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Donnerstag, den 20. November 1919.
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Vor einem Jahre!
Zeitgemäße Erinnerungen.
Freund, jetzt ist's Beit, zu lärmen!" Jedenfalls halten die Deutschnationalen die Zeit dafür gekommen, zumal dieses Lärmen anscheinend heute doch nicht mehr gefährlich ist. Heute trachten sie danach,„ den Mann auf der Straße" zu spielen, heute spielen sie ein wenig Gegenrevolution. Freilich, sie spielen nur, denn zur wirklichen Aktion fehlt ihnen ja doch der Mut. Und ein neuer Tag des Umsturzes verlangt heute von denen, die ihn ernstlich wollen, eine Fülle von politischem und persönlichem Mut, die ans Uebermenschliche grenzt. Diese Mutfülle ist aber, das haben uns die Novemgrenzt. Diese Mutfülle ist aber, das haben uns die Novem bertage des Jahres 1918 gelehrt, in den Kreisen nicht zu finden, die heute schwarz- weiß- rote Fahnen tragen, die heute Hoch Hindenburg !" und Nieder mit dem Untersuchungsausschuß!" rufen. Es erscheint deshalb zweckmäßig, einmal Erinnerungen auszugraben, die aufs deutlichste die Angstzustände jener Kreise zeigen, die heute nur des halb so entsetzlich schimpfen, weil sie im November 1918 so entsegliche Angst ausgestanden haben.
gewiesen werden muß, weil heute die Blätter der großen Umferner mit persönlichen Verdächtigungen der RegieDie beutsche Delegation der Arbeitskonferens in Washington rungsmänner mehr als gefüllt sind. Wir wissen heute allerhat unmittelbar vor der Einschiffung in Göteburg noch das Tele- dings, daß diese Lobpreisungen von nichts anderem diktiert gramm der deutschen Regierung erhalten, daß bie Sonferenz in waren als von blasser Angst. Demgemäß ist ihr Wert Washington #ch ihrem Ende nähere, und daß deswegen die Ab- auch einzuschätzen. Es war selbstverständlich, daß es in der reise der Delegation unterbleiben müffe. Die Delegation tritt Stunft des Lobens damals der„ Sofalanzeiger" am weitesten unverzüglich die Heimreise nach Deutschland an. gebracht hat. Am 13. November schrieb er:
Man darf wohl sagen, daß die Washingtoner Konferenz das
gleiche Resultat gehabt hat, wie das Hornberger Schießen. Ohne bas in sozialpolitischen Fragen erfte Land der Welt, als das Deutschland allgemein gilt, mußte diefe Konferenz ein Fehlunternehmen sein. Daß Deutschland daran nicht teilnehmen konnte, liegt ausschließlich bei den alliierten Mächten, denen alle Hindernisse zuzuschreiben sind, die Deutschland von der Teilnahme an dieser ersten großen Arbeitskonferenz ferngehalten haben.
Amerika ist durch die vom Senat angenommenen Vorbehalte, zum Friedensvertrag in ernste Schwierigkeiten gegenüber den übri. gen Alliierten gekommen. Wenn Sie Abstimmung im Repräsen tantenhaus, die bald zu erwarten ist, diese Vorbehalte bestätigt, Am 9. November 1918 war wirklich der letzte Rest all- dann müßte das allerdings die Annullierung des Friedeutschen Heldentums" zerflossen. Es begann das große densvertrags für Amerika bedeuten, und Separatver Silferufen, gerichtet an die Regierung der Wolfsbeauftragten. handlungen Amerifos mit Deutschland wären unausbleiblich. Jn. Am 10. November 1918 richtete die Deutsche Tageszeitung" dessen steht noch nicht fest, daß sich das Repräsentantenhaus die den dringenden Appell an die Regierung, jede Gewalttätigteit Saltung des Senats zu eigen machen wird und es ist immerhin, zu vermeiden und den Staatsbürgern die persönliche möglich, daß diese Abstimmung ohne die Vorbehalte stattfinden Sicherheit zu garantieren."
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Das ist dasselbe Blatt, daß jezt über Züge und VerTeumbung" schreit, wenn wir die alldeutschen Bolitiker erwähnen, die im November 1918 die Republik um Schutz anbettelten. Zwei Tage später wiederholte die„ Deutsche Tageszeitung" den dringenden Appell":
ir appellieren nochmals an die Regierung, wie auch an die Arbeiter- und Soldatenräte, alles zu vermeiden, wodurch der Anschein entstehen muß, daß sie sich in Gegensatz zu der Mehrheit des deutschen Volkes sehen wollten. Wir wie berholen nochmals, daß das deutsche Bürgertum schon aus dringendstem eigenen Interesse durchaus bereit ist, die sozialdemofratische Regierung bei der Aufrechterhaltung der Ordnung unter Zurüdstellung aller grundsäglichen Meinungsverschiebennachdrücklich zu unterstügen."
Gerade angesichts der lekten Demonstrationen darf dieses Versprechen, die Ordnung aufrecht zu erhalten, nicht bergessen werden. Der Appell ist aber auch deshalb wertboll, weil aus ihm ganz flar hervorgeht, daß die Unterstügung aus dringendstem eigenen Interesse" geschah. Es muß das besonders festgestellt werden, denn späterhin hat man bekanntlich die Unterstübung nicht mit dem eigenen Interesse, sondern mit dem Interesse des Volksganzen begründet.
wird.
England und Frankreich sind in großer Besorgnis über die in Amerika aufgetauchten Friedensschwierigkeiten. Man hofft in den beiden Ländern jedoch, daß es zu einem günstigen Arrangement tommt.
Aus Washington wird gemeldet: Der Senat hat den Bor, behalt angenommen, daß die Vereinigten Staaten dem Arbeitsab kommen im Friedensvertrage nicht beitreten sollen.
Mit 54 gegen 35 Stimmen genehmigte der Senat einen neuerlichen Vorbehalt zum Friedensvertrag, nach welchem eine Beteiligung der Bereinigten Staaten an der Internationalen Arbeitstonferenz nur mit Ermächtigung des Kongresses stattfinden darf.
Die Schweiz und der Völkerbund.
Der Schweizer Nationalrat hat mit 124 gegen 45 Stimmen beschlossen, dem Bölferbund beizutreten.
Diese Männer( die Volksbeauftragten) rechtfertigen die Hoffnung, daß man mit ihnen wird auskommen tönnen. Sie sind nicht blind gegen die inneren Notwendig beiten des Lebens, die fanatischer Ünderstand des Bolschewismus in Rußland zertrümmert hat, und sie wissen vor allem, was es bedeutet, ob Ordnung und Sicherheit im Lande, ob die Freiheit des Bürgers in feiner politischen und gewerblichen Betätigung gesichert oder gefährbet ist. Gelingt es ihnen, die Macht in der Hand zu behalten, so wird das deutsche Volk so ziemlich doch mit heiler Haut aus der Brandung dieser Revolutionstage heraustommen."
Natürlich bekamen damals auch die Arbeiter und Soldatenräte als die Organe, die aus der Revolution heraus entstanden waren, ihr vollgerüttelt und geschüttelt Maß von Anerkennung, und wieder war es der„ Berliner Lokalanzeiger", der sich am 18. November 1918 wie folgt vernehmen ließ:
.Unsere Goldaten und Matrofen und unsere gesamte Ar Beiterschaft stehen mit Ausnahme mentiger, meist irregeleiteter Elemente, auf dem Boden dieses Programms und haben sich bereits in zahlreichen Fällen ausgezeichnet bewährt. Wir rechnen weiter auf sie."
Das ist echt„ Sofalanzeiger", waschecht und unverfärbt! In der Deutschen Tageszeitung" flang natürlich die gleiche Tonart. Am 16. November schrieb das Blatt:
Die regierenden Gewalten, besonders auch die Soldaten, die bisher größtenteils in anerkennenswerter Weise für die Ordnung eingetreten sind, müssen alles daran seben, eine bolfchemistische Gegenrevolution mit ihren Schrecken unmöglich zu machen."
Was aus dieser Anerkennung der Novembertage geworden ist, ist männiglich bekannt. Das zeigt die Deutsche Tageszeitung" am besten. Sie schreibt nämlich aber erst am 16. September 1919:
-
Die glänzende" Leistung der Näte dagegen besteht vor allem darin, daß in der Revolutionszeit mindestens drei bis vier Milliarden Heeres- und sonstiges Staatsgut, von dem Heeresgut annähernd die Hälfte, in gewiffenlosester Weise verschleudert wor= den find. Die Verdienste" der Räte sind demgegenüber derartig, daß alle Wohlgerüche Arabiens fie nicht überduften können." Diese Gegenüberstellungen der Zitate aus der Deutschen Tageszeitung" vom 16. November 1918 und vom 16. Sep
Dieser Beitrittsbeschluß ist aber nicht vorbehaltlos ange nommen worden. Die Regierung hat im Nationalrat erklärt, daß sie auf jeden Fall an der Neutralität der Schweiz festhalte. Jne. besondere betrachte sich die Schweiz selbst in den Fällen des§ 16 des Friedensvertrages( Zwangsmittel gegen renitente Bundesmit- tember 1919 jagt genug. glieder) von der Gewährung des Durchzugsrechts und der militärischen Hilfe befreit. Wenn der Rat des Völkerbundes diesen Vorbehalt nicht anerkennen würde, werde der Bundesrat die Beitrittserklärung als nicht gegeven be
trachten.
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und das Jetzt genügend gekennzeichnet. Am 9. November Mit diesen Gegenüberstellungen ist aber auch das Einst 1918 befaßen jene Männer, die heute Schüler und Studenten auf die Straße schicken und in Versammlungen, um sie zu sprengen, nicht den Mut, zu ihren Worten zu stehen. Wenn nach einem alten Worte deutsch sein" heißt„ Charakter haben", so sind sie weder Deutsche noch haben sie
Wir wollen nicht vergessen: Im November 1918 gingen die Alldeutschen nicht auf die Straße, sondern sie suchten mit möglichfter Schnelligkeit auf den Boden der Tatsachen" zu gelangen, da dieser Boden allgemein als sichere Bufluchtsstätte betrachtet wurde. Die Blätter der Monarchisten entfernten ihre Lojungsworte Für Kaiser und Reich" und ,, Vorwärts mit Gott für König und Vateríand" von ihren Beitungsköpfen und vollzogen so ihren Einmarsch in die Re publik . Als dann allerdings später alles gut gegangen war, biel besser, als man glaubte, da war den Hercen der Schnabl auch er sich ein, um zu erklären: wieder gewachsen, auf daß sie singen fonnten wie in alter er sich ein, um zu erklären: Zeit. Im Revolutionsnovember hatte man sich allerdings nicht genug tun können in der Abgabe aller möglichen Versprechungen. Der 13. November 1918 brachte gleich drei auf einmal. Die Berliner Neuesten Nachrichten" schreiben:
alles abhängt, durch Abgabe und Bereitstellung dessen, was ber ihren Charakter bewiesen. einzelne nur irgend zu leisten vermag, sichern helfen!"
Wo alles verspricht, durfte natürlich auch der Berliner
,, Millionen von deutschen Männern und Frauen, die im monarchistischen Staatsgedanken groß geworden sind, wird es sehr schwer werden, sich daran zu gewöhnen, nunmehr in der deutschen Republik wohnen zu sollen. Aber mit dem Herzen tann man keine Politik machen und teine positive Arbeit leisten. Darum aber handelt es sich gerade in diesen sturmbewegten Tagen, in denen mehr als jemals positive Arbeit von jedem einzelnen verlangt wird. Deshalb wäre es ruchlos, die gegenwärtige Regierung nicht ein mütig und mit allen Mitteln in dem von ihr zum Gesez erhobenen Programm zu unterstüben."
Rein vernünftiger Mensch verfennt die Schwie rigkeiten, die bergehoch auf der sozialist isen Mepubl Tasten. Hätte schon in Friedenszeiten die Umstellung unferes gesamten Staatsorganismus eine Aufgaoe ingeheurer Größe bedeutet, so erfährt der Aufgabenfres der Regierung noch eine riesige Erweiterung durch die Ausführung der Waffenstillitandsbedingungen und die Aufnahme der Friedensverhandlungen. Wenn diese gewaltigen Arbeiten halbwegs zum Wohle des deut Der Lofalanzeiger" meinte es mit seiner Mitarbeit im schen Volkes durchgeführt werden sollen, so braucht die Regie- ovember 1918 besonders ernst. Am 19. November kam er rung alle Sträfte, und es ist nicht nur gutes Recht, sondern ver. fogar mit fehr radikalen und sehr konkreten Vorschlägen, dammte Pflicht und Schuldigkeit der besonnenen indem er schrieb: Elemente, nicht abseits zu stehen."
Aehnlich äußerte sich auch die ,, Deutsche Tageszeitung". und am gleichen Tage ließ sich Herr von Seydebrand in der Krenzzeitung" vernehmen. Er bat im Namen der fonservativen Partei alle Parteifreunde,
,, daß sie in diesen schweren Tagen und Wochen selbst mit den größten eigenen Opfern die Ernährung des Volkes, von der jetzt
" Dringend erforderlich ist zunächst die Einziehung aller Kriegsgewinne in die Staatskasse...
Diefe Opferwill greit verdient vor der staunenden Nachwelt doch festgehalten zu werden. Sie hielt indessen nicht lange vor.
Wie sie I oben konnten, das ist auch ein Sonderkapitel aus den Revolutionstagen, auf das besonders deshalb hin
Die Resultate der französischen Wahlen liegen immer noch recht lückenhaft vor. Am Mittwoch wurde aus Paris genieldet:
bekannt, und zwar errangen bisher Linksrepublikaner 125 Size Von den Kammerwahlen sind bisher ungefähr 590 Nefultate ( Verlust 36), Radikale 54( Verlust 7), Sozialistisch- Radikale 78 ( Berlust 85), Republikanische Sozialisten 26( Berlust 7), unifizierte Sozialisten 25(?)( Berlust 32), dissidente Sozialisten 6( Gewinn 6), Progreffiften 126( Gewinn 76), Action- Liberale 75( Gewinn 42), Konservative 42( weder Gewinn noch Berlust).
Wir haben es bisher vermieden, die nur spärlich einlaufenden Berichte über die Wahlen in Frankreich , England und Belgien eingehend zu besprechen, und wollen es auch) heute noch nicht tun, da auch die letten Telegramme einen außerordentlichen Mangel an Einzelheiten und sogar offenbare fehlerhafte Angaben aufweisen. So sollen nach der obigen Meldung aus Paris die französischen Sozialisten 32 Size berloren haben, da sie aber in der früheren Rammer etwa 90 Mandate zählten( wenn man die Zahl der in letzter Beit Ausgeschiedenen abzieht), so beruht die angegebene Zahl der errungenen Mandate von 25 zweifellos auf einen Uebermittelungsfehler, und sie ist wohl durch 55 zu ersetzen. Aber solange man auf solches Rätselraten angewiesen ist, solange