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Nr. 4$6 57. Jahrgang
1. Heilage öes Vorwärts
Freitag, 1. D?t�d:r?020
Sieg öer Einigkeit. Von Hermann Molkenbuhr  . Dreißig Jahre sind derflossen, seitdem das Sazialisten- gesetz erlosch und damit eine Periode zu Ende ging, die man als den schtiiähltchsten Ties st and der Politik des scheinbar so machtvollen Deutschen   Reiches bezeichnen kann. Mit der Gründung des Deutschen Reiches hatte man die Bahn frei gemacht für die kapitalistische Entwicklung. Die Gründerperiode setzte ein und schnell entstanden tausende Großbetriebe. Proletariermassen wurden in den Jndustriebezirken zusammengezogen und die Zahl der Bewohner der größeren Städte stieg gewaltig. Durch den sich schnell entwickelnden Kapitalismus wurden breite Schichten der kleinen Gewerbetreibenden in das Proletariat herab- gedrückt. Der Boden wurde geebnet für die 1863 neu- belebte sozialdemokratische Agitation. Die Gründerperiode hatte mit der Jagd nach Arbeitskräften eine günstige Lage des Arbeitsmarktes gebracht. Die Löhne er- reichten eine vorher nie gekannte Höhe. Da brach 1873 der Gründerkrach aus. Feierlich verkündete der preußische Handelsministcr Camphausen, daß man die schwierige Lage nur überwinden könne durch vermehrte Arbeit bei niedrigen Löhnen. Ein Rezept, welches von den Kapitalisten nur zu gern befolgt wurde. So wurde den Arbeitern die Klassenkampfstimmung ge- waltsam eingepaukt und für die Ausbreitung des Sozialismus die Bahn frei. Das Wahlresultat bei den Reichstagswahlen 1874 versetzte die herrschenden Klassen in eine gewisse Er- regung. Während bei den Wahlen 1871 nur 123975 Stimmen, also 3,19 von 190 Stimmen für sozialdemokratische Kandidaten abgegeben waren, stiegen sie 1874 aus 351952, also 6,78 vom Hundert. Heute erscheint es unbegreiflich, wie eine so geringe Zahl sozialistischer Wähler die Leiter eines gewaltigen GroßstaateS so in Angst versetzen konnte. Aber die Angst war vorhanden und so griff man zu den Verfolgungsmittcln. die man auS den Zeiten des seligen Bundestages und der Reaktion von 1851 in die moderne Zeit hinübergerettet hatte. Auflösung von Vereinen und Versammlungen, strenge Bestrafung von Rednern und Redakteuren sozialistischer Zeitungen waren an der Tagesordnung, aber die sozialistische Bewegung wurde nicht schwächer, sondern stärker. Als dann im Jahre 1878 die Attentate von Hödel und Nobiling einige Erregung brachten. folgte Bismarck   dem Beispiele Metternichs, der 1819 die Er- mordung Kotzebues zur Einleitung der Demagogenhetze auS- genutzt hatte, und leitete eine Sozialistenhatz ein, wie sie früher nicht denkbar gewesen ist. Ein Sozialistengesetz wurde ge- schaffen, mit dem die sozialistische Bewegung vollständig auS- gerottet werden sollte., Eine neue Erscheinung brachte daS Sozialistengesetz, indem daS Geschmeiß der Spitzel und Lockspitzel gezüchtet wurde. Gleich als die ersten Ausgewiesenen ins Land gingen, fanden sich gute Freunde bei ihnen ein, die sich besonders durch radikale Reden auszeichneten. Besonders schimpften sie auf die ReichStagsfraktion und die Parteileitung, die durch schlappe Haltung das»revolutionäre Gefühl' in den Ardeitern erstickten. Viele Genossen konnten sich gar nicht denken, daß solche revolutionären Männer in Diensten der Polizei stehen konnten. Und doch war eS so. Bei der großen Zahl der Berliner   Ausgewiesenen, die nach Hamburg   gingen. fand sich der einäugige Wolf an, der früher Mitarbeiter deS schleswig  - holsteinischen Parteiorgans gewesen war und nun in Dien st en deS Polizeirats Krüger stand. Auch die Altonaer   Polizei hatte sich ein sol- cheS Individuum engagiert und zwar den bankerotten Vlaufärber Wichmann. Die Taktik dieser beiden Lumpen be< wegte sich nach zwei Richtungen. Sie forderten ein energisches Austreten, indem die Gewaltstreiche der Regierung mit Ge waltSakten beantwortet werden solle. Bei Genoffen, bei denen diese Taktik nicht zog, appellierte man an den EgolSmuS. in dem man nachwies, daß auS den Sammlungen für die Aus-
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gewiesenen viel höhere Beträge gezahlt werden könnten Zweck war, die Partei zu zerreißen.. Eine Unterstützung bei dieser Zersplitterungsarbeit fand man in Most und H a s s e l m a n n. Most war zweifellos t einer der populärsten Redner und Schriftsteller der Partei. Er ging nach seiner Ausweisung nach London   und gab dort die Freiheit" heraus. Es war ein wöchentlich einmal erscheinen- des Blatt. Was an radikaler Schreibweise geboten werden konnte, das bot dieFreiheit". Most polennsierte aber nicht nur gegen die Polizei und Militärherrschaft in Deutschland  , sondern auch gegen die Genossen, die im Lande verblieben waren und die Agitation trieben, die unter den gegebenen Verhältnissen möglich war, Eine gute Waffe gab ihm der Umstand, daß man öffentlich nicht sagen konnte, was im ge-
vorwärts! Zum 1. Sktober 1890. Stu«wg«r*t»<jr der Zelten, braute lauter Con I Laß* die Luft Rcb breiten, brich der Crauerfron l Rellea flammenfchUgen färbt die Hugen licht und die flammen lagen t Wir erlagen nlditr. Plein, noch Und die Hrme markig tele zuvor, heben noch das Banner leuchtend hoch empor, und noch fteh'n die Scharen dicht und unzerltreut... Was vordem vir waren, ftark lind vir noch heut. Und wir lind plllllonen, und Ihr zählt lie kaum, frtlchc Blätter thronen, wo clnlt kahl der Baum. Wo mit Icharfem PlcHer ihr den Stamm verletzt, bat er nur noch heller Zweige angeletzt. Sagt dock», was euch nützte, daß Ihr roh uns Ichlugt? Zeigt dock» her die Beute, die ihr heimwärts trugt! Schwand vor eurem Sturme eures Zieles Licht? Plein! Pioch gibt es plänner, Es gelang euch nicht. jubelnd lehn die Boren unlem Siegeslauf... Müht euch nur, Ihr Ceren I Uns hält niemand auf. Dem gleich einem Oette Opfer ihr verbrannt, Seht, er lank zum Spotte machtlos auf den Sand i Doch wir zünden Kerzen in der freu de Dom, freudig durch die B erzen wallt der Roffnung Strom. Mcnlchenrecht wir hören deinen Ruf der fiot... f ahnen vor! Wir IchwSren, freiheit oder Codi Wie ein Wall von feilen, der nicht welchen kann, Gtlengußgefeltet rücken wir heran. Oh zum Berg gelchwolten, auf uns nlederbrldrt auch Lawinenrollen, uns crdrOdtt ihr n ick» t. Ho* bem Sechziger.Wähler' 1890. granz Dlederlch.
Heimen getan werde. Zum Gegenstande der Kritik konnte er also die öffentliche Tätigkeit der im Lande verbliebenen Genoffen machen, und die bot viel Stoff für seine Ausfälle. So kam er in immer schärferen Gegensatz zur Partei. Aehnlich war eS mit Haffelmann. der von derTribüne des Reichstages die Most scheu Ausfälle verbreitete. Das hatte �ur Folge, daß auf dem Kongreß in Whden im August 1886 Most und Haffelmann aus der Partei ausgeschlossen wurden. Hassel mann war aber schon vor dem Wydener Kongreß nach Amerika   ausgewandert. Most'SFreiheit' entwickelte sich immer mehr zu einem Organ der Anarchisten. Auch der Lockspitzel W i ch m a n n war, wie er später erzählte, durch Empfehlung von Hasselmann und Karl Gchneidt zum regelmäßigen Mitarbeiter derFreiheit' geworden. Die Anarchisten, die, wie der alte Liebknecht sich drastisch ausdrückte, zu drei Fünfteln aus Ueberspannten und zu zwei Fünfteln auS Lockspitzeln bestanden, propa- gierten mit Vorliebe ruffische Politik. Es war jene Zeit, tn der die Nihilisten die Politik der Attentate trieben. AlS im März 1881 der Zar Alexander II.   durch eine
Dynamitbombe getötet wurde, sahen die von Lockspitzeln ge- leiteten Anarchisten im Dynamit das einzige Heil- mittel. Jeder, der die Dynamitpolitik ablehnie, wurde als schlapp und reaktionär verschrien. Und doch hatte die Partei bei Verschiedene» Gelegenheiten bewiesen, daß die be- ionnene Taktik die Partei vorwärts bringe. Erst bei einer Anzahl von Nachwahlen war festgestellt, daß in diesen Kreisen die Partei gewachsen war, dann brachten die allgemeinen Wahlen 1881 ein verblüffend günstiges Resultat. In einer großen Anzahl von Wahlkreisen hatte man keine sozial- demokratischen Kandidaten aufgestellt, und doch wurden 311961 Stimmen iür Sozialdemokraten abgegeben und 12 Abgeordnete gewählt. Die Fraktion war also drei Mann stärker als in der vorhergehenden Legislaturperiode. Der Ersolg bewies die Richtigkeit der befolgten Taktik. Den Anarchismus lehnte die Partei ab, nicht well er revolutionär, sondern weil er reaktionär war Konnte die Regierung mit dem Gewaltmittel des Schand- gesetzeS die Partei nickt vernichten und durch die anarchistische Agitation keine Zersplitterung der Partei durchsetzen, so wurde es auch einmal mit einem anderen Mittel versucht. Erst gewann man einige Gewerkschaftsführer, den Zimmerer Finn und den Maurer Körner dafür, die Stöckersche Agitation zu unterstützen. Man versprach, die Praxis des Sozialisten- gesetzeS zu mildern. Gleichzeitig wurde die Sozialpolitik durch die bekannte kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 offiziell eingeleitet. Aber auch die Politik des Zucker- b r o t e S verfehlte ihren Zweck. Die Arbeiter hielten an der alten Tattik fest und erstritten 1884 ein Wabl- resultat, wie man es früher nicht gekannt hatte: 549 990 Stimmen wurden für Sozialdemokraten abgegeben, und 24 Mandate wurden erobert. Damit war eigentlich das Schandgesetz erledigt. Denn nun hatten sich in aller Stille so viele und so starke Organisationen gebildet, daß die Macht der Polizei nicht ausreichte, sie zu vernichten. Man versuchte zwar durch juristische Kunstgriffe neue Maschen zu schaffen, indem das Reichsgericht ein Urteil fällte, wonach die ZZ 128 und 129 des Strafgesetzbuchs da angewandt weiden konnten, wo eigentlich gar keine Vereinigungen und Verbindungen be- standen. Die Anklagen wegen Geheimbündelei der- mehrten sich. Man verurteilte Parteigenossen, aber die einige geschlossene Partei blieb. Sie zeigte, als der Reichstag   auf- gelöst und der Kartellreichstag gewählt wurde, daß sie aber- mals gewachsen sei. Im März 1890 verschwand der Vater dieser Gewaltpolitik, der Fürst Bimarck von der politischen Bühne, und am 30. September erlosch auch das Gesetz. Am Abend des 30. September feierten die Genossen diesen Sieg. In den Orten, wo mit den Mitteln des kleinen Be- lagerungSzustandes gewirkt war, kehrten zahlreiche Ausge- Wiesens zurück und begrüßten jubelnd die alten Freunde und Parteigenoffen. Diesen Erfolg verdankt das Proletariat in der Haupt- fache der Einigkeit, die sie in den schweren Zeiten ge- wahrt hat. Daß die Einigkeit aufrecht erhalten werden konnte. erscheint fast ein Rätsel, wenn nian bedenkt, daß alte Genossen bei Beginn der Verfolgungen nur in geringer Anzahl vör- handen waren. Die Mehrheit der Partei bestand aus Leuten, die erst wenige Jahre, oft nur wenjge Monate der Partei angehörten und die älteren Genoffen hatten sich vor dem Gesttze längere Zeit als Gegner bekämpft. Denn die Kämpfe der Eise« nacher und Lassalleaner waren nicht milder gewesen, als heute die der Kommunisten gegen die Sozialdemokraten. In der Zeit der schweren Not setzte man alles Trennende zurück und sah in dem Verfolgten den Bruder und Kampfgenossen. Der Wille: durch Einigkeit zum Sieg, beseelte alle Genossen. Jeder Schlag, der gegen einen Genossen geführt wurde, wurde von der Gesamtheit als gegen sie geführt einPfunden.'Wenn die Arbeiter heute auf jene Zeiten zurückblicken, so werden sie empfinden, welche Macht in der Einigkeit des Prole- tartatS begründet ist. Wenn heute dieselbe Begeisterung für die Einigkeit die Massen beseelen würde, dann würden die heftigsten Widerstände mit Leichtigkeit überwunden werden.
Zwei Geschichten. Von Carl Ulrich  (Darmstadt  ). Ich soll dem.Vorwärts" Erinnerungen au» der Zeit de» Sozialistengesetzes schreiben. Gut. will'S versuchen. Da ist zunächst ein« lustige Geschichte, bei der unser unvergeßlicher August Bebel   die Haup-trMe spielte. S» war im Anfang der achtziger Jahre. August Bebel   zog mit seinem schwarzen Musterkoffer von Stadt zu Stadt und besuchte die Kunden der Firma JSIerb u. Comp., um deren Türklinken und Fenstergriffe anzubringen. So kam er auch eine» Tage», nach- dem er einen Ofsenbacher Geschäftsfreund besucht hatte, bei mir an, sitzte wütend seinen Musterkoffer zu Boden und meinte:«Da» ist doch ein Skandal I Läuft mir jo'n Achtgroschenjunge nun schon wieder den ganzen Morgen auf Schritt und Tritt nach! Könntchi wir denn dem nicht einen Streich spielen?" Dabei macht« er die Tür unserer sehr engen Expedition m Offenbach   auf und zeigte mir denGentleman", der uns gegenüber auf der Straße hin- und herpatrouillierte. Ich pperkte mir den Herrn ganz genau und stellte nun meinerseits einen Lehrling zu seiner Bewachung heraus, um zu beobachten, wie lange er es aus- halten würde. Bebel und ich erledigten unsere Parteiangelegen- Helten. Währenddessen begann es sehr stark zu regnen, so daß unser Spitzel bald durchnäßt kin. und herlief oder sich unter ein HauStor stellte. Ich ging inzwischen daran, zu prüfen, ob uito wie wir unseren August, ohne daß der ehrenwert« Herr auf der anderen Seite der Straße etwas davon merkte, nach Frankfurt   bringen könnten. Bald war der Plan fertig, und August Bebel   meinte sielenvergnügt:Na, wenn daS gelingt, trinken wir imDarm- städter Hof", so hieß da« alte T-mokraten-Gasthau» in Frankfurt am Main  , nicht weit vom Dom, einen guten Schoppen extra!" Mit Hilfe von zwei Parteigenoffen wurde Bebel   mit ftinem Hand- kofsir über zwei Zäune und eine, zum Glück nicht hohe, Mauer hinweg von i»er Frankfurter Straße in di« Große Markfftrahe be- fördert. Von dort ging'S schnell zum Bebraer Bahnhof und nach Frankfurt  , wo wir beide unbemerkt von dem Achtgroschenjungen imDarmstädter Hof" ankamen. Dort sahen denn et war inzwischen spät geworden bereits eine Anzahl alter Frankfurt  « Demokraten, von denen mir Eduard Sack noch sehr gut im Gedächtnis ist, und warteten auf Bebel. Als wir unser Abenteuer erzählten, gab eS einen allgemeinen Jubel, und der �gute Schoppen" wurde in bester Stimmung getrunken. fBk
saßen noch ziemlich lange beisammen, als plötzlich unser Offen- bacher Bebeldewocher atemlos und naß wie ein begossener Pudel in die Wirtschaft gestürzt kam. Beim AnIGck des Ge­nossen Bebet atmete er offenbar erleichtert auf und drückte sich rücklings wieder zur Tür hinaus, während unsere Gesellschaft herz- lich lachend«och eine Zeitlang fidel beieinander blieb.
Di« zweite Geschichte ist leider ein« recht traurige und wird mir nie aus dem Gedächtnis schwinden. Miste der achtziger Jahre halten die Verfolgungen unsir« Parteigenossen auf Grund oes Sozialistengesetzes im Reiche im allgemeinen den höchsten Punkt erreicht. Da» Reichsgericht hatte nach dem freisprechenden Urteil des Chemnitzer Laniogericht» in dem Geheimbundsprozeß Bebel   und Genossen den berüchtigten Begriff der.konkludenten Handlungen" konstruiert, womit hie Verurteilung Bebels und Genoffen in Freiburg   sicher war. Der größere Teil der Angeklagten mit dem Genossen Bebel   wurde zu je 9 Monaten, der kleinere Teil mit dem Genosse« Dietz sStutt- gart) zu je 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafen wurden in verschiedenen Gefängnissen Teutschlands verbüßt. Bebel, Auer, Viereck und ich waren nach dem Zellengefängnis Zwickau   verwiesen worden. Ich konnte die Strafe erst etwas später antreten als di« drei vor mir genannten Genoffen, und so kam ich in Zwickau   an, als Genosse Viereck wegen eineS Leidens ins Krankenhaus übergeführt worden war, während die Genossen Bebel und Au« im Zellengefängnit verblieben waren. Eine angenehme Ueberrafchung für mich war nun, daß die GefängniSterwaltung uns dreien gestattet hatte, täglich zwei Stunden, je eine Stunde vormittag» und nachmittag», im Gefängnishof miteinander fpa- zieren zu gehen. Da» war jedesmal eine Erholung für un» alle drei. Wir hatten jeder das Recht, eine Zettung zu halten. Jeder hatte eine andere bestellt, so daß wir täglich über alle Vorgänge in der Welt unterrichtet waren. Tv platzte bei mir wie eine Bombe die telegraphisch« Nachricht herein, daß meine Frau einen schweren DchlaganfaL erlitten habe und wenig Hoffnung vorhanden sei, sie am Leben zu erhalten. Da« war doppelt hart für mich und meine vier Kind». Meine Frau war so recht ein Opfer deS Sozialistenges etze». Im Jahre 1885, nach dem LandtagSwahlauSfall in Mainz  , bei der Genosse Jost und ich gewählt wurden, begann bei irns in Hessen   unter dem Ministerium de» Mennomten Finger eine schärfere Verfolgung gegen uns einzusetzen. Bis dahin hatte man daS Sozialistengesetz in Hessen   weniger angewandt. Nun aber gab ei llebawochung dtE Versinmnlungeu«w ßabot bei Stege, Sm
.Offenbacher Tageblatt", dessen Drucker und Herausgeber ich da- malS   war, fiel wegen einer durchaus harmlogn Notiz unseres da- mal» ständigen Mitarbeiters Wilhelm Liebknecht   dem Ge- setz zum Opfer, und alles, was hierauf von mir an Drucksachen weiter herausgegeben wurde, verfiel der Beschlagnahme. Dies zwang mich, nominell den Druck und Verlag aufzugeben, und ich wurde Spezereihändler,HeringSbcrrimger" in des Worte« schärffter Bedeutung. Als solcher bezog ich das Gefängnis in Zwickau  , und meine Frau suchte das Spezereigeschäst aufrecht zu erhalten, was ihr auch gelang, bis der furchtbar« Schlaganfall sie niederstreckte. Der Schlaganfall war offenbar eine Folge der Ueberanftrengung und der schweren seelischen Erregung, die dadurch hervorgerufen wurde, daß um Weihmachten 1886 derKleine Belagerungs- zustand" über Frankfurt   a. M. verhängt-aar und die unglücklichen Ausgewiesenen von dort in Offenbach   und ganz besonders bei meiner Frau Zuflucht suchten. Ich versuchte alles mögliche, um vorläufig aus der Haft ent- lassen zu werden, allein unterm Ministerium Finger ging die Prozedur der FreilassungSvorberoitungen so langsam, daß ich noch länger al« ein« Woche vergeblich warten mußte, bis ich zu meiner unglücklichen Frau und zu meinen Kindern kommen tonnte. Der Kreisarzt mutzte erst amtlich bescheinigen, daß der Zustand meiner Frau hoffnungslos sei, bevor man mich freiließ. Die De- peschen und Bescheinigungen zweier Aerzte genügten nicht. Endlich bekam ich einen Urlaub von wenigen Wochen. Da aber der Zu- stand meiner Frau inzwischen völlig hoffnungslos geworden war, blieb mir nichts anderes übrig, als nach Ablauf des Urlaubs wieder ins Gefängnis zurückzukehren, meine Frau ihrem Schicksal zu über- lassen, meine Kinder zu meinen Eltern zu schaffen und das Ge- schüft von Verwandten fortführen zu lassen. Da» war für mich eine furchtbare Zeit, und ich vergesse nie in meinem Leben, mit welcher Liebe und Kameradschaftlichkeit sowohl Bebel   als Auer mir da» Ertragen derselben erleichterten. Nachdem ich meine neun Monate absolviert hatte und wieder nach Offenburg   kam, raffte ein neuer Schlaganfall ineine Frau hinweg. Doch konnte sie wenigsten? in meinen Armen und unter ihren Kindern sterben. Der Exzellenz Finger habe ich ihr Verhalten in dieser Affäre nicht geschenkt. Sie hat im Landtag und m dsr Presse, als der 30. September 1890 zu Ende gegangen war, gebührenS heimge­leuchtet bekamen en. Eine ganz besondere Ironie des Schicksals dürtte es aber sein, daß gerade heute. 36 Jahre nach dem Fall des Sozialistengesetzes, an der Stelle Fingers ich selbst die Leitung der Geschäft« des Landes habe, die mir durch die Revolution über»