veranstaltet, zu der Karte» zu 20 Pfg. an folgenden Stellen zu haden sind: Donath, Pappel-Allee 3/4; Sctilewitz, Krem- menerstr, 3; Dinner. Mauteuffelstr. 19; Pethke, Dresdenerftr. 99; Waldcck Manasse, Orauienslr. 130; W. Noack, Reichenberger- straße 112; Thiedt, Weißenburgerstr. 57. Der Beginn der Matinee ist auf II Uhr angesetzt, Desgleichen hält der Fachverein der Klempner Nach- mittags 5 Uhr in Hoffmann's Festsälen. Oranienstraße 180 , ein in Konzert und'Tanz bestehendes Vergnügen ab, dessen lleberschup ebenfalls den Ausgesperrten zu gute kommen soll. Auf beiden Festen wird es nicht an zahlreichem Besuch fehlen. tteber daö Brhrittg'sche Heilserum sprachen dieser Tage die Mitarbeiter des Professors Behring , die Herren Dr. Paul Ehrlich und Tr. Bassermann im Hörsaale des Anatomischen Instituts. Professor Ehrlich trat der falschen Blättermeldung entgegen, wonach drei Kinder infolge der Wirkung des Heil ferums gestorben seien. Der aufsehenerregende Fall habe wesent- lich anders gelegen, als berichtet worden. Es seien nicht drei Kinder gestorben, sondern nur eines, und bei diesem sei der Tod auch nicht infolge der Jmmunisirung, sondern erst zu einem Zeitpunkte eingetreten, als diese die Wirkung bereits verloren haben mußte. Ausdrücklich wurde noch von Herrn Dr. Ehrlich betont, daß das Serum ge sunde» Kindern niemals schade. Dr. Bassermann erklärte, daß das Serum geeignet sei, das Diphlheriegift zu lokalisiren und die nicht angegriffenen Organe zu schützen. In frischen Fällen ver- sage das Serum fast nie; sämmtliche in Krankenhäusern aufgenommenen Kinder, die am ersten und zweiten Krankheitstage mit dem Serum behandelt worden seien, wären genesen. Aber auch im weiteren Krankheitsstadium habe diese Behandlung einen recht günstigen Erfolg aufzuweisen gehabt. Tie„Droschkenbesitzer- Verciniguilg, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht" dieses neueste phantastische Produkt snhrherrlicher Findigkeit zur Wahrung der Unternehmer-Jnteressen und Bekämpfung der Emanzipationsbestrebungen der Kutscher, fängt bereits an, nach dem sie kaum das Licht der Welt erblickt hat, recht sonderbare Lebenszeichen von sich zu geben und mit diesen den reaktionären Zweck ihres Daseins zu verrathen. In der jüngsten Sitzung dieser„Genossenschaft" konnte nämlich Herr A. S ch u n k e nicht umhin, seinem übervolle» Herzen ein wenig Luft zu machen und sein geheimes Wünschen zu verrathen. Weß Herz voll ist, deß Mund läuft bekanntlich über, und so bezeichnete er denn in Air betracht des Umstandes, daß die letzthin stattgehabten Ersatzwahlen der � Beisitzer zum Gewerbe» Schiedsgericht wieder zu Un« gunsten der Arbeitgeber ausgefallen seien, die Gründung eines eigenen Schiedsgerichts für die Genoffenschaft als eine der Aufgaben, welche diese zu erfüllen haben werde. Daß Herr Schunke hiermit nicht allein seinem eigenen Herzenswünsche Ans' druck verliehen, sondern auch den übrigen Herren Genossen schaftern aus der Seele gesprochen hat, darf wohl mit Sicherheit angenommen werden, denn es ist kein Geheimniß, daß ebenso wie anderen Unternehmern auch den Fuhrherren daS Gewerbe- Schiedsgericht ein Dorn im Auge ist und daß sie gar zu gern die Kutscher wie in früheren Jahren wieder unter ihre unbeschränkte Botmäßigkeit bringen möchten. Diese Trauben dürsten aber Herrn Schunke und Genossen denn doch zu sauer sein, denn wenn es auch leider den Innungen gestattet ist, eigene Schiedsgerichte für gewerbliche Streitigkeiten zu bilden— soweit sind wir denn doch noch nicht, daß dies auch Genossenschaften gestattet sein sollte. Die Herreu Droschkenbesitzer-Genossenschafter werden daher ihrer Herzen Ge- tlüste wohl bezähmen müssen. Aber auck Herr G r a s s o w halte etwas auf dem Herzen, was nicht minder auf die Tendenzen dieser Genossenschaft ein bezeichnendes Licht wirst. Er brachte Tiänckich den Antrag ein, eine Petition an den Herrn Polizei- Präsidenten wegen Einschränkung der Droschkeunummer-Ausgabe «inzurcichen. Und daß auch Herr Grassow den braven Droschkenbesitzer-Geuossenschaftern aus der Seele gesprochen datte, bewies die einstimmige Annahm« dieses seines Antrages. Und was bedeutet der Antrag bei Lichte betrachtet? Nichts weniger als eine Einengung der Gewerbefreiheit. So mancher Kutscher , de» die Fuhrherrn auf die schwarze Liste gesetzt hatten, erblickte sein letztes Heil darin, daß er es möglich machte, sich eine eigene Droschke anzuschaffen und als sogenannter„Einspänner" sich durch's Leben zu kutschiren. Nach den Wünschen der Genossenschaster soll aber eine Ver- mehrung der Droschken nicht mehr stallsinden. Jedenfalls be- absichtigt die Genossenschaft, den größtmöglichsten Theil der vor- handenen Droschken in ihren Besitz zu bringen, das Angebot von Droschken künstlich einzuschränken, sich dadurch zum Herrn der Situation zu machen, die Kutscher in ihre Leibeigenschaft zu bringen und den gesteigerten Profit schmunzelnd in die Tasche zu stecken. sFürwahr, der Gedanke ist nicht so übel, doch— zwischen Lipp' und Kelchesrand schwebt oft des Schicksals rauhe Hand! Es wird wohl dafür gesorgt sein oder werden, daß auch die Bäume der Droschkenbesitzer-Genosseuschaft nicht in den Himmel wachsen. Allergrößte Vorficht ist den Arbeitern bei Erörterungen mber Dinge, die auch nur entfernten Zusammenhang mit der Person irgend eines Fürsten haben, dringend anzurathen. Ein Fall möge das illustriren. Der Buchbinder S.. ein sehr thätiger Parteigenosse, kam am Vorabend der kürzlich stattgefundenen Fahnenweihe in einem Lokal in ein Gespräch mit einem un- bekannten Manne über den Werth des Militarismus, wobei er jedoch nur sachliche Gründe für seine Abneigung gegen diese Institution ins Feld führte. Der Unbekannte entfernte sich etwas erregt, als er Einsah, daß ihm sein Gegner auf ein anderes Gebiet aus gewissen Gründen nicht folgen mochte. Nach kurzer Zeit betrat jedoch ein Schutzmann das Lokal, und der in seiner Be- gleitung befindliche„Militärfreund" veranlaßte die Verhaftung des Arbeiters wegen— Majestätsbeleidigung, indem er sich als Kollege des behelmten Beamten vorstellte. Obwohl es in diesem Falle nicht allzu schwer sein wird, den Plan zu ver- eitel». eine berechtigte Kritik in die Beleidigung einer Einzelperson umzuwandeln, so legt doch der Umstand, daß dies überhaupt v e r s u ch t werden kann, gerade sehr nahe, sich die Personen, mit denen man Unterhaltungen pflegt, genau an- zusehen. Die Mahnung: Hütet Euch vor den Denunzianten! sollte nicht umsonst eine ständige Rubrik in der Arbeiterpresse bilden. Wieviel Arbeitsstuudeu hat ei» Tag? In dem Müll- abfuhr-Geschäst von Karl Scheller in der Müllerstraße wurde am Montag Morgen ein Arbeiter zu dem Tagelohn von 2 M. 80 Pf. eingestellt. Das Unglück wollte jedoch, daß der Man», der um 5 Uhr Morgens in seine neue Beschäftigung eingetreten war, um 11 Uhr plötzlich unwohl wurde und mit der Arbeit aufhören mußte. Er theilte dies dem Inspektor mit und bat um den Lohn, den er bis dahin verdient hatte.„Die Uhr ist jetzt elf," meinte der Herr Inspektor.„Sie haben mithin einen Vierteltag gearbeitet; hier sind Ihre 70 Pfennige." Dem Ar- beiter, der wohl wußte, daß der Tag im Kalender 24 Stunden hat, wollte es jedoch nicht einleuchten, daß der Ar- beitstag im Müllabfuhr- Geschäft gerade ebenso lange dauere; und er bat daher höflichst um eine kleine Verkürzung des Arbeits- tages und entsprechende Erhöhung des Lohnbelrages. Nach längerem Sträuben und Harren erreichte der Arbeiter es denn auch glücklich, daß ihm statt 70 Pfennig eine Mark gegeben wurde; ob man im Geschäft des Herrn Ccheller aber bereits von der Anrechnung einer 24 stündigen Arbeitszeit abgekommen ist, steht immer noch dahin. Antisemitisches. Eine betrübende Nachricht bringt die „Franksurter Zeitung": Die Böckel'sche Sondergründung, so schreibt sie, der„dentschwirthschaftliche Verband", ist am Sonntag wirklich zu stände gekommen. Hauptzweck desselben scheint zu sein, Böckel über Wasser zu halten, der, wie Gastwirth B o d e ck sin einer Versammlung sagte, sich und seinen„Reichs- Herold" kaum noch vor dem Gerichtsvollzieher schützen kann. Der „Reichsherold" wurde denn auch zum Organ des neuen Ver- bandes gemacht, ob er damit auch über Wasser gehalten werden kann, ist doch mehr als fraglich. Vielleicht versucht es der un- glückliche Böckel, nachdem ihm seine christlichen Gläubiger das Leben so sauer gemacht haben, zur Abwechselung einmal mit jüdischen Wucherern? Ein dreister Ranbanfall ist, wie nachträglich bekannt wird, am Sonnabend Abend auf dem Wege von Berlin nach Pankow verübt worden. Der 20 Jahre alte Elektrotechniker Willi Reinicke aus der Wollankstr. 135 zu Pankow hatte um 9 Uhr den Ringbahnhof Schönhauser Allee verlassen, um sich nach der mütterlichen Wohnung zu begeben. Unterwegs sprang ein Mann hinter einem Baum hervor, griff nach Reinicke's Taschenuhr und rief drohend ans „Gieb die Uhr her oder ich steche Dich nieder." Als der Angegriffene Lärm schlug, sah er in der Hand des Räubers ein Messer, das nach seinem Kopf geführt wurde. Es wurde aber nur der Hut durchstochen. Als sich aus grund der Hilferufe von einem Pferde- Eisenbahnwagen her mehrere Per sone» näherten, entfloh der Thäler über die Felder und entkam. Erschossen aufgefuiiden wurde am Mittwoch Morgen um 9 Uhr durch den Förster Bünger im Thiergarten bei der Schutz- mannsbrücke ein Mann, der einen mit dem Namen„Gastwirth Karl Klähnhammer" beschriebenen Zettel bei sich trug. Ans einem Revolver hatte er sich«inen Schuß in die linke Schläfe beigebracht. Tas Schicksal moderner Prachtbauten. Im Wege der Zwangsvollstreckung stand gestern der von der Kommandit - gesellschast Sönderop u. Co. erbaute„Friedrichsdos", Kochstr. 16 und 17 und Friedrichstr. 41 und 42 zur Versteigerung. Ersteher wurde der Bankier Adolf Schwabacher hier, Linkstr. 5, sür das Meistgebot von 2,870 000 M. Die erste Hypothek der Preußischen Bodenkredil-Aktienbank lief mit 2 800 000 M. aus. Tas Eiseubahngeleise, das vom Schlesischen Bahnhof nach der Gasanstalt in der Gitschinerstraße führt und durch die Skalitzerstraße geht, ist dem Fuhrwerksverkehr schon oft hindev lich geworden. Auch am Donnerstag Vormittag lag wieder ein schwieriger Fall vor. Ein mit Preßkohlen beladener Wagen war um IvVe Uhr am Kottbuser Thor mit den beiden rechtsseitigen Rädern in dem Schienengeleise so fest sitzen geblieben, als ob er angenagelt gewesen wäre. Alle Versuche, das Fuhrwerk flott zu machen, blieben längere Zeit erfolglos. Der Pferdeeisenbahn- Verkehr, der die auf jenen Strecken breiteren Schienenrinnen mit- benutzt, erlitt durch das Hinderniß eine Stockung. Ter frühere Nachtwächter Karl Reichelt in Wilmersdorf hat sich gestern früh in seiner Wohnung erhängt. Neichelt hatte in der letzten Zeit viel mit Nahrungssorgen zu kämpfen. Seine Frau befindet sich in der Privat-Jrrenanstalt. Werthsache» im Betrage von 10 000 M. sind einem hiesigen Goldwaaren-Reisendeu gleich nach seiner Ankunft in Frankfurt a. O. entwendet worden. Derselbe war eben erst mit dem Zuge ans Berlin eingetroffen und übergab sein Gepäck, darunter einen Koffer mit Goldsachen, dem Tiener eines dortigen Hotels, der mit dem Hotelwagen auf dem Bahnhofe auf Gäste wartete. Der Mann will nun den Koffer sofort in den Wagen hineingestellt, sich aber nochmals von demselben entfernt haben. Im Hotel angekommen, wurde der Koffer mit dem werthvollen Inhalte vermißt. Von dem Thäter fehlt jede Spur. Tie Straße„Am ReichstagS-Ufer" wird an der Friedrich- straße behuss Baues einer Noihbrücke für die Weidendammer- brücke vom 2. November d. I. bis aus Weiteres für Fuhrwerke und Reiter gesperrt. Polizeibericht. Am 31. v. M. Vormittags wurde im Thiergarten, beim Neuen See, ein Mann mit einer Schußwunde im Kopfe todt vorgefunden. Es liegt unzweiselhaft Selbstmord vor.— In der Linienstraße erlitt eine Frau infolge eines Fehl- tritts einen Knöchelbruch.— Im Laufe des Tages fanden vier kleine Brände statt. WitternngSiiberficht vom 1. November 1804. Wetter-Prognose für Freitag, den 2. November 1894. Ziemlich heiteres Melier mir frischen südöstlichen Winden, etwas kälterer Nacht und wenig veränderter Tagestemperatur; keine oder unerhebliche Niederschläge. Berliner Wetterbureau. TTzeetkev. Lesfing-Theater. Die Kugel. Schauspiel in fünf Aufzügen von Max Nordau . Mensch, überhebe Dich nicht! Mit dieser servilen Philisterweisheit schließt der Mann der kon- ventionellen Lügen sein neues Werk ab, das am Mittwoch einem verehrungslüsternen Publikum präsenlirt wurde. Schlagfertig und sicher zeigte Herr Nordau . daß es vom Uebel ist, wenn der Niedriggeborene aufgepäppelt wird von vornehmen Gönnern und in Kreise hineindrinat, die ihm von Gottes und Rechts wegen immer verschlossen bleiben sollten. Ekles Slreberihum offen- barl sich dann in dem Freigelassenen und selbst vor ge- meinen Verbrechen scheut der aufgestachelte Ehrgeiz des Emporkömmlings nicht zurück, wie das Beispiel des Rechts- anwalts Dr. Sickard zeigte, des traurigen Helden der Nordau- .che» Muse. In dem Sohn ihres Hauskutschers hatte die Frau von Olberode einen Narren gefressen. Sie hatte dafür gesorgt, daß er, der aufgeweckte Junge, aus der ackerbürgerlichen Luft herauskam auf die Universität und in Berlin ein Mann wurde, der sich sehen lassen konnte. Aber kein Glück kann rein genossen werden; zwar unser Rechtsanwalt geberdet sich zwar sehr keck und 'elbstbe wußt und bringt es durch seine ausstrebende Forsche sogar zu einer konservativen Reichstags- Kandidatur; aber die eigentlichen Ehren, die den Mann von Stande zieren, bleiben ihm verschlossen. Er schleppt seine niedrige Geburt gleich einer Kugel am Bein herum und kann als Sohn des Kutschers und der Dienstmagd weder Reservelieutenant noch unumschränkter Landrath werden. Aber er will aufwärts und tößt daher mit roher Gewalt Mutter und Jugendgeliebte zurück. um sich bei einer adligen Dame, die er glücklich von ihrem Ehe- lesponst befreit hat, warm ins Nest setzen zu können. Aber das Lerhängniß bricht bei dieser Vermessenheil prompt herein. Es kommt zur rechten Zeit ans Licht: erstens, daß der Streber in der That einen Kutscher zum Vater hatte. Die Folge ist ein Durchfall bei der Reichstagswahl(!). Zweitens, daß er Mutter, Geliebte und Kind elend verstoßen hat. Die Folge ist die Auf» lösung der adligen Verbindung. Drittens aber kommt heraus, daß die konservativen Wahlkosien von 15 000 Mark aus dem Vermögen der Verlobten, das vom geliebten Streber verivaltet war, entnommen worden sind. Die Folge wäre beinahe Plötzensee gewesen, wenn die zurückgestoßene Mutter nicht durch ihr rüdrendes Benehmen das Herz der beinahe durch eine plebejische Verbindung befleckten Aristokratin gerührt und im Nu den kalten, berechnenden Sohn zu einem pflaumenweichen E»(Jel umgewandelt hätte. Der zu christlicher Demuth zurückgeführte junge Mensch nimmt Mutter, Jngendgeliebte und Kind unter de» Arm und beschließt, aus Deutsch - lnnd auszuwandern, um in einem Lande, wo man ungestrafter auf- wärts streben kann, ein neues Leben zu beginnen. Zu dieser mit kummervollster Philistermoral durchtränkten Handlung klatschte das sonst so skandalsüchtige Premierenpublikum in angeinesseuer Rührung Beifall. An jedem Aktschlüsse wurde der Zlutor heraus- gerufen; dankend nahm er davon Notiz, daß auch im Zeitalter wilder sozialer Gährung immer noch ein Garlenlaubenzirkel sriedsam-froh gedeiht. Unter de» Mitwirkenden, die dem Stück, voll doktrinärer Oede Leben einhauchten, ragte namentlich Frau von Pöllnitz als Mutter Sickart hervor. Es war«in Bild von prächtigster Ab- tönung, das sie in ihrer schwere» Rolle vorführte. Gerirfcks-jZetkmlij. Ein eigener Unstern schwebt über den Verhandlungen des S ch w ur g e ri ch ts am Landgericht I, welches zur Zeit unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Funke tagt. Vorgestern sollte eine umfangreiche Anklage wegen Vergehens gegen keimendes Leben gegen mehrere Personen verhandelt werden, zu welcher eine große Reihe von Zeugen geladen war. Eine der An- geklagten, eine Frau Marschall von S o l i ck y machte die Ver- Handlung unmöglich, da sie anscheinend von religiösem Wahn- sinn befallen war. Sie fing plötzlich an, den Gerichtshof init salbungsvollen Worten zu apostrophiren und stellte mit er- hobener Stimme dem Vorsitzenden in Aussicht, daß er im Himmel eivige Strafen erleiden würde, wenn er es wagen ivürde, gegen sie etwas zu i unternehmen. Der mit frommen Worten durchsetzte Redestrom der Augeklagten war nicht zu dämmen und es blieb dem Gerichtshof nichts übrig, als die Verhandlung zu vertagen und einen Sachverstän- digen damit zu betrauen, den Geisteszustand der Angeklagten zu untersuchen.— Auch der gestrigen Verhandlung stellten sich un- erwartete Hindernisse entgegen. Die Anklage wegen vorsätz- licher Brand st ist ung richtete sich gegen eine Frau Löwenthal. Dieselbe ist s. Z. auf die Anzeige einer Frau Dabergotz wegen eines gegen die Versicherungs-Gesellschaft„Vik- loria" verübten Betruges zu 2Vz Jahren Gefängniß oerurlheilt worden. Auch in der jetzigen Anklagesache wegen Brandstiftung war die Dabergotz die Angeberin, gerade sie fehlte aber bei dein Aufruf der Zeugen. Es wurde festgestellt, daß sie inzwischen wegen verschiedener Strafthaten verschwunden ist und steckbrieflich verfolgt wird. Da ohne diese Zeugin nicht verhandelt werden konnte, mußte auch dieser Termin vertagt werden. Rechtsanwalt Dr. Fr. Friedmann theilte übrigens mit, daß er in der Betrugs- fache, in welcher die Angeklagte zu 2k Jahren Gefängniß ver- urlheilt worden ist, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Ver- fahrens gestellt hat. „Bruderliebe?" Das letzte Kapitel eines überai s HSß- lichen Erbschaftsstreites spielte sich heute vor der ersten Straf- kammer am Landgericht Hab. Durch seinen leiblichen Bruder war der Furagehändler Karl Wilhelm Wegener aus Charlotten bürg wegen fahr- lässigen Meineides denunzirt worden und hatte sich nun dagegen zu verantworten. Aus Wunsch seiner ver- storbenen Mutter hatte der Angeklagte deren Fourage- geschäft übernommen, doch sollten die noch eingehenden Außenstände aus der Zeit vor dem Tode der Mutter zu dein gemeinschafilichen Erbe der sämmtliche» Geschwister fließe». Der Angeklagte hat nun auch sämmtliche Eingänge angegeben und wo er die Summe nicht genau wußte, hat er sogar einen höheren als den wirklich empfangenen Betrag zu der Masse ge- bracht. In einem Falle jedoch behauptete der Bruder, der An- geklagte habe mehr Geld empfangen als angegeben. Es handelte sich um den in Konkurs igeralhenen Kunden Engelbrecht. Der Bruder trieb den Augeklagten in derErbschnftsregulirungssache zum Eide . Wegener beschwor, nicht mehr als angegeben erhalten zu haben, der Bruder ließ de» Bruder ruhig schwören und lief dann zum Staatsanwalt mit der Anzeige wegen fahrlässigen Meineides. Er halte sich das in Engclbrechl's Besitz befind- liche Anschreibebuch verschafft, welches für die Erben noch ein Plus von 12 M. ergab. Nun vermochte aber der Vertheidiger, Rechtsanwalt Schmilinsky, vor der Strafkammer die völlige Un- schuld seines Klienten»achzuweisen. Die Frau des Kunden Engelbrecht vermochte sich zu erinnern, daß die streitigen 12 M. noch gar nicht an Wegener bezahlt worden seien. Letzterer hatte sich um diese noch außenstehende Forderung nicht mehr gekümmert, dieselbe vielmehr kurzer Hand in den Schornstein geschrieben, da bei dem falliten Engelbrecht doch nichts zu holen war. Unter diesen Umständen erkannte der Gerichtshof dem Antrag« de» Verlheidigers gemäß auf Freisprechung. Ei» Idyll aus dem Thiergarten beschäftigte gestern die IV. Strafkammer hiesigen Landgerichts I. Ein von ausivärts hier angekommener Schriftsetzer promenirte eines Tages im Thiergarten und nahm die Sehenswürdigkeiten desselben in Augenschein. In der Gegend des große» Sterns gesellten sich drei junge Leute zu ihm, die augenscheinlich gleichfalls eine Reise durch Berlin machten. Der Schriftsetzer erfuhr so- fort eine traurige Geschichte über die Verderbtheit der Menschen, denn der eine seiner neuen Freunde er- zählte, daß er soeben erst aus Hamburg angekommen sei und daß man ihm hier in der Eisenbahnhalle sein Portemonnaie ge- stöhlen habe. Zu seinem Glück hatte der Bestohlene aber noch ein güldenes Ringelein an seinem Finger, dessen Werth der Be- dauernswerthe in allen Tonarten vries. Der Ring sollte au- geblich von seinem Großvater stammen und ihm durch Erb- schaft überkommen sein. Er erklärte, daß er schweren Herzeus daran gehen müsse, den Ring zu veräußern und wenn er auch nur 3 Mark dafür bekäme. Der Schriftsetzer wurde kauflustig und sein Schicksal war besiegelt, als ein unter den Dreien befindlicher angeblicher Goldarbeiter es für einen Wahnsinn ausschrie. einen so werthvollen Ring für 3 M. zu verkaufen. Der Schriftsetzer ging aus den Kauf ein, zahlte das Geld und das Kleeblatt verschwand. Nach dem Urtheil eines Sachverständigen hat der unechte Ring einen Werth von 15 Pf. Leider ist es nur gelungen, den angeblichen Goldarbeiter in der Person des Kellners Max Knappe zu er- mittel«. Eine Vorstrase desselben bewies, daß er ein professions- mäßiger Ringnepper ist und der Staatsanwalt beantragte aus diesem Grunde 1 Jahr 6 Monate Zuchthaus . Der Ge- richtshof verurtheilte den Angeklagten zu IJahr 3Monaten Gefängniß. Ein alter Schwindel, den der Tapezirer Paul Ziehe ausgeübt hat, gelangte gestern zur Kenntniß der VII. Straf- kammer des Lanogerichts I. Ziehe wurde im Juli d. I. aus dem Zuchthause zu Brandenburg entlassen, wo er vier Jahre sechs Monate zugebracht hatte. Er hatte dort einen Mitgefauge- nen kennen gelernt und von demselben die Wohnung von dessen Ehefrau in Berlin erfahre». Kaum auf freiem Fuße,«lachte der Augeklagte der Frau einen Besuch. Er stellte sich als Werkmeister im Zuchlhause zu Brandenburg vor, der ihren Mann gut kenne und in der Lage sei, demselben heim- lich Lebensmittel zuzustecken. Die Frau verstand den Wink, si- gab dem Besucher 3,50 M., das gesammte baare Geld, welches sie besaß. Von ihrem Ehemann erfuhr sie später, daß sie be- 'chwindelt worden sei. Auf grund ihrer Personalbeschreibung gelang es, den angeblichen Werkmeister in der Person des Au-
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