tu* IM ♦ 38. Iahtgang
Sonntag, H.März 192?
a
GroßSerlw Mehr Vertrouen auf Berlins Zukunft! Eme Mahnung des Oberbürgermeisters. Zu den Angriffen der rechtsstehenden Parteien gegen die Ver- waltnng der neuen Stadtgemeinde Berlin äußert« sich gestern Ober- bürgermeister B ö ß in einer Besprechung mit den Bertretern der Presie. Er wies dos in den eben eingemeindeten Vororten des Westens schon beginnende Geschrei„Los von B e r l i ni" zurück, wie tit es bereits in der Stadtoerordnetenversawmlung geton hotte. Diese Ausgemeindungsbeftrebungen seien nur auf eigennützige Be- weggründ« zurückzuführen. Die neue Gemeinde wird, führte Böß aus, durchaus fähig sein, die ihr zugewiesenen Aufgaben der Verwaltung zu leisten. Seit Monaten ist, zum Teil noch unier dem alten Magistrat, die Uebernahme vorbereitet worden. Wir können aber in der allgemeinen Verwaltung nicht viel tun. bevor die Bürgermeister der Lerwal- tuugsbezicke ihr Amt angetreten haben. Daß dies bisher noch nicht geschehen konnte, liegt nicht an Berlin ,»haben wir erst das erreicht, dann wird die Organisation des neuen Berlin vorwärts schreiten, und ich hoffe, daß gute Arbeit geleistet werden wird. Der Oberbürgermeister wies auf die neue Stadtrechnungskam- mer hin, die mit Fachleuten aus den verschiedenen Verwaltungen besetzt fem wird und die gewonnenen Erfahrungen zur Revision der Verwaltung nutzbar machen soll. Sodann sprach der Oberbürgermeister über die Finanzlage Berlins , die er auch in einer den Stadtverordneten soeben über- reichten Denkschrift eingehend behandelt hat. Unter finanziellen Schwierigkeiten leiden jetzt noch dem Kriege alle Städte, und auch Fehler find überall gemacht worden. In Berlin war die Wirkung stärker, well hier eine zahlreiche Jndustriebevölkerung sich zusammendrängt. Die Ernährungsschwierigkeiten wurden hier härter empfunden, die Not wuchs, rascher— und das hat auch auf die Stadtverwaltung seinen Einfluß ausgeübt. Ich glaub« aber, daß Berlins Kredit unerschütterlich ist. Das kann gar nicht angezweifelt werden. Gegenüber einer Schuldenlast von 4% Milliarden sind Werte vorhanden, die ein Mehrfaches dieses Betrages darstellen. Berlin hat auch dem Reich K00 Millionen Mark erstatiungsfähige Kriegsausgaben vor- schießen müsien. Seit jetzt vier Monaten ist die schwebende Schuld nicht wieder gestiegen. Der Oberbürgermeister wies daraus hin, daß für Licht, Kraft.usw. in vielen Großstädten höhere Preise als in Berlin genommen werden. Berlin habe diese Einnahmequellen noch nicht so wie andere Städte beansprucht, und dasselbe gelte für die Grundsteuer. Andererseits müsse man aber auch unnötige Ausgabe» vermeiden. Er sei fest überzeugt, daß der Magistrat das tun wird. In der anschließenden Erörterung wandt« sich Oberbürgermeister Bäh nochmals gegen die.Los-van-Berlin"-Bewegung der weft- lichen Dororte. Den Bewohnern dieser Vororte sei der Wohl- stand zumeist aus den Arbeitsstätten der öst- lichen und nördlichen Bororte zugeflossen, also aus dem größeren Berlin , dem sie sich jetzt entziehen wollen. __ €ia teures kußchea. Eigenartige Vorkommniste in dem Bureau der Berliner Stadl- synode lagen einem Beleidigung.?vro�n üngrunde. welcher gestern unter teilweiiem Ausschluß der Oeffentlichkeit die Berufungssiraf- kammer des LandgerichiS I bejchäsligte. Als Kläger irai der vom R.-A. Dr. I. Abraham vertretene Bureaudiener Alexander Fiebig gegen den vom R.-A. Seidel veiteidigien stöberen Bureaudirektor der Stadtilinode Loui« Oehmke out, der schon mehrfach in der Oeffentlkchkeit von sich reden gemacht hatte.— Der Angeklagt« Oehmke war wegen tätlicher Beleidigung der 17jährigen Tochter fdffS Angeklagten vom Schöffengericht-rnSst Mark Gelbst r a t,"-nter Zugrundelegung folgenden Sachverbalts verurteilt worden: Der in Mühlenbeck wohnhafte Oehmke schlief häufig in dem Bureau der Stadisynode in einem dort aufgestellten Feldbett und ließ sich dann des Morgens von der Tochter de» Kläger » den Kaffee an fein Bett bringen. Bei diestr Gelegenheit zog O. nach
der eidlichen Aussage des Mädchens dieses zweimal auf sein Bett und küßte eS gegen seinen Willen. — Gegen die Glaubwürdigkeit de; Mädchens wurden allerlei Bedenken vorgebracht, deren Richtigkeit jedoch von: R.-A. Dr. I. Abraham bestritten wurde. Gegen daS obenerwähnte Urteil hatten beide Parteien Berufung eingelegt. Nach längerer Verhandlung kam folgender Vergleich zu- stände: Der Angeklagte bestreitet nach wie vor, der Tochter und der Esefrau de§ Klägers in ihrer weiblichen Ehre zu nahe getreten zu fein. In jedem Halle bedauert er die Vorkommnisse und zahlt an den Privaikiäge.' eine Buße von 15 0 0 M. und übernimmt die Gerichte kosten. Die übrigen Kosten trägt, jede Partei für sich.
v!e Mstimmung in Gberjchlesien. Der Deutsche Schutzbund für die Grenz- und Ausländsdeutschen hielt im Hotel„Prinz Albrecht" eine Versammlung ab, in der über die Vorbereitungen für die Abstimmung in Oberfchlesien beachtens- werte Erklärungen abgegeben wurden. Redner waren die Herren Grieger, Schmäckel und von Drechow . Die sehr umfangreichen Vor- bereitungen sind vom Deutschen Schutzbund, Berlin , den verewigten Verbänden heimattreuer Oberfchlesisr und dem Deurfchen Plebiszit- kommiffariat(Kattowitz ) getroffen worden. Die Hauptbeförderung der Stimmberechtigten wird programmäßig mit 250 Soirderzügsn bewerkstelligt werden, mit denen 150000 bis 200 000 Personen zu befördern sind. Bon Berlm werden 59 Züge, und zwar 40 vom Schlesifchen und 19 vom Görlitzer Bahnhof abgelassen. Die Züge werden nach verschiedenen Punkten in Oberschlesien geleitet. Außer- dem finden noch Beförderungen mit Zügen des öffentlichen Verkehrs statt. Verpflegung ist nur für die Sonderzüge vorgesehen. Zur Speisung der Fahrgäste ist für morgens, mittags und abends je eine Pause festgelegt worden. In Verlin wird der Magistrat Fürsorge für die nötige Verpflegung treffen. Außer warmen Speisen sollen, je nach der Abfahrtszeit, auch Kaffee und kalle Speisen sowie Liebes- gaben verabfolgt werden. Es ist alles geschehen, was dazu dienen kann, den Stimmberechtigten die Reise so bequem als möglich zu machen. Nach den Vorbereitungen wird sich die Reise festlich ge- statten, und es soll auch in jedem Zuge ein Musikkorps mitfahren. Zur Leistung von Hilfsdiensten werden Jugendorganisationen heran- gezogen, auch der Vaterländische Frauenverein hat sich zu 5)ilfs- diensten bereit erklärt. Zur Speisung sind 120 000 Eßnäpfe und ebensoviel Löffel beschafft worden. Bemerkenswert dürste sein, daß am Bahnhof in Breslau eine Schneiderwerkstätte eingerichtet wird, um nötigenfalls Ausbesserungsarbeiten an beschädigten Kleidungs- stücken vorzunehmen. Für Berlin kommen etwa 41 000 Stimmberechtigte in Frage. außerdem noch für die sonstigen Teile der Provinz Brandenburg rund 13 000. Da die ersten Züge hinsichtlich der Verpflegung und auch der Unterkunft mehr Bequemlichkeiten bietst, werden dst Stimmberech- tigten gut tun, möglichst diese Züge zu benutzen. Keiner möge sich durch falsche Sllarmnachrichten, die oft geflissentlich verbreitet werden, von der Reife abhalten lassen. An die Presse richtet der Deutsche Schutzbund die Bitte, derartige Nachrichten einer gründlichen Prü- fung unterziehen zu wollen. Der Schutzbund hat jetzt im Schloß Bellevue auch einen Nachtdienst eingerichtet. Fernsprecher: Zentrum Nr. 422. 425 und 426. Einbruch tu den Schlacht- und Viehhof. In der vergangenen Nacht ist aus dem Schlachthof an der Ecke der Landsberger und Hansburgstraße in ein Stallgebäude ein- gebrochen worden. Die Täter sind vom Schlackihof aus auf das Stalldach gestiegen, haben aus zwei oberen Lichtfenstern zwei Scheiben herausgebrochen und sich mit Stricken in das€ tallgebäude binuntergelasien. Die Täter stahlen vier Zentner Rind- und Schweinefleisch und entfernten sich auf demselben Wege, auf dem sie gekommen waren. Der Vorgang ist von Passanten gesehen worden. Zeugen weiden gebeten, sich beim Polizejamt Friedrichs- Hain I, Kriminalbezirk, zu melden.
Wieder zwei Stadtverorduetenstttuugeu! Auch für diese Woche sind zwei Sitzungen der Stadtverord- netenveriammlung am Dienstag und Donnerstag anberaumt. Die Dienstagsitzung wird ausschließlich von der Beratung des HauS- haltsplanes, für 1920 und von der allgemeinen Besprechung der Berliner Kommunalpolitik ausgefüllt werden. Die Anberaumung von-Doppelsitzungen ist auch auS dem Grund« erforderlich, weil die Tagesordnungen der Stadtverordnetenversammlung durch die Auf- nahm« von Vorlagen aus den früheren Bororte« stark anschwellen, und zwar solcher Vorlogen, die die Zuständigkeit
der Uebergangsdeputatio» überschreiten. Es handelt sich hierbei um Angelegenheiten, die eigentlich von den Bezilksvetsammlmtgen und Bezirksämtern erledigt werden müsien. Da die Be- zirksämter aber noch nicht in Tätigkeit getreten find, muß die Stadtverordnetenversammlung die Erledigung dieser örtlichen Vor- logen Übernehmen. In der Tagesordnung der Sitzungen in der nächsten Woche sind an solchen Vorlagen z. B. zu verzeichnen; Bewilligung von Mitteln für die Anfuhr von Brennholz für Schwer- kriegSbeichädigte in Spandau , von 71100 Di. Teilkosten euic-S Brandschadens im WirlSgebäude deS'Schiller-Theaters in Ebor- lottenburg, Verkauf eines Grundstücke» in Schöneberg an der Eck« der Jnnsbrucker und Freiherr-vom-Stsin-Straße, Her- siellung eines vereinSzimmers im Ratskeller in Schmargendom und Ankauf eines Grundstücks in T e g e l.— Fusolge der vieliaro notwendig werdenden Ueberweisung von Vorlagen an AuSichüsi.� aber auch infolge von Anträgen häufen sich auch die Ausschuß. sitzungen. So tagen in der nächsten Woche nicht weniger als sieben StadtverordnetenausschLsie._<"■ Ter Geueralsteuerdirektor. Der Magistrat wählte den Stadtrat mid Kämmerer Dr. Lange in Schöneberg zum Leiter der Steuerverwaltung der neuen Stadt- gemeinde Berlin mit der Amtsbezeichnung Generalsteuerdirektor. Dr. Lange ist feit Dezember auch als Magistratskommiffar des Stenerwesens der neuen Stadtgemeinde Berlin tätig.
Eine neue Huudeftcuerorduttug. Der Magistrat hat der Stadtverordnetenversammlung den Ent- Wurf einer Hundesteuerordnung zugehen lassen, der gegenüber der
für den dritten Hund. Jeder weitere Hund ist nicht mehr mit 50. sondern mit 100 M. zu versteuern. Bei den Steuerbefreiungen ist die EinkommenSgrenze von 8000 M. auf 12 000 M. erhöht. Die Steuerordnung tritt am 1. Apnl in Kraft. Die Sleuerordnungey der bisherigen Vorortgcmeinde» werden damit aufgehoben. Wiedereröffnung deö Oderberger-Straffe-Bades. Nach längeren Bemühungen und Versuchen ist eS endlich gelungen. demnächst wenigstens einen Teilbetrieb in der Bad» anstatt Lderberger Straße, die in einer hauptsächlich von.Arbeite: familten bewohnten Stadtgegend liWl, aufzunehmen. Die Haupi- schwierigkeilen, die sich dieier von der zuständigen städtischen Vrn- walinng längst geplante» Maßnahme entgegenstellten, bestanden in den Bestrebungen gewisser Kreis«, zunächst eine andere Anstatt, und zwar in einer Sladtgegend. die nicht solche gedrängt wohnende Kleinbevölkerung, dagegen mehrere in nicht allzu großer Enlseruung liegenSe öffentliche Badeanstalten hat. eröffnet zu sehen. Weiler« crbebiiche Schwierigkeiten mochte die Beschaffung des nötigen Heiz- Materials. Betriebsrat und Arbeiterschaft haben die Be- strebnngen der städtischen Verwaltung zur Ileberwindung der ent- gegenstehenden Schwierigkeiten nach Kräften unterstüizt und die do.- durch verursachte Mehrarbeit willig aus sich genommen. ES i'V aber erforderlich, daß bei Benutzung der Wannen- und Braust- bäder nur soviel Warmwaffer verbraucht wird, als zur Befriedigung des BadebedürsnisseS durchaus notwendig ist. Gespart werden kann beim Abbtausen, daß nur während des Abseiiens deS Körper» er-- forderlich ist. und bei den Wannenbädern, indem mein'die Wannest nicht so vollsaufen läßt, als dies in der Vorkriegszeit Mich war. � Hierdurch wird den Heizern, die mit den sehr knapstest und dabei. schlechleii Brennstoffen schwer zu arbeiten haben,»M ständig Ichs Warmwaffer zu schaffen, die Ärbei't erleichtert und diS'Wohltgli.d-stst Badend kommt ,nehr Mitmenschen zugute. 1** � Der Betriebsrat bittet daher alle Badegäste, ihn' in seinen: Bestreben zum Nutzen oller Teile nach Masten zu unterstützen und die Anforderungen an die Wasserinengen nach Mögiichkett bis zur völligen Beseitigung der Brennstoffnot herabzusetzen.
Einen schaurigen Fund mochte gestern der Magisstatsbeamte Hermann Schmidt. Als er die Bedürfnisanstalt am Hersurthplatz betrat, sah er zu seinem Entsetzen zwei Männer tot am Boden liegen. Er benachrichtigte die Selchaw-Wache, welche die beiden Leichen so- fort abholt« und die Kriminalpolizei benachrichtigte. Die Toten wurden festgestellt als der LOjöhrige Hausdiener Otto Hack aus Reu- kölln und der 2Zjährige Händler August Höhne, desien Wohnung noch nicht ermittelt werden konnte. Die Todesursache ist noch nicht bekannt.
„ Slwe Menschenkind. II. Mütterchen.' Von Martin Anders« Neri. Erst als«r ganz außerhalb der Stadt war und der kalte Morgenwind seine Stirue traf, fiel ihm Sörine ein. Der Umfang seiner Niederlage kam ihm zum Bewußtsein, und er brach in Tränen aus. Ein wunderliches, unbeholfenes Schluchzen kam irgendwoher aus seinem Innern herauf und drohte, ihn aus dem Wagen zu werfen. Unterwegs machte er am Rande eines Waldes halt— tust so lange, bis der große Klaus etwas in den Wanst be- kommen hatte. Er selbst verspürte keinen Hunger. Dann war er wieder auf der Landstraße und fiel in sich zusammen. während der Radau des Abends summend durch seinen Kopf wirbelte._. An einer Stelle kam eine Frau gelaufen.„Las Peter! rief sie.„Las Peter!" Der große Klaus blieb stehen. Lars Peter erwachte mit einem Ruck. Ohne ein Wort wühlte er in der Westentasche, reichte ihr den Reichsort und peitschte wieder auf den Gaul los. Ein gutes Ende vor seinem Heim kam ihm ein Haufen Kinder auf der Landstraße entgegen. Stine hatte sie nicht länger bändigen können, es fror die Kleinen, und sie weinten. Lars Peter nahm sie zu sich auf den Wagen, und sie krochen auf ihm herum und plauderten um die Weste. Cr antwortete ihnen nicht. Sstne faß still da und behiest ihn von der Seite Im Auge. Als er beim Esten war, sagte sie:„Wo hast du denn die Sachen, die du für mich kaufen solltest?" Er sah verwirrt aus vnd fing an, irgend etwas zu stammeln— eine Ausflucht— stockte aber. „Ging es Muster gut?" fragte Sstne. Er tat ihr leid. und sie gebrauchte absichstich dos Wort Mutter, um ihm eine Freude zu bereiten. . Eine Weile saß er da und bewegte das Gesicht seltsam. Dann legte er den Kopf auf die Artne hinab. 4, MütterchenStine. Während der ersten Tage sprach Lars Peter von nichts. was mit der Fahrt zusammenhing. Ab« Sstne war all genug, sich alles zusammenzureimen. So viel war leicht zu
verstehn: er hatte nicht ausgerichtet, was er vorgehabt hatte. Sörine haste er aus irgendeinem Grunde nicht zu sehen be- kommen, das begriff sie, und Geld hatte er nicht bei sich, als er nach Haufe kam. Das hatte er also durchgebracht— wahrscheinlich vertrunken. „Nun wird er sich vielleicht aufs Saufen verlegen, wie Iohansen und die andern hier rings in den Hütten," dachte sie resigniert.„Dann kommt er wohl wie die anderen betrunken nach Hause, schimpft darüber, daß nichts zu essen da ist— und schlägt uns." Sie war auf das Schlimmste vorbereitet und behielt ihn im Auge. Aber Lars Peter kam brav wie zuvor nach Haufe! Er kam sogar früher nach Hause als bisher: er sehnte sich nach seinem Heim und den Kindern, wenn er draußen war. Und wie früher legte er offen Rechenschaft darüber ab, was er ein- genommen und was er ausgegeben hatte. Er hatte die Ge- wohnheit, mit seiner großen Faust das Ganze aus der Hofen- lasche herauszunehmen und auf den Tisch zu schütten, so daß sie eo gemeinsam nachzählen und Pläne machen konnten, und das setzte er fort. Aber ein Schnaps zum Esten war ihm jetzt willkommen! Sörine haste ihm den nie gegönnt: so etwas fand sie zwecklos, das Geld konnte bester angewendet werden. Stine gönnte ihm den Schnaps gern und sorgte dafür, daß er ihn immer vorfand. Er war ja doch ein Mann! Lars Peter schämte sich seiner Fahrt zur Hauptstadt gründlich, nicht zum wenigsten deshalb, well man ihn so ge- wältig übers Ohr gehauen hatte. Peinlich war's auch, daß er so wenig von dem, was vorgefallen war, im Gedächtnis behalten haste! Wo— und in wessen Gesellschaft haste er die Nacht verlebt? Von einem gewissen Zeitpunkt des Abends bis zu seinem Erwachen am Morgen m der schmierigen Kammer war alles für ihn wie ein nebelhafter Traum— böse oder gut, er wußte es nicht recht. Er schämte sich, aber irgendwo in seinem Innern verspürte er trotzdem ein wohltuendes Gefühl— eine geheime Befriedigung darüber, einmal ordentlich über die Stränge geschlagen und gelebt zu haben. Wie weit hatte er sich übrigens mit dem Leben eingelassen? Ueber diese Frage sonn er nach, wenn er von Hof zu Hof ratterte, er suchte dann gewisse Seiten des Erlebnisses hervorzuzaubern und an» dere zurückzudrängen— er suchte das Bestmögliche aus der Sache zu machen. Und im Grunde war er nachher ebenso weit wie vorder. Auf die Dauer war n nicht der rechte Wann dazu, sich«
sich zu verschließen und Geheimnisse vor den Seinen daheim zu haben. Bald entfuhr ihm dies, bald jenes von den Erläd- nissen, und eines schönen Tages haste Stine einen recht guten Ueberblick über die Geschichte gewonnen und konnte mitreden. Des Abends, wenn die Kleinen im Bett waren, besprachen die beiden die Sache. „Mer glaubst du denn nicht, daß es eine wirkliche Prin- zessin war?" fragte Sstne jedesmal. Immer wieder kam sie darauf zurück, das Ereignis spukte in ihr mst all semer mysti, schen Abenteuerlichkeit. „Ja. das weiß Gott," erwiderte der Vater nachdenklich. Er begriff immer weniger, daß er ein so großer Narr gewesen sein sollte: auf dem Hof bei dem Juden haste er seine Sache doch sehr gut gemacht.„Ja, das weiß Gott ." „Und der Kapellmeister," sagte Stine eifrig—„er muß doch ein merkwürdiger Kerl gewesen sein, wenn er alles fertig- brachte." „Ja, der Kapellmeister— dos war ein. Tausendsassa! Du hättest bloß mal sehn sollen, wie er einen Kognak verschwinden lassen konnte, ohne daß man sah, wie er ihn trank. Dos Glas hielt er mst der linken Hand hübsch unten auf den Tisch, mit der rechten haute« sich auf das Ellbogengelenk— unh leer war das Glas." Für Stine war das Ganze die spannendste Geschichte von der Welt. Sobald sie an irgendeine Einzelheit darin rührte, die in Lars Peters Bewußtsein einen peinlichen Beigeschmack hatte, wurde etwas Merkwürdiges daraus. Lars Peter war dankbar für diese Handreichung eines Kindes und half beim Ausgraben eigentümlicher Einzelheiten des Erlebnisses— es waren ja lauter mildernde und entschuldigende Umstände. Langsam und ohne daß er es merkte, verschob sich ihm dank Sstnes Befftand das ganze Bild. Ja. es war allerdings eine merkwürdige Gesellschaft. Und die Prinzessin— s i e war ja sicher kein Humbug gewesen, so seltsam es sich anhörte, daß so ein armer Teufel wie er in solche Gesellschaft geraten sollte. Aber ein verfluchtes Frauen- zimmer war sie im Portweintrinken und Rauchen! Ja. sie war wirklich echt— sonst war' man wohl auch nicht so weg tn sie gewesen," räumte er ein. „Ab« dann hast du ja bei einer wirklichen Prinzesim ge- schlafen— wie der Riese im Märchen!" rief Sstne. vor Ent- zücken in die Hände klatschend.„Wirklich. Vater!" Strahlend sah sie ihn an.(Fortsetzung folgt.)