Nr.462+ 37.Jahrgang Ausgabe A nr. 94
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Freitag, den 17. September 1920
Der Kampf um Sowjetrußland.
treter der Industriellen und Arbeiter gehört hatte, entschied er sich Lloyd George auf der Schaukel. für eine Aufsicht über die Fabriken. Zugleich ernannte er In Sowjet- Rußlands Bestehen sieht der englische und einen aus Industriellen und Arbeitern zusammengesetzten Ausschuß französische Imperialismus eine dauernde Bedrohung seiner mit der Aufgabe, einen Gesezentwurf hierüber vorzubereiten, Herrschaft über Europa und Asien . Die Duldung und Star ben die Regierung der Kammer bei ihrem Wiederzusammentritt vor fung des Horthyschen Mörderheeres in Ungarn , die Unter- legen wird. drückung des ehrlich republikanischen und demokratischen Nach einer T.- U.- Meldung setzten die Gewerkschaften im Ministe. Deutschösterreich unter seinem jezigen Parlament, die Unter- rium des Innern und im Arbeitsministerium die Verhandlungen hinstüßung des polnischen Krieges, dessen Entstehung als Ansichtlich des Ankaufs verschiedener Großbetriebe fort. griffsfrieg nicht verwischt werden darf, die Versuche, Deutsch | Der Erwerb der Werte von Castellamare , die über 2000 Arlands Neutralität zu durchlöchern das alles sind Glieder beiter beschäftigen, scheint bevorzustehen. in der Kette..... Unter diesem Gesichtsvinkel hat man die Nachrichten über das Tun und Treiben der Entente gegen Rußland zu betrachten.
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Ramenew erklärte dem Stocholmer Berichterstatter der Frankfurter Zeitung ", die Haltung Lloyd Georges gegen über Rußland könne als grundja zlose Politik gefennzeichnet werden, die je nach den Erfolgen oder Mißerfolgen der Bolschewifi hin und her schwanke. Lloyd George wolle jetzt vom Frieden mit Rußland und der Anerkennung der Sowjetregierung nichts wissen, möchte aber doch nicht die Möglichkeiten zum Handels austausch preisgeben.
Die Kriegslage.
Südlich von Lemberg überschritten die Polen den Dn jest r und besetzten die Ortschaften Halicz und Bolszowec, sowie die Höhen östlich davon. Weiter nördlich wurden die Bolschewisten von dem Swirzfluß auf die Gnila Lipa zurückgedrängt. Im Raum von Wladimir- Wolynst, Brest - Litowst und östlich des Bug weiter günstiger Verlauf der Kämpfe für die Polen . In der Richtung auf Luck wurde Chorstow besetzt und östlich von Kobryn der DnjeprBug- Kanal überschritten. Die Polen melden eine große Anzahl von Gefangenen und Kriegsmaterial. An der polnisch- litauischen Front bauern örtliche Kampfhandlungen an.
Eine neue britische Note nach Moskau berlangt nach einer Angabe Freilassung der noch in Sowjet- RußTand gefangenen Engländer, nach der anderen Aufklärung über ihr Schicksal.
Dem Daily Chronicle"-Mann in Riga foll Joffe, der russische Chefdelegierte, gesagt haben, daß die Sowjetregierung an der ursprünglichen Forderung einer
Verminderung der polnischen Armee
als Garantie gegen fünftige Angriffe festhalten wolle.
Die Nachricht, daß die neue russische Offensive schon begonnen habe, findet in den Heeresberichten der letzten Tage noch Teine rechte Bestätigung. Sollten die Rigaer Verhandlungen scheitern
Deutschösterreichs Neuwahlen.
Wien , 16. September. ( Eigener Drahtbericht des„ Vorwärts".) Bei der bevorstehenden Neuwahl der Nationalversammlung kandidieren für die Sozialdemokratie an erster Stelle folgende Genossen und Genossinnen:
I.( Often): Dr. Otto Bauer , Rudolf Müller, Ed. Rieger. II.( Mariahilf ): Karl Leuthner , Therese Schlesinger , Ludo Hartmann .
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Königshütte , 15. September 1920." In den letzten Wochen ist die Frage der oberschlesischen Autonomie wieder sehr stark in den Vordergrund der öffentlichen politischen Distuffion gerückt, es soll demnächst zu wichtigen Entscheidungen der Regierung fonimen. Die Hoffnung, daß die Autonomisten durch die seinerzeit erfolgte Erhebung Oberschlesiens zur Provinz befriedigt werden würden, hat sich nicht erfüllt. Nach kurzer Atempause" setzt ihre Propaganda Es sind in der Hauptießt erneut mit großer Energie ein. fache große Teile des oberschlesischen Zentrums die hinter dieser Propaganda stehen. Sie werden aber start unterstützt durch die Großindustrie, und selbst Männer, wie der demokratische Abgeordnete und frühere Oberbürger meister von Kattowik, Dr. Pohlmann, setzen sich jetzt für die Autonomie ein. Die Sozialdemokratie als Vertreterin der in erster Linie interessierten Arbeiterschaft hat also erst recht alle Veranlassung, flar Stellung zu nehmen.
Die Frage der oberschlesischen Autonomie kann man nicht mit einem abstraft grundsäglichen Ja oder Nein beantworten. Dort steht so viel auf dem Spiel, und es laufen so viel verschiedenartige Bestrebungen und Interessen durcheinander, daß man die Frage unter gewissenhafter Berücksichtigung der ganzen Situation ernsthaft prüfen muß. Wäre es III.( Alfergrund): Otto Glödel, Gabriele Broft, Allina. möglich, durch eine Autonomisierung Oberschlesiens diesem eine IV.( Leopoldstadt - Floridsdorf ): Karl Seis, Dr. W. Ellenbogen, friedliche und glückliche Zukunft, frei von nationalen Kämpfen, und Deutschland den bisherigen Genuß der oberMath. Eldersch, Emmy Freundlich, Karl Pick. V.( Margarethen- Favoriten): Dr. Friedr. Adler, Laurenz Wid- schlesischen Bodenschäße zu sichern, was für uns eine Lebensfrage ist, so müßte dieser Weg beschritten holz, Anton Hueber , Amalie Sedel. VI.( Meidling- Sieging): August Forstner , Dr. Julius Deutsch, werden. Wie steht es nun hiermit.? Schiegl, Frau Boschet.
Die Befürworter des Autonomiegedankens sind sich nicht VII.( Ottakring ): Sewer, Staret, Frau Popp, Wiesenhofer, einig über das Maß der Autonomie. Während ein Teil nur die bundesstaatliche Autonomie innerhalb Deutschlands wünscht, Volkert, Austerlitz, David. ist der andere Teil gewillt, bis zur völligen staatlichen. Selbständigkeit unter Loslösung von Deutschland zu gehen.
VIII.( St. Pölten ): Bretschneider. Schneidmadt, Polke. IX.( Wiener- Neustadt): Dr. Karl Renner , Tomschid, Smitka, Richter, Dr. Danneberg.
Tirol:
Fast überall stehen die führenden Gewerkschaftler mit an erster an Aussichten darauf ist kein Mangel, so wird es an der Stelle. Wenn mancher auch in Deutschland bekannte Genosse in polnisch- russischen Front alsbald bewegter werden. Der Korrespondent des„ Ost- Expreß" hat in Terioti an der dieser Lifte fehlt, so darum, weil nach Parteibeschluß Bürgermeister, finnisch- russischen Grenze festgestellt, daß größere Unruhen in Sow- Landesausschüsse usw. nicht durch Reichsmandate ihrer Tätigkeit jet- Rußland nicht stattgefunden haben. Die dreitägige Unter- in der Selbstverwaltung entzogen werden sollen. brechung in der Petersburger Brotverteilung ist behoben. Unter den Bauern wirkt der Unzufriedenheit mit dem langen Krieg der Gedanke entgegen, daß ihre Söhne in der Armee das erworbene Land gegen die Möglichkeit einer Rüd tehrber Gutsbesiker
berteidigen.
Unsere herzlichsten Wünsche den. Brüdern in Deutsch österreich ! Sie halten Wacht gegen die Weltreaktion, mit der im Bunde die Christlichsozialen hüben und die HorthyBande drüben, die lauernden Habsburger im Hintergrunde, die de mokratische Republik und den Aufstieg der Arbeiterklasse bedrohen.
Internierungslager für Zwangsarbeit Ein zweiter Hungerstreiker. errichtet worden. Die Zahl der Internierten erreicht bereits 6000. Dublin , 16. September. ( DA.) Der 19 Jahre alte Sean Eine Kommissariatsverfügung von Ende August ordnet an, daß die Angehörigen der Soldaten der Roten Armee nur im Hennessy aus Cork Gaol, der ebenfalls seit 34 Tagen äußersten Notfalle zur Zwangsarbeit herangezogen werden dürfen. hungert, nachdem er am 23. Juli mit 11 andern verhaftet Die Einführung des Arbeitszwanges für die Transport- worden war, droht im Laufe dieses Tages zu sterben. arbeiter des Binnenschiffsverkehrs hat, wie die Moskauer, Prawda" mitteilt, bisher keinen Erfolg gehabt. Gegenüber einer früher normalen Tagesleistung von 160 bis 200 Bud verfrachtet ein qualifizierter russischer Transportarbeiter gegenwärtig 30 bis 60 Bud täglich.
einem
Der Terror soll neuerdings noch verschärft worden sein. 1890 Aegypter, Türken, Perser, Afghanen und Inder sind auf bolschewistischen Kongreß in Baku bersammelt, dessen Zweck der Aufruf zum Kampf gegen Englands und Frankreichs Orientherrschaft und gegen die eigenen nichtprole= tarischen Regierungen ist. Sinowjew , Bela Khun und Radek ver
Giolitti fordert Einlenken.
Nach der römischen Gazetta del Popolo"( Volksztg.) drohte Giolitti den Industriellen mit dem Eingreifen des Staates, falls fie fich nicht mit den Arbeitern verständigten. Die Industriellen dürften infolgedessen schließlich nachgeben.
Russische Gewerkschafter ausgewiesen. Kopenhagen , 16. September. ( D. E. ) Die Stockholmer Polizei hat die Vertreter der russischen Gewerkschaftsverbände aufgefordert, unverzüglich Schweden zu verlassen und nach Estland abzureisen. Falls dieser Befehl nicht befolgt würde, ist ihnen die Verhaftung angedroht worden.
Deschanels Ersetzung.
halb Deutschlands lassen sich zweifellos sehr gewichtige Gründe, Für die bundesstaatliche Autonomie Oberschlesiens innerinsbesondere seine ungeheure wirtschaftliche Bedeutung anführen. Handelte es sich also lediglich um Gewährung eines dieser Bedeutung entsprechenden Einflusses im Reiche an Ober schlesien , so könnte fein vernünftiger Mensch dem widersprechen. Jetzt aber ist die Sache in erster Linie von dem Gesichtspunkt zu betrachten, welchen Einfluß die bundesstaatliche Autonomie auf die oberschlesische Abstimmung und überhaupt auf sein fünftiges Verhältnis zu Deutschland haben wird. Auf die Lösung dieser eigentlichen„ oberschlesischen Frage" könnte diese Autonomisierung nur dann einen bestimmenden Einfluß ausüben, wenn es gelänge, dadurch dem Nationalitätenkampf die Spize abzubrechen und entweder die Abſtimmung überhaupt zu vermeiden oder weitere Kreise der Bevölkerung zum Bekenntnis für Deutschland zu veranlassen. Dieses Ziel zu erreichen, erscheint aber völlig unmöglich.
Die polnisch- deutschen nationalen Gegensäge sind hier zu einer Schärfe entwickelt, daß insbesondere auf polnischer Seite ein Abbiegen des Stampfes ohne klare Entscheidung der Machtfrage unmöglich sein dürfte. Hier rächt sich die frühere Arbeiterpolitik der oberschlesischen Kapitalisten und die frühere preußische Polenpolitit. Um die erheblich unter den Löhnen des übrigen Deutschland stehenden Löhne und das tiefere Stulturniveau der oberschlesischen Arbeiterschaft aufrecht erhalten zu können, haben die oberschlesischen Magnaten jahrzehntelang, weil sie deutsche Arbeiter zu diesen Bedingungen nicht bekamen, Arbeiter aus Russisch- Polen eingedenen unter Zuhilfenahme der borussischen führt, Polenpolitik jede politische gewerkschaftliche und sprach lich- nationale Betätigung unmöglich gemacht wurde. Wer darüber will sich wundern, der daß der Funke national- polnischen Agitation, unter diese Sklaverei geworfen, den aufgesammelten Zündstoff zum Aufflammen brachte? Auch heute noch sieht der Pole, leider vielfach auch der polnische Arbeiter, in jedem Deutschen seinen Unterdrücker und Feind, den er vernichten oder mindestens unter die uneingeschränkte polnische Herrschaft bringen muß. Nur so sind die unzähligen Afte der brutalen Gewalt und des Terrors, die noch Tag für Tag von polnischen gegen deutsche Arbeiter verübt werden, zu erklären. Es wird intensivster sozialistischer Aufklärung bedürfen, um die polnischsprechende Arbeiterschaft aus diesem Pfuhl nationalistischer Verhegung zu befreien. Die groß polnisch gesinnten Oberschlesier wollen los von Deutschland und zu Polen .
Eine
Baris, 13. September. ( 2. U.) Gs ist nahezu sicher, daß die Kammer am 21. oder 23. September zusammentritt. Millerand wird das Demissionsschreiben Deschanels berlesen. Das gleiche wird der Finanzminister im Senat tun. Die Neuwahl erfolgt am 23. oder 25. September in Versailles . Der aussichtsreichste Kan- bundesstaatliche Autonomie Oberschlesiens innerhalb Deutschdidat ist Senator Jonnart, der frühere Generalgouverneur von Algerien , aber beileibe nicht etwa ein Militär. Er ist der Kandidat Millerands, der seibst nicht mag. Als sonstiger Kandidas wird nur der Kammerpräsident Raoul Béret genannt, der für manche den Vorteil hat, jüncei, zu sein.
Die Schwerindustrie sträubt sich noch hartnäckig gegen die Ar- Deschanel wird überwacht, damit er sich nicht in den Barkteich beiterkontrolle, das heißt gegen Betriebsräte. Amtlich meldet Rom : von Rambouillet stürzt, zu dem es ihn stets hinzieht. Man lasse Nachdem Giolitti die von ihm nach Turin zusammenberufenen Ber - ihm doch diese Erlösung vom lebendigen Tod!
lands würde sie daher nicht befriedigen. Sie würden dadurch im Gegenteil in der Verfolgung ihres nationalen Ziels eher gestärkt werden, denn die Verleihung der Autonomie an Oberschlesien würde ihnen als Zeichen mangelnden Vertrauens Deutschlands in das Ergebnis der Abstimmung erscheinen. Und daß die Polen oder die Entente durch eine solche Autonomie sich veranlaßt sehen könnten, von der Abstimmung Abstand zu nehmen, ist natürlich ebenfalls völlig