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Nr. ZH2 ZS. Jahrgang
2. Heilage öes vorwärts
Sonntag, Z. August 7�19
Ein Kämpferieben. Jmm« fthon. d. h. schon im letzten Reichstag, hatte mir mit seinem abgeklärten Humor, mit seinem Zug leiser Ironie, mit seinem Schalk, der ihm im Nacken saß, der alte Bios gefallen. Noch mehr aber gefiel er mir. als er ein einzigmal in den «-eterregtcn Auseinandersetzungen, in der Fraktion das Wort er- «rkfstNicht allein seine Meinung gelteno zu machen, auch der »Mehrheit sich ein- und unterzuordnen, das gehört auch zur Demo- dratie." Er sprach fein und sehr eindrucksvoll. So wie ich mir meine Meinung über ihn bildete, so war die Meinung allgemein: Der alte 13los, daö ist ein seiner Kerl. So griff ich gerne nach seinen Denkwürdigkeiten, von denen vor kurzem der zweite Band herausgekommen.») Denn der alte Blos ist als Parteimann wie als Mensch ein Mann mit einer »eichbewegten Vergangenheit. Und wenn man seine Erlebnisse und Bekenntnisse liest, die wert sind, daß sie allen in der Partei und auch vielen darüber hinaus gehören, so weiß man nicht, ob man den ver- dienten Parteimaim oder den nicht unterzukriegenden Menschen bei ihm voranstellen soll. Denn er hat so viel kräftige Art und Eigenart von Haus aus mitbekommen, so viel revolutionäres Temperament. aber auch so viel guten Humor, daß beides ausgereicht, bis ins Greisenalter anzudauern, aber auch so viel brüderlich-demokraiisches Disziplingefühl, daß er, ihm vor allem gehorchend, in den Wirrnissen der Vergangenheit, wie in der Wirrnis unserer Tage, unserer Partei stets ein absolut zuverlässiger, erprobter Bannerträger ist und war. Er liebte das Recht und die Freiheit heiß und tief; das hat ihn aus ser kleinbürgerlichen Demokratie weg zur Sozialdemokratie hin- geführt, aber er ließ dabei nicht von seinem erdig- frohen, gemür. basten, dichterischen Genießergefühl, von seiner Freude an heiterer .Irdischkeit, die ihn in durchweg wahrhaftig nicht rosigen Lebens- läuften sich immer wieder froh und frei wie«in König fühlen ließ, die ihn alle», was er erlitt, was ihm geschehen und was er gesehen, innerlich verklären, lebenskünstlerisch erleben ließ, die ihn auch das noch heiter nehmen ließ, was manchem anderen tiefste Bedrücktheit sind Entmutigung abgenötrgt hätte. Diese glückhafte Wesensveranlagung strahlt von Anfang bis zu Ende aus seinen beiden LebenSbüchern, die übersät sind mit kleinen episodischen Einzelzügen, die sein Vermögen erhellen, zu den Menschen, die»hm behagen, zukleinen" wie zugroßen" und es brauchen nicht immer Parteifreunde zu sein, in ein intimes, warmblütiges Verhältnis zu treten; die Parteitreue, aber nichts von Nur-ParteifanatiSmuS, der engstirnig bleibt, atmeji, die in jflem, wie er Menschen, Umwelt und Erlebnisse so bildhaft zeichnet, daß sie nicht wesenhose Schemen bleiben, die kaum einen schatten werfen, zeigen, daß eS von einer Hand kommt, Inder Seele wohnt. Dieser Ritter ohne Furcht und Tadel, einfach, männlich, frei« mütig, hat sich in fünfjahrzehntelangem Kampf mit Parteigenossen und Parteigegnern kraftig herumgeschlagen.Ich leugne nicht, daß ich in lenem Bruderzwist(zwischen Lassalleanern und Eise- nachern) viel mitgesündigt habe". und ist glauuia reinen, man möchte fast sagen: naiven Herzens geblieben, ein Glück und Vorzug, wie er vielleicht nur wenigen Politikern erblüht; er hat nicht den Glauben an seine Sache und seine Partei, nicht den allgemein» brüderlichen Menschheitsglauben verloren. DaS alles zusammen Bewährung und natürliche Veranlagung, jeden redlichen Menschen in seiner Art gelten zu lassen hat es vermocht, daß unter Ge- bildeten diesem Mann Zeit seines Lebens viele wahren Freunde verblieben, selbst da, wo sie nicht in seinem Parteilager stehen. Wir aber wollen ihn ganz besonders lieben, denn in seinem fruchtbaren Leben hat er uns gedient, uns hat er gehört. Wa» er erzählt Blos ist der geborene Erzähler, ist ohne verstiegenheit gegeben, schlicht, volkstümlich und ungekünstelt, so daß es der einfachst? Arbeiter versteht. Allerlei eingowobener, oft schnurriger Kleinkram, echte Menschlichkeiten, und herzhaft wieder- gegeben, rücken ihm mit einem geschichtlichen Rimbu» umkleidete politische und literarische Persönlichkeiten wie altvertraut wirtlich nahe, die er ohne dies nur in einer nebelhaften, unwirklichen Eni- fernung sähe. Aber auch dem Geschulten und Anspruchsvollen g«- schieht voll Genüge. Ein sich schlingender Reigen lichter und dunkler Gestalten seit 70 Jahren, seit der 48er Revolution, di« aus der Revolutionierung von Wissenschast. Literatur und Politik, aus der sozialen Bewegung einen Namen haben, zieht da vorüber, die BloS alle noch von Angesicht zu Angesicht gesehen. Blos, der sich so sehr für Geschichte interessiert was er auS dem eigenen Leben erzählt, ist jetzt selber Geschichte. Man merkt es wohl ) Wilhelm Bios: Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten. Verlag G. Birk u. Co., München  , 1. und 2. Bd.. 287 und 224 Seiten.
jetzt erst recht, nachdem wir unter unerhSrten Ereignissen neue Geschichte erleben> es ist die erste, die zweite, sogar die dritte zurück liegende Generation, deren ragende und oft auch nicht ragende Köpfe und soziales Mühen er in seinem ersten Bande heraufbeschwört; aber die Art, wie er sie und ihre versunkene Um- weit ins Bildhafte hebt, stellt unS mitten unter sie. Revolutions- und Freischärlerluft Revolutionsromantik aus den nun ach so kleinen Stürmen der Liberalen tn wein frohen Städtchen vom Main  bis zum Bodensee   schlägt uns entgegen; köstliche Typen im Hcckec- Hut, von denen wir später manche als ganz zahme Nationalliberale wiederfinden, begegnen uns in dem ziemlich großen.lbschnitt, der uns von Bios' bitteren Kinder- un� harten ersten geistigen und politischen Entwicklungszeiten erzählt. Er wurde von Kindesbeinen an nicht auf Straßen geschoben, woran rechts und links fette grüne Weide lag, und oft genug haben sie als Sackgasse geendet. Daß er sich trotzdem mit so viel behaglicher, verklärender Poesie in seiner Jugend Land ergeht im Kinderland: Int Paradies, bi Möm und Ohm, Dar steit he in min Kinnerdrom..., dann in den Studentenjahren, den Jahren tollen, brausenden Jugenddrangs, wo man glaubt, in Lebenslust und Lebensernst die Stern« vom Himmel holen und tzas Leben in seinem Gang be- stimmen zu können, das tat er wohl vor allem einem tiefen eigenen inneren Gefühl zur Genüge. Aber doch ist es nicht Selbst- zweck, und der Leser folgt ihm auch darin willig auf jeden Fall aber ist es kennzeichnend für den Mann und seines Wesens Wurzeln, wie wir sie hier zu bestimmen suchten. Kennzeichnend ist eS auch, wie er gesteht, daß ihm, dem damals Jugendhaften, die Tränen in die Augen traten, als ihm das Ein- gehen des demokratischen Konstanzer Volksfreunds gemeldet wurde, jenes ersten Blattes, das ihm als..Unterredakteur" sein erstes stürmisches Eingreifen in die politischen Tagcsfragen ermöglichte. Dann wie ihm, viel später, und nun schon als tausendfach Herum­gestoßenen, oft inhaftiert Gewesenen und bis zur körperlichen Zer- rüttung Abgetriebenen, vor dem Grabe des edlen Geib, dem er die Leichenrede hielt, die zitternde Stimme brach. Ich selber sah ihn, wie er, die Augen voller Tränen, aus jener erschütternden Sitzung der Nationalversammlung vom 22. Juni trat, die dem Friedens- vertrag zusttikmen mußte, mit dem man Deutschlands   und des Sozialismus tiefste Erniedrigung und Vernichtung anstrebt. Sein voll und reich strömendes Geftihl ist bei Wilhelm Blos   ein Urwesens- zug,'der als Rührseligkeit nicht ergreifend und nicht halb so er- greifend ohne das Zeugnis wäre, wie dieser warmblütige Sozialist und Internationalist �ich zugleich als«cbter Deutscher fühlt. Dieses i Deutschland   ist tief In Schuld verstrickt gegenüber seinen besten Söhnen, denen es jahrzehntelang Wunden schlug. Auch Blos  , der bewehrte Gesell, trug Wunden über Wunden davon. Dem noch ganz jungen Politiker, als Idealisten und Alu- visten innerhalb der Demokratie, genügten bald Form und Inhalt des demokratischen Programms nicht mehr. Es sprach zwar von gleichen StaatSbürgerreckiten, neben der politischen Freiheit und Gleichheit sogar von wirtschaftlicher Befreiung; aber wirtschaftliche Befreiung der Arbeiterklasse war doch mit Arbeiierschutz, Fabrikgesetz. aebung, zehnstündigem Normalarbeitstaa und Einigungsümtern nicht durchzusetzen. Es war der klassenbewußte Arbeiter, der dem suchen» den Akademiker erste Belehrung gab.Seben Sie," sagte ihm der Maschinenmeister der Druckerei,das demokratische Programm ist ganz schön. Aber wenn eS verwirklicht wäre, so hätte der Brandecker immer noch die Macht, mich auf die Straße zu werfen und mit meiner Familie verhungern zu lassen." Da lag der Hase im Pfeffer. Die Eigentums- und ProduktionZform war der Angelpunkt, von wo aus die Befreiung der Arbeiterklasse tatsächlich bewirkt werden konntet Dem armen, von der Schwindsucht gepackten Maschinen- meister Kießling und vielen anderen der wisscnSernsten. dem Sozia­lismus ergebenen Namenlosen hat BloS in Dankbarkeit und Freund- schaff in seinen Büchern ein Denkmal gesetzt. So dem alten Franz Reichelt   in Zeulenroda  , dem diese Zeilen vielleicht zu Gesicht kommen. Vom Wahlkreise Reuß wurde BloS im Jahre 1877 zuerst in den Reichstag   gewählt. Zu köstlich beschreibt er die Fülle der historischen und intcresianten. der anziehenden und abstoßenden Persönlichkeiten in diesem Parlament im alten ReichStagsgebäud« in der Leipziger Straße. DaS Zentrum, gestärkt durch den dummenKulturkampf" und noch in schroffer Oppositionsstellung, die Rationalliberalen, zahlenmäßig noch in"ihrergroßen Aeit", aber vor Bismarck  , der ihnen breite Bahnen zur Großindustrie, zum Welthandel, zu riesiger Kapitalanhäufung erschlossen hatte, sie dafür anderseits aber mit dem Kürassierstiefel behandelte, kriechend wie die Hundeseelen; die Fort- schrittspartei, wütend auf uns gemäß dem Wort deS schwäbischen Demokraten Julius Hausmann:Die Kerle verderbet ons alles!' (nämlich die Stimmenfängerei unter der zum Klassenbewußtsein erwachenden Arbeiterschaft); die alten Westarps und Reoentlöwen na ja.... Als Präsident der Ungerechteste, den BloS in drei- einhalb Jahrzehnten kennen lernte, der Nationalliberal« v. Forcken-
beck, der duldete, daß den Sozialdemokratengewerbsmäßig" das Wort abgeschnitten wurde, der den sozialdemokratischen Abgeordneten daS Wort oft geradezu verweigert hat. Zu den Kommissionen wurden sie nicht zugelassen, aber man sagte ihnen nach draußen nach, sie könnten nurNegation" betreiben. An der Spitze des Ganzen Bismarck, halbmodern, halbfeudal, tückisch lauernd, der Sozialdemo- kratie ans Leben zu können. Als er die Nationalliberalen dermaßen breitaeschlagen, daß sie im Verein mit den konservativenPatrioten" ihm das Schandgesetz apportiert hatten, herrschte die Stimmung vor:Die sind besorgt und aufgehoben." Die Sozialdemokratie wurde fertig mit Bismarck   und feinen Satrapen. Ihre Stimmung war schließlich durch das geschichtliche Wort BrackeS stigmatisiert: Wir pfeifen auf das Gesetzt" Ueber das W i e handelt Bios im ganzen zweiten Bande und gibt wieder eine Fülle allerpersönlichster Noten. Hier eine: Hamburg   unter dem kleinen Belagerungszustand. Aufgescheuchte Menschen im Redaktionsbureau der Gerichtszeitung, des verkappten Parteiblattes. Blos und Auer, an Tischen sitzend, bei der Arbeit. Aber Auer feierlich mit einem schwarzen Frack angetan. Da fragt ihn ein vorwitziger Parteigenosse:Was bast denn Du für einen Rock an?"Meinen AusweisungS- f r a ck l" antwortet Auer trocken. Es wurde schon viel und von Berufeneu über da» Heldenzeitalter der Partei geschrieben mit am frischesten stehen mir in diesem Augenblick Bebels Memoiren in der Ennnerung, aber ich muß sagen, anschaulicher als durch die Be- fchreibungen Blos' wurde ich nirgends durch das altvergangene Parteileben geführt. Das macht: Blos gibt nicht akademische Be- schveibungen, er zeigt die Dinge und die Menschen mit einer ihm eigenen Gemüthaftigkeit und Innigkeit. DaS ist Leben, das da atmet und strebt, leidet und lacht, daß wir unS sagen: So und ähnlich hast du das auch schon erlebt.. BloS ist glücklicherweise kein langwelliger Greis in Schlafrock und Zipfelmütze; in alle Tragik und Fron, in Empörung und Pathos klingt sein kräftiges Lachen. Wie einst im braunen Haar. So leuchtet ein eigener Glanz, der Glanz eines stark erlebten und frolfen Lebens über den Schilderungen der Wege und Schicksale der Partei, die auch Blos' Wege Ivaren, für die er sein Bestes gab, und zwar in jahrzehntelangen Zeiten, als eS für einen Akademiker, der die gut- bürgerlichen ÄuSfichten für sein? sozialistische Ueberzeugunß in die Schanze schlug, materiell nur Nachteile in der Partei einzu- tauschen gab. Jetzt hat W ü r t t e m b e r g, wo er seit langem ftnrkt, den bald Siebzigjährigen zum Landespräsidenten.erwählt: Personifizierung unseres Parteiaufftiegs! BloS will unS noch einen dritten Band:Denkwürdigkeiten" geben, der �hoffentlich auch die Frische dessen atmen wird, dem das Leben das fröhliche>erz beließ varlehnssihwinöel. Wenn Dich, lieber Leser, dies«? Thema interessiert, so begleite mich auf einigen meiner Irrfahrten, die ich zur �Erlangung eine? Darlehns unternommen habe. Nimm an. ich wäre ein Beamter, der ein Darlehn aufnehmen muß. Irgendwo hatte ich gehört, daß in den Zeitungen stets Geldango bot« zu finden sind. Ich nahm eine Tageszeitung zur Hand und war angenehm überrascht, mindestens 50 diesbezügliche Annoncen zu entdecken. Gleich das erste Inserat erweckte mein Vertrauen: ..Selbstgeber gibt Darlehn an jedermann grundreell, 5 Prozent Zinsen, langjährige Rentenzahlung. Tausend« erhielten bereits." Ich meldete meinen Besuch an und wurde in ein einfach möbliertes Privatkontoc genötigt. Nach Klarlegung meiner Verhältnisse er- klärte mir der Biedermann, daß ich das Darlehen bekommen könnte, jedoch waren zur Erstattung der Unkosten 10 M. zu entrichten. Ob- gleich hiervon wenig erbaut, zahlte ich und tröstet« mich mit dem immerhin bescheidenen Zinssatz des in Aussicht stehenden Darlehns. Nachdem ich 8 Tage gewartet hatte, erkundigte ich mich, wann da» Geld ausgezahlt würde. Mir wurde kurz geantwortet, daß die Gewährung des Darlehns abgelehnt wird. Und meine 10 M.? Sind für Auslagen und werden nicht zurückerstattet. Daraus beschloß ich, mit folgendem Inserat miein Glück zu ver- suchen:.Darlehn gegen Möbelverpfändung(stehenbleibend) au jedermann, langjährig« Ratenzah�'ng." Habe ich Vorschuß zu zahlen? fragte ich den mich empfangenden.Geldmann". Kein. Nur müssen die Möbel von einem Sachverständigen taxiert werdeu, wofür an diesen 10 M. Taxgebühren zu zahlen sind. Ter Herr ..Sachverständige" kam, besichtigt« meine Wohnungseinrichtung und steckte seine 10 M. Taxgebührsn ein. Nach einigen Tagen erhielt ich den Bescheid, daß ich das Darlehen bekommen könnte, wenn der Hauswirt, der ein gesetzliches Pfandrecht an den Sachen �hat, seine Einwilligung zu der Verpfändung der Möbel geben würde. Da ich eine derartige Zumutung entrüstet zurückwies, betrachtete der
Erleuchtung.
SO'}
Roman von Henri Barbusse  . Verdeutscht von Max Hochdors. Manchmal erschienen auf der Straße oder an den Fenstern Herren, die ganz neue Uniformen trugen. Man wollte sie erkennen, aber zuerst erkannte man sie gar nicht. Graf Or- champ war Leutnant der Reserve. Dr. Bardoux war Stabs- arzt und er trug die Ehrenlegion und alle bewunderten achtungsvoll diesen Glanz. Feldwebel Marcassin, der eben noch der dreckige Lampenputzer Petroll gewesen war, und dessen Name ja soviel wie Schwein und Dreckfink bedeutete. stand unerwartet vor den Menschen, wie wenn er aus der Erde hervorgesprungen wäre. Er war ganz frisch angetan und aufgetakelt undstrahlte und starrte in rot und blau und goldenen Tressen. Schon von weitem mutzte man ihn be- merken. Gleich einem glänzenden Mann auS der Fremde bezauberte er die Scharen der Jungen, die ihm noch vor acht Tagen Kieselsteine nachgeichmisien hatten. Eine Frau aus dem Volke wurde vom Triumpf herum- gewirbelt und rief:Die Alten und die Jungen, die Dicken und die Dünnen, alles zieht jetzt wieder den bunten Rock an i" Und eine andere Frau meinte, datz nun ein neues Reich herausgekommen sei. Am Freitag darauf war ich dessen gewiß, datz auch ich ausmarschieren' mutzte. Dann kauften wir Schuhe ein und bewunderten auf dem Weg die schönen Vorkehrungen im Kine- matographenthcater. das' in ein Rotkreuzspital verwandelt werden sollte. Marie prüfte die aufgehäufte Menge der Möbel und der Betten, und sagte:.Man hat aber auch an alles gedacht I" Da standen Kisten mit kostbarem Inhalt, da waren alle notwendigen Dinge reichlich vorhanden und vollkommen Und sie wurden mit ewt�französischem Schwung an Ott und Stelle gebracht von den esanitälssotdaten, die der junge Varennes  kommandierte. Er war ein hübscher Sanitätsunterosfizier und Herr Lazian Gozlan war der Offizier vom Dienst. Rings um daS neue Lazarcrt euuvickelten sich Gcjchäjtig-
keit und lebhaftes Reden. Im Handumdrehen hatte man sich unter freiem Himmel eine fliegende Kneipe aufgezimmert. Für Apolline waren seit dem allgemeinen Umschwung und der Mobilisation alle Tage Feiertage, und sie versah sich reichlich mit den berauschenden Tropfen. Sie humpelte mit ihrer breiten Leibeswölbung vorwärts, sie schaukelte ihr Halblitcrschöpplein in den kurzen Schildkrötenarmen. Die rübenroten Flecken auf ihren Wangen leuchteten noch röter, und sie schwankte schon in lauter Hoffnungsseligkeit. Auf dem Rückweg kamen wir bei der Kneipe FontanS vorbei. Fontan war schwer geschäftig und ein schmalziges Lächeln leuchtete aus seinem Gesicht. Er huschte durch den Rauchschwaden, und man sang die Marseillaise ringS um ihn. Die Zahl seiner Hllssmannschaften war vermehrt, er selbst mutzte sich verdoppeln, er mutzte Gläser schleppen. Gläser schleppen. Seine Geschäfte wuchsen und wuchsen, die Not- wendigkeit der Dinge verlangte es. Als wir unsere Straße wieder erreichten, lag alles in der alten Einsamkeit. In der Ferne verstarben die zitternden Be- wegungen der Marseillaise  . Man hörte nur Brisbille. er war betrunken, und er hämmerte mit aller Kraft seiner Arme auf den Amboß  . In den Häusern, die gleiche Finsternis wie immer, die nämlichen Lichter entzündeten sich der Reihe nach in den Häusern. Es war, als wollte das alltägliche Leben nach dem sechstägigen, übernatürlichen Durcheinander wieder seine alten Formen annehmen. Schon wehrte ftch hier, in unserem Erdenwinkel, die Vergangenheit wuchtiger als die Gegenwart. Ehe wir bei unS eintraten, sahen wir die mächtige Ge- stalt Crillons. Er kauerte vor seiner Wcrkiiatt im Schein einer Lampe. Er wurde von einem Mückenschwarm um- schwirrt und schlug sich ernsthaft damit herum, eine Fliegen- klappe ordentlich auf ihren Stiel zu setzen. Er war doller Spannung. Sein Mund stand offen und die vom Speichel glänzende Zunge baumelte heraus. Er bemerkte uns und unsere Pakete. Er legte seine Arbeit beiseite, dröhnte einen Seufzer und sagte:Ein Holz ist das l Der richtige Zunder. Um das zu sägen, sollte man ein Butterniesscr nehmen." Er war gekränkt und stand aui. Tann aber sprangen seine Gedanken um. Er stand im Lampenlicht und leuchtete durch den Abend, er streckte den Arm auS und klopfte mir die Schutler und meinte:»Krieg. Krieg, das
haben sie nun eben da ausgerufen. Hei Wetter, nun haben wir den Krieg I" Als wir im Zimmer allein waren, sagte ich zu Marie: Nur noch 3 Tage!" Maria schaffte dieses und jenes, ste redete ständig um mich herum, sie nähte die Metallknöpfe an die sunkelnagel- neuen Tornister. Sie wollte mich offenbar absichtlich zer- streuen. Sie trug eine blaue, weiche und schon abgenutzte Jacke, die am Halse offen stand. In diesem unseren Zimmer nahm sie einen großen Raum ein. Sie fragte mich, ob ich lange fortbleiben würde. Dann gab sie sich, wie schon oft in diesen Tagen, selber die Antwort auf ihre Frage: Natürlich, weißt es ja selber nicht." Sie bedauerte, daß ich nur gewöhnlicher Soldat sei. Sie hoffte endlich, daß bis zum Winter alles vorbei sein werde. I ch aber redete kein Wort. Ich merkte, daß sie mich heimlich ansah, und sie überschüttete mich mit den Neuigkeiten, die sie hier und da aufgehascht hatte:Weißt, der Vikar ist als einfacher Soldat ausmarschiert, nicht mehr und nicht weniger wie die anderen Geistlichen auch. Und der Marquis, der schon ein Jahr über die Dienstpflicht hinaus ist, hat sich dem Kriegsminister zur Verfügung gestellt, und der Minister hat ihm postwendend gedankt." Sie verpackte und verschnürte Waschzeug und Rcffezehrung, als wepu es bloß eine Reise gälte und sie sagte:Alles ist in Ordnung. So, jetzt brauchst Du gar nichts mehr." Dann setzte sie sich hin und seufzte:Ach. der Krieg ist doch schreck- licher, als man sich vorstellt I" Sie schien von traurigen Vor- ahnungcn bedrückt. Ihr Gesicht war bleicher als gewöhnlich. die alltägliche Mattigkeit ihres Gesichtes schien heute artig und sanft. Ihre Augenlider waren rosig angehaucht. Sie lächelte ein schmächtiges Lächeln und sagte:Es sind auch Jungens von achtzehn Jahren. eingetreten, aber nur für die Dauer des Krieges. Sie haben Recht. DaS wird ihnen nachher im Leben zu 100 Sachen nützen." Am Montag schleppte man sich noch so herum, und dann ging ich endlich fort. Erst zum Rathaus, und dann sollte eS Zum Bahnhof gehen. Beim Rathaus stampfte eine Gruppe von Männern herum, die in der gleichen Lage»aren wie ich. sie waren mit vieltach verknoteten Paketen beladen. Tie neuen Stiefel baumelten ihnen über die Schulter. Ich ge- seilte mich zu den neue» Gejährten, um einer der ihren zu werden.(Joris, folgt)