Nr. 248.
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für 1894 unter Nr. 6919.
Vorwärts
11. Jahrg.
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Mittwoch, den 24. Oktober 1894. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!
Viel vergessen
und nichts gelernt.
feit fortgetrieben werden kann. Obgleich das Anarchistens gesetz, wie schon sein Name besagt, blos gegen die Anarchisten gegeben würde, wandte man es bald auch gegen alle Feinde Crispi's, vor allem natürlich gegen die Sozialdemokraten an, man verbot ihre Kongresse, man verfolgte ihre Presse noch mehr wie früher, man vers schickte unsere Genossen auf grund des Anarchistena gefeges in die Zwangsdomizile. Diese Brutalitäten waren aber blos die Vorbereitung eines viel schwereren Schlages, den der alte Revolutionär Crispi gegen die einzige freiheitliche Partei Italiens plante. Gestern meldeten wir schon unter den Depeschen aus
[ auf, verbietet Versammlungen, er giebt Ausnahmegeseze. I treuen bösartig verwickelt waren, vergessen, und Er hat auch die Kerker, gegen die er gezetert hat, die Gegner der Crispinischen Politit, nicht die trot nicht schleifen lassen, er bevölkert sie mit den ihres großen Mundes in Italien recht ungefährlichen AnEdelsten und Besten, die für das arme unterdrückte archisten, sondern die Sozialdemokraten und die ehrlichen Crispi ist zum Mann gereift in den Zeiten der tiefften italienische Volk eintreten, ja übertrumpft noch Radikalen sollten getroffen, sollten mundtodt gemacht werUnterdrüdung Italiens , er stand bis zu seinem 40. Jahre die neapolitanischen Ferdinande, die ihre politischen den, damit die Crispinische Schandwirthschaft in alle Ewigin der ersten Reihe derer, welche ihre beste Kraft daran Gegner wenigstens in der Heimath einsperrten, während ihr fetten, das Vaterland von der Fremdherrschaft der Defter- alter Gegner Crispi die trockene Guillotine, ein Fieberland reicher, von dem Drucke der kirchlichen Regierung des in der Nähe des Aequators zu ihrer ungaftlichen Aufnahme Papstes, von den Despotenlaunen der kleinen Fürsten von in Bereitschaft stellt. Und die Gerichte sind unter ihm noch Zostana, Modena , Neapel u. s. 1. zu befreien. Als weniger unabhängig, wie im Kirchenstaate und in den von heißblütiger Jüngling und als gereifter Mann galt er den Desterreichern früher beherrschten Provinzen Italiens . als einer der tüchtigsten und energischsten Anhänger der So hat Crispi also alles vergessen, was er in der Mazzini und Garibaldi . Der Sohn der blutgedüngten Erde Jugend versprochen hat, er hat sich würdig erwiesen, JustizSiziliens fand uicht Worte, die seiner Meinung stark genug und Polizeiminister des verschollenen Königreichs beider gewesen wären, das niederträchtige Polizeisystem, die Wirth- Sizilien gewesen zu sein. schaft der Spione, die Wahnsinnsatte der Reaktion, die Crispi, dieses Muster des unsere Zeit charakterisirenden Gräuel bei der Behandlung der politischen Gefangenen, die Renegatenthums, hat alles vergessen, was er versprochen servile Niedertracht der Gericht, die Unfreiheit der Presse, hat, er hat aber auch nichts gelernt. Er hat nicht gelernt, Rom das folgende: zu geißeln. In Wort und Schrift, als Freischärler wie als daß eine Herrschaft, die sich nur durch elende Polizeimaß- Nach einer Meldung der„ Agenzia Stefani" wurden durch Agitator bekämpfte er das System, unter dem das italienische regeln, durch Betrügen des Volkes um seine staatsbürger- Dekrete vom heutigen Tage gleichzeitig in allen Provinzen sämmtBolt dahinfiechte; aber nicht nur demUntergange der herrschenden lichen Rechte, durch Kriegsgerichte und Ausnahmegesetze liche Vereinigungen, welche sich als sozialiſtiſche italienische Gewalten widmete er seine Kräfte, er suchte auch das Volk mit stüßen will, nicht von Bestand sein kann. Er hat auch Arbeiterpartei bezeichneten, aufgelöst, ebenso diejenigen Gesellder Hoffnung auf ein nicht bloß einiges, sondern auch freies und nichts gelernt von seinem Vorbilde Bismarck , dem er nachäfft. und Vereine, die, obgleich zu philantropischen oder wirthschaftschaften, welche eine Sektion solcher Vereinigungen bildeten, glückliches Vaterland zu erfüllen. Wer Crispi, den Jüng- Er wollte wie Bismarck durch den Kulturkampf die katholische lichen Zwecken gegründet, doch sich dem bezeichneten Parteiling und Mann gekannt hatte, und geahnt hätte, daß es Opposition niedertreten, es mißlang ihm wie Bismarck , programm zuwandten, welches zwischen den verschiedenen Klaffen diesem Kämpfer gegen die Unterdrückung Italiens durch denn die katholische Kirche und ihre politische Organisation der Gesellschaft Streit errege und Umsturzideen verbreite. Die den Papst, die Desterreicher und die Bourbonen einmal be- find heute gefährlichere Gegner des italienischen Staates, bis zum Nachmittag hier eingelaufenen Nachrichten befagen, daß schieden sein würde, die Geschicke Italiens vom Monte als zur Zeit, da der Papst sich im unbeschränkten Besitze die Auflösung der Vereine und die Haussuchungen bisher zu Citorio in Rom zu leiten, der hätte in der sicheren Hoff- Roms befand und der König von Italien noch in Florenz feinem Zwischenfall geführt haben. nung geschwelgt, daß Italien das Dorado der Meinungs residiren mußte; auch die Schutzzollpolitik des deutschen Ex- Ein später eingetroffenes Telegramm aus Rom meldet: freiheit, das Muster für alle Staaten werden würde, daß tanzlers ahmte er nach und Italien hat dadurch nichts ge- Verordnung über die Auflösung der sozialistischen Vereine. Die Depeschen aus allen Provinzen melden die Ausführung der die elende Polizeiwirthschaft gründlich ausgerottet, daß die wonnen als die Verfeindung mit allen Nachbarstaaten. Die Maßregel war überall vor 7 Uhr Abends ausgeführt. Kerker geschleift würden, daß die Freiheit und Gleichheit schwere Last des Militarismus legte Crispi dem schlagnahmt wurden Papiere, darunter mehrere wichtige Res vor dem Gesetze nirgends so vollkommen allen Bürgern ausgehungerten italienischen Volke gleichfalls nach gister und Abzeichen; bei den hervorragendften Mitgliedern gewährleistet würde, als in dem geeinten republikanischen seinem traurigen deutschen Muster auf. Und nun will er wurden Haussuchungen vorgenommen. Troydem gegen die Italien . das Bild ganz ausmalen, und auch die Politik Bismarc's Maßregel proteftirt wurde, kam ein bemerkenswerther Zwischengegen die Sozialdemokratie auf Italien übertragen. fall nicht vor. In Mailand wurden 55 Gesellschaften von der Nach den Hungeraufständen in Sizilien und Massa Konsulat. In den Provinzen Grosseto , Reggio di Calabria und Auflösungsmaßregel betroffen, darunter auch das ArbeiterCarrara gab Crispi mit Unterstützung der ganz herunter- Sardinien existiren keine sozialistischen Vereine und waren daher gekommenen italienischen Kammer dem armen Lande statt teine Auflösungen vorzunehmen; ebenso auf Sizilien und in der Brot ein Ausnahmegesetz. Zwei Fliegen sollten damit Provinz Massa Carrara , wo die in Frage stehenden Gesellmit einem Schlage getroffen werden: das Land sollte die schaften während des Belagerungszustandes aufgehoben wor Panama - Skandale, in die Crispi und seine Ge- den sind.
Es ist aber ganz anders gekommen, der feurige Republikaner wurde zum Fürstenknecht, der entschiedene Gegner des Papstthums, der Freidenker, der Bekämpfer der Bischöfe, Klöster und auch der niedrigen Geistlichkeit, sucht die Versöhnung mit dem Papstthum, der Mann, der für die Freiheit der Meinungsäußerung eintritt, strengt Preßprozesse an wie Bismarck in seinen ärgsten Tagen, er löst Vereine
Feuilleton.
Erinnerungen eines Kommunarden.
war verge blich. Ich wollte einige wenigstens als Tirailleure hinter dem Eisenbahndamm postiren, aber man verweigerte mir jeden Gehorsam.
Es stand gerade in der Nähe eine geheizte Lokomotive. Ich stieg in die Batterie mit einigen Artilleristen und 20 Nationalgardisten. Das große Marinegeschütz wurde geladen und die Lokomotive schob uns langsam über die Jch faßte die tolle Idee, mich allein tödten zu lassen, Brücke, während die feindlichen Geschosse rings um uns als ein junger Mann, der einem anderen Bataillon aneinschlugen. Wir kamen jedoch glücklich an der anderen gehörte, mich mit seinem Revolver bedrohte, weil er Seite von Asnières an, wo wir die Maschine unter glaubte, daß ich ein höherer Befehlshaber sei und, wie er einer kleinen steinernen Brücke in Sicherheit brachten. Unser sich ausdrückte, die Leute unnüz zur Schlachtbank geführt Geschütz wurde mehrere Male abgefeuert. Das Feuer der hätte. Versailler Truppen, welches bis dahin gegen die Brücke gerichtet war, um zu verhindern, daß Verstärkung zu uns gelange, nahm jetzt eine andere Richtung. Eine Kugel beschädigte sogar leicht unsere Lokomotive.
Aus dem Französischen von Jakob Audorf. Ich schickte deshalb einen Offizier nach Levallois- Perrat ab, uni Verstärkung zu verlangen. Man ließ ihn beim sogenannten Generalstab gar nicht vor. Empört darüber, bestieg ich ein Pferd und sprengte durch den Kugelregen, welchen die Mitrailleusen des Schlosses de Bécon herüberfandten, überdie Schiffbrücke.
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Sie sehen, daß wir hier berathen."
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" Ich führe kein Kommando," sagte ich ruhig zu ihm, ich bin ein Opfer wie Ihr. Aber wir dürfen nicht verzweifeln, und vor allem uns von einem panischen Schrecken beherrschen laffen. Helft mir vielmehr verhindern, daß die Menge sich kopflos auf die Schiffbrücke wirft, welche so schon überladen ist und jedenfalls unterfinkt."
Der junge Mann folgte mir zum Zugange der Brücke, um den Strom der Flüchtlinge aufzuhalten. Doch vergeba liches Beginnen. Wir wurden in den Strudel mit hinein. und unwiderstehlich fortgerissen. Andere versuchten über die Eisenbahnbrücke zu fliehen, doch da dieselbe halb demolirt, und zur Hälfte ohne Brüstung war, so fielen sie unter dem dichten Kugelregen der Mitrailleusen und ihre Leichname schwammen haufenweise die Seine hinab.
Ich bekümmerte mich nicht um das Verbot der Schild- Ich stieg ab, um mich mit meinen Leuten wieder in wache und stieg in die erste Etage des kleinen Hauses hinauf, Verbindung zu sehen. Hier stolperte ich beinahe über wo ich einige Leute fand, welche sich verblüfft über eine meinen Obersten, der mich jedoch von neuem verließ, um ausgebreitete Rarte anstarrten. Auch ein Mitglied der wie er sagte, aus Levallois Kanonen herbei zu holen und Kommune war anwesend mit einer kreuzweis übereinander auf den Feind einen Hagel von Geschossen niederregnen zu gelegten Schärpe. lassen. Dieser Hagel soll jetzt noch kommen. Mit einem Aufgeregt in dem Bewußtsein, die Verantwortung für Male sah ich einige Leute auf mich zueilen, die augenschein das Leben einiger Hundert braver Männer tragen zu müssen, lich sich auf der Flucht befanden. Sie theilten mir mit, rief ich: daß auch das andere Bataillon, welches bis jetzt unsere Es ist schwer bis zu Ihnen zu gelangen. Ich habe rechte Seite gedeckt hatte, während der Nacht gleichfalls mir fast den Eingang erzwingen müssen!" sich davon gemacht habe, ohne jemand von uns davon in Alle hätten gerettet werden können, wenn sie standhaft Kenntniß zu setzen. Meine Leute, welche sich dort gedeckt auf dem Schlachtfelde ausgehalten hätten und einiger glaubten, wurden von den Soldaten überrascht, die sich auf maßen mit Umsicht geführt worden wären. Erst nachdem einem Fußsteig durch das Gehölz geschlichen hatten und die Schiffbrücke wirklich nachgab und unter der schweren nun auf fünfzig Schritt Entfernung plöglich Feuer auf die Last auseinanderging, kamen die Leute wieder etwas zur Unsrigen gaben, von denen sofort eine Anzahl tödlich ge- Besinnung. Um sich den einzig möglichen Rettungsversuch troffen fielen. nicht ganz abzuschneiden, ging man ruhiger ans Werk, Ich hatte im Falle, daß wir der Uebermacht weichen stellte die Brücke wieder her und erst auf dem anderen müßten, wohl bedacht, uns eine Rückzugslinie offen zu Ufer war es möglich, die Mannschaften wieder in Reih und halten und meine Leute stürzten sich jetzt in wilder Haft Glied zu formiren und die Positionen wieder zu besetzen, in diesen schmalen Weg, der durch demolirte Häuser und welche der Feind gar einzunehmen gedachte. Männer mit durchbrochene Mauern führte, ohne meine Ordres abzuwarten. Tragbahren schleppten Todte und Verwundete durcheinander Ich folgte ihnen bis auf den Platz von Asnières , wo ver- fort in die Pariser Lazarethe. schiedene Abtheilungen aller Korps sich zusammen drängten. Am Abend langte ein Mann meines Bataillons an, der Wohl versuchte ich meine Leute wieder zu sammeln, aber es für die übrige Mannschaft in einem Hause gekocht hatte.
Sie berathen wie die Aerzte Molière's über das Schicksal eines Kranken, der gestern starb. Es ist keine Zeit zur Berathung, die Zeit dazu ist vorüber. Wenn Sie nicht schleunigst handeln, sind wir binnen zwei Stunden aufgerieben und die Versailler stehen vor den Thoren von Paris ."
Was rathen Sie zu thun?"
" Biehen Sie sofort die zerstreuten Bataillone zusammen und decken Sie meinen rechten Flügel, welcher binnen einer Stunde umgangen sein wird. Lassen Sie im Zentrum auf der Eisenbahn die gepanzerte Batterie vorgehen, welche hier nichts thut und uns auf der andern Seite von viel größerem Nuzen sein wird."