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Nr. 234.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage ,, Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30mt. pro Quartal. Unter Kreuz band: Deutschland u. Desterreich Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Zeitungs: Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

Infertions Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonna und Festtagen bis 9 Uhr Wor mittags geöffnet.

Eensprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: ozialdemokrat Berlin Berliner

Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, 33euth- Straße 2.

Sonntag, den 7. Oktober 1894.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!

Die Polen in Preußen.

Iman das Rhätoromanische in Graubünden einrechnet, gleich­berechtigt neben einander bestehen, wo keine Sprachgemein­schaft die andere zu vergewaltigen strebt, beweist, welch treffliche Erfolge für das Gemeinwohl der Grundsatz der Nationalitätentoleranz erzielt. In der Schweiz giebt es teine Sprachenfrage, weil jede Familie es in der Hand hat, die Kinder in der Muttersprache ausbilden zu lassen. Und gerade weil kein Zwang besteht, wird frei­willig mehr für die Erlernung der Nachbarsprachen gethan, als dort, wo durch die Aufoktroyirung einer fremden Sprache bei den Kindern von früh auf ein Widerwille gegen sie erzeugt wird.

Bleibt unseren beklommenen Patrioten noch die Hoff­nung auf die Unterrichtsverhunzung. Die völkerrechtliche Seite der polnischen Frage haben Die sonderbaren Leute bilden sich ein, die Sache des wir in einem voraufgegangenen Artikel besprochen. Deutsch - Deutschthums und der Kultur könne dadurch gefördert land hat es aber nicht nur zu thun mit der Möglichkeit, werden, daß polnische Kinder ihren Schulunterricht in der einen polnischen Nationalstaat an Stelle des Barenreiches ihnen gänzlich fremden Sprache erhalten. zum Nachbar zu erhalten, es hat sich auch abzufinden mit Wer unser Volksschulwesen auf dem Lande kennt, sei denjenigen Polen , die innerhalb der Reichsgrenzen, genauer es auch nur an seinen Früchten, weiß, daß es gesprochen innerhalb der preußischen Grenzen wohnen. den spärlichen Lehrern kaum gelingt, den Kindern innerhalb Fürst Bismarck und seine Anbeter und Nachtreter der sieben bis achtjährigen Schulzeit die Elementarkennt möchten am liebsten das Deutsche Reich durch eine Eisenbartkur nisse beizubringen, wenn die Muttersprache zum Unterricht von der polnischen Schwierigkeit befreien. Mit denjenigen Polen , benutzt wird. Dient eine fremde Sprache dazu, die deutsche die aus dem russischen oder österreichischen Staatsgebiete bei polnischen Kindern, so wird allerdings verhindert, daß Wie es ein Zeichen rückständiger Barbarei ist, wenn eine zugewandert waren und mitarbeitend auf deutschem Ge- fie ihre Muttersprache richtig schreiben und lesen lernen, Regierung einer Minderheit der Staatseinwohner den biete Jahrzehnte lang an der Kulturarbeit theilgenommen das Deutsche lernen sie aber nur stümpern. Werden sie Glauben der Mehrheit aufzwingen will, ist es auch ein hatten, hat der Mann von Blut und Eisen seiner Zeit später in deutsche Gegenden verschlagen, so befestigt sich Zeichen rückständiger Barbarei, wenn sie einer fremdsprachi­auch das beliebte Ausweisungsspiel getrieben, wohl die Kenntniß des Deutschen ; das erlernen dann aber gen Minderheit die Sprache der Mehrheit aufzwingen will. erbarmungslos ohne die geringsten Rücksichten. Zu Tausen- auch Polen , die nicht einen so verhunzten Schulunterricht Die russische Regierung steckt noch bis über die Ohren in den wurden die Polen über die Grenzen gejagt. Diese Ge- genossen haben. Diejenigen Polen indeß, die wieder unter jenen beiden Arten von Barbarei. Der preußischen gereicht waltmaßregel hat indeß kaum merklich das numerische Ver- cine rein polnische Umgebung auf das Land gerathen, ver- es nicht zur Ehre, daß sie wenigstens in der einen Hin hältniß der beiden Nationalitäten in den Grenzprovinzen lernen die deutschen Brocken bald. Unter allen Umständen sicht das russische Beispiel nachahmt. verändert, ader tiefe Erbitterung hat sie in den Herzen der wirkt dieses Erziehungssystem kulturwidrig, ohne auch nur Die internationale Sozialdemokratie zeigt weit mehr Bolen erzeugt. Ein noch schlimmeres Fiasko womöglich eine äußerlich formale Germanisirung zu erreichen. Um durch Achtung vor dem wahren Nationalgefühl als die byzanti­fant bei den Rolonisationsversuchen heraus. unterrichtsverhunzenden Zwangsmaßregeln sich ihrem Volts: nischen Mordspatrioten, die das Nationalgefühl gepachtet Güter in den Händen polnischer Grundbesitzer sollten auf- thum abspenstig machen zu lassen, dazu besitzen die Polen zu haben glauben. Sie achtet eine jede Nationalität und gekauft und mit kleinbäuerlichen Kolonisten deutscher Hers doch zu viel Selbstgefühl. bekämpft den Nationalitätenhaß. Sie verlangt auch für funft besiedelt werden. Natürlich nicht aus Abneigung Was man auch von Regierungswegen anstellen mag, die Polen in Deutschland gleiches Recht. Sie gegen den Großgrundbesitz- wo wäre der mehr gehätschelt man muß sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß die ist auch konsequenter in der Nationalitätentoleranz als der Po worden als in Preußen zur Zeit, als der bauernlegende Polen innerhalb der deutschen Grenzen an ihrer Mutter sener Erzbischof Stablewski, der da meint, die oberschlesischen Gutsherr von Barzin und Friedrichsruh die Klinke der sprache festhalten, und daß sie auch an Zahl nicht zurück- Polen hätten tein Anrecht auf Pflege ihrer Sprache, weil Gesetzgebung in der Hand hatte!- aus nationalen" Rück gehen, da sie sich sogar stärker vermehren, als die Deutschen . sie nicht zum polnischen Reiche gehört hätten. Wir er­sichten wurde der Ansiedelungsapparat in Betrieb gesetzt. Für die Staatsleiter in Preußen und Deutschland liegt warten von unseren Polnisch sprechenden Mitbürgern, daß Posen und Westpreußen sollten völlig germanisirt werden. deshalb das polnische Problem jetzt nicht in der Be- fie mit uns zusammenarbeiten an der Neugestaltung unseres Doch ganz das Gegentheil wurde erreicht. Die polnischen antwortung der Frage: Wie germanisiren wir unsere Staatswesens auf sozialistischer Grundlage; wir setzen aber Großgrundbefizer verkauften ihre Besihungen dem Staate Polen ?" sondern: Wie söhnen wir sie mit auch als ganz selbstverständlich voraus, daß sie ihre Sprache für schweres Geld, um billigere Anwesen aus deutschen der Zugehörigkeit zu unserer Staats- frei und ungehindert pflegen fönnen, mögen sie nun in der Händen wiederzukaufen oder sich mit dem Erlös gemeinschaft aus?" Provinz Posen , oder in Oberschlesien , oder sonstwo wohn­

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im bürgerlichen Leben fortzuhelfen. Nicht im geringsten Um das zu erreichen, wäre nothwendig, daß von haft sein. Wo die Sozialdemokratie Boden gewinnt, ver­wurde dadurch in den Grenzprovinzen der Schwerpunkt zu jedweder Ausnahmemaßregel gegen die Polen Abstand geschwindet der Nationalitätenhaß, während das National­Gunsten der Deutschen verrückt. Weder durch die brutalen nommen und ihnen die Gewißheit beigebracht würde, daß gefühl sich läutert. Ausweisungen noch durch die kostspieligen Kolonisations- fie ihre Sprache ungehindert pflegen können in Schule und experimente ist die sogenannte Germanisirung der Polen Haus. Das Beispiel der Schweiz , wo drei Sprachen, gefördert worden. Deutsch, Französisch und Italienisch, eigentlich vier, wenn

Feuilleton.

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Erinnerungen eines Kommunarden. Vermögen, welches mein Vater leider nicht hinterlassen" Und Jacques?" wagte Sylvia, die sich von dem

Aus dem Französischen von Jakob Audorf. Sylvia in Paris .

Neußeren nach ein vollendeter Gentleman. Eingebildet und höchsten Kreise eingeführt und daselbst wohlgelitten, er ist beschränkt, war sein Ehrgeiz darauf gerichtet, einen Posten eine hoffnungsvolle Stüße unserer französischen Diplomatie." als Attaché bei einer bedeutenden Gesandtschaft zu erhalten, Bei diesem mütterlichen Lobe schlug der Baron im und nichts mangelte ihm hierzu, als ein hinreichendes Bewußtsein seines Werthes bescheiden den Blick zu Boden. hatte, woran der Aufwand meiner Mutter in jüngeren Empfang nicht eben sympathisch berührt fühlte, endlich Jahren wohl die meiste Schuld trug. Nichts also schüchtern zu fragen. fonnte ihnen erwünschter sein, als daß der Zufall ihnen Wir haben," fuhr Madame Meylan fort, als wenn eine reiche Erbin zuführte, die, ausgestattet mit den sie die Frage nicht gehört hätte, die besten Verbindungen äußeren Vorzügen Sylvia's, gewiß eine glänzende Partie und Lucien fann die höchste Stufe der diplomatischen Lauf­genannt werden konnte. bahn erreichen. Die Frau, welche er heirathet, wird sicher eine glänzende Stellung haben; wir können übrigens auch die höchsten Ansprüche machen." Jacques?" wiederholte Sylvia im bes Mein Sohn Jacques hat nicht gut eingeschlagen", sprach meine Mutter strenge, er steht unter bösen Einflüssen. Er erlaubt sich, die Regierung, welche die Vorsehung unserm Frankreich gegeben hat, zu kritisiren. Er verspottet, glaube ich, sogar die Familie, die Religion und, Gott verzeihe mir, er achtet nicht einmal das Eigenthum! Ich begreife nicht, wer ihm diese republikanischen Ideen, gut genug für Leute, die nichts zu verlieren haben, in den Kopf gesetzt haben mag?"

Wenn in nachstehender Echilderung der Leser hier und da finden sollte, daß meiner Erzählung jeder Funke kind­licher oder brüderlicher Liebe mangelt, so möge man es mir Der Empfang meiner Cousine im Kreise meiner zärt verzeihen. Ich schreibe nichts, als nur die Wahrheit und lichen Verwandten war denn auch auf ihre Weise der auf wenn ich auch meiner Mutter den Namen einer solchen mertsamste und zuvorkommendste. Meine Mutter kam der geben, und einem Menschen, mit dem ich sonst keine Be- Waise mit dem ganzen Stolze einer Baronesse, freilich rührungspunkte als nur feindliche hatte, Bruder nennen jedoch auch mit aller ihr zu Gebote stehenden süßlichen muß, so wecken doch diese Worte nicht das in meinem Freundlichkeit entgegen und umarmte sie zärtlich. Herzen, was man die Stimme der Natur" nennt. Ich fannte keine andere Familie, als D'Herbois, meinen Dheim Bater, und meine Sylvia.

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Aber stimmteren Tone.

Mein Bruder, der Baron Meylan, überrascht von ihrer Schönheit, welche durch die Trauerkleidung noch ers höht wurde, war bemüht, sich selber mit seinem englisch Der Freund meines Onkels aus Texas hatte meiner glatt gescheitelten Haar und wohlgepflegten Backenbart für Mutter, die Anzeige von dem so plöglichen und un- unwiderstehlich haltend, seine fade Liebenswürdigkeit im erwarteten Todesfalle zugehen lassen und ihr die Mittheilung beften Lichte leuchten zu lassen. von der Ankunft ihrer Nichte gemacht. Sylvia war jedoch Meine theuerste Nichte," begann die Baronin, nach feine von den Naturen, welche Troftesworte bedürfen, sie dem die ersten Begrüßungen vorüber, Sie zweifeln gewiß Das war mein Vater," erwiderte Sylvia entschlossen, verschloß ihren Schmerz in ihrem Innern und um den nicht an dem lebhaften, innigen Antheil, welchen wir an welcher ihm diese Grundsätze lehrte, und ich theile dies nichtssagenden Beileidsbezeugungen zu. entgehen, nahm sie, Ihrem großen Kummer nehmen. Dieser Verlust hat uns selben. Aber ich muß Jacques sehen und sprechen, um anstatt sich direkt zu ihrer Tante zu begeben, Wohnung in grausam getroffen. Armer Bruder," seufzte sie, die Augen ihn zu bitten, die Ueberwachung der Erfüllung der letzten einem Hotel. Troßdem aber konnte sie doch nicht umhin, fromm gen Himmel richtend, so schnell uns entrissen, er, Pflichten gegen meinen armen Vater, welchen er so sehr ihrer Tante einen Besuch abzustatten, um so mehr, als sie der tam, um sein sauer erworbenes Vermögen jetzt ruhig liebte, zu übernehmen." mich vielleicht dort zu finden hoffte, um mich zu bitten, im Kreise seiner Familie zu genießen! Doch wir müssen Uebertragen Sie mir diese Aufgabe, mein Fräulein, mich der Ausführung der letzten Verordnungen meines uns Alle beugen vor den unerforschlichen Rathschlüssen der ich werde dieselbe mit der größten Pünktlichkeit vollziehen Dheims anzunehmen. allweisen Vorsehung. Sie aber, liebes Kind, hätten bei beeilte sich mein Bruder zu sagen, der plößlich sein schnell Mein Großvater war unter dem ersten Raiserreiche Präfekt uns absteigen müssen. Ein junges, alleinstehendes Mädchen erbautes Luftschloß zusammen zen sah. gewesen und von dem Onkel des berühmten Neffen" zum setzt sich so leicht schlimmen Nachreden aus, Sie würden" Ich danke Ihnen, mein Herr, sagen Sie mir, bitte, Baron gemacht worden. Dieser Titel war nebst dem Erben bei uns eine neue Heimath finden, mit mütterlicher Zärtlich- nur seine Adresse; ich habe ihm durchaus eine Mittheilung desselben, meinem älteren Bruder, auf den meine Mutter ihre keit würde ich versuchen, Ihnen den Schmerz Ihres von meinem Vater zu machen."

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ganze Zärtlichkeit übertrug, ihr höchster Stolz. Mein Bruder Verlustes zu mildern. Auch mein Sohn würde sich be- Er wohnt Straße: Gay- Lussac 33. Wenn Sie ihm Lucien, für die diplomatische Karriere bestimmt, war seinem mühen, Ihren Kummer zu zerstreuen. Lucien ist in die durchaus Instruktionen, jedenfalls von Wichtigkeit, zu über