Nr. 442 ♦ 34. Jahrgang
Seilage des vorwärts
Sonnabend, 34. Mgust 1414
Wie Selgler entstehen. Der au» M a l m e d y ausgewiesene Leiter der dortigen Orts« gruppe der S. P. D. sendet uns eine Schilderung der dortigen Zustände. Die Darstellung deckt sowohl die Niedrigkeit der Kapila- listenkreise, die, um ihr Vermögen zu retten, den Anschluh an Belgien wollen, wie die Schikanierung der deutsch denkenden Be- völkerung durch die Belgier auf. Wir lassen sie daher hier folgen: In den letzten Tagen stand in mehreren Zeitungen zu lesen, daß die Belgier von Malmedy Besitz ergriffen haben. Die Leser der Zeitungen werden sich kaum bewußt sein, wie inhalt- schwer diese Zeilen für die Malmedyer sind. Der Kreis Malmedy umfaßt zwei Städte mit den zugehörigen Dörfern. In religiöser Beziehung ist die Bevölkerung überwiegend katholisch. Daher er- klärt eS sich, daß politisch das Zentrum die Alleinherrschaft besaß. die Einwohner kümmerten sich um Politik fast gar nicht. Der Krieg und die Revolution haben nun auch in die entlegensten Eifeldörfer die Politik gebracht. Das frühere System in der Be- Handlung des arbeitenden Volkes hat auch in Malmedy den Ar- beitern die Augen geöffnet. In Malmedy wird die Lederindustrie in großem Stile be- trieben. Biels Gerbereibesitzer, die vor dem Kriege schwankend standen, haben sich wieder gesund gemacht auf Kosten d«S Staates und der Arbeiter. Die Arbeiter erhielten bis zum Februar diese? JahreS bei Ivstündiger Arbeitszeit in den Gerbereien den fürst- lichen Lohn von 4,50 M. pro Tag. In den beiden Papierfabriken ist es jetzt noch nicht viel anders geworden. Kurz vor den National- und Preutzenwahlen trat zum ersten Male in Malmedy ein sozial- demokratischer Redner auf, da eS kein Saalbesitzer wagte, seinen Saal zu dieser Versammlung herzugeben(aus Furcht vor Fege- feuer und Hölle?), unter freiem Himmel. Durch die Ungunst der Witterung und auS Furcht war der Besuch nicht entsprechend der neugefaßten Stimmung, aber um so wirkungsvoller das Ergebnis zwei Tage später stattfindenden Wahl, vereinigten sich doch 773 Stimmen auf die Kandidaten der sozialdemokratischen Fraktion. Nun konnte man dazu schreiten, eine sozialdemokratische Orts- gruppe zu gründen, die sich sofort für die Besserstellung der Ar- beiter mit Erfolg einsetzte. Dunkle Wolken zogen für die beiden deutschen Kreise Mal- medy und Eupen mit den Friedensbedingungen herauf, ängstlich fragt sich die Bevölkerung, wer tut was für uns, daß wir deutsch bleiben? Endlich erfährt da, Volk, daß eS von den Kapitalisten an Belgien verkauft worden ist. Hubert Lang, der im Kriege fein Vermögen um 10 Millionen vermehrt hat(bei 4,60 M. Arbeitslohn an seine Arbeiter), hat sich an die Spitze einer Clique gestellt, die ein Schreiben über da, ander« an den König der Belgier , an Clemenceau und alle feindlichen Kommissionen richtete, daß Mal- medy und Eupen an Belgien angegliedert werden sollen. Um streng gerecht' zu bleiben, will ich gleich bemerken, daß nicht alle Kapitalisten MalmedyS auf feiten dieses Hubert Lang und Genossen stehen, sondern ein gut Teil ihre echte deutsche Gesinnung bewahren. Als Hauptagitator dient ein gewisser Bragart, Angestellter in der Papierfabrik von Steinbach u. Co. zu Malmedy . In dem belgischen Hetzblatt„Die Warchenne' schießt er seine giftigen Pfeile auf all« diejenigen ab, die eS wagen, für das Deutschtum in den beiden Kreisen etwas zu unternehmen. Dieser Feigling weiß, daß er gedeckt wird und aus eine Erwide- rung in der Zeitung nicht zu rechnen braucht, auch die deutschen linksrheinischen Zeitungen unterliegen alle der Zensur, so daß er sich denn auch die erlogensten und unglaublichsten Artikel erlauben kann. So brachte er kürzlich: „Am Rathause zu Malmedy wäre die belgische Flagg« g«. hißt und eine tausendköpfige Menge Malmedyer hätte die Flagge bejubelt. Ali dann auf Befehl der britischen Besatzung die Flagge entfernt worden ist, sei die Menge traurig abgezogen." Da» ist gelogen. Hierzu schreibe ich. Am 29. Juni, für Malmedy ein hoher Feiertag, verbunden mit dreitägiger Kirmes, haben wir im ganzen 21 Häuser mit belgischen Fahnen gezählt.(Malmedy hat 38 7 Häuser.) Von diesen 21 Häusern wurden 8 von belgischen Offizieren bewohnt.
Die Bevölkerung, mit Ausnahme dieser kleinen Clique von Vaterlandsverrätern, die knapp 5 Proz. der Einwohnerzahl ausmacht, ist deutsch gesinnt und bringt die» bei allen gegebenen Gelegenheiten zum Ausdruck. Sie wollen die wallonische Sprache, ihr« Muttersprache, neben der deutschen Sprache beibehalten. Die? übt aber keinen Einfluß auf ihre wirkliche deutsche Gesinnung. Mit den belgischen Wallonen wollen sie nicht» gemein haben, vielmehr besteht hier eine gewisse Feindschaft. Viele Wallonen stehen in deutschen Staatsstellungen. Sogar über das Rheinland hinaus sind Deutschwallonen alS Beamte im Dwnst, auch viele wallonische Mädchen sind an deutsche Beamte verheiratet und willig und mutig sind die wehrfähigen Jünglinge und Manner 1014 in den Krieg gezogen. Kein Fall von Fahnenflucht ist hier bekannt geworden. Die Kapitalisten, außer der Clique von Vaterlandsverrätern, sowie diejenigen, die sich im Kriege etwas Wohlstand erworben haben, sind voll bereit, dem deutschen Staate zu geben, was er fordert und dies sogar mit Freuden, wenn man ihnen die Ge- wißheit geben könnte, daß sie deutsch bleiben. Man kann die? nur beurteilen, wenn man diese Anhänglichkeit am Deutschen Reiche bei Versammlungen gesehen hat. Sie fordern nun, daß da» gesamte deutsche Volk von dieser, ihrer deutschen Gesinnung Kenntnis erhält und die deutsche Regierung ihr�n ganzen Einfluß dahin geltend macht, daß für die beiden Kreise Malmedy und Cupen die geheime Volksabstimmung zugestanden wird. Sie wünschen, daß ihre treue, deutsch « Gesinnung in alle Welt hin- ausposaunt wird zu unseren bisherigen Feinden, zu denjenigen, die in den Friedensbedingungen vom Selbstbestimmungsrecht der Völker gesprochen. Wie eingangs erwähnt, gab eS in Malmedy bisher nur eine politische Partei, das Zentrum. Als aber bekannt wurde, daß Malmedy und Eupen an Belgien angegliedert werden sollten, versagte die Partei nicht nur ganz, nein, sie verstummte und ich habe bis heute—'ch nicht feststellen können, daß sie ein Wort ge- sprachen oder geschrieben hätte für diese beiden Kreise. Vielmehr überließ sie die Arbeit und Gefahr der neu gegründeten sozial- demokratischen Ortsgruppe. Diese ging dann auch mit Mut und ohne Furcht an die Arbeit, aber die Probelgier(VaterlandSver- räter) ruhten auch nicht. Sie sorgten dafür, daß der Führer der Ortsgruppe aus Malmedy ausgewiesen wurde, ohne Zaudern übernahm ein anderer die mir angetragene Führerschaft, aber unserer Tätigkeit wurde ein End« bereitet. Die Probelgier hatten eS fertig gebracht, daß sämtliche Versammlungen verboten wurden. Jetzt hieß es Maulwurfsarbeit verrichten, denn das geängstigte Volk mußte Halt haben, hieß e» doch von Januar alb schon, die Belgier rücken morgen ein. AlS nun der Friedensvertrag unterzeichnet war, kamen die Malmedyer schriftlich beim britischen Herrn Kommandanten ein. um wieder politische Versammlungen abhalten zu dürfen; die? wurde genehmigt. Der Gruppenleiter ließ sogleich Ankündigung?- Plakate anschlagen und berief eine große Volksversammlung ein. Diese Plakate erregten bei den Probelgiern selbstverständlich Aer- gerniS, sie ließen nichts unversucht, die Versammlung zu hinter- treiben. Kurz vor der Versammlung mußte der Einberufer zun- Bürgermeisteramt, hier wurde ihm eröffnet, die britische Kom- mandantur hätte verboten, daß die Versammlung unter freiem Himmel stattfindet, ferner dürfte ich nicht» gegen die alliierten und assoziierten Mächte sprechen, auch kein Wort von Abstimmung erwähnen. Vier Saalbesitzer verweigerten den Saal, beim fünften hatten wir Erfolg. Die Menge wurde zu diesem Saal geleite�. Ganz Malmedy war auf den Beinen, leider konnte kaum der fünfte Teil in den Saal hinein. Von den umliegenden Dörfern waren sie gekommen, die Züge waren überfüllt. Die Probelgier hatten per Auto einen belgischen Sozialisten au» der ersten Kammer kommen lassen, er sprach nur französisch, aber nicht zum Vorteil der Probelgier. Die Versammlung wurde überwacht von briti- schen und belgischen Bajonetten. Unter diesen Umständen nahm der Redner, für die katholischen Zuhörer leicht verständlich, seinen Stoff aus der Bibel, verglich die Urchristen mit den Sozialisten. Nur in diesem Thema war e» ihm möglich, die Probelgier al« Vaterlandsverräter mit Judas zu vergleichen, ohne daß man ihn vom Platze abführte. Dem belgischen Sozialisten gab man auf,
bei den Sozialisten der uns jetzt feindlich gesinnten Länder seinen ganzen Einfluß geltend zu machen, daß dem jetzigen Deutschland ein menschenwürdiges Los beschieden würde, daß das versprochene Selbstbcstimmungsrecht auch wirklich zur Anwendung gelange und daß die Internationale festere Form annimmt. Er hat dies in offener Versammlung feierlich versprechen. An dieser Versammlung hatten auch die katholischen Ober« lehrer und Oberlehrerinnen teilgenommen. Prompt hielten die Probelgier ihre Kinder vom Schulbesuch zurück und beantragten in der Stadtverordnetenversammlung die sofortige Entlassung der Leiterin der höheren Mädchenschule, sie hätte in der sozialdemo- kratischen Versammlung am VorstandStisch gesessen. Die heutigen Behörden gehen auf solche extremen Extravaganzen nicht mehr ein. Diese Versammlung hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Wie wir erfuhren, war die Ausweisung des Redners beantragt, aber dieser Antrag ist von den Briten abgelehnt worden. Als Gegenstück veranstalteten die Probelgier des Sonntags darauf ein großes belgisches Radrennen: Lüttich — Malmedy . Ein größeres Fiasko, wie dies, habe ich noch nicht mit erlebt. An der Straße, die von Belgien nach Malmedy führt, wurde am Samstag ein Triumphbogen mit belgischen und französischen Fahnen errichtet.(Englische Fahnen durften sie nicht gebrauchen.) Beim Aufbau dieses Triumphbogens wurden die Hand voll ab- hängigen Mitläufer der Probelgier mit blutigen Köpfen heim- geschickt, sie erbaten von der englischen Besatzung Beistand und Wache, diese kam nicht und so muhte die belgische Kommission die Hilfe und Wache leisten, sonst wäre dieser Aufbau in der Nacht verschwunden. Am selben Nachmittag war in den Geschäften eine starke Nachfrage nach Sohlennägeln bemerkbar. Die Heinzel- männchen hatten in der Nacht doch noch etwas ersonnen und getan. Als am Nachmittag die ersten Radfahrer aus Lüttich eintrafen. war uns etwa? ängstlich zu Mute wegen des deutschen Straßen» Meisters. Er war wirklich nicht schuld darni, daß die Cha�ss�» in einer Nacht neues Pflaster bekommen hatte. Der geplante Umzug beschränkte sich auf ein Zehntel der Stadt, man sprach davon, daß die Ziegel auf den Dächern lebendig wurden. Viele belgischen Teilnehmer benutzten notgedrungen zum Rückweg die Eisenbahq. Die Belgier sind nun leider doch in Malmedy eingerückt und die schon so geängstigte Bevölkerung wird nun von dem übrigen deutschen Volk hermetisch abgeschlossen werden. Wir wollen es aber nicht unterlassen, für sie zu arbeiten, damit auch in den beiden Kreisen das Selbstbestimmungsrecht durch geheime Bolls- abftimmung gewahrt wird. Die Einwohner selbst können zu ihrei� Befreiung nichts unternehmen, sie würden sich harten Strafen aussetzen. Den Belgiern ist die deutsche Gesinnung der beiden Kreise bekannt, sie liefern schon lange Lebensmittel in ziemlich reichlicher Meng«, sie werden nichts unversucht lassen, die Bevölkerung zu ködern; aber der Haß ist groß und alte Leute, die kein Wort deutsch sprechen können, wollen lieber auswandern, als in Mal- medy unter belgischer Herrschaft leben. Darum würde eine wirk- lich geheime Volksabstimmung sicher für Deutschland ausfallen.
Sroß'�erlln « Parteifunktionäre l Arbeiterratsmitglieder! Betriebsvertrauensleute! Die Fortsetzung der Versammlung über den„Bolschewismus tu Rußland ", Referent Herr Prof. Abramowitfch, findet Montag, den I.September, pünktlich 6>/, Uhr, im LehrervercinShanS, Alexanderftr. 40/41, statt. Das Erscheine« aller Parteifunktionäre ist im allgemeinen Interesse dringend not- «endig. Eintritt nur gegen Vorzeigung der Legitimatioskarte und des Parteimitgliedsbuches.
Schon wieder FahrpreiSerhShung. Erst kurze Zeit ist vorüber, wo man sich mit der Frage be- schäftigte, ob die Tarife der Straßenbahn in der bisherigen Höhe aufrechterhalten oder heruntergesetzt werden sollten, und schon
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Erleuchtung. Raman von Henri Barbusse Verdeutscht von Max Hochdorf . XTV. Trümmer. Ich falle auf die Knie. Dam, strecke ich mich hin. Ich tue, was so viele andere getan haben. Ich befind« mich allein auf der Erde, von Angesicht zu Angesicht mit dem Erdenkote, und ich kann mich nicht mehr be- wegen. Um mich schlägt das entsetzliche Gedonners der Gra- naten nieder. Der dumpfe Sturm, der mich nicht kennt, will aber den Ort ausfindig machen, an dem ich mich befinde? Dann entfernt sich die Schlacht. Und dieses Abrücken der Ereignisse ist zerreißend. Trotz all meiner Mühe, mit den Dingen in Verbindung zu bleiben, erlisöbt das Geknattere des Flintenfeuers. Ich bin allein. Der Mnd weht. Ich bin einsam und bloß. Ich wende liegen bleiben in der Verklam- merung der Erde, und ich krampfe mich an den Boden an. Ich tauche meine Hände in den Schlund des lehmigen Bodens hinein. Ich tauche hinunter bis zu dem Steinwerk. Ich drehe den Hals ein wenig, um der ungeheuren Last gewahr zu wer- den, die auf meinen Rücken niederdrückt, aber nein, ich er- blicke nur die Unermeßlichkeit des Weltalls über mir. Meine Blicke klimmen hinauf. Meine Blicke irren herum. Vor mir verketten sich Dinge, die ganz im Dunkel liegen. Die Dinge scheinen nacheinander zu haschen, sie scheinen sich unterein- ander zu verschlingen. Ich blicke auf diese schwarzen Flecken, die mir den Horizont verstellen, als wenn Hügelwellen davor- lagen, die sich mit menschenähnlichen Bewegungen regen und hlnziehen. Die Menge der Ding« und Menschen, die dort hin- geschmettert ist. zerrt mich in ihr Getrümmere hinein. Jetzt dm ich u inmauert von den Menschen, die dort hingestreckt liegen, genau so. wie ich ummauert war von den Menschen. die vorher aufrecht um mich gestanden hatten. Ich leide nicht mehr.� vur ist es außerordentlich ruhig. Ich bin berauscht von Friedlichkeit Sind sie tot, alle diese Menschen? Man weiß es nickt. Tie Toten smd die Gespenster der Lebenden, aber die Lebenden sind die Gespenster der Toten. Irgend etwas Heißes leckt meine Hand. Die schwarze Masse, die dort bleiern auf mich moderdrückt, wird von einein Beben durch- rüttelt, �etzt merke ich es: Neben mir liegt ein Hingeschmet-
terteS Pferd, dessen großer Körper sich verblutet. Und daS Blut rinnt auf meine Hand nieder, als wenn eine Zunge behutsam an mir leckte. Ich schließe die Augen. Ein Blenden durchrieselt mich, �ch denke an ein Fest, daS einstmals(je- Wesen ist. Jetzt erinnere ich mich auch. Einstmals habe ich in dem Theaterrahmen eines Waldfleckens ein Tierjunges gesehen, das auch so von der Jagd getroffen worden war, und das mitten in der allgemeinen Freude sein lebendiges Blut versprudelte. Neben mir spricht ein« Sfimme. Und es wird deutlich, obwohl ich nicht bis zur Höhe der zerrissenen Wolken und bis zur Himmelsmündung empor- blicken kann, daß jetzt der Mond aufgegangen ist. Dieses weiß- liche Licht beleuchtet die am Boden liegenden Leichen, wie richfige Grabmäler. Ich möchte die Stimme finden, die so leise spricht. Zwei Körper liegen aufeinander: Der Körper, der unten liegt, ist von riesigen Maßen. Denn er schleudert die Arme wie einen Sturm nach rückwärts. Die Haare, die wirr und stopplig sind, fallen wie eine zerstörte Krone über die Stirne. Die Augen stehen schräg und grau wie zwei Klümplein Gallerte. Die Unbcweglichkeit dieses Menschen ist mächtiger als alles, was man erträumen kann. Aber auf dem anderen Menschen funkelt es von silbernen und goldenen Pünktlein und Strahlen. Dieser Mann ist eS, der ohne Ende und mit leiser Stimme zu mir redet. Aber, obwohl er leise wie ein Freund spricht, sagt er doch zusammenhanglose Worte. Er ist Wahn- sinnig I Ich bin vereinsamt in seiner Gesellschaft! Tut nichts. ich werde mich doch zuerst bis zu ihm schleppen. Noch mustere ich ihn. Ich schüttele mich. Ich kneife die Augen zusammen, um ihn besser zu sehen. Sein Körper trägt die verdammte Uniform des Feindes I Da stürze ich mich auf die glänzende Beute, um mich ihrer zu bemächtigen, und meine Hand krallt sich zusammen. Aber es ist mir unmöglich, mich dein Feinde zu nähern. Es scheint, daß ich keinen lebendigen Korper mehr mit mir herumschleppe. Jetzt blickt der Feind mich an. Er wird meine Uniform erkennen, wenn sie über- Haupt noch zu erkennen ist. Er wird meine Mütze erkennen, wenn ich überhaupt noch eine Mütze auf dem Kopf trage. Er hat vielleicht das unzerstörbare Siegel der Rasse erkannt, das in meine Züge eingezeichnet ist. Ja, auf meinem Gesicht hat er dieses Zeichen erkannt. Nun hat wohl ein Widerschein des Hasses alles daZ ausgelöscht, was eben noch so nahe bei mir auf
seinem Antlitz aufgeleuchtet hat. Unsere beiden Seelen machen einen verzweifelten Anlauf, damit sie zueinander gelangen. Aber je mehr wir uns treffen wollen, desto weiter müssen wir uns voneinander entfernen. Hat er mich gesehen? Ich weiß eS nicht mehr. Er wird von seinem Blute geschüttelt. Er wird von seinem Blute er- stickt. Er wehrt sich dagegen und ich sehe die flatternden Flügel seines schwarzen Mantels. Ganz in der Nähe haben andere Verwundete aufge- schrien. Und es ist, als wenn die Verwundeten, die weiter entfernt liegen, sich einem Singsang hingeben. Sie liegen jenseits der Pfähle, die so niedrig und verbogen und der- krümmt sind, als wenn man ihre Spitzen abgehackt hätte. Mein Feind weiß nicht, was er sagt. Er weiß nicht ein- mal, daß er spricht; er weiß nicht einmal, daß ein Gedanke seinem Munde entströmt. Die Nacht geistert, und dieS ungehemmte Blitzen zerreißt die Nacht in Fetzen, und es erfüllt die Nacht hierhin und dorthin mit Lichtbündeln, und es ist die Wahnsinnsphantasie meines Feindes, die beherrschend in mein Haupt eindringt. Er murmelt, daß die Dinge durch entsetzliche Ketten der Wahrhaftigkeit zusammengekettet werden, und alles hängt nur derartig zusammen. Er spricht Sätze aus. aus denen die Worte gleich plötzlichen Lichtfunkeln heraussprühen. Und ich verstehe in seinem Hymnen-Sagen nur dieses etwa: Bibel, Geschichte, Majestät, Wahnsinn. Dann schreit er auf:„Auf der Welt darf nur der Ruhm des Kaiser - reiches herrschen". Dieser Schrei schüttelt die Stein- und Menschenriffe, die unbeweglich am Boden liegen, und� i ch, auch ich. bin nicht mehr zurückzuhalten, und ich schreie:„Rur der Ruhm Frank- reichs darf in der Welt gelten". Ich weiß nicht, ob ich wirklich geschrien habe, und ob unsere Worte in der entsetzlichen Nacht aufeinandergeprallt sind. Sein Schädel ist ganz kahl. Er hat die Hand zum Ge- sicht aufgehoben, und seine Berührung hat dort ein Zeichen zurückgelassen. Er trägt einen Pelzkragen, aus dem sein dünner Sals und sein Vogelgesicht hervorstechen. Auf seiner Brust blitzen terne und Kreuze wie Schmuckstücke. In die Gehirne und in die pulsenden Lungen der düsteren Gefangenen, die rings um uns einen einsperrenden Zaun ausrichten, bohrt sich die große Stille hinein. Es scheint, daß man sich über allem Kreise nur rüste, um uns zuzuhorche«. (Lortj. folgte