Nr. 12« ♦ 37. Jahrgang
Heilage ües vorwärts
Mittwoch, 10. März 1920
Groß-�erün Teilstrecken. Ein Gebot der Stunde. Im rasenden Weitlauf überbieten sich die Preise für alle Dinge des täglichen L.'benS in der Schnelligkeit des Höhersteigons. Ein Wunder wäre es, würde die Straßenbahn fehlen. Das lange drohende Damoklesschwert des SO-Pfennig-Torifs steht denn auch seit gestern vor dem Herabfallen. Der bll-P fennig-Fahrpreis ist im Prinzip beschlossen und seine Zustimmung durch den VerbandSaus- schuß ist kaum mehr als eine Formalität. Die Fahrpreiserhöhung ist bei dem LO-Millionen-Defizit der Straßenbahn ein'e Notwendigkeit geworden, der man sich mit dem begu:men Argument.Es geht nicht an" einfach nicht mehr verschließen darf. Aber es ist jetzt höchste Pflicht aller beschluß- fassenden Instanzen, mit allen Gräften nach erträglichen Auswegen zu suchen.— Hat man das getan? Man vergegenwärtige sich vor allen Dingen, daß die Straßen- bahn in Berlin kein VerkehrsmittÄ für lange Fahrten ist. Im Stadtverkehr handelt es sich auch noch meist um kürzere Strecken, die der Fahrgast schnell zurücklegen will. So beträgt die mitt- lere Streckenlänge, die ein Fahrgast zurücklegt, 3,5 Ki lo» meter bedeutet nun eine Strecke vom Spittelmarkt über Potsdamer Platz bis etwa zur Ecke der Potsdamer und Bülowstraße oder von der Endhaltestelle Treptow bis zum Görlitzer Bahnhof. Der größte Teil der Berliner Fahrgäste dürste es aber schwerlich zu einer solcken Fahrtstrecke bringen, die mit 50 Pfennig auch zu hoch be- messen wäre. Der Einheitstarif war eine ganz angenehme Einrichtung so- lange die gangbare Einheitsmünze 10 Pfennig betrug. Er wird heute zu einer Ungerechtigkeit» da die gangbare EmheitSmünze es trotz aller Geldentwertung heute noch nicht auf 50 Pfennig gebrach hat. Die S.raßenbahn selbst motivierte seinerzeit die Fest- sctzung deS Tarifsatzes nicht mit einer gerechten Abwägung von Leistung und Gegenleistung, sondern eben mit dem Umstand, daß die gangbar« Einheitsmünze 10 Pfennig betrug. Blieben wir bei dem Einheitstarif, so käme es darauf hinaus, daß der Fahrgast vom Spittelmarkt bis zum Alcxanderplatz zum großen Teil die Fabrt des Mannes bezahlen muß. der nach Mariendorf , Pankow oder Niederschönhausen will. ES bleibt als einzige Möglichkeit die Einführung deS Teil- st r e ck e n t a r i f S. Man bat sich in Berlin bisher aus zum Test mich berechtigten Gründen dagegen gesträubt; aber eS bleibt heute nickts anderes übrig, soll für Straßenbahn und Pub'ikum die Kala» mität n'ckt zu einer Katastrophe werden. Die große Masse der Berliner Bevölkeruna'anu eben für 10 Minuten Strahenbahnfahrt n cht 30 Pfennig bezahlen. Beispiele, die man aus allen möglichen anderen Großstädten zum Beweis heranholt, dürfen bei den ganz besonderen Verhältnissen nicht hür Berlin Beachtung finden. Es liegt alles daran, w i e dieser Teilstrcckentarif ausgearbeitet wird. Es liegt alles daran, wie er durchgeführt wird. Zugestanden -ei, daß groß« Schwierigkeiten zu überwinden sind; aber sie müssen überwunden werden. Man hüte sich, den heute bereits vorhandenen Eindruck zu verstärken, daß einfaches Hoäischleudern des Fahrpreises bequemste? Mittel ist, ein Defizit zu decken. Man arbeite wirklich irnd gebe sich Mühe zu einem gerechten Ausgleich. Sonst könnt- eS der Straßenbahn am ehesten schlecht be- kdmmen.— ät.
lieber die neuen Erhöhungen im Berliner Stadt», Ring» und Vorortverkehr sind bis jetzt noch keine Entschei- düngen gefallen. Wenn von verschiedenen Seiten behauptet wird. es seien Erhöhungen von 50 vom Hundert vorgesehen, so scheint diese Annahm« angesichts der geplanten Erhöhung im Straßenbahn- und Hochbahnoerkehr stark fehlzugehen. Die Entscheidung über die Erhöhung der Bororttarife wird erst dann zu erwarten sein, wenn die neuen Fahrpreise für Straßenbahn und Hochbahn feststehen. Der zirnächst für die Erhöhung der Stadtbahn- und Vororttarife in Aus- ficht genommene Zeitpunkt, der 1. Mai, wird also voraussichtlich weiter binauSgeschoben werden.
Feuerwehr und polizeipräflüent. Eine„Amtspflicht" deS Feuerwehrmanns. Bei der Berliner Feuerwehr ist es zu einem sonder- baren Konflikt zwischen ihr und dem Polizeipräsidenten gekommen. Der Polizeipräsident bedeutet ja für die Feuerwehr, da sie eine Abteilung der Polizei ist, ihre oberste Spitz«. Schon immer hatte bei den Feuerwehrmannschaften so manche militä- rische Zutat ihres Dienstes, die für die Schlagfertigkeit dieser dem Volkswohl dienenden technischen Truppe wirklich ganz belanglos war, große Unzufriedenheit erregt. Seit der Revolution ist unter anderem auch der Wunsch laut geworden, die fortwährende Be» tonung des Vorgesetztenverhältnisses zu beseitigen. Ungeachtet der ablehnenden Haltung des Polizeipräsidenten beschloß die„Skr- einigung der Berliner Feuerwehrbeamten", die Vorgesetzten nicht mehr mit der Amtsbezeichnung, sondern nur noch mit„Herr" anzureden. Nun hängt die Würde eines fielen ManneS gewiß nicht von der Aeutzerlichkeit ab. ob er z. B. einen„Brandmeister", einen .LZrandinspektor" usw. ails solche tituliert oder nicht. Aber ande- rerseitS braucht auch kein Mensch etwas für die Leistungsfähigkeil der Feuerwehr zu fürchten, wenn die Mannschaften einem Vor- gesetzten seine Amtsbezeichnung nicht mehr geben wollen. Doch der Branddirektor und mit ihm der Polizeipräsident war anderer Meinung. Unterm 8. März. hat der Branddirektor im Austrage de» Polizeipräsidenten bekannt gegeben, daß der Pollzeipräsident am 27. Februar gegen einen Feuerwehrmann, der wiederholt einen Vorgesetzten unter Berufung auf jenen Veremsbeschluß nur m:t „Herr" angeredet hatte,«ine Geld st rase von 20 Mark fest- gesetzt hat. Begründet wird die Strafe damit, daß die Interessen der Feuerwehrbeamten gegenüber ihren Vorgesetzten nicht durch den Berein, sondern nur durch ihren Vertrauensausschuß amtlich vertreten werden können. Diesem aber sei vom Polizeipräsiden- ten schon im September 1019 in Sachen der Amtsbezeichnung ein ablehnender Bescheid gegeben worden, der auf eingehenden Er- wägungen beruhe. Weiter führt der Polizeipräsident auS: „Das Verhalten des betreffenden Feuerwehrmann» dem Vorgesetzten gegenüber war durchaus ungehörig. Er hat die Pflichten verletzt, die ihm sein Amt auserlegt, und sich durch sein Verhalten der Achtung, de» An- sehens und des Vertrauens» die sein Beruf er- fordert, unwürdig gezeigt. Auf Grund von§ 2. 14, 15 des Disziplinargesetzes vom 21. 7. 1852 wird er daher mit einer Geldbuße von 20 M. sin Worten: zwanzig Mark) bestraft, die er an die Kasse der Feuerwehr abzuführen hat. Man erschrickt fast, wenn man diese Begründung liest. Der Feuerirekrmann soll die Pflichten seines Amte» verletzt und sich der Achtung und deS Vertrauen», die fein Beruf erfordert, un- würdig gezeigr haben! Das muß man wirklich zweimal lesen, bis man feinen Augen traut. Hat ein Feuerwehrmann keine wichtigeren und höheren Amtspflichten als die vor- schriftSmößige Zitu-lierubg ernes Vorgesetzten? Der einem Feuerwehrmann etwa zu machende Vorwurf der Pflichtverletzung und der DcktungS- und SZertrauensunwüvdigkeit wecken bei uns und gewiß bei dem allergrößten Teil der Bevölkerung die Vor- stellung ganz anderer Dinge al» solchen armseligen Titelkrams. Der Strafbefehl sagt noch, von strengerer Bestrafung werde diesmal nur abgesehen, weil der Mann irrtümlich sich auf den Vereinsbefchluß stützte. Tie Verfügung vom 11. 3. 1910 über die Verkehrsformen zwischen Mannschaften und Vorgesetzten der Feuerwehr bestehe zu Recht, und künftig würden alle Verfeblun- gen dagegen disziplinarisch strengstens bestrast werden. W i r glauben, daß Strasbesehle dieser Art nicht zur Steigerung der Berussfreudigkeit unserer Feuerwehr beitragen können. Richtig wär's, nicht nur die überlebten„Verkehrsformen Mischen Mannschaften und Vorgesetzten" zu beseitigen, sondern überhaupt die Feuerwehr von dem Drum und Dran militärischerAeußerltchkeitenzubefreien. Unsere Feuerwehrmänner sind keine im Rekruten alter stehenden Sal- daten, sondern technische Beamte, die meist schon in reife- rem Mannesalter stehen. Sie müssen täglich bereit sein, für unZ ihr Leben zu wagen. Möge man sie danach behandeln! Eine Diebesjagd im Auto. Der Gutsbesitzer Lang halte einen neuen 60-L.-Z.«Opel-Wcigen in einer Garage der Scbillerstraße untergestellt. Vor 14 Tagen verickwand der Wagen plötzlich und mit ibm der Chauffeur Ernst B e 1 l e tz. Es wurde festoestellt. daß am Abend de« Diebstahl« der
Chauffeur und sein.Freund" B u y w i 1 l den Wagen aus der Garage herausgeholt und am serben Abend an einen gewissen Wilcke für 42 000 M. bei kaust hatte, der zur Bedingung machte, daß der Wagen nach Frankfurt a. M. gebracht würde. Sckon am nächsten Morgen verkaufte Wilcke den Wagen an einen gewissen Jo tt le�w Ski und dieser verschob ihn am gleichen Tage für Schubartb auS Barmen. Dieser Frankfurt . Jnrwiichen hatte ein Frankfurt gefunden und wollte und Butzwill verhasten. Diese sausten mit dem Auto davon. Der
110 000 M. an einen Hehler übernadm den Wagen in Deteltiv die Spur in die beiden Diebe Pelletz waren jedoch gewarnt und
Detelliv verfolgte sie in einem zweiten Wagen bis nach Leipzig . Hier ging die Spur der Räuber jedoch verloren. Die Diebe wandten sich nach Dresden und übergaben hier dem inzwischen benachrichtigten Schubarth da« Fahrzeug. Dieser verkanite von Dresden den Kraftwagen sofort für 130000 M. nach Ohligs im Rheinland . Inzwischen halten die Beriolger die Spur der Schieber wieder aufpesunden und veihastelen Schubarih und Butzw'll in einem Dresdener Cafö. Bei dem Hehler wurden von dem Erlös des Verlaufes noch 104000 M. gesunden und beschlagnahmt. Auch der Kiasiwagen wurde vor zwei Tagen in Ohligs wieder auf- gesunden und beschlagnahmt. Das Auto, sowie die bei Schubartb beschlagnabmie Summe wurde dem Besitzer des Krasiwagens zu- gestellt, da für die Reparatur des Fahrzeuges, der bei der Hetzjagd gelitten hatte, ihm gerichtlich eine größere Entschädigung zugesprochen werden dürste. Sch. gestand, mir seinem Komplizen auch andere Aurodiebslähle ausgeführt zu haben.
Der große Leinendiebstahl aufgeklärt. Bei efiient verwegenen Einbruch erbeutet«, wie wir berichteten, eine Etnbrecherbande auf dem Grundstück F r i e d r i ch st r. 5/0 für eine Million Mark Lei- nen. Die Einbrecher drangen dort in den Lagerkeller des Skr- bände» Deutscher Leineweber ein und schafften die Deute nit einem Fuhrwerk fort. Wie inzwischen von der Kriminalpolizei festgestellt werdctn konnte, brachte der Wagen die werwolle ibeute durch d e Giischiner- und Warschauer Straße nach Hohenschönhausen. wo sie zunächst in der Laube eines Fuhrmannes niedergelegt wurde Dann machte sich einer der Einbrecher auf den Weg nach Berlin um einien Abnehmer dafür zu suchen. Er fand auch einen Käufer für die Hälfte der War«. Das gleiche Fuhrwerk bracht« diesen Postan dann zunächst zu einem Schankw rt in der Müncheberger Straße, von dort ging sie nach der W a l l st r a ß e. um dann gleich weiter nach der Stralauer Brücke verschoben zu werden. Auch für den restlichen Posten war für das vielbegehrte Leinen bald ein Abnehmer gefunden. Tie Ermittelungen fiihrten auf die Spur der verschobenen Ware und vorgestern gelang eS, die ganze Beute der Einbrecher wieder herbeizuschaffen und dem Bestohlonen w«der auszuhändigen. Von den Einbrechern fehlt noch jede Spur. Die Schülerschaften der HZHerrn Fachschulen Groß Berlins haben aegen die Aufstellung des Sckulg setze? für die Fachschulen E'n. spruch erhoben und sich dem Protest de? Berliner MagsstratS und � der Stadtverordnetenversammlung angeschlossen. Sie glaub-i ! nichts Förderl che? von einer staa'lichcn AuisichtSbeböcde erivart � ' zu können, die auS Scliulmännern besieht. Sic fordern, daß sie nu Dezernenten unterstellt werden, die ans den einzelnen Fachgebiccc hervorgegangen sind Bezüglich der Verwaltung in der Gcincind' fordern sie: Einen Vertreter der Schülerschaften sämtlicher Fachschulen zu dem Schulausschuß, für die Kuratorien der Fachschulen je«inen Vertreter der Schülerschaft. Einsetzung von Fachdezernenten zur Bearbeitung der Fachschulangelegenheiten. Die Sturmflut der Preiserhöhungen läßt auch den Berliner Friseuren keine Ruhe. Sie beabsichtigen eine neue Erhöhung der jetzt schon hohen Preis« für Rasieren und Haarschneideu. Die in Betracht kommenden Verbände der Friseure in Groß-Berlin haben bereits vor einigen Tagen zu den neuen Erhöhungen Stellung ge- nommcn und sind überein gekommen, in der allernächsten Zeit die Preis« um40his 100Prozent zu erhöhen. In Zukunft soll also in Groß-Berlin Rasieren 1 Mark, Haarschneideu 2,5 0 Mark kosten. verlorene Briestasche. Mn Partelgenosie verlor am Montag na»' mittag seine Brieilasire mit 17 0 Marl . M i t g l i e d S b u ch der Parte' mit grün er Lcgit'mationskarte, Notizbuch, Landslurmpotz, Ausweiskartc zur BetricdSrätcschule und einig« andere Briese. Der Verlierer bittet den ebr- tichen Finder, daS verlorene Gut zurückzugeben an Otto Aust, N33, Lim- burger Str. 14. bei Wetting. Die neue LuftbarkcitZstcuorordnung für Schönevsrg, die gegenüber der bisherigen eine Erweiterung des Kreises der «Steuerpflichtigen und Erhöhungen der Steuersätze bringt, ist von der Stadtverordnetenversammlung tztit einigen vom Ausschuß emp- «fihlenen Aenderungen angenommen worden. Sie weicht jetzt etwas ab von der für Berlin beschlossenen und bereits in Kraft
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Jan Krebsereuter.
Seine Taten. Fahrten und Meinung«». Aufgezeichnet von Han» Müller-SchlSsscr. Gegen die Fensterbank gelehnt stand ein Mann mit offener Weste, die Kappe in den Nacken geschoben, das Ge- ficht mit Schweiß und Schmutz bedeckt. Er stierte mit glaser- nen Auaen vor sich bin und lallte in cineni fort:� „Alle meine Brüder sind gefallen! Alle meine Brüder!" „Mönzeberger?" rief Matthieu Krüll,„mondsüchtiger Kerl! Mach', daß du nach Hause kommst und dich ins Bett legst. Bist ja voll!" „Alle meine Bruüder" lallte der und fing an zu schluchzen. Matthieu Krüll sprang auf den Rand der Barrikade und schoß von da hinab. Er stand da. breitbeinig wie beim Schützenfest, wenn er sich vom Königsvogel den Kopf oder den Schwanz herunterholte. „Der deutsche Adler ist in der Mauser!" schrie er.„Sie wollen ihm die Schwungfedern ausreißen!" Neben ihm warf plötzlich ein Mann mit einem kurzen Schrei die Flinte in die Luft, reckte sich auf. fiel zur Seite und rollte hinab, wo er wie ein Sack liegen blieb. Das Blut sickerte ihm aus der Stirne und sammelte sich neben ihm zu einer Lache, in der die Flammen der Fackeln sich schauerlich spiegelten. Die anderen luden und schössen schweigend; in ihrer grimmigen Wut hielten sie die Lippen fest aufeinanderge- kniffen. Die Glocken der Franziskaner Kirche läuteten Sturm, ober es hörte sich so feierlich an, als ob sie ein Fest, eine neue Zeit einläuteten. � Matthieu Krüll warf seine heiße Flinte weg und hob Vflastersteine auf, die er zähneknirschend hinab auf die Sol- daten warf. „Ha. ha!" lachte er ingrimmig,„das räumt besser! Ha. ha! der saß! Du stehst nicht mehr auf! Habt ihr gesehen?!" rief er. indem er sich umdrehte.„Jan. hol' Steine!" Fan saß geduckt hinter einer umgekippten Karre und schielte nach dem Hause hinüber, über dessen Haustüre die der- goldete Bretel schaukelte. „Habt ihr gesehen. Freunde?!" rief Matthieu Krüll, aber
niemand antwortete ihm. Einer nach dem anderen hatte sich fortgeschlichen. Matthieu Krüll sah sich allein auf der Barri» kade. Da brach er vor Erschöpfung und Verzweiflung in die Knie. „Laust! Verkriecht euch hinter dam Ofen!" schrie er. „ihr verdient eure Büttel und Nachtwächterl Fhr Packesel, die ihr nur zufrieden seid, wenn ihr die althergebrachten Ge- wohnheikssäcke auf dem krummen Rücken schleppen könnt! Ihr breitnasigen Philister, mit einer Prise Schnupftabak ist eurem Gehirn mehr gedient als mit der herrlichsten Idee! Fhr geistigen Kapaune, kräht auf eurem Mist, ihr lernt das Fliegen nie!" Er biß sich weinend vor Wut in die Fairst. Darm raffte er sich wieder auf und rief: „Nein! Und wenn alle gehen— ich bleibe?" Er ergriff seine Flinte, lud sie und sprang auf den Rand der Barrikade. Er zielte, aber ehe er abdrücken konnte, krachten ein paar Schüsse. Matthieu Krüll fiel hinterrücks herunter vor Fan? Füße. Sein Geiicht war nach wutverzerrt, und weit aufgerissen starrten seine Augen Fan dn. Aus einem kleinen Loche mitten in der Stirn tropfte Blut. ' Jan drückte sich, zitternd vor Entsetzen, hart cm die Karre, sprang dann über einen Haufen Steine und kroch ge- duckt an den Häusern vorbei bis zu Höffgens Bäckerei. Die HauStüre war verschlossen. Jan schaute voller Angst nach der Barrikade zurück. Die Pechfackeln schwelten verlöschend. In den benachbarten Straßen fielen noch vereinzelte Schüsse. Jon drückte sich an der Mauer entlang bis zur Keller- luke. Er hob sie ein wenig und kroch hinein. Er ließ sich los und fiel im Dunkeln auf einen Haufen Buchenholzscheite, mit denen der Baas seinen Backofen heizte. Mehrere pol- terten mit ihm herunter. Der Geruch des auf den Gestellen lagernden frisch gebackenen Schwarzbrotes kam ihm entgegen und gab ihm das wonnige Gefühl des Zuhause- und Ge- borgenseins. Jan stolperte mit vorgestreckten Händen wester bis zur Kellertreppe. Rasch lief er hinauf, huschte über den kleinen Hof, aus dessen Ecke ihm die dicke Messingkugel der Pumpe freundlich entgegenblinkte, und stieg, immer ein paar Stufen
zugleich nehmend, die enge, gewundene Treppe zum dritten Stock hinauf. Auf den Zehenspitzen schlich er leise zur Türe der elter - fichen Wohnung. Ein schwacher Lichtschein kam durch die Ritzen. Er hörte die sanfte, helle- Sfimme seiner Mutter, und das Herz fing ihm an zu klopfen. Zaghaft drückte er die Klinke nieder und öffnete die Tür. Im Rahmen blieb er stehen und schaute mit zwinkernden Augen ins Zimmer. Seine Eltern saßen am Tische, auf dem ein Wachsstümpf- chen flackerte. Ein Hackbrettchen, von einer Tasse gehalten. stand davor, damit sein Licht nicht durch das Fenster fiel. Es war aber hell genug im Zimmer, denn der gelbrote Schein der Pechfackeln, die noch auf der Barrikade brannten, drang herein. „Wer ist da?" ftagte Grades. „Ich, Votter," antwortete Jan unsicher. Mit einem Schrei sprang Trüdeke auf, griff Jan bei der Hand und zog ihn an den Tisch „Ja, mein Gott, Jung! Kind, wo kömmst du denn her? Ist dir auch mx passiert bei der Schießerei?" Und sie preßte ihn weinend an sich Grades war aufgestanden. „Fan," sagte er, und seine Sfimme hatte einen ernsten Ton,„Jan ich denk', du bist auf der„Adelheid"!" „Ja. Vatter, bin ich auch gewesen, aber nit lang." „Dat mußt du mir explizieren. Jan!" sagte GradeZ und legte ihm seine Kielwasserschaufel auf die Schulter. „Mann," fiel rasch Trüdeke ein,„der arme Jung hat sicher noch nix gegessen— „Nee, Motter!" „Siehst du! Da komm rasch!" Und sie holte ein Stück Holländer Käse aus dem Schrank und Brat. Jan fiel sogleich darüber her und wahrend des KauenZ erzählte er seine Fahrten und Erlebnisse. „Hm. hm." machte GradcS, als Jan ferfig war,„und wat jetzt. Jung?" „Mann," antwortete Trüdeke rasch an Fans Steve,„laß den Jung erst mal richtig zu sich kommen! Dat können wir morgen all überlegen." „Ich sag'. Jan, Zackerzucker, sag' ich, deine erste Fahrt hat ja nix wie Havarie gehabt! Dat gefällt mir nit!" .Aber, Mann, im Anfang geht alles nit so glatt!" Sortt. folgt.)