  " meldet aus Paris  , daß die finanziellen Bestimmungen im Friedens- vertrag mit Oesterreich anscheinend große Schwierigkeiten mit sich brächten, da man der Ansicht sei, daß sie den Grundsatz bekräftigten, daß die gesamte österreichifch-un garische Schuld mit Inbegriff der Kriegsschuld auf einer proportionalen Grundlage von allen Staaten, die auf dem Gebiete der früheren österreichisch- ungarischen Monarchie entstanden find, bezahlt werden müßten. Man könne also erwarten, sehr laute Proteste über den finanziellen Teil des Vertrages zu hören. Dieser Frage werde entschiedene Bedeutung beigemessen, da die Unzufriedenheit unter de« kleinen Staaten überaus gewachsen sei, obgleich diese Staaten sich nicht von ihrem Gefühl hätten hinreißen lassen und klug seien, nicht dem Beispiel BratianuS zu folgen. Die polnische Re- gier un g sei mit dem Teil des Vertrages, die den Schutz der ethnographischen Minderheiten und die Regelung gewisser Wirt- schaftlicher Grundsätze betrifft, sehr unzufrieden. Italien   tue, obwohl es scheinbar mit der Friedenskonferenz einverstanden sei, sein Bestes, um sich für den im April erlittenen Mißerfolg zu ent- schädigen, während die Lage'n Ungarn   und Kleinasien   zu neuen Verwicklungen führe. Alle diese Anzeichen wiesen auf eine ernste Krisis hin.
Wilsons finkunft in Amerika  . Das Werk des Friedens hat erst begönne«. Newyork, 9. Juli.  (Reuter.) Wilson ist gelandet und wurde von riesigen Menschenmengen begrüßt. Er fuhr nach der Earncgic-Hall, wo er eine Rede hielt und darüber sprach, was die Nationen von Amerika   erwarten, welches diesen Erwartungen gc- recht werden müßte. Wilson erklärte, das Werk deS Friedens habe erst begonnnen, als der Friede unterzeichnet wurde. Amsterdam  , 9. Juli. Den englischen Blättern vom 1. Juli zu­folg: hat Präsident Wilson vom Dampfer George Washington   aus drahtlos auf die Kritik der Männer geantwortet, die dafür ein- treten, daß Amerika   zu einer Politik des isolierten ameri- konischen Nationalismus zurückkehren soll. Der Präsi  - beut erklärte, daß Amerika   sich in den Dienst der Menschheit stellen. müsse, und daß er wahrscheinlich einen Feldzug für dieses Ziel in den Vereinigten Staaten führen werde, weil er der Anficht sei, daß es notwendig sei, die Versicherungen auszuführen, die er der Pariser  Konferenz bezüglich Amerikas   Bereitschaft, seinen Teil an den Lasten aus der Neuordnung der Dinge zu über- nehmen, gegeben habe.
Die Kaiserfrage. Amsterdam  , 9. Juli. Laut Pressebureau Radio meldetNew Aork Herald", daß in Deutschland   wieder«in neuer Natio- nalismus aufflammt, und daß die Alliierten dadurch, daß sie auf der Auslieferung des Kaisers bestehen, Oel in dieses Fetter gießen. Dasselbe Blatt meldet aus Paris  : Die Franzosen  fürchteten, daß bei einer in London   stattfindenden Verhandlung gegen den Kaiser die Einflüsse der englischen Dr,- n a st i e, die mit den Hohenzollern   so nahe verwandt seien, mit- d c r n d auf das Urteil wirken können. Tie amerikanischen Befürchtungen, von einer nationa- listischen Welle in Teutschland wegen der Kaiserfroge sind übertrieben. Deutschland   empfindet es aber als eine Schmach. daß Deutsche vor ausländische Gerichte gezogen werden. Und daß diese elende Beleidigung Deutschlands   in unserem Volke ihre Wirkungen üben wird, ist ohne Zweifel. Amsterdam  , 9. Juli. Der parlamentarische Mitarbeiter der Times" schreibt, das Unterhaus sei fest entschlossen, eins zu v e r- meiden, nämlich einen deutschen König zum Märty- rer zu machen. Die Ratgeber der Alliierteu in dieser Frage hätten sich bei den Beratungen, die dem in Paris   gefaßten Be- fchluß borausgingen, di.se Tatsache ständig vor Augen gehalten. TieTimes" vom 7. veröffentlicht einen Brief von Graham Bowrr, worin er den Beschluß, den Kaiser in London   vor ein Gericht zu ziehen, für unklug und ungesetzlich erklärt und sagt, in England habe man sich schon längst davon überzeugt, daß es besser sei, einen Missetäter von einer Lücke in der Gesetzgebung profttie- reu zu lassen, als ihn auf ungesetzliche Weise zu verurteilen. Auch früher sei gegen Könige und Königinnen gerichtlich vorgegangen worden, aber in jedem derartigen Falle sei das Urteil innerhalb einer Generation von der öffentlichen Meinung umgestoßen wor- den und hätten sich die Sympathien dem Verurteilten zugewendet.
Die türkischen Schwierigkeiten üer Entente. Aufstand im südlichen Kurdistan  . Amsterdam  , 9. Juli. Das britische KriegSamt teil�- mit, daß im Mai in Suleimanie im südlichen Kurdistan  , hundert- siebenzig Meilen nördlich von Bagdad  , ein Aufstand unter Fuh- rung deS Scheichs Mahmud ausbrach. Die britischen Truppen haben diesen Aufstand, der die Unabhängigkeit Kurdistans   unter türkischer Suzeränität bezweckte, unterdrückt. Am 17. Juni ist die britische Kavallerie in Suleimanie eingerückt und hat die britischen Gefangenen befreit. Am 19. Juni ist die britische Haupt- macht eingetroffen. Scheich Mahmud, der ernst verwundet war, wurde gesangen genommen. Die Lage in Südkurdistan ist jetzt befriedigend.
Gebietsteile Verwahrung gegen das Unrecht ein, das den Ländern und der Bevölkerung dieser Gebiete geschehe. Desgleichen der Abg. Waldstein(Dem.) im Namen der Abgg. Schleswig- Holsteins  . Präsident Fchrenbach: Ein echter deutscher   Stamm kann in dieser Stunde nicht zu Ihnen sprechen, Elsaß-Loihringen. Ich fühle mich vor der Nationalversammlung verpflichtet, mich der Ver- Wahrung der Vertreter der anderen von Deutschland   losgerissenen Gebiete anzuschließen. Abg. Schiffer(Dem.) zur Geschäftsordnung: Vor Eintritt in die zweite Beratung bitte ich um Einlegung einer Pause. Der Präsident beraumt die nächste Sitzung um 12Va Uhr an. Das Haus gehl zur zweiten Beratung des RatifiziernngSgcsctzes über. Jnzwiichen haben die Deutschnationalen ihre Eutschücßung umgeändert zu einem Abänderungsantrag zum Gesetzentwurf selbst, so daß dieser lauten würde, der Unterzeichnung des Friedensver­trages werde zugestimmt unter Vorbehalt, wie es in der Ent- schließung ausgesprochen war. Abg. Dr. Schiffer(Dem.): Wir werden gegen den Antrag "mmeil und bedauern, daß er überhaupt eingebracht wurde.(Sehr richtig!) Abg. Groeber(Z.): Sonderbar genug lag uns der Antrag der Deutschnationalen erst in letzter Minute nur in einem Exemplar in der Hand des Präsidenten vor. Heute heißt es nur: entweder dafür»der dagegen stimmen. Welchen Zweck Sie(nach rechts) mit ihrem Antrage verfolgen, darüber ist niemand in diesem Hause im Zweifel.(Sehr wahr und lebh. Zustimmung b. d. MehrheilSparte, en.) Sie wollen ihre Parteisuppe an diesem Antrag« kochen.(Sehr wahr u. lebh. �Zustimmung b. d. Mehrheitsparteien); aber wir wollen dafür sorgen, daß ihnen dieses Manöver nicht gelingt.(Lebh. Zustimmung b. d. Mebrheitsparteien.) Abg. Schultz-Bromberg(Dnat. Vp.): Daß der Antrag, den wir in letzter Stunde eingebracht haben, noch nicht gedruckt vorliegt, ist nicht unsere Schuld, das Bureau ist nicht in der Lage gewesen, ihn zu Truppen. Unser Antrag ist der letzte Schrei nach Gerechtigkeit eines Volkes, daß dem Untergange bestimmt ist.(Beifall rechts.) Reichsminister des Auswärtigen Müller: Ich bedauere ganz außerordentlich, was wir in dieser historischen Stunde erleben müssen. Im übrigen glaube ich: die Zeit der Borbehalte ist vorbei, heute kann es nur ein Ja oder Nein geben. Was würden unsere .Feinde in diesem Antrag sehen? Nichts weiter als ein letztes Manöver, eine letzte Schiebung.(Sehr richtig I und leb- hafte Zustimmung d. Mehrheitsparteien,) Ich glaube die Schieber- geschäste auch in der Politik müssen ein für allemal Vorbeisein. Nur mit loyalen Mitteln können wir die Revision des Vertrages er« reichen, aber mit solchen Anträgen wird sie schlecht eingeleitet. Abg. Lorbe(Soz.): Das Generalsekretariat der Deutschnatio- nalen Volkspartei hat hier kundgegeben, daß die Situation der niederschmetternden FriedcnSbedingungrn agitatorisch ausgenützt werden müsse.(Hört, hört l) Die Abstimmung ergibt die Ablehnung deS Antrages der deutschnationalen Volkspartei gegen die Stimmen der Antrag- steller und einiger Mitglieder der deutschen   Volkspartei und die Annahme des Gesetzentwurfes ohne Aenderungen. Auf Vorschlag des Präsidenten Fehrenbach tritt daS Haus zu­gleich in die dritte Beratung ein. Das Wort wird nicht verlangt. Auf Antrag des Abgeordneten Richter- Ostpreußen(Dt. natl.) erfolgt namentliche Abstimmung. Daran beteiligen sich 323 Abgeordnete: 203 mit ja, 116 mit nein. Damit ist das Gesetz angenommen. Schluß 1,20 Uhr, Nächste Sitzung Mittwoch, nachmittag 3 Uhr.
DaS neue Sprachrohr der Regierung. DaSZ-Ubr-Abendblatt" wird in jüngster Zeit mit besonderer Vorliebe als PubbikationS- organ der sozialdemokratischen Minister benützt. Nach Südeku m, Icheidcmann und Ha enisch hat das Blatt am Dienstag abend auch vom preußffchen Ministerpräsidenten Hirsch einen Artik-l veröffentlicht.
Der Schlußakt. Von Josef Altmaie r. ES ist still geworden in Versailles  , im Schloß, im Park und im Hotel des Reservoirs. Brockdorff-Rantzau  , der seinsinnige Mensch und gewandte Diplomat, vor dem selbst die Franzosen große Ach- tung haben, ist abgereist mit der Delegation und dem Schwärm der Sachverständigen, unter denen mancher der besten Köpfe Deutsch  - lands zu finden ist. Der emsige Fleiß ist verschwunden, der alle Räume von oben bis unten Tag und Nacht durchzog. Selbst die Journalisten sind lässig geworden, unter denen sonst eine wilde Hetzjagd und ein heimliches Ringen tobte um Nachrichten, Telephon und Telegraph. Während sonst die zahllosen Schreibmaschinen wie Maschinengewehre knatterten, hört man jetzt nur noch langsam und selten das Tipp tippl Im Park sieht man keine anfgeregten Grup- pcn mehr. Die Wenigen, die zurückgeblieben, füttern sogar die Fische, Morgens kommt höchstens ein Kurier auS Deutschland  , und die Abfahrten vollziehen sich des Abends still und geräuschlos. Ein einziges Zluto genügt für Gepäck und Reisende, nur drei, vier drücken den nach Deutschland   Fahrenden die Hand, wo sonst Dutzende in der Dämmerung standen, Zlbend für Abend und einen Gruß mit- gaben nach Teutschland, nach dem sie Sehnsucht hatten, Heimweh, irotz des Ueberflusses, in dem man schwelgen konnte. Heimweh nach dem armen, ausgehungerten Land, zu dem man gehörte und vor dem man sieh innerlich schämte, wenn man an den vollbesetzten Tafeln saß, die uns Frankreich   fiir teures Geld hinstellte. Man hört nicht mehr Klavier, Flöte und Grammophon in dem SitzungSzim- mer der Delegation, die dort spielten, wenn die Delegierten be- rieten. Die Franzosen  , die dort Mikrophone angebracht hatten, um von Ferne die Gespräche abzulauschen, konnten höchstens, wenn Richard WagnersLied an den Abendstern" gar zu mißtönend hinausklang,Unstimmigkeiten in der Delegation" feststellen. Das Klavier klang nicht mehr, nicht mehr tönte die Flöte und kein Grammophon krächzte. Tie Funkenstation auf dem Dach war ab- gebaut, abgefahren der Wagen mit der Druckerei aus dem ehe- moligen großen Hauptquartier, die Telegraphenbeamten, die schon in Brest-Litowsk   dabei waren, lagen jetzt faul im Grase und des Nachmittags stauten sich nicht mehr vor den Staketen unseres Ge- iängnisscs die neugierigen Pariser, die einmal einenBoche" sehen wollten. Still war es geworden. Im Park, im Hofe und in den Gebäuden, Der Tag des Schlußaktes war gekommen. Von Tag zu Tag war die Ungeduld Frankreichs   gewachsen. Die Zeitungen schimpf- ten, daßnur" ein Müller zum Unterzeichner bestimmt wurde. Ein Graf oder Baron   wäre ihnen lieber gewesen, ihnen, den Republi- kanern, denen ein Titel ein StückGloire" bedeutet. Endlich kom­men die Blätter, die Photographien von Müller und Bell bringen, das Rätselraten hatte aufgehört:morgen ist der Tag des Ruhmes, der große Tag." Am Abend vorher erwarteten die Pariser   Bericht- «rstatter und Photographen zäh und ausdauernd die Ankunft und warteten dennoch vergeben», denn der Zug hatte gut vier Stunden Verspätung und traf erst morgens gegen drei Uhr in Moissh ein, statt in Paris  . Samstag morgen. Trompetenfignale und Reitergetrampel
wecken Versailles   aus dem Schlaf. Kompagnieweis« ziehen die Regimenter vor den Trianonpalast und sperren ihn und die um» liegenden Straßen. Die Stadt gleicht einem einzigen bunten Heer- lager. Feldmarschmäßig bepackt liegen die Infanteristen auf den Bürgersteigen. An den Straßenkreuzungen flattern die weiß-roten Fähnchen der Kavalleristen. Jedes Hau? trägt üppigen Fahnen- schmuck in den satten Farben Frankreichs   und seiner Verbündeten. Auto folgt hinter Auto. Offiziere und Generäle in Gala, dicht fluten die Massen aus Paris  , das kommende Schauspiel zu erleben. Um ein Uhr hebt sich der Vorhang. Die ersten Wagen kommen. die wenigenAuserlesenen" dieser Erde bringend, die in den «piegelsaal dürfen. Zwei Uhr! Fünfzehn deutsche Pressevertreter sind zugelassen, fünfzehn Deutsche werden zum Trianon geleitet. Niemals war ein Gang so schwer. Zum Begräbnis! Es war als begleite uns Beethovens Adagio, unsagbar traurig, klagend um ein Volk von sechzig Millionen Menschen, das von stolzer Höhe in den tiefsten Abgrund gestürzt war. Weinend um die Toten, die Mütter, die Krüppel; um die Väter, die Söhne und Freunde? Schluchzend um die fünfzehn Millionen Franzosen, Deutsche  , Russen, Oester- reicher, Italiener  , Engländer, Belgier, Neger, Kanadier  , um die fünfzehn Millionen, die in den Massengräbern faulen! Jammernd um das entsetzliche Elend der vergangenen Jahre, um die nieder- gebrannten Städte und der heimatlos Gewordenen. Erinnernd an das Glück und den Frieden vor 1914, den Segen der Felder, an die Früchte der Arbeit, an alle die Kränze und Bänder, die die Ein- tracht und die Wohltat der Völker gewoben hatten. Schatten kommen! Es klagt und zeigt. Die Schützengräben, die Blutfelder, die grausen Nächte und sonnenloeren Tage. Schmerzlich klagt eS im wunden Herzen, daß kein frischer Frühlingswind den Haß und die Rgche hinwegfegt. Es ist, als müsse man aufschreien, nach Luft, nach Versöhnung, nach Menschen, als wären wir allein und verlassen in einer weiten, weiten, wasserlosen, dürren Wüste. Und doch mußten wir uns durch Tausende zum Eingang durchkämpfen, brandete der Ruf von Zehntausenden an das Ohr, die die Mäch- tigen dieser Erde begrüßten. An jedem Eingang stehen Riesen- Wächter in Paradeuniform und ein« Elfässerin in Nationaltracht erinnert an denSieg" Frankreichs  . Es sind nur einige Tausend, die Zutritt zum Park haben, wo die großen Waffer zum erstenmal seit fünf Jahren spielen. Es sind nur einige Hundert, die in den zweiten Ring eindringen dürfen, der die Wege zum Schloß ein­schließt. Es sind nur einige Dutzend, die vor der Terrasse stehen können. Was muh da drinnen vor sich gehen? Wir Deutsche   haben unsere Plätze in der letzten Reche und unsere beiden Delegierten sind eingereiht zwischen den Vertretern der südamerikanischen Negerrepubliken. Im Spiegelsaal«in wüstes Durcheinander, Rufen, Schreien, Schwatzen. Di« Mehrzahl der Anwesenden steht auf den Bänken, nach der Mitte schauend, zum Schreibtisch,-wo der goldene Federhalter liegt, den gestiftet zu haben sich Elsatz-Lothrtngen rühmt, die Schulkinder der verwüsteten nordfranzösischen Gebiete und na» tionale Vereine, die sich um die Ehre streiten. Unsere Klage zer- rinnt beim Anblick des Saales, dessen Menfckengewoge und Getriebe einem Renntag gleicht. Dunkle Fräcke, weiße Westen: Frankreich  ! Sportanzüge: England und Amerika  ! Schwarze Jacken und rot« Rosen im Knopilcch� Japan  ! So leuchtet eS in allen Farben. Und es schwirrt in allen Sprachen der Welt, wie beim Turmbau zu Babel  , dem der Bertrag ähnelt, der den Krim   beenden soll. In einer Ecke kurbelt ei« Amerikaner für? Kino. Hunderte von photvgraphischen
Apparaten knipsen. Jeden Augenblick werfen Engländerinnen ihren Taschcnkodax hoch, um irgend einen berühmten Mann auf der Platte festzuhalten. Hoch oben auf einem Marmorvorsprung sitzt ein Maler, ein Begleiter hält die Farben und eifrig fährt der Pinsel über die Leinwand. Drückende Schwüle! Ein Fenster wird ge- öffnet.Es zieht! Es zieht!" schreien einige Damen. Schimpfen, Streiten, ein Huissier schließt das Fenster.Setzen, setzen", rufen Dutzende. In den schmalen Gängen schieben, drücken, stoßen und ereifern sich die Offiziere, Zivilllsten, Wächter, Damen und sogar Halbweltdamen, die hmingeschnmggelt werden. Händeklatschen: Wilson, Clemenceau   und Lloyd George   betreten den Saal. Das Gedränge und Schubsen verstärkt sich. Die drei Gewaltigen unter­schreiben den Herandrängenden unmishörlick» Postkarten und Fest- Programme. Drei Uhr! Ein Stockzeichen! Tiefe Stille! Tie deutschen   Delegierten betreten den Saal, verneigen sich knapp und werden auf ihre Plätze geführt. Niemand steht auf, keiner erwidert den Gruß! Jetzt schneidet Clemenceaus scharfe, bissige Stimme die Luft. Müller und Bell werden an den Tisch in der Mitte geführt, alle Photographen arbeiten, die Kurbel des Kinooperateurs rasselt leise! Drei Urkunden werden unterschrieben, Clemenceau   beugt sich vor, stützt den Kopf auf die Hand, läßt wie ein Tiger kein Auge von den Deuffchen. draußen donnert der erste Schuß. Clemeneeau lehnt sich zurück. Ein Ausahnen! Sie haben unterschrieben, ohne Protest, kein Wort mehr als den Namen. Wilson, erhebt sich, ihm folgen seine Ratgeber. Amerika   leistet die Unterschrift. Wilson geht zurück und wirft«inen kurzen Blick auf seine an der Wand stehende Gattin. England folgt und jetzt Frankreich  . Von Paris  her rollt der Donner der Geschütze; Maurice Barres  , der unter den Zuschauern sitzt, lächelt? Der Triumph eines Lebews. Unterschrift folgt mtf Unterschrift. Jetzt taucht der weiße Kopf deS Geigenkünstlers und polnischen Staatsmannes Paderewski   auf, der alle Blicke auf sich zieht und dessen intimes Verhältnis zu Wilsons Gattin noch einmal die Geschichtsschreiber beschäftigen wird. Ter Maharadscha von Bikcmir trägt als einziger im Saal«ine Kopfbedeckung, den Turban. Nachdem er gezeichnet, erlahmt das Interesse der Zuschauer. Die Nebensäle füllen sich, wo ein lebhafter Briefmarkenverkauf stattfindet. Hunderte drängen sich um den Be- amten, der den eigen? für diese Stunde hergerichieten Poststempel unermüdlich aus die Marken drückt. Andere lassen sich Visitenkarten stempeln oder Brieftaschen, und einer sogar, der sicherlich den Geiil desFriedensvertrages" am besten erfaßt hat: das Porten oroiaie. Kurz vor fünf Uhr sind die zwölf Unterschriften geleistet. Clemcn- eeau verkündet den Frieden und bittet die Anwesenden sitzen zu bleiben, bis die Deutschen   hinausgeleitet sind. Inzwischen donnern die Kaitonen aus allen Richtungen, die großen Wasser springen, daS Publikum hat alle Schranken durch- brochen, die unendliche Reihe der Tausenden von Automobilen geben Signale, die Sirenen heulen, Wilson, Clemeneeau und Lloyd Georg« müssen vor der jubelnden Volksmenge flüchten nnd den Weg durch unser abgesperrtes Gebiet nehmen, am Hotel deS Re- servoirS vorbei. Einige Stunden später sitzen wir im Zug. Di« Nacht leuchtet rot vom Raketenfeuer. Wir denken an die 15 Millionen Tote, an alle Mühseligen und Beladenen, an die KomÄne im Trianon. und es ist, als hörten wir den Himmel in ein unendliches Gelächter ausbrechen über den Vertrag vom 28. Juni 1919, die Frucht eines fünfjährige« Weltkrioge»!