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Nr. 264.

Erscheint täglich außer Montags. Breis pränumerando: Viertel jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret tn's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Oesterreich Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Zeitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für dic fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in ber Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonns und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Ternsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse:

Sozialdemokrat Berlin !

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. Sonntag, den 11. November 1894. Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.

Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!

1878/ 79-1894/ 95.

die Borgänge, bie hinter den Koulissen spielen, aber mit]

denselben Kniffen wie damals fuchen heute die zahllosen Dolitische Uebersicht.

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Die Zeit, in der das nun selig entschlafene Sozialisten Sprachrohre der Regierung die Aufmerksamkeit des Volkes Berlin , den 10. November. gesetz vorbereitet wurde, hat unverkennbare Aehnlichkeit mit von den Plänen der Reichsregierung, von den drohenden Die Regierungskrise dauert fort im Deuschen Len gegenwärtigen Zeitläuften. Tamals wie heute stand neuen Steuern, von dem Unischwunge der Wirthschafts- Reich und in Preußen. Immer neue Personen- Ver­der Kampf gegen den Umsturz" im Vordergrunde der politi politik abzulenten. Damals wie heute sucht man das änderungen werden angekündigt, ohne daß Festes zu melden schen Diskussion, damals wie heute vergaß man über die Interesse der ganzen Bourgeoisie auf den Kampf wäre. Alles ist in der Schwebe, und das neckische Schicksal geplante Knebelung der Partei des Proletariates alles gegen den Umsturz" zu konzentriren. Bei den Wahlen hat es gefügt, daß der Kampf gegen den Umsturz" zu­andere, was die Regierung im Echilde führte. Im Jahre im Jahre war dies die Parole der Re- nächst in den höchsten Regierungstreisen geführt 1878, ebenso wie gegenwärtig, plante die Reichsregierung eine gierung, und wenn es wieder zur Auflösung des Reichs- werden muß, und zwar mit Nachdruck, denn sonst wird der Vermehrung der Reichseinnahmen. Damals wurde das Tabak tages kommen sollte, wird man wieder den Wählern das letzte Rest von Regierung umgestürzt" sein. monopol vorbereitet, vielleicht geschieht dies auch heute; rothe Gespenst in ebenso großer und erschrecklicher Gestalt, Herr v. Bötticher bleibt uns erhalten. Die Gerüchte sicher ist, daß der Tabakindustrie und den Tabak- Kon- wie 1878, vorführen, damit die Kandidaten lediglich nach ihrer fumenten eine bedeutende Neubelastung droht. Im Jahre 1878 Stellung zu der Umsturzbekämpfung beurtheilt werden und ihr von seinem Rücktritte werden von offiziöser Seite für un­war nicht blos eine Aenderung des Tabakstener- Gesetzes ge- sonstiger politischer Standpunkt außer Acht gelassen wird. begründet erklärt. Wir würden auch gar nicht einsehen, plant, man bereitete einen vollständigen Umschwung der Wenn wir auch keineswegs die Wichtigkeit der gegen warum der neueste Kurs auf den glatten und gewandten Wirthschaftspolitik: die Hochschutzzoll- Aera vor. Auch heute die Sozialdemokratie geplanten Maßregeln unterschäßen Sprechminister verzichten sollte, der mit dem gleichen Brust­denkt man an weitere Einnahmequellen. Von der Noth- wollen, so wäre es doch verkehrt, über diese die übrigen voltsfeind tone der Ueberzeugung alle Wandlungen Bismarck'scher und wendigkeit einer festen Abgrenzung der Reichsfinanzen von lichen Pläne der Regierung außer Acht zu lassen. Wir Caprivi'scher Politik zu vertreten verstand, und dem Heichs­den Staatsfinanzen spricht man heute, und damals bereitete müssen auf folgenschwere Steuergesetze, auf einen neuen Um- fanzler Hohenlohe wie dessen Nachfolgern ebenso willig und man die Form der Geldüberweisungen des Reiches an die schwung der Handelspolitik, auf Monopolpläne, ja bei der überzeugt zu Diensten sein wird. Einzelstaaten vor, die später in der sogenannten Frankenstein- Biellosigkeit des neuesten Kurses auf alles gefaßt sein. Der nene Landwirthschafts- Minister. Der Reichs schen Klausel gesetzlich festgelegt wurde. Auch damals war Mehr denn je heißt es heute die Augen offen zu halten; anzeiger" veröffentlicht die Entlassung des Ministers v. Heyden die innere Politit eine schwankende; man unterhandelte mit mehr denn je bedarf es falten Blutes! Die politischen Par- und die Ernennung des Landesdirektors der Provinz Han den Nationalliberalen über den Eintritt ihrer Vertrauensteien und die einzelnen Abgeordneten sind verpflichtet, nover, Frhrn. v. Hammerstein- Lorten, zu seinem Nachfolger männer in die höchsten Aemter der Reichsverwaltung und ununterbrochen auf der Hut zu sein, allen Plänen der als Staatsminister und Minister für Landwirthschaft, in das preußische Ministerium, und als die Ver- Regierungen ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Und vor Domänen und Forsten. handlungen sich zerschlagen hatten, bereitete Bismarck Allem sollen die Wähler es nicht versäumen, ihre Ab­den Frieden mit der Zentrumspartei vor. Nachgeordneten in bezug auf die Stellung zu allen Plänen der vor Kurzem mit der Hochschutzzoll- Politik Reichsregierung festzulegen. gebrochen hat, besetzt man heute wieder mit einem Agrarier Gelingt dies, dann haben die Ueberrumpelungs- Taftifer vom reinsten Wasser den wichtigen Posten des preußischen das Spiel verloren, dann ist das Schiff des neuesten Kurses Landwirthschaftsministers, und macht gleichzeitig die Haupt- aufgefahren und hat das Volk den neuesten Angriff ab­flüge Caprivi's im Kampfe gegen die Agrarier, den Frei gewehrt.

dem man

herrn v. Marschall, zum preußischen Staatsminister. Und Die Reichsregierung und die preußische Regierung dann bietet man das preußische Justizministerium u. a. scheinen die Politik der Jahre 1878/79 so schön gefunden zwei Personen an, die nach Vorbildung, Standpunkt, zu haben, daß sie sie heute wiederholen möchten. Das wissenschaftlicher Bedeutung und juristischer Erfahrung deutsche Volt hat nun zu beweisen, daß es auch aus der so durchaus verschieden sind wie der Reichsbank- Direktor Geschichte lernen kann, daß es sich nicht überrumpeln läßt Roch und der Reichsanwalt Tessendorf. Schwankender noch und daß es klug, und start genug ist, den überschlauen als im Jahre 1878 ist somit heute der Kurs des Reichs Steuermännern einen dicken Strich durch die Rechnung zu schiffes. a machen.­

So viel Aufmerksamkeit als damals verdienen heute

Feuilleton.

Am Exil.

bis auf den Fußboden fielen, raffte sie auf der linken Schulter des Freundes zusammen und sagte danu: Geh' jetzt ein paar Schritte, damit ich Dich mustern In martialischer Haltung machte René jetzt drei oder vier Schritte, versuchte den militärischen Gruß und rief dann lachend:

[ Nachdruck verboten.] fann.

Roman von Georges Renard. Autorisirte Uebersetzung von Marie Kunert .

Erster Theil. Das Exil. 1.

1

Das Wesentlichste hätten wir jetzt. Du brauchst Dich nicht weiter zu plündern, Lucien. Ich könnte Deine Sachen doch nicht anziehen. Warum bist Du auch so ein Riese! Glücklicherweise verdeckt dieses Wunderwerk von einem Mantel alles. Aber sehe ich nicht aus, als wollte ich zur Maskerade?

Seh Dich dorthin, René, und halte hübsch still! Diese Worte wurden an einen jungen Mann von Wie fannst Du in einem solchen Moment scherzen? ungefähr zwanzig Jahren gerichtet, der ein weißes unterbrach ihn die Mutter, die auf einem Stuhle mehr zu Tuch um den Hals gebunden trug wie Jemand, der sammengesunken war als saß. rasirt werden soll. Und so war es auch. Der, welcher Während René einen Kuß auf ihre in Thränen eben diese Worte gesprochen, ein rüstiger Greis, der schimmernden Augen drückte, sprach der Vater, ein kleiner, etwa sechzig Jahre zählen mochte und dem jungen quecksilberner, stets in Bewegung befindlicher Mann zu Manne auffallend ähnlich sah, seifte ihm das Gesicht ein seiner Frau: und rasirte dann mit leicht zitternder Hand die hellbraunen Haare des kurzen lockigen Bartes hinweg.

Vater, laß mir aber den Schnurrbart und die Fliege stehen. Das wird genug sein.

O, mein armes Kind, Du wirst gar nicht mehr zu er­tennen sein, sagte eine zitternde Frauenstimme. Um so besser, Mutter. Das will ich ja auch. Ist es gut so, Lucien?

Lucien, ein hochgewachsener flotter Bursche in Poly­techniferuniform, betrachtete sich beim Schein einer schlechten Petroleumlampe das Gesicht des Fragenden genau und erklärte sich dann mit der Metamorphose zufrieden.

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Kapitalismus und Militarismus. Die Neuesten Nachrichten" berichten aus Ulm :

Da

Das hiesige Militärgericht wird sich in nächster Zeit mit einem höchst interessanten Fall zu befaffen haben. Es handelt sich um einen früheren Sergeanten Namens Meier, der vor etwa 15 Jahren infolge eines Konflikts mit einem Borgefeßten fahnen­flüchtig geworden war. Derselbe hat sich durch Fleiß und Tüch­tigkeit im Auslande emporgearbeitet und ist heutzutage erster Direktor einer großen Aktiengesellschaft in Brüssel . er in dieser Stellung vielfach mit hervorragenden Per­ihm auch neuerdings die sönlichkeiten zu verkehren hat, Vorstandschaft des ersten deutschen Vereins in Brüffel an= getragen worden ist, lag ihm daran, den früheren unbesonnenen Schritt zu sühnen und den ihm fin seinem Vaterlande an­haftenden Makel zu beseitigen. Er verschaffte sich deshalb durch diplomatische Vermittelung gewisse Garantien, daß man nicht zu streng mit ihm verfahren werde, und stellte sich vor 14 Tagen urtheilen kann. Du würdest Dich inzwischen in der Nachbar­schaft in aller Stille verborgen halten. In diesem kleinen Dorfe, mitten auf dem Lande, zehn Meilen von Paris wird man Dich gewiß nicht suchen.

Still! Genug davon! erwiderte der Vater. Als ob ich nicht gesehen hätte, wie sie Leute verhaftet und erschossen haben, die nicht mehr gethan hatten, als unser René! Ist Lucien nicht extra heute Morgen gekommen, um uns zu sagen, daß sie in unserer Wohnung in Paris Haussuchung gehalten haben? Begreifst Du denn nicht, daß man Deinem Sohn vielleicht jetzt schon auf der Spur ist? Willst Du denn, daß er von den Gendarmen geholt wird?

O sprich doch nicht so! Sprich doch wenigstens leiser! Wenn man Dich draußen hörte! murmelte Frau Messant voll Augst .

Sie stand auf und sah vorsichtig aus dem Fenster. Eine weite Ebene breitete sich schweigend und einsam unter dem lichten Glanz des Mondes vor dem Hause aus. Noch zitternd schloß Frau Messaut sorgfältig wieder die Vorhänge und setzte sich. He, warum nicht? Man muß der Gefahr ins Gesicht Meine arme. Mama, sagte René in dem sanften Ton, lachen, liebster Schatz. Du hast doch im Laufe des letzten in dem man zu kleinen Kindern spricht. Du siehst nun Jahres auch so manches erlebt. wohl, daß ich fort muß.

Wohin dann aber? erwiderte René. Nach Belgien ? Dort hat man eben das Judividuum mit Namen Viktor Hugo"*) ausgewiesen, nur, weil er sein Haus den Exilierten geöffnet hatte.

O gewiß! seufzte sie. Die Prenßen, die Belagerung Ja, aber warum mußt Du so weit fortgehen? In von Paris , das Bombardement, der Bürgerkrieg, die Er- die Schweiz , in ein Land, wo Du keine Menschenseele kennst! schießungen! Wie viele Schrecknisse und Grausamkeiten! Du bist auch noch niemals gereist. Ich habe noch jetzt alle Nächte Alpbrücken, wenn ich daran denke. Aber ich dachte, daß seit vier Monaten nun alles zu Ende wäre, und da fängt die Angst von neuem an! Wenn ich bedenke, daß man Dich, mein mein René, denunziren konnte, weil Du Dich an der Kommune Die Schweiz wird wenigstens niemals Flüchtlinge ansa betheiligt haben sollst! Und das Alles nur um die wenigen liefernt. Tage, bie Du in den Bureaus des Ministeriums verbracht Lucien war es, der eben diese Worte gesprochen hatte Der alte hast! Das ist das große Verbrechen! Siehst Du, wenn und damit wieder an die Wirklichkeit erinnerte. Du wolltest, dann würde ich den Leuten auseinandersetzen, Messant sagte energisch, aber doch zärtlich: daß sie sich irren, daß sie Dich offenbar nicht kennen. Ich Immer vorwärts! Muth! lieber Schatz. Er wird ja Er warf den großen schwarzen Tuchmantel, der seinem weiß es genau, daß Du nichts Böses gethan haft. Und ich Polytechnikum- Kostüm etwas von spanischer Eleganz gab, würde sagen, daß René Messant ein guter Sohn und ein

Probire jetzt mein Räppi auf, fügte er hinzu. René that es: es fiel ihm bis auf die Augen. Mutter, sagte er, Du mußt etwas Pappdeckel einlegen, daß es enger wird.... Jezt den Mantel!

*) den bekannten französischen Dichter. Das Judividuum um die Schultern. Lucien ordnete geschickt die Falten, die braver Mensch ist und daß man ihn deshalb nicht ver- mit Namen" ist französischer Gerichtsstil für Steckbriefe: c.