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Nr. 233.

Erscheint täglic) außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags: Nummer mit tllustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Poft- Abonnement: 8,30 mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mr.pr.Monat. Eingetr. in der Post Zeitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

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Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Sonnabend, den 6. Oktober 1894. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!

Die Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik. ")

Wien , 1. Oktober.

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Nothwendigkeit der Entwickelung der Großindustrie zu Kartellen,| Landesgeseh gemacht hat. Die Bauern, von welchen man glauben als auch die Gemeinschädlichkeit derselben zum Ausdruck gebracht. machen will, daß sie sich nach dem Höferecht den Hals wund Aber um diese Gemeinschädlichkeit einzudämmen und abzuwehren, schreien, scheinen also vorläufig ganz andere Sorgen zu haben. appellirt der Kathedersozialismus an den Staat, und zwar an Die Debatte wurde durch das Referat des Berliner Geheimen den Klassens, Beamten- und Militärstaat, den er abgöttisch vers Ober- Regierungsrathes Dr. Thiel eröffnet, welcher zunächst die In Wien hat der Verein der Kathedersozialisten, einst der ehrt und von dem er sehr wohl weiß, daß er in den Händen bekannten Thatsachen der Fortschritte der Verschuldung und Schrecken der liberalen Spießer, seine diesjährige General derselben Interessengruppen ist, welche jene gemeingefährlichen allmäligen Expropriation des ländlichen Befizes schilderte und versammlung abgehalten. Man wäre verleitet, das als Zeichen Verbände regieren, welche bekämpft werden sollen. Das nicht nur zur Erhaltung des Bauernstandes, sondern des Grund­dafür anzusehen, daß auch Desterreich modern zu werden an- Bewußtsein dieses Widerspruches, Widerspruches, welcher die ganze besiges überhaupt die Ermöglichung der Bevorzugung eines fängt, hätte es sich nicht gezeigt, daß keineswegs das Land der Richtung zur Ohnmacht verurtheilt, ist verurtheilt, ist doch insoweit Anerben unter Hintansehung der übrigen Kinder empfahl. Der schwarzgelben Ignoranz und Rückständigkeit sich zur modernen ein deutlicher, daß die Herren es nicht wagten, vom Korreferent, Herr Dr. Hainisch, erörterte nun in sehr fachlicher und Wissenschaft emporgerungen, sondern daß vielmehr die Herren Staat etwas anderes zu verlangen, als kleinliche Polizeimaßregeln bemerkenswerth nüchterner Weise die in Desterreich vorliegenden Professoren auf das Niveau österreichischer Sozialpolitik herab- von einer voraussichtlich lächerlichen Unwirksamkeit. In der Thatsachen. Er kam zu dem Resultat, daß erstens die immer gekommen sind. Verlegenheit wird, wie immer, eine Enquete gefordert, und zwar mißlicher werdende Lage des Bauernstandes nicht von der Dem Vereine passirten Ehren, die, würde er sein, mit dem Zeugnißzwang, und selbst daß der letztere wirksam sein Erbrechtsordnung abhänge, daß aber zweitens in jenen was er scheinen will, von ihm als Beleidigung werde, wird von mehreren Seiten bezweifelt. Es wurde zu Gegenden, wo die Tradition noch immer den Bauernhof zurückgewiesen werden müßten. Drei Minister, Plener, der Staats: gegeben, daß der Arbeiterschaft in den Kartellen ein übermächtiger ungetheilt einem begünstigten Kinde übergiebt, die Verhältnisse mann", Baquehem, der glatte Routinier und Madnyski, der Gegner erwachse, und selbst Professor Brentano, der in ihrer nicht besser liegen und somit auch die gefeßliche Einführung des glatte Streber, beehrten" die Generalversammlung mit einem Ausbildung einen bedeutsamen und für alle Theile nüßlichen Anerbenrechtes eine Aenderung des Zustandes nicht herbeiführen kurzen Besuch, hörten die Begrüßungsrede Schmollers schmunzelnd Fortschritt sieht, kann diese Gefahr nicht ganz leugnen und würde. Zudem beginne sich auch in der Bauernschaft das an man wird sehen warum entfernten sich aber deutlich verlangt als Gegengewicht volle Freiheit für die wirthschaftlichen Gefühl gegen eine ungleiche Behandlung der Kinder zu empören verschnupft, nachdem in einem Referate über die Kartelle Professor Vereinigungen der Arbeiter und Arbeiterinnen, wobei er be- und es würde deshalb ein solches Geseß um so weniger praktische Bücher das Tapferste gesagt, was die Versammlung von den zeichnender Weise sich ausdrücklich nicht darauf einlassen will, Anwendung finden. Professoren zu hören bekommen sollte. über die im Zuge befindliche Einschränkung des politischen Ver Herr Professor Schmoller nützte nämlich sein Recht, die Vereinsrechtes der Arbeiter zu urtheilen. Aber auch dieser schwäch fammlung als Vorsitzender zu eröffnen, zu einer gründlichen liche Appell fand aus den Reihen der Professoren tein Echo. G3 Vernichtung" der Sozialdemokratie, einer polternden Schmährede scheint freilich, als ob viele von ihnen zwar sehr wohl wüßten, gegen ihre Preffe aus. Wir haben sehr gute Gründe anzunehmen, wo der Hase im Pfeffer liegt, daß sie aber Bedenken tragen, es daß speziell die Fußtritte des Vorwärts" es feien, die dem auszusprechen. Denn als Dr. Victor Adler , der die Gelegenheit " Haupte der historischen Schule" jenes flägliche Webgefchrei ab- benußte, die Angriffe Schmoller's, soweit es in der preßten. Und er nahm ebenso blutige wie edle Rache. Er Debatte über die Kartelle möglich war, zurückzuweisen, denunzirte die Sozialdemokraten, daß sie die brutale Gewalt auseinandersetzte, daß den Kartellen von Staate nur nicht verschmähen, an die niedrigen Leidenschaften und insoweit ein Baum angelegt werden würde, als dieser Staat in die gewaltthätige Revolution appelliren" und daß die den Händen der Arbeiter fei, daß darum der entscheidende Punkt sozialdemokratische Tagespresse den Tausenden nur Haß auch hier in der politischen Macht der Arbeiterklasse liege, fand und Neid predige." So kam die Klugheit Schmoller's er mehr Zustimmung, als in dieser Gesellschaft zu erwarten war. au ihrem Recht, denn er gab bei den anwesenden Die Diskussion schloß mit einem Resumee des Prof. Schmoller, Mitgliedern der Koalitionsregierung seine Visitenkarte ab, in welchem er fonstatirte, daß die Unternehmungen, je größer sie für den Fall, daß man ihn in Wien noch nicht so fennen sollte, wie man ihn in Deutschland kennt, und zugleich tam seine Rourage zu ihrem Recht, denn er sprach in seiner Eigenschaft als Vorsitzender und wußte, daß er selbst die Mittel habe, sich dagegen zu sichern, daß er in der Debatte die gebührende Ant­wort erhalte.

werden, insbesondere also die Kartelle, naturgemäß einen halb öffentlichen" Charakter annehmen, wobei auch er es weislich unterließ, anzugeben, durch welchen Machtfaktor und mit welchen Mitteln jenes öffentliche Recht" ihnen gegenüber geltend gemacht werden solle.

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In der nun folgenden Debatte entbrannte ein heißer Kampf zwischen den beiden Parteien, deren eine, Brentano, Bücher, der österreichische Abgeordnete Dr. May Menger u. a. für die bes nachtheiligten Kinder, die weichenden Erben" eintraten, wobei vielfach auch konstatirt wurde, daß die Thatsachen durchaus nicht überall für die" Pulverifirung" der Bauernwirthschaften durch das gleiche Erbrecht sprechen; während auf der anderen Seite die Professoren Sering und Gierke, der chriftlich- soziale Defter reicher Graf Chorinsky und der deutsch nationale Abgeordnete Dr. Steinwender für das Anerbenrecht eintraten. Auch hier wurde mehrfach das Gespenst der Sozialdemokratie zitirt und die beiden Parteien wollten sich gegenseitig mit dem Hinweis auf dieselbe einschüchtern. Die Agrarier, wie Thiel, meinten, die weichenden Erben würden als Söhne wohlhabender Eltern mit guter Erziehung", auch wenn sie in ihrem Erbe verkürzt würden, weniger der Ansteckung durch die S03 zialdemokratie ausgesetzt sein, als die überschuldeten Be­fiber, während von der anderen Seite, insbesonders von Brentano, darauf hingewiesen wurde, daß die Verbitterung infolge der Ungerechtigkeit eines Anerbenrechtes, die Verminderung Als zweiter Punkt der Tagesordnung wurde das bäuer der Möglichkeit, daß der Arbeiter Grundbesig erwerbe(!), der Die Diskussion über die Kartelle, welche den ersten Punkt liche Erbrecht behandelt, ein Gegenstand, der für Desterreich Sozialdemokratie nützen müsse. Es will uns scheinen, daß beide der Tagesordnung bildete, zeigte klar den falschen Zirkel, in ein ganz besonderes Interesse hat, weil bereits vor mehreren Recht haben und daß die Sozialdemokratie ebenso gut fahren dem sich der Kathedersozialismus bewegt. Wenn man von Jahren der Reichsrath ein Gesetz angenommen hat, welches ein wird, ob man das Anerbenrecht durchführt oder nicht. dem Direktor einer Zuckerfabrik, einem Herrn Rockert, fakultatives Höferecht ermöglicht, dessen Anwendung in den Einen beinahe heiteren Eindruck machte das friegerische absieht, der begeisterte Lobeshymnen zu Ehren des völker- einzelnen Kronländern aber von der Annahme der betreffenden Pathos, mit dem Professor Gierke das Anerben­beglückenden Kapitalismus im Allgemeinen und der Industries Landtage abhängig macht. Nun ist es ganz außerordentlich be- recht als Mittel zur Junkerzüchtung empfahl, welches kartelle im Besonderen hören ließ, wurde in der Diskussion, die zeichnend, daß bisher auch nicht ein einziger Landtag sich um allein uns Männer geben tönne mie Bismarc und ein recht mäßiges Niveau übrigens nicht überschritt, ebenso die diese Maßregel, welche bekanntlich die Agrarier und Christlicher fand nicht gleich ein Analogon in Desterreich und- sozialen als eines der Hauptrezepte zur Rettung des Bauern- Andreas Hofer ! Hingegen verwies Prof. Sering natürlich auf standes empfehlen, auch nur recht gekümmert, geschweige sie zum seine befannten amerikanischen Erfahrungen, infolge deren er zur zu führen suchen, gefallen mir diese Versammlungen doch Der Anfang ist bescheiden," redete er mir zu, doch besser als die Gesellschaftsabende der sogenannten feinen die Journalistik ift eine Beschäftigung, die gleich­Kreise, wo sich die ganze Unterhaltung nur um kleinliche falls Erfahrung und Uebung verlangt. Es genügten oder skandalöse Persönlichkeiten dreht. nicht allein Talent, Kenntnisse und Arbeitslust, man Als man in der Versammlung aufforderte, ob Jemand muß die Ereignisse schon voraussehen können und eine aus Gefälligkeit das Protokoll führen wolle, meldete ich rasche Auffassungsgabe besitzen. Jedoch werden Sie mich und notirte die Verhandlungen und Reden. Am in unseren Bureaus schnell die Praxis, welche Ihnen Schluß der Versammlung kam der Redakteur eines republi- noch mangelt, sich zu eigen machen und ich hoffe, daß Paris ,.... 1870. kanischen Blattes zu mir und sagte:" Unser Blatt hatte in aus Ihnen ein wackerer Vertheidiger der republikanischen Jumitten der Schändlichkeit, welche das Leben hier dieser Versammlung keinen Berichterstatter. Unsere Mit Idee wird." meinen Blicken offenbart, war Dein kostbarer Brief Balsam arbeiter haben sich alle vertheilt in andere wichtigere Ver-" Sie können auf meine Hingebung rechnen," erwiderte für mein Leiden. Ich bin jedoch untröstlich, Dich unnüßer sammlungen, die gleichfalls heute Abend stattfinden. Ich ich, doch erlauben Sie mir ein Bedenken auszusprechen, Weise betrübt zu haben. Wie, darf ich doch bei der ersten selber bin erst zum Schluß der Versammlung gekommen. welches mir aufsteigt. Ich habe nie gedacht, daß der kleinen Verlegung, welche mir das Leben zufügt, mich schon Wenn Sie mir zu morgen eine Abschrift Ihres Protokolls Schriftsteller von semer Feder lebt, wie der Geistliche vom beklagen! Wisse, daß ich seit meinem letzten Briefe wirk- liefern wollten, so würde ich Ihnen dieselbe gern zum Altar. Glauben Sie, daß ein Unterschied existirt zwischen lich tiefe, vielleicht unheilbare Wunden gesehen habe, aber üblichen Preise honoriren." zugleich traf ich auf einen Heldenmuth, aus dessen Beispiel ich wieder frische Lebenskraft schöpfte. Ich kenne jetzt die wirkliche Welt, die Welt der Arbeit und der Redlichkeit. Ihr Anblick hat mich getröstet über den Anblick all dieser Wichtigthuer, die wie Mückenschwärme in den Salons der Hochgestellten umhersummen und die sich einbilden, eine treibende Kraft zu sein.

*) Stoffandranges wegen wiederholt zurückgestellt.

Feuilleton.

Erinnerungen eines Kommunarden.

Aus dem Französischen von Jakob Audorf. Jacques an Sylvia.

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Ich willigte ein. Der Journalist überreichte mir seine Karte und setzte hinzu: Morgen um 6 Uhr."

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dem Publizisten, der seine Feder verkauft und der Courtis sane, welche ihre Reize feilbietet? Kann man nicht das Apostelamt der Journalistik ausüben, ohne dafür bezahlt zu werden?"

Bevor ich mich schlafen legte, schrieb ich so gut ich" Ihr Bedenken ehrt Sie. Doch seien Sie versichert, vermochte die Verhandlungen der Versammlung ins Reine daß um Geld zu verdienen, es keine schlimmere Beschäf und am andern Morgen um sechs Uhr war ich bei dem tigung giebt, als die unserige. Wer reich werden will, der Journalisten. Er war schon an der Arbeit, kam sofort mir wird Kaufmann oder Wucherer. Wir opfern unsere Nächte, Eines Abends habe ich einer Volksversammlung bei- entgegen und drückte mir herzlich die Hand. uns macht man Prozesse, uns erwartet das Gefängniß. gewohnt. Wie groß war meine Ueberraschung, durch ein- Bürger," sprach er, erlaubt, daß ich Euch Glück Was wir erhalten ist keine Besoldung, denn unsere Mühe fache Arbeiter in der angemessensten Weise Fragen erörtert wünsche; Sie sind ein echter Republikaner . Unter zehn hat keinen Preis, sie kann nur durch den Sieg zu sehen, von welchen viele Bourgeois nicht einmal das Vor- Personen, welche ich zu heute um 6 Uhr herbestellt hätte, unserer Ideen belohnt werden. Die geringen Sum­handensein ahnen. Gewiß herrscht noch genug Unwissenheit würden neun um 6 Uhr Abends" verstanden haben. men, welche uns bewilligt werden, sind nichts als unter diesen Leuten, welche sich aufrichtig zu belehren suchen, Nur durch unermüdliche standhafte Arbeit tönnen wir eine nothwendige Entschädigung, ohne welche wir aber man muß ihnen Anerkennung zollen für ihre lobens- fiegen und wir brauchen Leute wie Sie sind, jung, fräftig nicht im stande sein würden zu leben, da es uns werthe Bemühung, aus ihrer elenden Lage sich zu befreien. und arbeitsam." unmöglich ist, nebenher uns einer anderen Beschäftigung zu widmen und wie es im Sprichwort heißt:" Del auf die Lampe gegossen werden muß, damit sie brenne".

Troß der exzentrischen Ansichten, welche häufig zu Tage ge- Nachdem er schnell mein Manuskript durchgesehen, fördert werden und trotzdem wie man mir versicherte sich in fand er dasselbe zweckentsprechend und bot mir zehn Franken solche Vereinigungen von der Polizei abgesandte Leute ein- per Tag Honorar, wenn ich eine Stelle als Reporter in schleichen, welche die Arbeiter künstlich aufzuregen oder irre seinem Blatte aunehmen wolle.

So hat es sich gemacht, liebe Sylvia, daß ich in den Lehrlingsstand der Journalistik eingetreten bin. Es giebt