Einzelbild herunterladen
 

Nr.318 37.Jahrgang Ausgabe A nr. 22

Bezugspreis:

Berteljährl. 30,-t., monatl.10,- frei ins Haus, voraus zahlbar. Bost bezug: Monatlich 10,- ML, erfl. 8u­stellungsgebühr. Unter Kreuzband für Deutschland und Defterreich) 16,50 m., für das übrige Ausland bei täglich einmal. Buftellung 21.50 Mr. Boftbe. ftellungen nehmen an Defterreich, Ungarn , Tschecho- Slowakei , Däne­mart, Holland , suremburg, Schweden und die Schwetz. Eingetragen in

die Boft Zeitungs- Breisliste. Der Borwärts" mit der Sonntags bellage Bolt u. Zeit" erscheint wochen. täglich zweimal. Sonntags und Mon­tags einmal

Telegramm- Adresse:

Sozialdemokrat Berlin ".

Morgen- Ausgabe

Vorwärts

Berliner Volksblatt

30 Pfennig

Anzeigenpreis:

Die achtgespaltene Nonpareillezeile tofte13, M., Teuerungszuschlag 50% Aleine Anzeigen", das fett­gedruckte Wort 1,- M.( zulässig zwei fettgedruckte Borte), jebes weitere Bort 60 Bfg. Steffengefuche und Schlafstellenanzeigen das erste Worl 65 Pig., jebes weitere Mort 40 Bfg. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Teuerungszuschlag 50%. Familien Anzeigen für Abonnenten Belle 2, M., politische und де werkschaftliche Vereine Anzeigen 3, ML. die Belle ohne Aufschlag. Anzeigen für die nächste Nummer müffen bis 5 Uhr nachmittags im Hauptgeschäft, Berlin GB 68, Linden­ftraße 3, abgegeben werden. Geöffnet von 9 Uhr früh bis 5 Uhr abends.

Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Redaktion und Expedition: SW. 68, Lindenstr. 3.

Fernsprecher: Amt Morisplas, Nr. 15190-15197.

Freitag, den 25. Juni 1920

Vorwärts- Verlag G.m.b. H. , SW. 68, Lindenstr. 3. Fernsprecher: Amt Morigolas, Nr. 117 53-54.

Der Reichstag der Deutschen Republik.

Die Eröffnungsfihung.

Der erste Reichstag der Deutschen Republik ist gestern, brochen wird. 2edebour- er ist auch wieder da- macht

3 Uhr nachmittags, eröffnet worden. Die Berliner Be- einen entristeten Buruf über das erzwungene Fernbleiben Industriekapital und Regierung.

völkerung empfindet die Bedeutung des Tages, die Tri­bünen sind überfüllt, vor dem Portal II, durch das die Abge­ordneten eintreten, drängt sich eine neugierige Menge, Photo­graphen stehen zur Aufnahme der abgehenden und der kommenden Minister bereit.

Drunten im Saale aber vollzieht sich nur das Notwendige mit geschäftlicher Nüchternheit. Der neugewählte Reichstag tonstituiert sich. Obwohl 34 Mitglieder fehlen, ist der Saal überfüllt, die regelrechten Sitzpläge reichen nicht aus, hinter ihnen sind Stühle aufgestellt, die die Namen der neu­gewählten Abgeordneten tragen. Denn die Neulinge müssen fich im allgemeinen mit den schlechtesten Bläßen begnügen.

Die bisherigen sozialdemokratischen Minister haben wieder ihre Abgeordnetenfiße eingenommen, auf der Regierungsbank thront der im Amt verbleibende Reichsminister Dr. Koch in einsamer Größe. Unter den Fehlenden befindet sich auch Herr Fehrenbach, der vielleicht Dringenderes zu tun hat.

Die sozialistischen Parteien füllen fast die Hälfte des Saales, der Mittelgang trennt sie von den Bürger­lichen. In der Sizordnung drückt sich geometrisch der Wahl­ausfall aus, die 112 Sozialdemokraten find gegen die Mitte gedrückt, die 81 Unabhängigen thronen breit auf der äußersten Rinken, in der legten Bankreihe fißt die Kommunistin Clara Betkin und hinter ihr, auf einem Neulingsstuhl, ihr Ge­sinnungsgenosse, der Frankfurter Anwalt Dr. Paul Levi. Im übrigen ist es merkwürdig, wie wenig Gesichter man bei den Unabhängigen sieht, die noch aus der alten Zeit der ge­meinsamen Partei bekannt sind. Dafür desto mehr junge Leute, die hier hoffentlich noch manches lernen werden.

seines Fraftionskollegen Mittwoch, der am Tage vor der Reichstagseröffnung in Leipzig Der Fall v. Raumer. wegen Bandesverrate verurteilt wurde. Der Mann muß natürlich freigelassen Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat gestern werden, er hat auch gewiß nicht die Absicht gehabt, Bandes- beschlossen, zu den Personenfragen des in Bildung begriffenen verrat zu üben, sondern er wollte nur den rechtssozialistischen Stabinetts feinerlei Stellung zu nehmen, die als stille Teil­Ministern" eins auswischen, indem er mit unerhörter Ge- baberschaft an der Regierungsbildung aufgefaßt werden wiffenlosigkeit einen von Anfang bis zu Ende gefälschten könnte. Die Fraktion muß darauf verzichten, mitbestimmen­Bericht über eine angebliche Ministersikung veröffentlichte. den Einfluß auf die Zusammenseßung einer Regierung zu Wo sich Ledebour bemerkbar macht, muß Adolf Soff- nehmen, an der sie sich selbst nicht zu beteiligen gedenkt. Das mann natürlich zeigen, daß auch er mit seinen Späßen hindert natürlich nicht, daß auch von unserer Seite über wieder da ister ist wenig feierlich! Da merkt man doch ichiebende Personenfragen, die in hohem Grade Sachfragen wieder unter den jungen Häuptern der U. S. P.- das find, persönliche und redaktionelle Meimmgen ausgesprochen alte Regime".. Um 4 1hr ist alles aus. Die Fraktionen ziehen fich zu für das Reichsschazministerium, Herr Oberbürgermeister Wir haben gestern bezweifelt, daß Herr b. Raumer Beratungen zurück und heute soll das Präsidium gewählt Scholz- Charlottenburg für das Reichswirtschaftsamt in werden. Auch das wird nicht sehr spannend werden, denn es Aussicht genommen seien, die ganze übrige Abendpresse ver­steht jetzt schon fest, daß Genoffe 2öbe Präsident wird, und daß Dittmann( U. S. P.). BeII( 3.) und Dietrich sichert jedoch, daß dies der Fall sei. ( Dnat.) ihm als Vizepräsidenten beigegeben werden. Am Montag soll sich aber die Ministerbank neubevölkern, von diesem Tage an soll die wie Deutschland wieder ohne Sozialdemokraten regiert wird.

1.

*

Sigung Donnerstag, den 24. Juni 1920, 3 Uhr.

Das Haus ist sehr gut besucht.

genommen.

Die Tribünen sind überfüllt, in der Diplomatenloge find zahl­reiche Vertreter fremder Staaten anwesend. Am Regierungstisch: Vizekanaler Koch. Der Alterspräsident Riete- Braunschweig( S03.) eröffnet die Sigung Einige Minuten nach drei besteigt der Altersvorsitzende und erklärt den ersten deutschen republikanischen Reichstag für er ben überragenden Platz des Präsidenten. Es ist wieder, wie öffnet. bei der Eröffnung der Nationalversammlung, ein Sozial- Zu vorläufigen Schriftführern werden die Abgeordneten: Frau demokrat, aber nicht mehr der Genoffe Pfannkuch, dessen Bohm Schuh( S03.). Frau Agnes( U. Soz.), Dr. Pfeiffer( Str.) eindrucksvolle Ansprache in Weimar unvergessen bleibt, fon- und Mallewis( Dnat!.) bestimmt. Es wird dann der Namensaufruf der Abgeordneten vor­dern der 77jährige Genosse Niede aus Braunschweig . Der Bufall will es, daß der älteste deutsche Reichstagsabgeordnete Es fehlen ut. a. noch die Abgeordneten: Erzberger ( 8tr.), zugleich einer der allerjüngsten ist, und daß die ersten Worte Dr. Heim( B. Vv.) und Dr. Hugenberg( Dnatl.). Beim Aufruf des des Alterspräsidenten zugleich eine Jungfernrede werden. unabhängigen Abg. Mittwoch, der vom Reichsgericht wegen Genosse Riede, seit vielen Jahren Stadtverordneter in Landesverrats zu zwei Jahren Festung verurteilt worden ist, ruft Braunschweig , feit 1918 Landtagsabgeordneter, ist nämlich Abg. Ledebour ( U. Soz.): Der ist unter Rechtsbruch verurteilt diesmal zum erstenmal in den Reichstag gewählt. Aber ein worden und fann deshalb nicht hier fein."( Unruhe.) Bei Aufruf alter, im öffentlichen Leben großgewordener Sozialdemokrat des Abg. Stinnes( D. p.) ruft Aba. Adolf Soffmann läßt sich nicht verblüffen; mit ruhiger Festigkeit, als ob er( u. Soz.): Wenn das Geld im Raften flingt..."( Unruhe und Heiterfeit.) es seit Jahren gewohnt wäre, leitet Genosse Riecke die erste Der Namensaufruf ergibt die Anwesenheit von 432 Abgeordneten. Reichstagssigung. 84 fehlen. Das Haus vertagt fich. Nächste Sigung Freitag 3 Uhr. Wahl des Bräfidiums. Schluß 4 Uhr.

Nach der vorläufigen Ernenmmg von Schriftführern folgt die Monotonie des Namensaufrufs, die nur durch Zwischen­rufe der besonders hochgestimmten Unabhängigen unter­

Entente- Botschafter für Deutschland .

Die französische Regierung entfendet Charles Laurent als Botschafter nach Berlin . Herr Laurent ist erster Ehrenpräsident des Rechnungshofes, Vorsitzender des Verbandes der Bergwerks-, metallurgischen und mechanischen Industrie, Mitglied bes Berwaltungsrates ber Suez Gesellschaft und der Gesellschaft der Orleans- Eisenbahnen, Bor fizender der Gesellschaft Tompsen- Haufton. Er war wiederholt mit finanziellen Miffionen der französischen Regierung im Ausland

betraut.

"

"

werden.

1918 Striegsreferent im Reichsschatzamt. Herr v. Raumer war vom Herbst 1916 bis Januar insbesondere Fragen der Elektrizitätswirtschaft und trat Er bearbeitete hier stets als Gegner des staatlichen Eingreifens auf,

Diefer Stellungnahme blieb Herr v. Raunier auch bei jebes treu, dessen Zavec die Sozialisierung der Elektri­Vorbereitung und Beratung des Eleftrizitätsge­zitätswirtschaft war. Jetzt soll Raumer, der auraeit Ge­fchäftsführer des Bundes der privaten Glettrizitätsbe­triebe ist, Reichsschaßminister und damit ber führende Wann schazministerium stehen aber auch noch andere Interessen auf in der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft werden. In Reichs­dem Spiel. Hier find gemäß dem Deschluß der Nationalber­sammlung, die Reichswerte zu verwalten. Die Um­stellung dieser ehemaligen Heereswerkstätten muß allgemein als ein maßgebender Versuch der Sozialisierang be­trachtet werden, von dessen Ergebnis für die Verwirklichung des Sozialismus in Deutschland unendlich viel abhängt. Herrn v. Raumer hier zum obersten Leiter zu machen, be­deutet, diesen schwierigen und äußerst wichtigen Versuch, von vornherein zum Scheitern zu bringen.

Herr Dr. Scholz hat als Oberbürgermeister von Char­ lottenburg gegenüber Herrn v. Raumer, der früher einmal Landrat war, wenigstens das eine voraus, daß er in der Ver­tretung öffentlicher Interessen mehr Uebung bejizt, im übrigen muß er als engster Gesinnungsgenosse des Herrn v. Raumer angesprochen werden.

"

eine Regierung Selfferich, wurde dies von der Frei­Als der Vorwärts" schrieb, die Unabhängigen wollten heit" in der gewohnten Tonart aufs schärffte bestritten. Aber was immer die Absicht der Unabhängigen war, jedenfalls haben sie durch ihre Abstinenzpoliitk beroicft, bak jest bie potamien den im November 1918 gemachten Borschlägen ent wichtigsten Wirtschaftsrefforts den nächsten Gesinnungs­spreche. Heute bestehe die Ansicht, daß das Wilajet Mofful ein nachbarn des Herrn eIfferich anbertrant mechen bezogen werden müffe, um Mefopotamien smedmäßig su ver- follen. Es ist schroer gu behaupten, für die Sache der Mr­bessern. England habe ein unmittelbares mor a lifes echt beiterklasse und des Sozialismus sei es gleichgültig, ob diese aut Mesopotamien . Lloyd George fagte: Wir haben Weifung go- Ressorts von Sozialisten und Arbeitervertretern oder ob fie geben, die Anfichten der arabischen Boltsführer über bte borge von eingefleischten Freiwirtschaftlern und Vertretern privat­fehene Regierung in Mefopotamien einzuholen. Denn te tapitalistischer Intereffen vertoaltet werben. Wenn jetzt bec gierung gebildet ist, werben die Roften für die militärischen Streite weite Fall eintritt, so ift bas eine unmittelbare Golge ves träfte verringert werden können. Der Antrag Asquith wurde mit berühmten, ad) so prinsipiellen" Crispion- Brief an Her­285 gegen 50 Stimmen abgelehnt. mann Müller.

( Auf die Begründung des moralischen Rechtes" Englands aut Englischer Botschafter wird Lord d'Abernon. Er war Mesopotamien wären wir sehr neugierig. Kraft dieses moralis schon in den achtziger Jahren Finanzturator der Türkei , fchen Rechtes" hat Großbritannien einen großen Teil der Welt bann Aegyptens und nachher Präsident der Banque Ottomane. eingestedt. Die Hindus, Aegypter, Araber, Buren, Jren usw. find Daneben hat er allerdings Beit gefunden, eine neugriechische in dieser Rechts" Frage allerdings etwas anderer Ansicht als Grammatif zu schreiben, die von der Universität Athen als Lehr- Lloyd George. Aber ihre Selbständigkeitsbestrebungen sind na buch anerkannt wurde. türlich höchst unmoralisch. Die Red.) Die Wahl dieser zwei Botschafter, besonders des englischen, geigt deutlichst, wohin der Ententeturs geht: Deutschland zahle! Der belgische Gesandte in Tofio, Graf de la Faille de Clynes über die Regierungsfähigkeit der Labour Party . Arbeiterregierung in England? Beberghem, ist zum Gesandten in Berlin ernannt worden.

2ondon, 24. Juni. ( n.) Jm Berlaufe einer Rund­gebung, die sich an die Parteitagung anschloß, fagte das Barla­

Asquith für Räumung Mesopotamiens. mentsmitglied Clynes, es herrsche kein Zweifel darüber, daß die Arbeiterpartei imftande sei, die Regierung zu über Lloyd George für Englands moralisches Recht". nehmen und daß dies nicht in allzu ferner Zeit der Fall London , 24. Juni. Im Unterhause gab Asquith der fein werde. Sie werde ebenso regieren wie alle beiden hiftorischen Meinung Ausdruck, daß es sich für Großbritannien empfehlen Parteien. Durch ihre auswärtige Bolitik werde die kommu­würde, Mesopotamien zu räumen, denn es habe rechtlich nistische(?) Arbeiterregierung den Krieg unter ben zivi. keinen Anspruch auf dies Land. Der Völkerbund allein lisierten Völkern verhindern.( Clynes, der selbst am könnte ein Recht darauf verlangen. Asquith schlug vor, die bean- äußerst rechten Flügel der Labour Barth steht, gebrauchte zweifel­tragten Kredite um eine Million Pfund Sterling zu fürzen. los das Wort kommunistische Arbeiterregierung" im hiftori­Bloyd George erklärte, daß bie britische Regierung in Meso-' schen und nicht im sowjetistischen Sinne.)

-

Es mag sein, daß man sich im Stall Strefemore" um die geschmackvolle Sprache der deutschboltsparteilichen Wahlpropaganda zu gebrauchen geschwind noch nach ein paar anderen Pferden umsehen wird, aber man wird feine finden, die nicht Herrn Stinnes gehören. Die Beteiligung der Deutschen Volkspartei an der Regierung, die durch die Selbstausschaltung der Unabhängigen unvermeidlich geworden ist, bedeutet nun einmal auf alle Fälle stärkstes Eindringen bemerkten Wahlrede dafür ausgesprochen hat, daß auch des Industriekapitalismus in die politische Machtsphäre. Serr v. Raumer ist derselbe Mann, der sich in einer viel­Eisenbahnen und Post wieder in den privatwirtschaft­lichen Betrieb überführt werden sollen. Sicher würde es

Herrn v. Raumer als Reichsichasminister nicht gelingen, dieses hochykapitalistische Endziel zu erreichen, aber das Pro­gramm fennzeichnet doch den Mann und zeigt, was von ihm als Vertreter wichtigster Reichswirtschaftsinteressen ungefähr zu erwarten ist.

über den Wunsch der Demofraten beriet, fie möge von vorn­As am legten Dienstag die sozialdemokrattiche Fraktion herein der in Bildung begriffenen Regierung ihr. Ver­trauen zusichern, war die Kandidatur des Herrn v. Raumer für das Reichsschazministeriam noch nicht bekannt. Als da­