Nr.516. 36.Jahrg.
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Donnerstag, den 9. Oktober 1919.
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Ein unpolitisches Attentat.
Die Schüffe.
Die ungeheure Aufregung, die die Nachricht von dem Attentat auf Haase gestern in der NationalverAbg. Haase befand sich in Begleitung seiner Frau, als die sammlung hervorrief, legte sich erst, als bekannt wurde, schüsse auf ihn vor dem Reichstag abgegeben wurden. Eine Autodaß die Verlegungen Haases unbedenklich seien orofchte brachte ihn nach dem Hedwigstrankenhause. und daß dem wahnwißigen Anschlag fein politisches Motiv Die ärztliche Untersuchung des Abgeordneten Haase ergab am zugrunde lag. Die menschliche Teilnahme für das Opfer des Ueberfalls wurde dadurch rechten Bein einen Durchschuß des Unterschenkels sowie einen Stednicht vermindert, zumal Haase auch bei seinen Gegnern schuß im Oberschenkel; eine Schramme am Ellbogen ist augenscheinAchtung und Sympathie genießt, aber die Entpoliti- lich durch Sturz verursacht. Der Zustand des Verwundeten läßt sierung dieses Zwischenfalls bedeutet zugleich seine Entgiftung seine Wiederherstellung in etwa acht Tagen erwarten. und darum eine Erleichterung für alle, die das Volksleben auf die Bahn einer gewaltlosen inneren Entwicklung gelenft zu sehen wünschen.
Schon um 2 Uhr nachmittags wurde bekannt, daß der Attentäter erklärt hatte, nicht aus politischen, sondern aus persönlichen Rachegründen gehandelt zu haben, und daß seine Schüsse nicht dem Abgeordneten, sondern dem Rechtsanwalt Haase gegolten hätten. Um jo größeres Erstaunen mußte es daher erregen, daß die Freiheit" in einer zweiten Ausgabe ihres Abendblattes mit der größten Bestimmtheit und ohne jeden Vorbehalt erklärte, es handle sich um ein politisches Attentat, um ein fonterrevolutionäres Komplott gegen das Leben des unabhängigen Parteiführers.
Derartige Behauptungen in die Welt hinauszuschleudern, wo jeder Beweis für sie fehlt, der Beweis ihres Gegen teils dagegen erbracht scheint, ist eine ungeheure Gewissen Iosigkeit, die auch mit der begreiflichen Erregung des Augenblicks nicht entschuldigt werden kann.
Der Täter.
Voß macht einen geistig außerordentlich minder. wertigen Einbrud. Der Kleine Mann mit blatternarbigem Gesicht war auch nach der Tat auf dem Polizeipräsidium in heiterster Stimmung, lächelte und zeigte absolut feine Einsicht und kein Gefühl für die Bedeutung seiner Tat. Wenn er nicht geistesfrant ist, so ist er jedenfalls geistig stark minderwertig, an der Grenze der Joiotie stehend.
Alle Schüsse sind aus einer Parabellumpistole abge geben worden, die Voß von einem Soldaten für 30 M. gekauft haben will. Den Schuhleuten jagte er lächelnd, daß er zuvor noch nie geschossen hätte und aus der Pistole nur einen Probeschuß ab gegeben habe. Haase hätte er schon früher verfolgt, hätte ihn auch schon einmal zu Geficht bekommen, damals aber feine Waffe bei fich gehabt. Politisch ist Voß nicht organisiert, er behauptet aber, gewerkschaftlich organisiert zu sein.
Vor genau einem Jahre wandte sich Johann Voß wie seine Ghefrau in verschiedenen Briefen und Eingaben an das Preußische In Kreisen der Unabhängigen war zunächst die Ver- Finanzministerium mit der Behauptung, daß bei der mutung aufgetaucht, das Attentat stehe in einer gewissen Beziehung der Preußischen Klassenlotterie Unregelmäßigkeiten vor ziehung zu der Nede, die Haase gestern zu halten gedachte tämen. Den Eingaben und Briefen, die voller Beleidigungen und die über das Treiben der russischen Gegenrevolution in waren, waren Flugblätter beigefügt. Die Staatsanwaltschaft leitete Berlin Enthüllungen bringen sollte. Haase wollte, wie auf Antrag des damaligen preußischen Finanzminister er gt vom fie erzählten, dokumentarisch beweisen, daß in Berlin eine 21. Oftober 1918, erneuert vom jezigen Finanzministers Dr. Sü de Vertretung einer gegenrevolutionären russischen Regierung tum vom 19. Juli 1919, das Verfahren gegen die Eheleute Voß bestehe, die mit Koltichat und Denitin im Verkehr stehe. Sie wegen Beleidigung und Expreffung ein. Infolge der vermuteten, daß das Attentat von einer Seite angeſtiftet jei, amnestie wurde das Strafverfahren wegen Beleidigung fallen die diese Enthüllungen verhindern wolle. gelassen, wogegen das Verfahren wegen Erpressung fortgeführt wird.
Gegen diese Annahme spricht schon der Umstand, daß man Enthüllungen eines Abgeordneten durch ein Attentat nicht verhindern kann, da sich dann doch selbstverständlich sofort ein anderer findet, der das Material veröffentlicht.
Ein Exemplar der oben erwähnten
Flugblätter eigener Erzeugung
Ja diese Korruption hat ihren Anstedungsstoff bis in die Reihen der bisher heftigsten Regierungsgegner zugetragen. Das fleinste Gedicht, der kleinste Aufsatz mit dem Hinweis auf die Not des Vaterlandes waren und sind geeignet, diese Kriegspolitik au stüßen.
Deutsches Volf, wenn du unter diesem Gesichtspunkte alles, was vor dem Krieg, am Anfang desselben und während des Krieges gedrudt erschienen ist, nachprüfen würdest, müßtest du zu der Erkenntnis kommen, daß von einem Verteidigungskrieg feine Rede sein kann. Dann müßtest du aber auch zur Erkenntnis fommen, daß du mit allen denen abrechnen mußt, die dir so beispiellose, alles Menschliche übersteigende Maß übersteigende Leiden auferlegt haben.
,, Die best v chenen Scheidemänner jamt dem Schweigegeldnehmer Haase regieren uns und posieren die roten Revolutionsmänner, wobei die Scheidemänner heimlich die Pläge für die kommenden Hohenzollerngeschlechter freihalten." Johann Voß , Schriftsteller.
auch mehrere von den Agitationsschlagern link radikaler Wie man sieht, enthält dieses Flugblatt in all seiner Wirrnis Redner.
worden:
Die Vernehmung des Täters.
In Gegenwart des Staatsanwalts Froböse und des Kriminalfommissars Weißel ist das nachfolgende Protokoll aufgenommen Sistiert erscheint der Leberarbeiter( Portefeuiller) Johann Vos,
7. Juni 1868 in Wiener Neustadt geboren, Annenstr. 21 als Mieter wohnhaft, und erklärt:
Seit 1911 bin ich in Berlin , mit einer sechsmonatlichen Unterbrechung 1913, ansässig. Während des Krieges habe ich Frankfurter Allee 74 gewohnt. Seit dem 14. August bin ich arbeitslo gen der Preußischen Klaffenlotterie mehrfach die Beobachtung ge Im Sommer des vergangenen Jahres habe ich bei den Zichunmacht, daß durch betrügerische Handlungen der Beamten bestimmten Personen die Hauptgewinne in die Hand gespielt werden. Es geschah das in der Weise, daß beim Aufruf von größeren Gewinnen andere Nummern als die ursprünglich gezogenen herausge nommen und ausgerufen wurden. Ich habe damals sofort, als ich meine Beobachtungen gemacht hatte, den Antrag auf Sistierung der Ziehung gestellt. Meine Beschwerden wurden zur Kenntnis genommen, führten aber zu keinem Erfolge, selbst dann nicht, als
Gegen sie spricht aber auch das gesamte bisherige Ergeb wurde auf der Polizei bei ihm gefunden. Es hat folgenden Wort. ich mich an den Präsidenten Fernow wandte.
genug ist.
nis der Beweisaufnahme, nach der festzustehen I aut, der für den politischen" Charakter des Boß bezeichnend scheint, daß es sich vielleicht um nichts anderes als um ein Attentat eines Verrückten auf eine ihm mißliebige Persönlichfeit handelt. Die erregte Zeit hat in allen halb oder ganz Geistesgestörten gewalttätige Instinkte ausgelöst, und die Rechtsanwälte werden mit Drohbriefen aus den Reihen früherer Klienten oder gegenwärtiger Prozeßgegner viel häufiger heimgesucht als in normalen Zeitläuften. Es wäre Segreiflich, wenn einem dieser Leute der Revolver noch loser in der Tasche gesteckt haben sollte als den andern.
Nach den bisherigen Ergebnissen der Beweisaufnahme bleibt höchstens eine lebte und entfernte Möglichkeit offen, daß der Lederarbeiter Johann Voß aus Wien von irgendeiner dritten Seite zu seinem Vorhaben angereizt oder in ihm bestärkt sein könnte. Auch dieser Möglichkeit, für die bisher jeder Anhaltspunkt fehlt, muß bis auf den letzten Grund nachgegangen werden. Allerdings würden die Spuren dann kaum nach der Richtung der Gegenrevolution führen, denn ein Mensch, der in einem unsinnigen Flugblatt auf die Hohenzollern , die Scheidemänner" und den Schweigegeldnehmer Haase" zugleich schimpft, ist für die Gegenrevolution schwerlich ein brauchbares Werkzeug. Wenn in dem kranken Sirn dieses unglücklichen Lotteriespielers überhaupt etwas bon Politik dämmerte, so schimmert das höchstens einigermaßen kommunistisch, womit natürlich nicht behauptet sein soll, das Attentat sei etwa aus ähnlichen Beweggründen entstanden wie der Anschlag Lindners auf Genossen Auer.
Das Vernehmungsprotokoll, das wir weiter unten veröffentlichen, bietet das typische Bild eines geistesgestörten Querulanten. Danach scheint an der ganzen Affäre nichts mehr aufzuklären. Wenn aber Wünsche nach weiterer Beweiserhebung ausgesprochen werden, muß ihnen nachgegangen werden, damit an der ganzen Sache auch nicht der leiseste Rest von Zweifel übrig bleibt.
Daß die persönlichen Vorwürfe, die der nach seiner eigenen Aussage den Unabhängigen am nächsten stehende" geistestranke Täter gegen sein Opfer erhebt, feinerlei Beachfung verdienen, braucht nicht erst besonders hervorgehoben zu werden.
Anläßlich des Attentats haben der Reichspräsident und ber Reichstanaler telegraphisch Frau Haase ihr besonderes Bebauern ausgesprochen.
gaben und Privatbriefen an die Direktion der Klassenlotterie Aus diesem Grunde habe ich mich mit einer Reihe von Einund an das Finanzministerium gewandt. In den Briefen habe ich auch zum Ausdruck gebracht, wenn man bestimmte Personen absichtlich gewinnen lasse, dann solle man sie das nächste Mal nicht gewinnen lassen. Wegen dieser Briefe ist Anklage wegen Erpreffung gegen mich erhoben worden; Termin steht am 22. Ottober an.
Offener Brief an das deutsche Volk. Extraausgabe 5 Bf. Extraausgabe 5 Pf. Die Schuld der Hohenzollern am Weltkrieg. Stauft teine Klaffenlotterie- Rose, die Königl. Ziehungsfommission schwindelt, kauft auch keine Lose von irgend welchen anderen Wohltätigkeits- oder Gemeinnüßigkeits- In der Angelegenheit habe ich auch ein Flugblatt verfaßt, das Lotterien, auch diese Ziehungskommissionen schwindeln. mir heute abgenommen worden ist. Ein Teil der Flugblätter, die Auskunft darüber erteilt Johann Voß, Berlin O. 112, ich auf eigene Kosten bruden ließ, liegt noch in meiner Wohnung. Frankfurter Allee 74.
Welchem Zweck dient der Schwindel? Und wer sind die Da ich auf anderem Wege nicht zu meinem Ziele der AufAuftraggeber dieses Schwindels. Die Hohenzollern flärung des Betruges bei der Klaffenlotterie kommen kounte, habe find es, wie ich gerichtlich nachweisen fann; und die ich schon im Mai 1918 mich an den Abgeordneten Haase gewandt, Lotterien des ganzen deutschen Reiches, obenan die Königl. mit der Bitte, die Angelegenheit im Parlament zur Sprache zu Preußische Klaffenlotterie", haben den einzigen und alleinigen bringen. Die ersten Verhandlungen mit Haase führte meine Frau Zwed der Korruption, der Bestechung im allergrößten Umfang. Marie Voz. Ich wandte mich an Haase deshalb, weil ich der Partei Der Bestechung, um die Kriegs- und Machtpolitik der Hohen- der Unabhängigen Sozialdemokratie politisch am nächsten stehe, zollern zu fördern. Solange die Preußische Klassenlotterie besteht, war und ist sie Fundament und festeste Stüße der Hohen- wenn ich ihr auch als eingeschriebenes Mitglied nicht angehöre. Von zollernschen Machtpolitik, und die ie pige scheinbare Einigkeit vornherein hatte ich den Eindruck, daß Haase aus der Sache ein ist bloß eine Einigkeit der gekauften und bestochenen deutschen Privatgeschäft machen wolle. Ich habe ihm auch das brieflich zu verBreffe, also ein scheußlicher Wechselbalg, dessen Vater der stehen gegeben. Später habe ich mich auch wiederholt an Haase Botterieschwindel und dessen Mutter die Pressekorruption find, persönlich gewandt, um seine Hilfe zu erlangen; ich bin mißwährend die militärische Pressezenfur als richtiger Dr. Eisenbart verstanden worden. Ich habe bis zum 23. Juli d. J. mit Haaje Geburtshilfe bei dieser Mißgeburt leistet, und dem als Krönung nur brieflich oder durch meine Frau verkehrt. Ich hatte den Einder ganzen Komödie der hohe Bundesrat Gevatter steht. Ja, deutscher Michel, diesen Wechselbalg hat man dir unter- bruck, daß er mir auszuweichen fuchte. Bis dahin kannte ich geschoben, während man deinem legitimen Kind, der deut- ihn nur aus einer Wählerversammlung April 1918, in der er den schen Einigfeit, wie sie Robert Blum und Franz Messen Kandidaten Dr. Breitscheid empfahl. hauser( der Kommandant der Wiener Nationalgarde 1848. Red.) meinten, schon Anno 48 mit vereinten hohenzollern - habsburgischen Kräften den Garaus machte. Bestechung ist also das Band, deutsche Einigkeit geheißen. Bestochen waren vor dem Krieg die großen deutschen Tageszeitungen, welche den Krieg publizistisch vorbereiten helfen. Bestochen wurde seitdem die weise, die ich ihm anbot, erklärte er für nicht ausreichend, ganze deutsche Bresse, soweit sie im Fahrwasser dieser Kriegs- ohne sie näher zu prüfen. politik segelt.
Am 28. Juni d. J. habe ich Haase, der sich in Begleitung eines anderen Herrn befand, in der Gegend des Lützowplazes angesprochen und ihn gebeten, sich meiner Sache anzunehmen. Haase antwortete mir ausweichend und erklärte, et habe teine Zeit. Meine Be
Ich hatte die Ueberzeugung, daß Saafe ebenfalls bestochen fei, Bestochen ist auch die ganze belletristische Literatur. und daß er als sogenannter Volkstribun die Interessen der Be Ferner die gesamten Volksvertreter in Reich, Landgemeinden, fo- völkerung verrate. Dafür, daß Haase bestochen ist, habe ich Beweise weit fie die Kriegs- und Durchhaltepolitif( Aha! Red.) von einem Sekretär des Finanzministeriums, dessen Namen ich in offener oder versteckter Form befürworten, auch Gewerkschaftsführer und Beamte, kurz und gut, alle Leute von auch nur einigem politischen oder wirtschaftlichen Einfluß, soweit fie nicht ohnehin mit der Wahrung der Interessen der Kriegsindustrie und Kriegsgewinnler betraut sind.
nennen tann.
Seit dem Juni habe ich noch verschiedene Male mit Haafe zu sprechen versucht, er ist mir aber immer ausgewichen. Ich war deshalb auf ihn sehr stark erbittert, da ich ihn für einen Volks.