Nr. 423 ♦ 36. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
Mittwoch, Z», Kuxust 191»
Nationalversammlung. ?3. Sitzung vom Dienstag, den August, vorm. 10 Uhr. Am Regierungstische: Müller, Noske, Schmidt, Dr. Bell. Präsident Fehrenbach eröffnet die Sitzung um 10 Uhr b Min. Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfragen. Auf eine Anfrage betr. die bittere Notlage der aus Elsay-Loth- ringen vertriebenen Deutschen erwidert ein Regierungsvertreter, daß die Fürsorge für diese Vertriebenen, deren Notlage der Regie. rung bekannt ist, dem Roten Kreuz übertragen sei.?luch Erwerbs- losenunterstützung werde gewährt. Abg. v. Gräfe(Dnal.) kommt auf die gemeinsame Erklärung der Herren Dr. Michaelis, von Hindenburg , Ludendorff und Dr. Helfferich betreffend die politischen, in der Ikationalver- sammlung am 25. Juli und folgenden Tagen behandelten Vorgänge zurück und fragt, ob die Regierung bereit ist, das Aktenmaterial zur Kenntnis der Nationalversammlung zu bringen, welches dieser von der amtlichen Betätigung deS früheren Staatssekretärs Dr. v. Kühlmann Kenntnis gibt. Ein Regirrungsvertreter beantwortet die Anfrage dahin, dafj das Material zusammengestellt und demnächst der Oeffentlichkeit zugeführt werden wird. Ergänzend fragt Abg. v. Graefe sDnat.). ob nicht wenigsten» dasjenige Material, welches Erklärungen des Herrn von Kühlmann nach seinem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Amt enthält, der Nationalversammlung zur Kenntnis gebracht werden wird. Der RegierungSvertrcter entgegnet, er habe bereits ausgeführ?. daß das Material im Reichsministerium des Auswärtigen zu- sammengestellt, geprüft und demnächst der Oeffentlichkeit zugeführt werden wird.(Zurufe von rechts: Das ist keine Antwort!) Eine weitere Anfrage nimmt auf die Tatsache Bezug, daß irrfolge des jetzigen niedrigen Standes unserer Valuta wertvolle alte deutsche Kunstschätze waggonweise in? Ausland abwandern. Vom Regierungstisch wird erklärt, daß gesetzliche Maßnahmen in Vorbereitung seien. Abg. Dr. Mittelmau» wiederholt seine Anfrage vom 11. Juli betreffend das Berhalten französischer Soldaten in. Berlin im Juli, die die Menge durch verächtliches Gelächter und Verhöbnungen gereizt und schließlich laut gerufen haben: Wir sind die Sieger, Ihr seid Schweine! Geh. Rat Frhr. v. Welser: Die französischen Soldaten sind nicht in Schutzhaft genommen worden, sondern sie sind von der Polizsi, um sie vor der erregten Menge zu schützen, zur Polizeiwache geführt, dort über ihre Personalien vernommen und dann durch Kameraden zur französischen Botschaft gebracht worden. Die zur Botschaft gehörigen Pgrsonen seien exterritorial und können nicht zur Verantwortung gezogen werden. Die Regierung kann leider nicht Vorkehrungen treffen, um die Wiederkehr solcher unliebsamen Vorgänge zu vermeiden. Abg. Dr. Mittelmann(zur Ergänzung): Ist die Regierung bereit, von der französischen Regierung die Bestrafung solcher Frechlinge zu verlangen,(Große Unruhe bei deB Unabhängigen Sozialdemokraten.) Geb. Rat Frhr. v. Welser: Ich glaube, wer gegenwärtig die politischen Verhältniffe auch nur einigermaßen überblickt, weiß, daß wir letder nicht in der Lage sind, so aufzutreten, wie es diesen Bargängen gegenüber gebührte. (Lärm und erregte Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs über E n t- eignungen und Entschädigungen aus Anlaß des Frie- densvertraifes zwischen Deutschland und den alliierten und asso- ziierten Machten in Verbindung mit der ersten Beratung des Gesetzentwurfes eines Ausführungsgesetzes zum Friedensvertrag. Minister des Auswärtigen Müller: Die erste Vorlage will der Reichsregierung die restlosen Grundlagen zur Durchführung einer Reihe von Bestimmungen des Friedensvertrages geben. Sie wird dadurch ermächtigt, soweit nicht freiwillige Abgabe erfolgt, Gegenstände, die auf Grund des Friedensvertrages an die alliierten und asioztierten Mächte ab- zuliefcrn sind, für das Reich zu enteignen. Zu diesem Zweck wird ein beschleunigtes Enteignungsverfahre« eingeführt. Die Enteignung soll der Reichsverfassung entsprechend gegen angemessene Entschädigung erfolgen. Der Inhalt des zwei-
ten Entwurfes ergibt sich aus der Ueberschrift und den an seine Spitze gestellten einzelnen Abschnitten> Geldverbindlichkeiten, Lei- stungen, Schutzrechte usw.j. Beide Borloge» werden dcbattelos dem Hin»Sl>altsausschutz überwiesen. ES folgt die zweite Beratung des Gesetzentwurfes über P o st- gebühren in Verbindung mrt der zweiten Beratung des Ge- setzeii'wurfes zur Aenderung des Postscheckgesetzes und des Gesetzentwurfes betreffend Telegraphen und Fern- sprechgebühren. Tie§§ 1— P des Gesetzentwurfes über Postgebühren werden ohne Erörterungen angenommen. § 4 wird unter Ablehnung eines Antrages Mumm unverändert angenommen. Ebenso der Rest des Gesetzes sowie eine vom Aus- schütz vorgeschlagene Entschließung. Auf Vorschlag deS Präsidenten nimmt das Haus das Gesetz nach kurzer Debatte in dritter Lesung an. Der Gesetzentwurf zur Aenderung des Po st s check- g e s e tz e S wich ohne Erörterung in zweiter und dritter Beratung angenommen, ebenso der Gesetzentwurf betreffend Telegraphen. und Fernsprechgebühren. Hieraus schlägt der Präsident vor. die Sitzung abzubrechen. Zu einer Erklärung nimmt das Wort Reichskanzler Bauer und gibt die auf der ersten Seite abgchruckte Erklärung über Oberschlesien ab. Hierauf wird die Sitzung auf Nachmittag 4 Uhr vertagt. (Schluß im Hauptblatt.)
GroßSerlw Schlamperei iu der Berliner Mchlversorguug. Taufende von Zentnern minderwertig. Vom Angestelltenausscbuß der Brotversorgung erhalten wir nachstehende Zuschrift an die sozialdemokratischen Fraltionen zur Veröffentlichung, der wir entnehmen: Die Oeffentlichkeit hatte in den letzten Tagen wieder Gelegen- heit, sich mit der schlechlen Beichaffenheit deS seitens deS Magistrats verausgabten Backmehls zu beschäftigen. Die zutage getretenen Beschwerden sind für jeden Kundigen berechtigt gewesen. Das Mehl war»hart* geworden, d. h. es war durch unsachgemäße Lagerung zusammengeballt. Die im Mehl vorhandene Stärke war gegoren, somit die Backiähigleir außerordentlich stark beeinträchtigt und wichtige Ernährungsstoffe vernichtet. An diesem Talbestand selbst sind nach den Aussagen Sachverständiger Zweifel nicht erhoben. Es liegt ober im öffenllichen Interesse, festzustellen, oui welche Ursachen sind diese Tatsachen zurückzuführen? In den Monaten Mai— Juni find größere Mehlsendungen in städtische Speicher resp. Lagerräume untergebracht worden. Teilweise traf auch bereits.hartes� Mehl ein. Dieses durfte nicht weiter eingelagert werden, mußte vielmehr schnellstens dem Verbrauch zu- geführt werden. Hier liegt das erste Versäumnis der in Frage kommenden Verwaltungsstelle. Der weitaus größte Teil ist jedoch erst infolge nicht sachgemäßer und zu langer Lagerung im Standkahn„erhärtet". Mehl mutz deS öfteren„bewegt" werden. Dos soll nun aber au« technischen Gründen nicht möglich gewesen sein. Ob hier lälsächlich alle Mittel erschöpft worden sind, dürfle noch genauer nachzuprüfen sein. Nach dieSseniger Ansicht dürste die Angelegenheit keineswegs in der ge- schehenen leichtfertigen Weise auf sich beruhen bleiben. Es gehl keineswegs an. daß unier den beuttgen schwierigen Ernährungs« verhältniiien Tauseude von Zentnern Mehl infolge zu geringen Bcr- aniwortlichkeitSgesühls in Frage kommender städtischer Beamter und Angestellter für die Loltsernährung verloren gehen und teilweise alS Bichfutter zur Verwendung kommt. Nimmt man an. das.harte" Mehl könne durch Vermählen dem guten Mehl beigefügt werden, so ist der Erfolg immerhin ein zweifelhafter; denn derartige Mischungen find in der Qualität ge- ringer. Für die Beurteilung der Verantwortung dieser gesamten Vorkommnisse mögen nachstehende Ausführungen beleuchtend wirken: In der Abteilung für Broiversorgung des Magistrats Berlin liegt die Verantwortung für die sachgemäße Lagerung der Berliner Mehlvorräte in den Händen eines Herrn Martin Levy, dem noch etwa ö bis 8 Mehlsachverständige für die einzelnen Speicher bei- gegeben find. Für den Osthafen kommt ein Herr Herzog in Frage. Gegen biete beiden ist hier zumindest der Borwurf schwerster Pflichtverletzung zu erheben. Herr L. mußte die Vorgänge auf dem Ostbafen kennen und versucht nun die Schuld auf die Hafenver- woltung abzuwälzen. Die Hafenverwaltung erklärt aber, daß die Schuld einzig und allein bei der Abteilung für Brotveriorgung bezw.
deren Sachverständige liege. Nach unserer Ueberzeugung ist die Sache nicht unklar. Die Zersplitterung in der Tätigkeit des Herrn L., indem derselbe gleichzeitig noch bei dem Magistrat Schöneberg als Nahrungsmitielsachvei ständiger fungiert und die Nebengeschäfts einzelner der übrigen Sachverständigen mußten die Dmge so reifen lassen. Soweit die Mitteilungen des Angestelltenausichusses. Die gerügten Mängel Wersen ein rech» bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse in der Groß-Berliner Brotveriorgung. Nicht nur für die Stadt Berlin , sondern auch sür die Vororte sind derartig große Mehlmengen gestapelt, daß kein Mensch weiß, wie daS Mehl am schnellsten untergebracht werden kann. Statt nun eine größere Brolmenge auszugeben, läßt man das Mehl lagern, bis es klumpig wird, um es dann als Viehiuttir zu verkaufen. Wir haben schon wiederholt auf die Eigensinnigkeit der Berliner Brolveriorgung hingewiesen, die darin liegt, daß man trotz des Ueberslbusses nach wie vor die Schrippenbäckerei verbietet. Es wird Aufgabe der sozialdemokratischen Fraktion sein, mit Energie diese skandalösen Zustände zu beseitigen. Im übrigen erlauben wir uns an den ReichSernährungSminister Schmidt die Frage zu richten: Warum wird auch in diesem Jahre die Druschprämie gezahlt bei solchem Mehlüberschutz? Zuschriften aus Landwirtsireiien weiten auf das Unsinnige dieser Maßnahme hin, die auch im neuen Jahr dazu führt, daß'nicht auS« getrocknetes Mehl wieder in Verkehr kommt. Nochmals die Schrippen-HauSbäckerei. Qa dieser von uns in Nr. 421 behandelten Angelegenheit äußert sich die Abteilung für Brotversorgung: Der B a ck I o h n von 25 Pf. für die Herstellung von 10 Schrippen aus einem Pfund Mehl ist unter Zu, stimmung des Fachausschusses für das Bäckerei- und Konditorei« gewerbe Groß-Berlins festgesetzt worden. In dessen«-itzung war errechnet worden, daß bei schärfster Kalkulation sich ein Backlohn von nur etwa 20 Pf. ergeben würde Dieser ist dann auf 25 Pf. abgerundet worden. Bereits vor Erlaß der Verordnung haben Bäcker für diesen Backlohn 10 Schrippen hergestellt: sie müssen also doch dabei ihr Auskommen gefunden haben. An dem Verbot des allgemeinen Schrippenbackens ist bisher namentlich deshalb festgehalten worden, weis, wenn auch vollkommen ausreichend, Mehl zur Herstellung von Großbrot zur Verfügung steht, das zur Herstellung von Kleingebäck in größerem Umfang-- unentbehrliche Weizenmehl nach wie vor nur in verhältnismäßig ge». ringem Prozentsatz geliefert wird. Zur Sicherung der Milchversorgung. Die Lage im Groß-Berliner Milchgewerbe, die durch daS Ultimatum der Arbeitnehmer, der Angestellten und Arbeiter, noch ver- schärft worden ist, hat die ErnährungSbthörden zu schleunigen Maß- nahmen veranlaßt. Gestern fand bei der Fettstelle Groß-Berlin eine Sitzung zwischen den Leitern dieser Organisation und den Arbeitern und Angestellten der Berliner Mlchbetri-be statt. Der Leiter der Fett- stelle bat die Mklcharbeiter, nicht unbesonnen vorzugehen, da ein Streik von unberechenbaren Folgen für die Groß- Berliner Bevölkerung sein müsse. Er gab zu, daß d i« Forderungen nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Angestellten aus eine Erhöhung ihrer Löhne berechtigt seien und versprach, daß die Fettstelle den Wünschen, soweit eS sich nur irgend ermöglichen lasse, entgegenkommen werde. Da in absehbarer Zeit doch mit einer Kommunalisierung des MilchgewetbeS gerechnet werden müsse, wolle man on möglichst ruhiges Zusammenarbeiten erzielen. Die Arbeitnehmer begründeten daraufhin ihre Forderungen. Die Milcharbeiter emp- fänden es als e-ine Verhöhnung ihrer gerechten Ansprüche, daß man wochenlang sich gar nicht um den vorgeschlagenen Tarif gekümmert habe. Die Stimmung sei infolgedessen so gereizt, daß die Arbeiter am Donnerstag in allen Betrieben in den Ausstand treten würdeil, wenn man nicht zu einer Einigung gelange. Schließlich einigte man sich dahin, daß sofort ein SchlichtungSausschuß mit der Beratung der Lohnfragea beauftragt werden solle. Die Meieroibesitzer und Milchpächrer haben gestern ein Tele- gramm an den Reichspräsidenten und die National» Versammlung abgesandt, in welchem sie die Eingliederung der Zentralgenostenschaft für Milchzoirtschoft in die Fettstellc Groß- Berlin, eine Erhöhung ihrer Zuschüsse und die sofortige Erledigung der Arbeiterforderungen beantragen, da sonst am Donnerstag der Streck im Mtlchgewerbe unaitv endbar sei. Inzwischen hat auch di« Staatliche VertelilungSstell« für Groß-Berlin,» die der Fettstelle Groß-Bwlin übergeordnet ist, eingegriffen und die Berliner Betriebsleiter zu einer heute, Mittwoch, stattfindenden
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Aubeou spähte nach allen Seiten aus. Er war der Stell- Vertreter des erschossenen Feldwebels, und er wimmerte: „Wo ist seine Mütze? Er hat so sehr daran gehangen!" Termite erwiderte:„Da, da, ich werde sie schon holen!" Und der seltsame Mann machte sich daran, dieses Ueber- bleibsel zurückzuholen. Auch er stieg auf die Grabenwand, aber als er sich bückte, war er ganz ruhig. Man sah, wie er am Boden herumstöberte. Er war schmächtig, wie ein arm- seliges Aefflein, als er da lebendig auf der entsetzlichen Grabenkante kniete. Endlich legte er die Hand auf die Mütze und sprang in den Graben zurück. Aus seinen Augen, die von Bartbewuchs umrahmt waren, glomm ein Lächeln. Der Kupferschild klapperte an seinem Handgelenk, das von einer ganzen Borstenschicht bedeckt war. Man trug den Körper weg. Zwei Männer trugen ihn. Ein dritter folgte mit der Mütze. Einer von"Ns sagte: „Für den ist der Krieg zu Ende!" Während der Tote rückwärts geschafft wurde, mußten wir wieder antreten und wir näherten uns weiter dem Un- bekannten. Aber je weiter wir vorrückten, desto mehr schien alle Wirklichkeit von uns abzurücken, sogar die lebendigen Ereignisse. Fünf Tage, sechs Tage irrten wir in den Linien herum. Wir fanden fast gar keinen Schlaf. Stundenlang, halbe Nächte lang, halbe Tage lang warteten wir, daß irgend ein Durchgangsweg frei würde, den wir gar nicht sahen. Immer wieder mußten wir eine Strecke zurück und ron vorn ansangen. Wir hielten Wacht in den einzelnen Gräben. Man richtete sich an irgendeinem düsteren und.kahlen Winkel ein, der sich gegen die kohlige Dämmerung ode�gegen die Feuer- linie hin abzeichnete. Man war dazu verurteilt, immer nur die gleichen Schlünde zu sehen. Zwei Nächte lang waren wir erbittert dabei, einen alten Schützengraben auszubessern, der in der dritten Linie lag. Und wir mußten die neuo � Ablagen über den alten und zer- schmetterten einrichten. Mao flutte das langgezogene und s
ausgemergelte und düstere Skelett des Balkenbaus. Wir reinigten den ausgestreckten Abgangsschlund, der voll von Uniformstücken, verfaulten Waffenteilen, zersetzten Kleider- fetzen und Speiseresten war. Das sah aus, wie wenn irgend ein Wald oder ein Haus abgetragen werden sollte. Und alles das war schmutzig, schmutzüberladen, unter Schmutzschichten versteckt ins Unendliche. Wir schufteten zur Nacht, wir ver- steckten uns am Tage. Irgend ein Aufschimmern gab es für uns nur, wenn die schwere Nachtdämmerung yerniederfiel. Denn dann zerrte man uns aus dem Schlafe heraus. Die ewige Nacht war allein über die Erde gebreitet. Begann nach der Arbeitsmühsal das Tagesdämmern wiederum die Trübseligkeit der Nacht zu zersetzen, so gruben wir uns in Reih und Glied in die Kellerhöhlen ein. Zu uns drang nur ein verstorbenes Rumoren, aber es schütterte in den Steinen, da es auch im ganzen Erdreich schlitterte und zitterte. Steckte jemand seine Pfeife in Brand, so musterte man sich bei diesem schwachen Schein. Man lag mit Sack und Pack, man mußte darauf gefaßt sein, von einem Augen- blick zum anderen weiterzumarschieren. Es war verboten. die schwere und klirrende Kette der Patronen abzulegen. Neben mir sagte jemand:„Bei mir zu Haus, da gibt es richtige Felder und richtige Straßen und das Meer. Nirgend auf der Erde gibt es das noch." Aus dem �Schatten der Erdhöhle, die den Erdhöhlen der Urmenschen gleich war, wies die Hand hinaus, die das Bild der Felder und des Meeres belebte. Das sah ich. Und ich sah. wie diese Hand das Bild umschreiben und ergreifen wollte. Und ich sah weiter, wie vier Kartenspieler mit lautem Hallo dabei waren, irgend etwas Altes und ihnen wohl Vertrautes und Friedliches aus den Kartenbildern abzulesen. Oder Margate fuchtelte durch die Luft mit einer sozialistischen Zeitung, die aus der Tasche Termftes gefallen war. Margate lackte laut auf, weil so viel weiße Flecken in dem Zeitungs- blatte standen. Und Majorat wütete gegen das Leben. Er umarmte inbrünstig seinen Trinkbecher. Und daS schien ihn zu besänftigen, und die Tropfen träufelten von seinem Munde. das sei das einzige Mittel, um seinem Käfig zu entschlüpfen. Dann tötete der Scklaf die Worte, die Bewegungen, die Ge- danken. Ick stammelte irgendeinen Satz vor mich hin. Ich wollte irgendwelchen Sinn in die Worte hineinbringen. Aber der Schlaf warf sich über mich. ES war et» Urmenschenschlaf.
So trübselig, so tief, daß es schien, als wenn hinnieden noch niemals ein derartiger Schlaf möglich gewesen wäre. Und über alledem schwebte ein Schatten unseres täglichen Tuns, das immer wiederkehrt, um das Menschengebein mit Nachtschlaf zu verhüllen. Vorwärts marsch! Stückweise werden uns die Nächte entrissen. Die Körper, die von dem liebkosenden Gift des Schlafes und selbst von vertraulichen Bekenntnissen und aller- Hand Gespensteret durchrieselt werden, müssen sich aufraffen und aufrütteln. Wir zerren uns aus unserem Loch heraus. Wir schreiten aus der Dichtigkeit des unmenschlichen Atem- Holens heraus. Wir steigen strauchelnd in den eisigen duft- losen Raum, in die Raumesgrenzenlosigkeit hinauf. Dieweilcn wir nur eine winzige Ruhe genießen dürfen, die nur so kurz bemessen ist, und allein bestimmt durch das Hinundherfluten der Marichierenden aus allen Richtungen, werfen wir uns auf die Erdschollen nieder, um borten eine Stütze zu finden. Man umfaßt die Erde, denn, was uns zu umfassen noch übrig bleibt, das Erdreich allein ist es. Dann packt uns ivieder die Bewegung. Sie ist abgehackt in regelmäßigen Stößen durch den Schlag eines jeglichen Schrittes und durch das gequälte Atemholen. Die Bewegung gibt uns' nicht mehr frei, sie nistet sich ein in unser Fleisch und Blut. In unseren Köpfen und zwischen unseren Zähnen surrt es ständig aus der Bewegung heraus, ein leises Wort nur:„Vorivärts marsch! Vorwärts marsch!" Aber dieses Wort ist kräftiger, es ist uneudlicher, als all das Gedröhne der Granaten. Wir stehen im Zwang dieses Wortes und lvir marschieren nach Osten, und wir straucheln nach Norden, tagelang, nächtelang. Dieses Wort verwandelt uns in eine Kette, die ewig dahinrauscht mit ihrem stählernen Geräusch. Es Walter das mechanische Gehämmere der Flinte, des Bajonetts, der Patronen und des Visirs, daS auf dem Schwarz der ganzen Flinte wie ein glänzender Bolzen leuchtet. Räderwerk, Maschine, Verkettung, da jedes Glied in das andere greift. Wir.sehen die Wirklichkeit der Dinge. Eine Lebenswirklichkeit reibt»ich an der anderen, sie reibt sich auf an ihr. sie schmiedet sich zusammen an ihr. Wir wußten genau, daß wir irgendeinem Trauerspiel entgegen- marschierten, dessen Einzelheiten die Vorgesetzten schon kannten. Aber daö Traurigste in diesem Spiel war besonders die Tat- fache, daß wir bis dahin geschleppt werden sollten. Gortj. folflt)