Einzelbild herunterladen
 

Nr. 262.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pig. fret in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage ,, Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreichs Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzetle oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Grpedition ist an Wochen­tagen bis 7 1hr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet. Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin !

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Freitag, den 9. November 1894.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!

Deutsche Kultur in

Afrika .

Sie waren ursprünglich Stlaven, die der Rönig| diesen Dahomeleuten Gouvernement nach Möglichkeit Behangin auf seinen Raubzügen zusammengebracht und der ver- Weiber, in der Mehrzahl ebenfalls losgekaufte Dahome. storbene Hauptmann Freiherr von Gravenreuth im Herbste 1891 Sflavinnen, zugetheilt und auf Kosten der Regierung freigetauft hatte, um sie für eine von ihm zu leitende ernährt, worin für sie insofern ein Vor In Sachen Leist ist noch nicht das letzte Wort ge- Expedition in das Hinterland von Kamerun zu verwenden. Die in theil lag, als sie besser verpflegt wurden, die sprochen. Noch hat eine höhere Instanz im Disziplinar- dieser Weise befreiten Sklaven, mehr als dreihundert Männer mit fonst üblichen Ausgaben für Weiber nicht verfahren Gelegenheit, das Urtheil der Potsdamer Richter Klein- Popo abgeschlossenen Verträgen verpflichtet, auf fünf Gepflogenheiten der dortigen Eingeborenen einer Anzahl Weiber, hatten sich in den mit ihnen in Weidah und zu machen hatten und vielleicht auch nach den zu forrigiren, und schließlich wird die Angelegenheit auch Jahre nach Kamerun zu gehen und dort jedwede Arbeit als durch entgeltliche Ueberlaffung ihrer Frauen au weiber­noch den Reichstag beschäftigen. Dann wird es sich aller Träger, Soldaten, Farmarbeiter u. s. w. gegen freie Beköstigung, lose Soldaten sich einen geringen Verdienst verschaffen dings nicht mehr um die Person des Assessors und Reserve- Bekleidung und Paffage nach Kamerun zu leisten, wobei der ge- konnten. lieutenants Leift handeln, der, so sehr er typisch ist für die zahlte Lostaufpreis von 320 Mart für einen Mann und von So steht's wörtlich zu lesen in der Urtheilsbegründung Ableger unseres militärisch- bureaukratischen Regierungs- 280 Mark für ein Weib als vorschußweise ent des Potsdamer Disziplinar Gerichtshofs, schlicht und dürr systems in den deutschen Kolonien, doch nothwendigerweise richteter Lohn für diese Beit angesehen werden ohne ein Wort des Tabels. Und damit harmlose Gemüther binnen Kurzem völlig von der Schaubühne verschwinden sollte. Die Hälfte war mittlerweile an Krankheit und Ent- nicht etwa glauben, die entgeltliche Ueberlassung" der muß, da er von seiner vorgesetzten Behörde selbst aufgegeben fräftung infolge der ausgestandenen Leiden gestorben. Von dem Soldatenfrauen hätte zum Zweck irgend welcher häuslicher Reft wurden etwa 50 Männer der Kameruner Polizeitruppe ein­wurde. Der Leist verschwindet, aber die Verhältnisse, die verleibt, wo sie dem mit ihnen abgeschlossenen Vertrage gemäß Arbeiten erfolgen sollen, muß ausdrücklich betont werden, den Leist gemodelt haben, bleiben. Da wird denn aller- freie Verpflegung, aber keine Löhnung bezogen, während die daß die Frauen den anderen Soldaten zur geschlecht­dings noch manches scharfe Wort gesprochen und geschrieben übrigen Soldaten der Truppe gegen den üblichen Monat 3- lichen Benugung gegen Geldzahlung an die Ehe­werden müssen, bis diese Verhältnisse so geändert worden solb von 30 Mart angenommen waren. männer ausgeliefert werden sollten. Mit anderen Worten: sind, daß sie dem Deutschen Reich nicht mehr zur Schande Von der Sklaverei freitaufen das klingt sehr Die Vertreter der kaiserlichen Regierung in einer deutschen gereichen. human. In Wirklichkeit geschah der Freikauf nur, um Kolonie gestatteten als Ersatz für den Sold den Regierungs­Welche Schande sie ihm bereiten, das springt mit billige Lohnstlaven für eine Expedition, dann für die Soldaten, ihre Ehefrauen zu verfuppeln. erschreckender Deutlichkeit hervor aus dem neuerdings Polizei truppe zu erhalten. Und dies Geschäft müssen wir Eine solche Handlung wird in Deutschland durch das im Wortlaut veröffentlichten" Disziplinarurtheil gegen burch ein kleines Rechenerempel erläutern. Die Loskaufs- Reichs Strafgesetzbuch mit Zuchthaus bedroht. Und das den Kanzler Leift". Zu Nuß und Frommen aller fumime" von 320 M. sollte durch eine fünfjährige Zurück wird gebilligt von den Vertretern des nämlichen Staates, derer, die bisher nur eine unklare Vorstellung haltung der baaren Löhnung eingebracht werden. Diese der in Europa unglückliche gefallene Weiber durch seine davon gewonnen haben, wie eigentlich die deutschen Kultur- Löhnung, die anderen Soldaten gezahlt werden mußte, Sittenschutzleute verfolgen läßt und durch ein besonderes Gesetz, träger in Afrika arbeiten, wollen wir aus den thatsächlichen hätte 30 M. monatlich betragen, also 1800 m. für fünf die lex Heinze, dem Zuhälterwesen zu Leibe geht! Angaben der Urtheilsbegründung ein solches Kulturbild zu Jahre. Somit wollte die deutsche Kolonialverwaltung Wagt es angesichts dieses scheußlichen Vorkommnisses sammenstellen. Unsere Gewährsmänner sind ganz unver- den befreiten Sklaven für die Loskaufsumme einen mehr noch irgend jemand von der Befähigung unserer vom dächtige Zeugen: die Potsdamer Richter, deren Wohl als fünffachen Betrag abnehmen. Assessorismus und Militarismus befallenen Bureaukratie zur wollen für die gesammte preußisch- deutsche Staatsthätigkeit sicher ihrer Nachsicht gegen den Angeklagten Assessor Leist die Waage hält.

"

-

V

Das ist ein Geschäftchen! Wie? Daneben verblassen Kulturarbeit unter Barbaren " zu reden? doch die Wucherpraktiken der Treuherz und Genossen und Von diesen Frauen nun, die die Kolonialverwaltung des ollen ehrlichen Seemann zu einem wesenlosen Scheine. den Dahome- Solbuten überwiesen hatte, verlangte sie noch Welcher olle ehrliche Zivilisationsbeamte hat denn diese ge- obendrein körperliche Arbeiten. Mit welchem Recht? riebene Ausnutzung der geschäftlichen Konjunktur, die durch Ist es fonft Gitte, daß man die Ehefrauen der die Widerstandsunfähigkeit der Sklaven gegenüber ihren Soldaten zu unentgeltlichen Arbeiten im Regierungs­Befreiern" gegeben war, ausgetiftelt? Er hat dadurch dienst zwingt? Die einzige Erklärung für die absonder= eine herrliche Illustration zu der Sage von der Freiheit liche Zumuthung der Kolonialverwaltung ist darin zu der Kontrakte" geliefert. der Kontrakte" geliefert. finden, daß sie die Frauen schlankweg als ihre Stlavinnen behandelte. Selbst der landesübliche Brauch berechtigt sie nicht dazu, die Frauen zur Arbeit zu zwingen, denn in dem Erkenntniß wird an einer anderen Stelle ausdrücklich hervorgehoben, daß dort wie in anderen Kolonien der afrikanischen Westküste Weiber im allgemeinen überhaupt nicht zur Arbeit verwendet werden".

Doch es kommt noch besser.

Herr Leift war bekanntlich zweier Vergehen angeschuldigt worden, daß er nämlich a) am 15. Dezember 1893 die Weiber der Dahomesoldaten in grausamer Weise bestraft und dadurch den Aufstand der b) in der zweiten Hälfte des Jahres 1893 mit verschiedenen, im Kameruner Gefängniß untergebrachten Weibern unzüchtige Handlungen verübt und dieselben zur Duldung des Bei­schlafs genöthigt habe. Die Soldaten so ganz ohne Geld zu lassen, während Von der ersten Anschuldigung wurde er freigesprochen, ihre Kameraden bei gleicher Verpflegung monatlich 30 M. wegen der zweiten unter Annahme mildernder Umstände zu für ihre laufenden Bedürfnisse erhielten, ging nicht an. einer Kürzung seines Gehalts um ein Fünftel des Betrages Geld dafür aus der Regierungskasse flüssig zu machen, das verurtheilt. Aus der Begründung der Freisprechung im verbot die weltberühmte preußisch: Sparsamkeit. Da ist ersteren Falle erhalten wir nun über die rechtliche nun wieder so ein oller ehrlicher Kolonialbeamter auf einen Stellung der Dahome Soldaten folgende ganz verflucht gescheidten Gedanken verfallen: Auskunft: Um diese Ungleichheit weniger fühlbar zu machen, wurden

Feuilleton.

Erinnerungen eines Kommunarden.

" Ja, ja, das Gewitter. Nun, nun, das wird wohl vorübergehen, die Pulsschläge werden schon regelmäßiger. 38 Wer weiß, ob eine gute Neuigkeit ihn nicht vollends be ruhigen würde." Für die arme Sylvia giebt es feine guten Neuig­feiten mehr, theurer Doktor," flüsterte sie mit gebrochener Stimme.

"

-

Aus dem Französischen von Jakob Audorf. Der Tod des Barons erfolgte unmittelbar. Sein Wer weiß, wer weiß?" murmelte der böse" Marcas Rörper fant an der Mauer, gegen welche er sich gestützt lächelnd. Sehen Sie, ich habe Ihnen doch geschrieben, daß hatte, nieder und blieb auf dem Teppich liegen. Sylvia es mir gelungen ist, Ihren Wunsch, mit dessen Ausführung hatte den Revolver fallen lassen und ging schrittweise rück- Sie mich beauftragt, zu erfüllen." wärts. Sie konnte ihre schreckhaft erweiterten Augen nicht" Ja, Doktor" abwenden von dem Körper des Menschen, der ihr so viel" Nun also, setzen wir den Fall" begann er zögernd, Abscheu eingeflößt hatte. nehmen wir an" er hielt inne, ohne den Puls Sylvia's In diesem Augenblicke verdoppelte sich das Unwetter los zu laffen denken wir uns, daß Jacques, Ihr thenrer und plötzlich erschoйl zwischen zwei heftigen Donnerschlägen Gemahl, anstatt getödtet worden zu sein, nur verwundet die Hausglocke, welche mit träftiger Hand gezogen wurde. wurde. Sylvia schrat zusammen und entriß sich gewaltsam ihrer düsteren Betrachtung. Sie verschloß die Thür des Schlaf­zimmers und schritt faltblütig durch den Salon zur Haus­thür, um dieselbe zu öffnen.

"

Guten Abend, meine schöne Kranke!" schallte die Stimme des Dottor Marcas ist hell und freundlich ent­gegen. Verzeihen Sie, wenn ich etwas früher fomme als versprochen. Es ist erst halb 10 Uhr statt 10," sagte er, sich entschuldigend, indem er nach seiner Uhr sah. Es hat aber seinen Grund darin, daß ich mit Ihnen noch etwas zu sprechen habe. Aber beim Himmel! Wie sind Sie bleich! rief er plöglich aus, indem er sie besorgt betrachtete. Lassen Sie mich den Puls schen. Hm, hm, das vertrakte Gewitter ist wohl Schuld!"

Das Gewitter!" murmelte Sylvia mit erstickter Stimme.

-

Sylvia erhob ihr Haupt und verschlang ihn mit den Blicken. " Ja, ja, nur verwundet, es kann Alles bei diesen ver­teufelten Schießwaffen vorkommen."

Jacques ist nicht todt!" rief sie zitternd aus und er hob sich plöglich glühend.

" Still doch, liebes Rind, vor allem Ruhe; setzen Sie sich wieder. Nun ja, er ist nur verwundet, ernstlich, sogar sehr ernstlich. Ich hoffe jedoch

-G

Daß die Frauen dieser Behandlung, die wider alles Recht und wider allen ihren heimischen Brauch über sie verhängt wurde, sich nicht gutwillig fügten, ist erklärlich.

Sie sprang an meine Brust und ein heißer Strom von Thränen benetle mein Gesicht.

" Weinen Sie, weinen Sie! das ist das Beste!" rief der Doktor, indem er mit Geräusch sein Taschentuch gebrauchte und selber weinte, ohne es zu wissen.

" Er lebt, er lebt!" schluchzte sie, mich mit Rüssen bes deckend.

Plötzlich erfaßte sie meine Hand.

Thür zu ihrem Schlafzimmer öffnete und mich bis zu der Komm Jacques, komm," sprach sie, indem sie die Leiche hinzog. Gerettet!" sprach sie, indem ihre Stimme einen fast überirdischen Ausdruck annahm, gerettet und ges ra cht!"

-

-

-

"

Das Journal der auständigen Leute", das best­unterrichtetste" Blatt von Paris , der Moniteur der Polizei, dessen Nanien wir nicht besonders zu nennen brauchen, brachte am folgenden Tage nach dem oben geschilderten Ereignisse an der Spitze des Stadtklatsches folgende Notiz:

" Im Augenblick da wir unser Blatt schließen, geht uns eine betrübende Nachricht zu, welche nicht nur eine der achtbarsten Familien von Paris mit tiefer Trauer erfüllt, sondern auch die diplomatischen Kreise tief be­rühren wird.

" Der Baron Lucien Meylan, Bureauchef im Mini­sterium des Aeußeren, welcher bestimmt war, denmächst Jacques, eine hervorragende Stellung in einer bedeutenden Botschaft zu bekleiden, wurde heute Morgen bei Tagesanbruch au der Mauer des Friedhofes Montmartre als Leiche auf­gefunden von Händlern, welche zu Markte zogen.

" Jacques!" rief fie aus, Jaques! Er lebt, er lebt! Doktor, wo ist er? D, er ist hier hier Jacques!" Die Thür öffnete sich plötzlich so weit nur möglich: Sylvia!"

So rief ich ins Zimmer dringend, da ich mich länger nicht zu halten vermochte.

Der Polizeikommissär des Stadttheiles, welchen man schnell benachrichtigte, erschien sofort am Drte des traurigen