Nr.637.36.Jahrg.
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Sonnabend, den 13. Dezember 1919.
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Strafanträge im Lindner- Prozeß.
Demokratentag in Leipzig.X|
Die Deutsche Demokratische Partei tritt am Sonntag in Leipzig zu einem Parteitag zusammen. Seine Arbeit wird uns, die wir jetzt vielleicht allzusehr gewohnt sind, nur nach links zu blicken, daran erinnern, daß die Mehrheit unserer Volksgenossen noch immer rechts von uns steht und daß von dieser Rechten die Demokratische Pattei den linken Flügel bildet. Die bürgerlichen Bar teien haben in Deutschland ihre Rolle noch nicht ausgespielt, und der Zeitpunkt, an dem es gelingen wird, sie allesamt in die Schattenstellung einer oppositionellen Minderheit herabzudrücken, wird durch die Zersplitterung der Arbeiter bewegung nur noch weiter hinausgerückt.
Die Sozialdemokratie, die den grundsäßlich un erlaubten und praktisch aussichtslosen Versuch ablehnt, sich als Minderheit mit Gewalt in die Macht zu setzen, bleibt also auch weiter vor dem Dilemma stehen, entweder mit bür. gerlichen Parteien gemeinsam eine Regierung bilden oder aber in die Opposition geben und den Bürgerlichen die Regierung überlassen zu müssen. Den Bürgerlichen die Regierung überlassen, heißt aber unter den gegebenen Umständen gar nichts anderes, als die monarchistische Reaktion wieder in den Sattel setzen. Bu einer solchen Politik verzweifelnder Entfagung, die dem Reich neue Erschütterungen, dem arbeitenden Volf neue schwere Leiden bringt, würde sie sich nur entschließen fönnen, wenn gar fein anderer Ausweg mehr übrig bliebe.
15 Jahre Zuchthaus für Lindner.
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In der Sonnabend Schlußßigung im Lindner- Prozek beantragte der Erste Staatsanwalt Hahn gegen den Angeflagten Lindner wegen des Mordverfuchs auf Auer 10 Jahre 3uchthaus und wegen des versuchten Tot. schlags auf Major Gareis 12 Jahre Zuchthaus, zusammen eine Zuchthausstrafe von 15 Jahren. Die Anklage wegen Tötung des Abgeordneten Ofel ließ der Staatsanwalt fallen, weil Ofel von der Tribüne aus er schossen worden ist.
beitenden, befiglofen Maffen die Partei vor sonst unvermeidlicher Verkümmerung retten kann.
Eine solche Verfümmerung läge aber heute nicht im politischen Allgemeininteresse, weil sie sich zugunsten der deutsch nationalen Reaktion vollziehen würde. Bei den kommenden Reichstagswahlen wird die bürgerliche Demokratie den Hauptstoß von ganz rechts auszuhalten haben; fie braucht dazu scharfe Angriffswaffen und einen feften Schild. Ihr Leipziger Parteitag mag selbst darüber nachdenken, ob das, was sie braucht, in dem ihr vorgelegten Programmentwurf zu finden ist.
Unter Prinzipienverrätern.
Gegen den Angeklagten Frisch beantragte der Staatsanwalt wegen Verbrechens der Beihilfe zum Totschlagsversuch, begangen an dem Minister Auer, 6 Jahre Zuchthaus, gegen den Angeklagten Mertert wegen Begün tigung 6 Monate Gefängnis und gegen den Anacklagten Schlund wegen des gleichen Vergehens 10 Monate Ge- ausgesprochen, wobei er den rechten wie linken Flügel der fängnis.
Generalstreik in Halle.
( Drahtbericht unseres Hallenser Korrespondenten.) Wegen der Verurteilung des Arbeiterführers Rilian zu bret Jahren Gefängnis ist heute die gesamte Abeiterschaft Halles und ein Teil der Umgebung in den Generalstreit getreten. Sie fordern die fofortige aftentlaffung Rilians. Die lebenswichtigen Betriebe werden zurzeit noch notdürftig aufrecht erhalten, bis auf das Gaswert, das stilliegt. Von den Eisenbahnern ftreifen bisher nur die Werkstättenarbeiter. Bisher ist alles ruhig Darum ist die Entwicklung der bürgerlichen Parteien, geblieben. Im Boltspark fand heute vormittag eine Bersammlung mit denen gemeinsam die Sozialdemokratie jegt die Stegie- statt, nach. deren Beendigung fich ein Demonstrationszug rung bildet, eine Angelegenheit, die auch uns in hohem Maße von etwa 6000 bis 7000 Berfonen bildete, die durch die Stadt zogen angeht. Im rein agitatorischen Interesse mag es liegen, und nochmals eine Versammlung unter freiem Himmet abhielten. wenn sich die Grenze zwischen ihnen und uns so scharf wie Die E. P. D. in Halle hat sich offiziell dem Proteft gegen das Urteil möglich abhebt. Wo aber die Notwendigkeit pratim Rilianprozeß angefchloffen. tischen Zusammenarbeitens unausweichlich ist, ist es gefährlich, an bestimmten Bunften unübersteigbare Hinderniffe zu finden, bor denen die Möglichkeit der Verständigung einfach aufhört. Wir können nicht wünschen, daß sich die bürgerlichen Parteien praktisch immer wieder nur als die Vertreter feindlicher Klasseninteressen entpuppen, als die fie in der theoretischen Unterscheidung erscheinen.
Tatsächlich sind die bürgerlichen Barteien dazu auch gar nicht imstande. Die Sozialdemokratie fann, wie im Raiserreich, so erst recht in der demokratischen Republik, als reine Vertretung der Arbeiter erscheinen, weil die arbeitenden, befitlofen Massen eben die große Mehrheit der Bevölkerung bilden. Keine bürgerliche Partei fann sich dagegen offen und ungeschminkt als die Vertreterin fapitalistischer Interessen geben, jede ist, um sich ihren Wahlanhang zu erhalten, genötigt, mit mehr oder weniger gutem Willen dem werftätig schaffenden Teil ihrer Wähler, Arbeitern und Angestellten, Bugeständnisse zu machen. In der demokratischen Republik, im Lande der stärksten Sozialdemokratie, kann keine bürger- 1 liche Partei auf einen gewiffen sozialen Einschlag berzichten.
Die Deutschnationalen fönnen allenfalls darauf rechnen, daß es ihnen mit den Mitteln nationalistischer Aufpeilichung gelingen fönnte, ihre sozial schlechter geftellten Anhänger über ihre wirklichen Intereffen hinwegzutäuschen. Die Demofraten, denen dieses politische Betäubungsmittel nicht zur Verfügung steht, und die sich selbst bei dem Berfuch, es anzuwenden, einer stets unüberbielbaren RonFurrenz gegenübersehen würden, müßten mit der Beit in immer größere Verlegenheit kommen, wenn sie nichts sein wollten als Demokraten. Man darf doch nicht vergessen, daß im neuen Deutschland nichts als demokratisch sein gerade fobiel beißt wie fonierbatib.fein. Zwischen den Deutsch nationalen, die den Weg in die Vergangenheit zurücsuchen, und den Sozialisten, die ihr Biel weit in die Zukunft hinausgestellt haben, bliebe dann die Deutsche Demokratische Partei stehen als die Partei der Beharrung, und als Fluch müßte sich an ihr das Wort bewahrheiten, das Theodor Barth ihren Vorfahren so oft warnend in die Ohren rief: ,, Wie ich beharre, bin ich necht!"
mens fordert. Bisher war man ziemlich allgemein der Meinung, daß die Privatwirtschaft die Quelle der sozialen Ungleichheit ist; wenn indes die demokratische Partei einen neuen Wirtschaftsdenfer hervorgebracht hat, der dartut, wie man Privatwirtschaft mit sozialer Gleichheit bereinigen kann, fo trete er hervor und zeige sich dem Volte. Aber, man merft nichts von solchem wirtschaftlichen Umdenken, sondern merkt nur das Bestreben, den Kindern rechts und den Kindern links einige Buderpläßchen in den Mund zu schieben. Wenn das Gleichberechtigung" ist, so ist es doch keine soziale".
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Das Gepolter gegen Vertruftung und wachsende Großbetriebe, die den einzelnen zu einem Rädchen in einer Ma fchine machen", und das Schußversprechen für Kleinhandel und Sandwert, bei denen das unmittelbare Verhältnis des Menschen zu dem Gesamtergebnis feiner Arbeit noch be steht", machen beinahe den Eindrud, als ob in der Deutschen Demokratie eine neue Mittelstandspartei" im Entstehen begriffen fei. Aber auch die Wirtschaftspolitiker der Demokratie werden fich der Erkenntnis nicht verschließen fönnen, daß die Not des Landes mehr denn je alle irrationellen Arbeitsmethoden verbietet, mehr denn je zur Arbeitsersparnis auf dem Wege großbetrieblicher Zusammenfassung hindrängt. Es fehlt der Mut, sich zu dem zu bekennen, was man wollen muß.
Lenin hat sich sehr ungnädig über die Unabhängigen U. S. P. gleichmäßig als„ Selfershelfer der gegenrevolutionären Bourgeoisie" und als„ fleinbürgerliche Demokraten vom Schlage Louis Blancs und anderer Narren des Jahres 1848" bezeichnet hat. Im allgemeinen ist es ja bei den Unabhängigen Sitte, derartige Liebenswürdigkeiten mit verstärktem Schweifmedeln vor der Tür der dritten Internationale zu beantworten, aber diesmal sieht sich die Freiheir" doch veranlaßt- natürlich alleruntertänigit, an Senin eine bescheidene Antwort zu erteilen. Sie schreibt:
Aber man muß. gegenüber diesen ewigen Bannflüchen doch einmal fragen, woher denn die Bolschewiti die Legitimation zu thren Richtersprüchen hernehmen. Es muß doch einmal gesagt werden, daß ihre Prinzipienreinheit wesentlich ein Gpport. artifel ist, während sie in Rußland felbst zu allen mög lichen Kongeffionen bereit sind. Wir sprechen dabei gar nicht von ihrer Stellungnahme gegenüber dem Parlament, wo sie zunächst die Wahlbeteiligung bermarfen und dann wieder afzepfierten, zunächst die Einberufung der Nationalbersammlung stürmisch berlangten und bann sie auseinanderjagien. Das mögen alles taktische Rücksichten gewesen sein. Aber wie steht es denn mit den sozialistischen Grundsäßen? Haben nicht die- Bolfchemiki das sozialistische Agrarprogramm vollständig fallen gelassen und sind sie nicht diejenigen gewesen, die das bäuerliche Privateigentum an Grund und Boden in Rußland verwirklicht und damit das Prinzip des Privateigentums entgegen allen sozialistischen Grundsäßen in Rußland außerordentlich befestigt haben? Und haben sie nicht auf dem Gebiete der Industrie den bürgerlichen Produktionsleitern, den Technikern und sonstigen hochqualifizierten Arbeitskräften, entgegen ihrem ursprünglichen Programm, bie weitgehendsten Zugeständnisse gemacht, so daß heute in der russischen Fabrit wieder die allerftärksten Einkommensunter. schiede vorhanden sind?
Die Bolschewifi fönnen mit Recht sagen, daß fie fozialistische Grundsäße auf diesen Gebieten nicht verwirklichen konnten, weil der Zwang der ökonomischen Verhältnisse dem entgegenstand. Aber die Bolschewifi wissen recht gut, daß die sozialistische Taktik anderer Parteien in gleicher Weise folchem Zwang unterliegt und ihr ewiges Geschrei über Prinzipienverrat ist deshalb sehr wenig angebracht.
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Aber wie steht es denn mit der Stubenreinheit der Bolschewifi in bezug auf das Räte system? Wir fönnen nicht sicher beurteilen und wir urteilen nur auf Grund eingehender Informationen, ob es richtig ist, wenn gesagt wird, daß bom politischen Leben in den russischen Arbeiterräten wenig zu spüren ist, daß in Rußland heute die Diktatur des Proletariats reduziert ift auf die Diktatur der Leiter der Kommunistischen Partei. Sicher ist dagegen, daß auch das wirtschaftliche Rätesystem von den Bolschewifi start durchbrochen ist, daß in einer Anzahl wichtiger Industrien der Einfluß der Arbeiter auf die Leitung der Betriebe sehr gering geworden ist. Diese Industrien werden vielmehr von einer sehr autokratisch geleiteten Zentralstelle mit Hilfe einer ausgebildeten Wirtschaftsbureaukratie geleitet.
Die Bolschewiki täten beffer baran, uns mit ihrer Kritik zu berschonen und unseren Kommunisten nicht ein so schlechtes Beifpiel für ihre Schimpfereien zu geben.
Die Frage steht doch tatsächlich so, ob wir das Ziel einer höchsten Rationalisierung der Wirtschaft auf den alten Wegen der privatkapitalistischen Initiative oder auf den neuen, einer bom Staatsbolt planmäßig geleiteten mirtichaft erreichen wollen. Daß es auf dem zweiten Wege zahlreiche Uebergangsstufen gibt, und daß man nicht den ganzen Kapitalismus blindwütig mit einem Schlage in die Luft sprengen fann, ohne daß die Trümmer den Arbeitern auf den Kopf fallen, braucht man wissenschaftlich gebildeten Sozialisten nicht erst zu sagen. Sehr wohl aber läßt fich Klarheit der Richtlinien mit Vorsicht der Methode vereinigen und schließlich muß man wissen, was man will. Ein unflares Serumgerede um die grundlegenden Fragen der Wirtschaftspolitik fann in den Kreisen der Ar Dem demokratischen Parteitag in Leipzig liegt ein beiter und der Angestellten nur den Verdacht hervorrufen, Programmentwurf bor , der in seinem politischen daß der buntichillernde Mantel eines demokratischen Wirt Teil manche gute Wahrheit enthält, aus dem aber feine fchaftsprogramms nur dazu bestimmt sei, die kapitaliniffe haben machen müssen, sind einwandfrei. Aber wir erFlamme leuchtet. Am bedenklichsten und ängstlichsten wird stische Braris der Partei zu verbergen. Ein Verdacht, innern uns an unzählige Fälle, mo mehrheitssozialistische dieses Programm in feinem voltswirtschaftlichen der durch das zaudernde und bremsende Verhalten der Fraf- Redner, die genau dasselbe ausführten von unab Teil, der ohne Flare Grundauffaffung nach beiden Seiten tion bei der Beratung des Betriebsrätegefeges und hängigem Versammlungspublikum nieder. hin mit beschwichtigenden Worten zu wirken bestrebt ist, der des Reichsnotopfers in der Nationalversammlung nur gebrüllt und heruntergeschrien worden sind. Es wird bie Privatwirtschaft als regelmäßige Betriebsform" verstärkt werden kann. Schon darum sollte sich der Demo- sich aber trotzdem empfehlen, fünftig auf unabhängigen Verfeiert und ebenso begeistert die Beseitigung fozialen fratentag in Leipzig nicht der Einsicht verschließen, daß nur sammlungen die Ausführungen der Freiheit" unter aus. Unrechts in der Verteilung des Besizes und des Einkom- eine flare Stellungnahme für die sozialen Interessen der ar- drücklicher Quellenbezeichnung zu verlesen.
Was die Freiheit" hier über Zwang der ökonomischen Verhältnisse und Geschrei über Prinzipienverrat schreibt, ist fehr beachtenswert, fie wird es nur sofort in dem Augenblick wieder vergessen haben, wo sie ihr eigenes Gefchrei über Prinzipienverrat" der Mehrheitssozialisten erhebt. Die Feststellungen der Freiheit" über die Konzeifionen, welche die Balschewiki an die tatsächlichen Verhält