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bc?Vorwärts" sowie sämmtlicher Parteischriften dem Genossen H e in p e l, Stephanstraße 8, übertragen worden ist. Alle Abonnementsbestellungen sind dort auszugeben. In Verfolgung dieses seinerzeit im 6. Wahlkreise gefaßten Beschlusses erwächst den Parteigenossen die Pflicht. die Beachtung dieser neuen Ein­richtung immer weiteren Kreisen anzuempfehlen. Beschwerden über unregelmüßige Expedition nimmt der Vertrauensmann Joh. Pfarr, Wilsnackcrstr. 49, entgegen. Es wird die Parteigenossen die Mittheilung interessiren. daß trotz der Kosten, welche die Neueinrichtungen verursacht haben, bereits eiu zufriedensteUeuder pekuniärer Erfolg erzielt worden ist. Arbeitcr-Bildnngsschnle. Wegen Verhinderung des Lehrers fällt die deutsche Stunde in der Schule Waldemarstr. 14 am Freitag. den 31. August, und Freitag, den 7. September, aus. Biermogeleien werden uns auch von dem Gastwirth Schönherr. Admiralstr. 33(Admiralsgarten) gemeldet. Der- selbe hat sich noch in die letzte Liste vom dritten Wahlkreis auf- nehmen lassen. Die Kontrolleure, welche ihm gestern Morgen unverhofft einen Besuch abstatteten, bemerkten gerade noch, wie die Kutscher der Brauerei Friedrichehain Bier nach seinem Lokal brachten und leere Fässer mit sich nahmen. Dies den verschiedenen Vereinen, die bei obigem Herrn ihr Quartier aufgeschlagen haben. zur Kenntnißnahme. Die Kellerei- Hilfsarbeiter der Firma Heyden und Kühner. Wir erhalten von der genannten Firma zu der Mit- theilung über den ausgebrochenen Ausstand folgende Berichtigung: Es ist richtig, daß der größte Theil unserer Arbeiter am Freitag Mittag die Arbeit niederlegte, ohne uns sogleich einen Grund hierfür anzugeben. Erst später, nach ca. einer Stunde. bei Gelegenheit der Empfangnahme ihrer Papiere überreichten sie ein Schriftstück, in welchem sie die Entlassung des Arbeiters Röder forderten, weil der letztere sie angeblich mit ge- nieinen und frechen Reden belästigt habe. Dem ist jedoch nicht so, vielmehr liegt die Genieinheit und das Be- tragen, welches ein Bild sittlidier Verrohung zeigt, ans Seiten der Arbeiter, die de» Streik provozirten. Der Grund. weshalb die Arbeiter die Entlassung des p. Roeber unter genanntem Verwände forderten, ist. weil letzterer drohte, von den ihm unter. stellten Leuten wiederHoll ausgeführte Diebstähle zur Anzeige zu bringen. Von einer Bevorzugung des p. Röder seitens unseres Heyden kann keine Rede sein, denn das Engagement sowohl als die Beaujsichtigung und Entlassung liegt in den Händen des Kellermeisters. Was die Inanspruchnahme der Polizei anlangt, so ist es unwahr, daß wir die Hilfe derselben nachgesucht haben, sondern die Polizei ist durch das Betragen der Streikenden in einem nahe der Arbeitsstelle belegenen Lokal als auch auf der Straße aufmerksam geworden und hat uns alsdann selbstverständlich ihre jjilfe angeboten. Ein Zeichen, daß die Sache nicht so liegt. wie sie von den Leuten geschildert wurde, ist, daß ein Theil der Arbeiter, obgleich sie abgewiesen, nach vielem Bitten wieder ein- gestellt sind. Zum Schluß wollen wir noch als Beweis dafür. daß wir jeder Zeit unsere Leute human behandeln, anführen, daß die meisten unserer Leute lange, ja bis zu 20 Jahren thätig sind. Hierzu wird uns von Seiten der ausständigen Arbeiter fol- gendes bemerkt: Die Anschuldigung des Diebstahls müssen wir als eine durchaus ungualistzirte Beleidigung ganz energisch zurück- weisen. DieDiebstähle" können nur auf das im Keller befind- liche Bier Bezug haben und dieses ist unter so strenger Obhut, daß, wirklich den bösen Willen vorausgesetzt, sich wegen einiger Flaschen Bier zum Diebe zu machen, es den Arbeitern gar nicht möglich wäre, dies Genußmittel auch nur zum Muudbedarf zu entwenden. Der Behauptung des p. Heyden, daß er die Polizei nicht selber herbeigeholt habe, muß ja Glauben geschenkt werden, da der Gegen beweis sich ja kaum erbringen lassen wird. Eni- schieden unwahr ist es aber, daß wir die Ausmerksamkeit der Polizei in einem auffälligen Grade erregt haben könnten. Während der Stunde, die wir auf Aufforderung des Buchhalters warteten, spielten wir in der gegenüber gelegenen Wirthschafl Billard und tranken je eine Weiße dazu! Inwieweit dieses Betragen die Aufmerksamkeit der Polizei derart erregen kann, daß sie ihre Hilfe deni p. Heydenselbstverständlich" angeboten hat, erscheint uns in der That unbegreiflich. Die übrigen Richtigstellungen stellen sich als so unwesentlich dar, daß es sich nicht weiter verlohnt, auf sie einzugehen. Bemerkt sei nur noch, daß an der Behauptung. daß von den Ausständigen wieder einige in Arbeit getreten sind, fünfen von uns. die mit den übrigen noch gestern beisammen waren, nicht das Geringste bekannt ist. ES bleibt nichtS ungerochen"! So schrieben wir vor einiger Zeit, als in einem abgelegenen Winkel des Reiches der Gottesfurcht und frommen Sitte ein Mann mit schlechter Ver- dauung wegenüberlauten Streichenlassens von Winden" polizeilicherseits mit dem berühmten groben Unfugsparagraphen überrumpelt wurde. Der sittliche Unwille, der sonst so oft durch das Gebahren des strafgesetzbuchlichen Mädchens für Alles im Publikum erregt wird, wich damals einer sich mehr dem Komischen zuneigenden Empfindung Platz. Man sagte sich schließlich, daß in einer vom Wellverkehr abseits liegen- den Gegend es einem subalternen Polizeibeamten nicht gar zu hoch angerechnet werden dürfe, wenn er im Amts- Übereifer einmal einen ins Gebiet der niederen Komik stallenden taux pas begehe. Anderswo komme so was ja nicht vor. Daß diese Ansicht ganz erheblich zu korrigiren ist, zeigt eine vom königl. Polizeipräsidium Berlin dem Arbeiter Emil Detloff, Linienstr. 233, zugesandte Strasverfügung. Wir dürfen unseren Lesern den kompleten Genuß derselben nicht versagen und geben sie daher in ihrer ganzen heiteren Er- scheinung wieder. Sie lautet: Berlin , 17. August 1894. Nr. VV61/SI3 V ll 1894. Nr. 1290. Verfügung. Sie haben in der Nacht zum 29. Juli d. I. gegen 12�/4 Uhr vor dem Hause Zimmerstraße 52 durch straßenweit hör­bares Niesen beziehungsweise Wiederholung und absichtliches Verstärken des Geräusches beim Niesen groben Unfug verübt. Die Uebertretung wird bewiesen durch das Zeugniß des Polizeilieutenants Fröhlich. Auf grund des ß 300 11 des Strafgesetzbuchs wird deshalb gegen Sie eine Geldstrafe von drei Mark, an deren Stelle, wenn sie nicht bei- zutreiben ist, eine Haft von einem Tage tritt, hierdurch fest- gesetzt. Königliches Polizeipräsidium Berlin . Abth. für Uebertretungen. Es hieße unenldeckte Raubmörder ins Polizeipräsidium tragen, wollten wir vor unseren Lesern weilläufig darlegen, daß der Berliner Polizei in der Entdeckung und Ahndun von Uebel- thatengeringen und geringsten Grades stets das PrädikatUn- übertrefflich" neidlos zuerkannt worden ist. Aber daß die Sicherheitsbehörde der Millionenstadt bereits dabei ist, ihrer Kollegenschaft im abgelegenen Winkel erfolgreich Konkurrenz zu machen, das ist denn doch neu und immerhin einer nicht gar zu trübseligen Kundgabe werth. Das zweite heitere Bild aus dieser allerneuesten groben Unfugs- affäre wollen wir unfern Lesern geben, wenn die famose Straf- Verfügung, gegen die der phänomenale Nieser Detloff natürlich Einspruch erhoben hat, der richterlichen Begutachtung unter- worfen wird. Was Wölffchen telegralihirt. Der alte Schuhmacher- meister Prcnzler hat am Dienstag seinen hundertjährigen Ge- burtstag gefeiert. Diese Gelegenheit hat auch der Kaiser benutzt, um dem Greise eine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Das hat de» Jubilar vielleicht sehr gefreut, für die übrige Welt ent- hält die Thatsackie aber kaum etwas besonders WissenSwerthes. Anders faßt in Neu-Byzanz das Wolff'sche Dcpeschenbureau diese Sache aus; in überquellendem Byzantinismus lelegraphirt es folgenden langen Sermon in die Welt hinaus: Berlin , 23. August. Zu dem heule stattfindenden hundertsten Geburtslage des hiesigen Schuhmachermeisters Prenzler wurde demselben eine ganz besondere Freude zu Theil, und zwar durch eine kaiserliche Geburtstagsgabe, welche ihm beute früh überreicht worden ist. Das kaiserliche Geburtstags- Geschenk besteht aus einer Porzellantasel, welche das kaiserliche Porträt zeigt, und 300 M. Was diesem Gnadenbeweise des kaiserlichen Landesherrn aber einen erhöhten Werth verleiht, ist der Umstand, daß derselbe der allerhöchsteigenen Initiative Sr. Majestät entsprungen ist. Weder das hundert- jährige Geburtstagskind, noch sonst Jemand hatte sich an den Kaiser gewandt, vielmehr las allerhöchstderselb» persönlich die über das bevorstehende hundertjährige Geburtsfest des Schuh- machermeisters Prenzler durch die Blätter gehende Miltheilung und beschloß darauf, dem greisen Geburtstagskinde diese freudige Ueberraschung zu bereiten. Daß letztere dem kaiserlichen Geschenk- geber völlig gelungen, bewiesen die hellen Dankeslhräncn des fast sprachlosen Jubelgreises, als ihni heute Morgen die Gabe seines Kaisers und Herrn überbracht wurde." Schließlich ist sogar noch telcgraphirt Wolff weiter das königliche Ministerium des Innern auf der Bildfläche er- schienen und hat dem Schuhmachermeister Prenzler einhundert Mark als Geburtstagsgeschenk übersandt. Die bürgerliche Presse ist also glücklich wieder auf den Standpunkt heruntergesnnken, den Hoffmann von Fallersleben vor einem halben Jahrhundert gegeißelt hat, als er sein Spott- lied sang: Wie ist doch die Zeitung interessant, Für unser liebes Vaterland! Was haben wir heute nicht Alles vernommen: Die Fürstin ist gestern niedergekommen, Und niorgen wird der Herzog kommen. Hier ist der König heimgekommen, Dort ist der Kaiser durchgekommen, Bald werden sie alle zusaninienkommen. Wie interessant! wie interessant! Gott segne das liebe Vaterland! Wegen Beleidigung eines Armenkommifsionö-Vor- stchers ist schon wieder ein hiesiger Einwohner verurlheilt worden. Seit kurzem regnet es förmlich solche Veriirlheilungeii. Wir haben schon einmal(in Nr. 133) in dieser Angelegenheit ausgeführt, daß wir, so sehr wir vor jeder Beleidigung eines Armenkoinmissions-Mitgliedes oder anderer Kommunalbeamten warnen, doch nicht der Meinung sind, daß die Schuld immer bloß aus Seiten des Beleidigers liegt. Wie Beamlenbeleidigungen zuweilen zu stände kommen, wissen unsere Leser ja zur Genüge, und ebenso, daß, wenn sich erst einmal ein Beamter beleidigt glaubt, der angebliche Beleidiger mit seinen Einwendungen in der Regel wenig Ein- druck auf den Richter macht. Wenn jetzt die Verurtheilui.gen wegen Armenkoinmissions- Vorsteher- Beleidigungen sich ganz be- sonders häufen, so möchten wir nicht annehmen, daß das auf eine größere Unhöflichkeit der Unterstützungsuchenden gegenüber diesen Beamten zurückzuführen sei. Es dürfte entweder ein Zeichen der besonderen Unterstützung sein, die vor einiger Zeit den Armenkommissionen für solche Fälle zugesagt worden ist, oder aber eine Folge größerer Sparsamkeil in der Armenver- waltung. Wer sich an die Armenverwaltung wendet, tritt doch in der Regel zunächst wenigstens bescheiden aus. weil er von einem unbescheidenen Betragen keinen Erfolg seiner Bitte um Unterstützung erwarten darf. Die Nei- gung zum Skandaliren erwacht erst mit der Abweisung ver- meintlich begründeter Ansprüche, und wenn sich jetzt wirklich eine vermehrte Neigung zum Skandalircn bemerkbar machen sollte, so bleibt zur Erklärung in der That nur die Annahme, daß neuer- dings die Abweisungen von Ansprüchen Bedürftiger sich vermehrt haben. Das ivürde ja auch mit einigen anderen Erscheinungen in der Armen-Verwaltung, die auf eine Zunahme des Spartriebes schließen lassen, vollkommen übereinstimmen. Zur AnSschmiickuiig der Mirbachkirche mit den Statuen derjenigen Fürsten und Fürstinnen des Hohenzollernhauses, die sich um die evangelische Kirche besonders verdient gemacht haben, möchten wir den Freunden und Gönnern dieser erhabenen Idee einen Fingerzeig geben, den sie sich bei ihrer Vorliebe für die geschichtliche Wahrheit" jedenfalls nicht entgehen lassen werden. Wenn jemand aus dem Hause der Hohenzollern Anspruch auf Aufstellung seiner Statue in der Kirche erheben kann, so ist es jedenfalls in erster Linie der Kurfürst Joachim II von Brandenburg, derselbe, der in allen preußischen Schulbüchern, denen diegeschichtliche Wahrheit" ja auch über alles geht, als der Gründer der Resormalion in der Mark Brandenburg gepriesen wird. Die Thatsache, daß diesemedlen" Vorkämpfer fürGeistes- und Gewissensfreiheil" vor ca. b Jahren in der festen Burg Spandau ein Denkmal gesetzt wurde, zu dessen Kosten auch die Stadt Berlin aus öffentlichen Mitteln einen Beitrag von 10 000 M. leistete, verstärkt den Anspruch dieses Fürsten auf die in Aussicht stehende Ehre um so mehr, als schon damals vonhoher Stelle" auf die Errichtung des Standbildesgroßer Werth" gelegt wurde. Darf man hier- nach den Einzug Joachim II. in die Mirbachkirche kaum mehr bezweifeln, so ist es jedenfalls auch nicht verfrüht, schon jetzt zur Charakterisirung dieses Mannes einige Mittheilungen zu machen, die sich zwar im Gegensatze zu dengeschichtlichen Wahrheiten" unserer offiziellen Schulbücher befinden, dennoch aber den Vorzug genießen, von einer Seite auszugehen, der man auch nicht im entferntesten den Vorwurf umstürzlerischer Tendenz machen kann. So drückte sich König Friedrich II. in seinen Briefen an Voltaire über die der Einsührung der Reformation seitens der Fürsten zu Grunde liegenden Beweggründe folgendermaßen aus:Wenn man die Bewegung auf ihre einfachen Prinzipien zurückführen will, so war sie"in Deutschland ein Werk des Interesses (also des Eigennutzes).... Kurfürst I o a ch i n> H. erlangte durch die Kommunion unter beiderlei Gestalt die Bis- thümer Brandenburg, Havelberg und Lebus "; und weiter:denn diese übrigens armseligen Leute(Luther und Genossen) haben sie von dem Joche der Priester befreit und durch die Säkularisation (Weltlichmachung) der Kirchengüter ihre Einkünfte be- trächtlich vermehrt." Sieht man so, daß auch Joachim II. bei seinem Vorhaben keinerlei ideale Triebe leiteten, sondern daß Eigennutz und Habgier die Triebfeder seines Handelns waren, so mag uns nun die frommeKreuz-Zeitung " eine Beschreibung der Handlungsweise dieses Fürsten nach Einsackung des katholischen Kirchenvermögens geben, die sie im Dezember 1391 veröffentlichte, und der bereits in ausführlicher Weise in der Neuen Zeil"(Jahrgang 1891/92: Der Sturz eines Standbildes) Erwähnung gethan ist. In ihrennach archivalischen Quellen" geschriebenen Aufsätzen von damals heißt es:Er(Joachim II. ) brauchte Geld und wieder Geld. Wohl siel ihm in dem märki- schen Kirchengute ein ganz kolossaler Besitz zu. Joachim hat von diesem immensen Schatze auch nicht einen Pfennig für Kirchen und Schulen bestimmt; er hat das gewaltige Erbe der Vorzeit ausschließlich zur Deckung seiner Schulden und zur Befriedigung seiner Lüste verwandt... Und trotz alledem war der leichtlebige Herr in steter Geldverlegenheit.... Das Beispiel, welches Joachim II. seinem Volke gab, war die Wahrheit muß gesagt werden das denkbar schlechteste. Seine Finanzwirthschast, seine Verschwendungssucht, eine anderweitigen sittlichen ll n z u l ä n g l i ch k ei t e n wirkten vergiftend auf den Hofadel der Mark und das dem Fürsten nahestehende höhere Bürger- t h Ii m."... Wenn es möglich war, einem so verkommenen Menschen ein Denkmal zu setzen und möglich ist das ja nur in Deutschland warum tollte nicht auch die Aufstellung seiner Statue in der Mirbachkircke möglich sein ist er doch die e r st e in Betracht kommende Persönlichkeit! Man wird über dieSchwächen" dieses Mannes mir ebensolcher Ungenirtheit hinweggehen, wie vor un- gefähr 5 Jahren und man wird sein lüderliches Leben mit den» selben Worten entschuldigen, die dieKreuz-Zeitung " schon in den erwähnten Aufsätzen äußerte:Bedenke man die kraftvolle Körperbeschaffenheit des erst 46jährigen Herrn und den übermäßigen Fleisch«, Wein- und Gewürzgenuß jener Tage; bedenke man endlich auch die Anschauungsweise einer Zeit, in welcherZoteiiUndZöllein" fast die alleinigen Unterhaltungsstoffe seihst in gemischter (beiderlei Geschlecht) Gesellschaft und bei fürstlicher Tafel waren" .... undrichte man ihn nur nicht nach pharisäischen Grund- sähen!" Ei wo wie wird man denn auch; ein moralisch verkommener Mensch darf nicht nachpharisäischen Grundsätzen" beurtheilt werden; da thut der Mantel christlichen Liebe viel bessere Dienste. Vom städtischen Obdach I. Der Bericht des Magistrats über die Verwaltung des städtischen Obdachs im Jahre 1893/94 ist jetzt erschienen. Derselbe ist, wie wir gleich vorweg bemerken wollen, einer der merkwürdigsten Magistratsberichte, der uns jemals vor Augen gekommen ist. Zunächst wird darin mit ficht- licher Geuugthuiing' konstatirt, daß im F a m i li e n- O b d a ch eine Verminderung der Zahl der aufgenommenen Personen ein- getreten ist. Unter Abrechnung der im Obdach mit verpflegten Hospitaliten des Arbeitshauses und der auf der Durchreise ob- dachlos gewordenen russischen Auswanderer ergiebt sich für die übrigen Obdachlosen eine Kopfzahl von 7850, gegen 10 341 im Vorjahr, eine tägliche Durchschnitlszahl von 2S4, gegen 23S im Vorjahr, und eine Zahl von 92 805 Verpflegungstagen, gegen 104 066 im Vorjahre. Der Bericht hebt hervor, daß diese Ver- Minderungtrotz der behaupteten Arbeitsnoth" eingetreten sei, und fährt dann fort:Der Grund hierfür liegt zum größten Theil wohl in den milden Witterungsverhältnissen des letzten Winters, dann aber auch in der strengeren Handhabung der Ge- schäftsordnung, durch welche die Aufgenommenen in ihrem eigensten Interesse angehalten wurden, das Obdach nicht als eine Versorgungsstätle für die Dauer, sonder» nur während augenblicklicher Roth als Durchgang zu erneuter selbständiger Verwerthung der eigenen Arbeitskraft zu betrachten." Dieser Versuch, die Abnahme der Besuchsziffer des Obdachs zu erklären, hat etwas für sich. Aber er nimmt sich doch recht wunderbar aus neben den Wortentrotz der behaupteten Arbeitsnoth", mit denen augenscheinlich angedeutet werden soll, daß das Vor- handensein einer Arbeitsnoth nur von den bösen Sozialdemo- kratenbehaupte t" werde, aber noch sehr zweifelhaft oder zum mindesten nicht bewiesen sei. Widerlegt wird diese Be- hauptung durch den obigen Erklärungsversuch doch wahrhastig auch nicht. Wenn man die Geschäftsordnung so handhabt, daß man die Aufgenommenen möglichst bald wieder an die Luft setzt oder die Aufnahmcsuchenden von vornherein abweist, dann kann allerdings sogar trotz bewiesener Arbeitsnoth eine Verminderung der Beschlußziffer erreicht werden. Der Bericht spricht von dererziehlichen Natur und Absicht" dieser Maßnahmen und meint, die Obdachlosen büßen bei zu williger Aufnahme, zu langem Verweilen und zu rascher Geldunterstützung, Selbstgefühl, Selbstachtung, Thatkraft und Arbeitslust ein und verlassen sich schließ- lich auf das Obdach. Das kann wohl sein; aber diese übele Begleiterscheinung der Armenpflege und des Wohlthätigkeits- sports ist doch nur darauf zurückzuführen, daß es so vielen nicht möglich ist, sich und den Ihrigen eine Existenz zu verschaffen, welche besser wäre als das Leben im Obdach oder das Herum- schnorren bei allerlei Wohlthätigkeitsvereinen. Möglicher Weise ist das dem Magistrat auch wieder ein Beweis dafür, daß die Arbeitsnoth nur behauptet" wird. Das Obdach ist früher auch von solchen Familien oder Einzelpersonen aufgesucht worden, die gar nicht obdachlos waren, aber auf diese Weise eine Miethsunterstützung zu erlangen hofften. Im Berichtsjahr ist man dagegen eingeschritten und der Bericht sagt, daß auch dieser Umstand von Einfluß auf die Verminderung der Ver- pflegungsziffer gewesen sei. Es scheint fast, als ob es der Armen» Direktion bei allen diesen Maßregeln nicht blas um dieerzieh- liche" Wirkung zu thun war. Jedenfalls dürfte es ihr nicht un- erwünscht gekommen sein, daß gleichzeitig Ersparnisse ge- macht und der üble Eindruck einer stets steigenden Besuchsziffer vermieden werden konnte. Der letztere Punkt ist jedoch von sehr zweifelhaftem Werth. Fest steht wohl nur das Eine, daß die 7350 Obdachlosen, die im Jahre 1893/94 im Obdach waren, wirklich und wahrhaftig Bedürftige waren. Sie sind aus der Masse der doppelt und dreifach ge« siebten Aufnahmesiichenden unter so strenger Handhabung der Geschäftsordnung und mit so großen Vorsichtsmaßregeln aus- gewählt worden, daß keinUnwürdiger" mehr unter ihnen ge- wesen sein kann. Ein Vergleich mit den Vorjahren ist dann aber nicht möglich, da die Zahlen der Vorjahre unter anderen Verhältnissen zustande gekommen sind. Zur Beurtheilung jener 7830 Obdachlosen kann auch die, selbst in dem Bericht über die Desiiifeklious-Anstalt II alsinteressant" bezeichnete Thatsache dienen,,daß die Zahl der von obdachlosen Familien mitgebrachten Möbelstücke u. f. w.(dieselben werden zu- nächst der Desinfektions- Anstalt überwiesen) sich gegen das Vorjahr ganz erheblich vermindert hat, und zwar in dem Maße, wie die Fälle der Auslösung wegen Miethsschulden einbehaltener Wirthschaftssachen gestiegen sind." Diese Fälle sind nämlich, trotz der Verminderung der Besuchs- ziffer, ebenfalls ganz erheblich gestiegen, von 263 in 1392,93 auf 310 in 1893/94, d. h. um etwa 13 pCt., nachdem bereits in den Vorjahren ähnliche Steigungen stattgefunden hatten. Und das alles, trotzdem die Arbeitsnoth nurbehauptet" wird! Die Inserate der bürgerlichen Blätter, welche wir erst neulich zum Gegenstande unserer Betrachtungen machen mußten, würden einem zukünftigen Geschichtsschreiber, selbst wenn alles an dem Material verloren gegangen wäre, hinreichenden Stoff bieten, um unsere Zeit wahrheitsgetreu zu schildern, sofern er sich nämlich die nöthige Objektivität der Auffassung gewahrt hätte. So bringt die Sonntagsnummer einer hiesigen Lokalzeitung zwei Inserate, von denen das eine sich in der RubrikOffene Stellen" findet und woselbst es heißt:Lehrsräulein, 10 Mark monatlich, mit guter Schulbildung und schöner, flotter Hand- schrift, sucht Zeitschriftenverlag L e i p z i g e r st r. 130. Meldung Montag von 1011." Das Gegenstück hierzu findet sich in dem zweiten Inserat unter der Rubrik:Stellengesuche"(weibliche) und hat folgenden Inhalt:Vom Chef empfohlene junge Dame sucht im Komptoir Engagement. Näheres Redakteur Hildebrandt, Leipziger « st r a ß e 130." Eine Erläuterung dieser offenbar zusammengehörigen beiden Inserate würde die Sprache, welche sie reden, nur avschwächen können; der denkende Leser wird sich seinen Vers selbst darauf machen. Nur eine Nutzanwendung daraus zu ziehen, können wir uns nicht versagen: Diestaatserhaltende" Tendenz der bürgerlichen Gesellschaft und ihr Kampf gegenüber denUmsturz- bestrebungen der Sozialdemokratie" ist nur solange Wirklichkeit, als der Geldsack nicht in Frage kommt; ist der aber in Mit- leidenschaft gezogen dann ade! ihr schönen Phrasen, dann ade! Moral und alle? was sonst noch zu den Requisiten dec bürgerlichen Gesellschaft gehört. Aus dem Bureau deS Schillertheaters wird uns ge- schrieben: Es gehen uns so zahlreiche Abonnements-Bestellungen zu, daß wir genöthigt sind, sämmtliche Bestellungen auf die erste zweiwöchentliche Abonnements-Serie für die zweite umzuschreiben. Für diese zweite werden alle Bestellungen angenommen und aus- geführt werden. Der Rollkutscher SwidcrSky hat feine Selbstbezichtigung bezüglich der Ermordung der Frida Kubbe gestern Abend