Nr. 214 ♦ 5$. Iahrgaag
2. Heilage öes Vorwärts
SoavSag, 8. Ma! 1421
GroßSerlln AvWen Spree und Irieörlchsbahnhof. Ät» d«r©die, wo einst die„Pepiniere" stand, sollten ein Atnpfangsgebäud« für den Bahnhof Friedrichstraße und ein mo- Vernes chotel errichtet werden. Der Krieg hat diese Pläne durch- kreuzt, und an Stelle der geplanten Bauten macht sich ein Rummel- platz breit, der den stolzen Namen �Zentralpark" führt, und der hoffentlich verschwinden wird, wenn die großen Verkehrsbauten in der Friedrichstraße beendet sein werden. Augenblicklich aber fügt er sich in den Charakter der Unaufgeräumtheit dieser Umgebung Sin. Zuweilen geschieht es, daß die Polizei im Zentralpark eine Razzia veranstaltet. Der Platz wird gesperrt und die Besucher werden tn Lastautos hinwegbefördert. Der unbefangene Leser muß den Eindruck qewinnen, daß sich dort die dunklen Elemente der Großstadt ein Stelldichein gäben, und daß die Polizei diesen Platz als Derbrecherfalle benutze und ihn aus diesem Grunde viel- leicht gar nicht so ungern sähe. Der Platz gehört dem Eisenbahnfiskus und ist an einen Troßunternehmer verpachtet, der an sechzig Personen beschäftigt. Die Bergmlgunaen, die dort geboten werden, sind natürlich nicht solche der edelsten Art, aber sie sind harmlos. Das Karussell ist dg-�rnd im Gange, und sowohl die Zuschauer, als auch diejenigen, die sich auf den Stühlen im Kreise schwingen, kommen auf ihre Rechnung. Im chivpodrom laufen etwa ein Dutzend ganz gut im- stände gehaltener Pferde nach den Klängen einer Kapelle, und alle, die gern retten möchten, ohne sich den Lurus eigener Pferde leisten zu können, finden hier einigen Ersatz. In einem anderen Zelte, in dem viel getrommelt und geblasen wird, zeigen Lillivutaner ihre Leistungen, deren Wert ihrer Größe entspricht. Das Beste leisten hier noch die„Anreißer*, die unermüdlich auf das Publikum ein» wirken und oft genug die„letzte* Lorstellung ankündigen und häufig erklären,„daß der Beginn der Doritellunq gleich beginne*. Aber das muß man den kleinen Leuten lasten, daß sie es ousge, zeichnet verstehen, auf Posaunen und Pistons zu blasen, und sicher- lich sind sie froh. Arbeit und Perdienst auf diese Weise gefunden zu haben: aber sie erwecken Milleid, und man wünscht, daß sie andere Arbeit leisten könnten, als auf Rummelplätzen durch Ausstellung ihrer Körvergröße Geld zu verdienen. Eine dichte Menschenmenge drängt sich um ein anderes Zelt, in welchem Max und Moritz, die lustigen Avfeldiebe, zu sehen sind, eine Attraktion, die früher im „Lunapark* gezeigt wurde. Zwei junge, bunt herausgeputzte Burschen sitzen in zwei Käfigen, deren Dorderwond gemalte Aepfel - bäume zieren und die gegen die Zuschauer hin mit Drahtnetzen ab» aesperrt sind. Es ist nun Aufgabe derjenigen, die sich für fünfzig Pfennige das Recht dazu erkaust haben, mit einem Ball nach einem beweqllchen Dorne zu werfen, der in der Mitte über jedem Käfig angebracht ist. Wenn der Boll sein Ziel erreicht hat, stürzt der eine der Apfeldiebe herunter, was jedesmal aroße Heiterkeit erreat und zu neuen Würfen anreizt.(In den Käsiaen befinden sich federnde Schutzvorrichtungen, die den fallenden Körper auffangen.) Natürlich fehlt es nickt an ulkigen Redensarten der beiden Burschen, wenn die meisten Bälle fehlgehen und einige der tapferen Werfer in Erregung geroten. In einer anderen Bude kann man sein Glück mit japanischem Fadenziehen versuchen. Eine Umnenne von Fäden — wohl mehr als hundert— hängen von einem Gestell herunter, und wenn man an einem derselben zieht, erscheint ein Schildchen. das den Gewinn oder ein« Niete anzeigt, i�ür jeden Zug darf man fünfzig Pfennige zahlen, und wenn man Glück hat, zieht man auch mal keine Niete und bekommt alsdann ein Tößchen oder eine Nipvesfache. An faulen Witzen fehlt es auch hier nicht.„Sie* möchte gern an dem Faden ziehen, darauf erklärt„er* ibr:„Wo.t, Faden willst« ziebn, den Zahn laß Di? man ziehn, sonst kannst« Leine ziehn*. Die bekannten, auf keiner Vogelwiese fehlenden Schieß- und Würfelbuden sollen nur nebenbei erwähnt werden, und wer für geheimnisvolle Dinge begabt ist, der kann sich auch noch über das große Weltwunde?„Dana* feine eigenen Gedanken machen.' Das Publikum des Platzes ist so, wie es in der ganzen Friedrichstratze ist, weder besser noch schlechter. Die Polizei sucht hier hauptsächlich nach den„kseinen" Durchbrennern aus der Gattung der Rortokassendiebe,.die sich hier oft mit dazugehörigen Bräuten ein unterhaltsames Stelldichein zu. geben pflegen. Auf dem Platz herrscht aber strenge Ordnung. Bier Angestellte haben für die Auf- ficht zu sorgen, und sie widmen sich dieser Aufgabe in einwandfreier Weis«.
Zum Schluß noch einige Worte über die Schausteller. Früher wurden Gaukler und fahrende Gesellen im Gegensatz zu den ehr- baren Handwerkern für Menschen niederen Ranges erklärt. Und auch heute noch wirkt diese Einschätzung nach. Die Technik hat jedoch begonnen, hier Wandel zu schassen. Viele Rummelplätze sind wahrhaste Großbetriebe und eine Riesenindustrie beschäftigt sich mtt der Herstellung von Karussells, Schaukeln, Wagen. Zeven usw. Die Darsteller kämpfen ebenso wie die übrigen Arbeiter um ihr Dasein, und sie sind genau so wie diese einzuschätzen. Sie stehen moralisch auf der gleichen Höhe und haben Anspruch auf die gleiche BeHand- lung. Auch die Reichsarbeitsgemeinschaft der Vereinigungen reisender Gewerbetreibender Deutschlands hat an den Reichsarbeits- minister eine Eingabe gerichtet, in der sie fordern, daß eine Reihe von Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung, dem modernen Geist der Zeit entsprechend, geändert werden möge. Es ist eben nichts beständiger als der Wechsel. f UWMzm rolrenö iet ZWMMise 1 3—————————————————————— g Unsere Abonnenten, welche CClcrt auf regelmässige I t-ieferung des„Vorwärts" während ihrer I Sommer- refp. Urlaubs reis« lege«, bitten wir€ «■= naebTtebende Zeiten su beherzigen:------------ % poftbezieber mütten die Umleitung an die neue J HdreKe mindestens SCage vor Reise- beginn bei ihrem poftamt beantragen und W ebenfo vor der Rucfereise bei der polt rechtzeitig M die Rdefcübcrwcifung veranlassen, für diele Um- - leitung verlangt die polt eine einmalige Gebühr J von z Hlarh. Abonnenten, die ihre Zeitung durchdießotcnfrauen bezieben, hSnnen A sieh den„Vorwärts" unter Streifband nachschicken lallen, wobei für porto und Versand täglich 4.0 pf., nach dem Ausland täglich 70 pf.| W berechnet werden. Die Lieferung kann inner--J halb Deutschland « auch durch poltüberweihing � erfolgen, aber nur bei längerem Aufenthalt(Ober 8 Cage innerhalb eines Kalendermenats an einem Ort). Aufträge für solche postÜberweisungen A müssen uns spätesten« 8 Cage vor Reilc- J antritt gegeben werden, da foult nicht mit einem pünktlichen Sinketzen der poltlieferung| W zu rechnen ilt. CUtr bitten untere Leier, diese€ | Aufträge direkt in ihrer zuständigen Filiale unter I. gleichzeitiger Zahlung der Gebühren zu erteilen. J ? 1 i Ein neuer Naubmorö bei Strausberg . Durch 5 Revolverschüsse getötet.— Wer ist der Tote? Die Berfiner Kriminalpolizei wurde gestern nachmittag nach Strausberg gerufen, wo ein neues Kapitalverbrechen entdeckt worden ist. Im Walde bei Wefendahl, das zwischen Strous- berg und Werneuchen liegt, wurde gestern vormittag die Leiche eine« etwa 40 bis 48 Jahre alten noch unbekannten Mannes aufgefunden, der durch fünf Revolverschüsse getötet worden ist. Der Erschossene ist sodann von seinem Opfer ausgeraubt worden. Nach den ersten Feststellungen der Orts- Polizei wurde die Berliner Kriminalpolizei von dem Verbrechen be- nachrichtigt. Die Nachforschungen, die im Laufe der Nachmittags und Abends dort angestellt wurden, ergaben, daß unzweifel- Haft Raubmord vorliegt. Der Ermordete log, völlig bekleidet, auf einem Reisig- Haufen und neben ihm eine weiß und schwarz karierte Sportmütze. Ein großer vernickelter amerikanischer Trommel- revolver mtt schwarzen Hornschalen war dem Toten von dem Mörder in die Hand gedrückt worden, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Aus der Waffe sind fünf Schüsse abgefeuert worden, die den Ermordeten alle in
Brust und Kops getroffen haben und aus allernächster Nähe ab, gegeben sein müssen. Alle Gegenstände, die der Tote bei sich trug und die zur Feststellimg seiner Persönlichkeit dienen könnten, sind geraubt. In seinen Taschen wurden nur noch eine stark abgenutzte Tobakspfeife, eine große Blechschachtel mit amerikanischem Tabak, Marke„Prinz Albert *, ein Stück Kautabak, zwei große Türschlüssel und ein großes Talchenmesser mit einer Klinge und Holzschale ge- fanden. In der Nähe des Tatortes lagen«ine lange, sogenannte russische Drahtschere und zwei Säcke, die Federspuren aufwiesen. Die Ermittlungen ergaben, daß am Freitag abend gegen 11 Uhr mehrere Schüsse gehört worden sind. Um diese Zeit scheint danach das Derbrechen verübt worden zu sein. Alle Nachfragen in der Umgebung ergaben, daß der Täter nicht von dorther stammt. Seh? wesentlich für die Aufklärung des Der- brechens ist die Feststellung seiner Persönlichkeit. Der Tote ist etwa 1.80 Meter groß und ziemlich korpulent, hat rotblondes, an den Sckiläfen ergrautes Haar, da, hinten sehr kahl geschoren ist, einen rotblonden Schnurrbart, blaue Augen und lückenhafte Zähne und trug einen blauen Anzug, gelbe Schnürschuhe, unter dem Rock ein« braune Miliiärjoppe und Mssitärunierhosen. Besondere Kenn» zeichen sind viele Täkvwierungen. Auf der Brust trägt er die Inschrffi„Behüt Dich Gott*. darunter eine Krone und unter dieser„Treue Liebe bis zum Grabe*. Außerdem noch eine Frau und einen Mann. Auf dem rechten Oberarm ist ein Athlet, der eine Kugel stemmt, auf dem rechten Unterarm ein Dolch mtt dem Zeichen E. W. 1877 und zwei ver- fchlungene Hände mit den Worten„Treue Liebe*. Auf dem Unken Oberarm endlich hat er einen Matrosen mit einer schwarz-weiß- roten und einer amerikanischen Fahne, die Buchstaben E. T. und eine Krone mit dem Zeichen P. B. 2. Wer über die Bersönfichkeit des Toten irgendwelche Angäben machen kann, wird ersucht, sich bei Kriminalkommissar Trettin im Zimmer 103 des Berliner Polizeipräsidiums zu melden.
Schaff! MewhoussieKlungen! In einer Berfammlung der Deutsche « Gartenstadt, gesellschaft wurde gestern die Frage der Kleinhaussiedlunge« erörtert. Architekt F. Pa ulfen zeigte in einem Vortrag über: �kleinhaus- und Großhauswirtschaft*, wie sehr das Leben in einem Klempau« mtt Garten den Vorzug vor dem Leben in einer Mietkaserne verdient. Nach dem Krieg von 1870/71 habe der Fortschritt der Indu- strialifierung Deutschlands uns die Blüte der Mietkaserne gebracht. Nach dem Krieg von 1914/18 sei eine Vermehrung der M-etkosernen unmöglich geworden, well das Baukapital fehlt. Jetzt müsse das noch unbebaute Bauland in der Umgebung der Großstädte, dessen fiktiver Wert bedeutend zurückgegangen sei. mit Kleinhäusern besetzt und durch Gartenbau für die Nohrungsmittelbeschasfung genutzt werden. Das Leben in solchen.Kleinhaussiedlungen sei nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aug ethischen Gründen vorzuziehen. Eine in körperlicher wie geistiger Hinsicht zweckmäßige Aufzucht des Nachwuchses sei in großstädtischen Mietkasernen unmöglich. Em sehr beträchtlicher Teil der Frequenz unserer Krankenhäuser und Gefängnisse müsse auf das Konto der Mietkasernen gesetzt werden. Leider glaubte der Referent. seinen Dorttag mtt Ausfällen gegen die Sozialdemo- k r a t i e„schmücken* zu sollen. Er behauptete, die sozialistische An- ichouung habe mit dazu beigettagen, die Entwicklung der Klein- haussiedlungen bisher zu hemmen. Eine seßhafte Bevölkerung eigne sich nicht zur Abstimmungsmaschine: hierzu habe man eine Meitschenmaije gebraucht, die hin und her geschoben werden konnte. Herr Paulsen leistete sich auch- folgenden Ausspruch:„Wir kennen jene dummfreche Aeußerung eines feit längerer Zeit verstorbenen sogenannten Dichters:„Es wächst. hienieden Brat genug für alle Menschenkinder usw.* Es genügt, diese Anpöbelung niedriger zu hängen. Die richtet sich selber. In der Diskussion fanden die Grundgedanken des Referenten allgemeine Zustimmung. Dgr Bor- sitzende D r u n f e l vom Töpferverband erwiderte dem Referenten, daß die Angriffe gegen die Sozialdemokratie durchaus im- berechtigt sind. Gerade die Sozialdemokratische Partei hat das Mietkafernenwesen stets scharf bekämpft. „Ring" statt„Vollring". Zur schnelleren Unterrichtung der Reisenden und zur leichteren Unterscheidung der einzelnen Züge auf der Bertmer Ringbahn sollen mtt Einführung des Sommerfahrplans, also vom 1. Juni ab, die
58s
Skine Menschenkind.
IN. ver Sündenfall. Von Martin Andersen RexS. Vor Ihrer Tür miaute etwas, jämmerlich rufend. Das ist Mis, dachte sie. Ihn friert, und er will zu mir hmein— oder er langwellt sich blaß.„Geh in die Scheune und fang Mäuse, Mis!* sagte sie nach der Tür hin. Aber der Kater miaute bloß noch stärker und kratzte an der Tür. Sie sprang auf und öffnete. Wind und Schnee stoben herein. Aber Mis sputete sich nicht genügend, er hatte die Ängemohnhett, sich immer an den verkehrten Stellen zu bedenken: Stine mußte den Kater am Nackenfell packen und hereinziehen. Sie kroch , schleunigst ins Bett zurück, und der Kater sprang auf ihr Kopfkissen und spann dicht neben ihrem Gesicht.„So komm doch zu mir unter die Decke, Dummkopf!* sagte sie und lüftete das Deckbett für das Tier. Aber Mis sprang mit einem Plumps wieder auf den Fußboden hinab und war im Nu an der Tür. Da stand er und miaute. Sie mußte aufstehn und ihn wieder binauslaffen— und dann ging draußen aber- mals die Geschichte los. Stine begriff nicht, was dem dummen Tier heute nacht fehlte. Auf einmal aber wußte sie den Grund: er hatte heute feine Abendmllch nicht gekriegt,— das harte sie vergessen. So eins Unordentlichkeit von ihr; sie verstand nicht, wo sie ihre Gedanken gehabt hatte. Und Unrecht war es. großes Unrecht gegen Mis, der die ganze Nacht Ratten fangen sollte. Wenn Rattenkatzen ihre süße Milch nicht bekamen, kriegten sie die Räude! Morgen sollte er zwei Portionen haben, und sie wollte recht, recht gut zu ihm sein. Aber so billigen Kaufs sollte Stine keinen Frieden finden. SDlffl miaute immer noch da draußen, und der Laut wurde immer dringender. Sie hatte ein Wesen vernachlässigt, das ihrer Fürsorge anvertraut war. Darum kam sie nicht herum. Der Kater weinte es aus, immer jämmerlicher und jämmer- licher,— sie war nicht gut zu ihm! Stine stand in ihrer Kammer. Sie hatte die Holzfchuhe an und hatte die Klinke gefaßt, aber sie zauderte; sie zitterte vor Kälte und wemte leise. Draußen peitschte der Wind, und| es war pechfinster. Sie öffnete die Tür «in ganz klein wenig, ' der Wind packte das alte Gebäude und rüttelte an Tore« und Luken.— überall feufzte und ftNmte es. Mitriß; fetnanb ihr die Tür und schlug die ZV? gegen die Wand; sie schrie und lief über den Hofplatz. Sie wußte, daß es der, Sturm sein mußte, und bekam doch Angst. i
Auf dem Treppenstein vor der Waschküche stellte sie die Holzschuhe hin und schlich hinein. Sie tastete sich zu der Schale und dem Mllcheimer vorwärts; der Kater schmiegte sich an ihr nacktes Bein,— das übte eine beruhigende Wirkung aus. Sie füllte feine Schale, indem sie in den Milcheimer damit hinabtauchte. Es war Schweinerei, aber was sollte sie tun? „Komm, Misl* flüsterte sie und zog sich zurück. Lorsichtio trat sie von dem Treppenstein hinunter, um die Milch nicht zu verschütten, und suchte sich im Dunkeln ihre Richtung. Die Kälte brannte in ihr, und ihren Rücken auf und nieder lief die Angst— bis ganz oben hin— und übte einen Reiz auf ihre Nackenhaare aus. lind plötzlich stand sie still, steif vor Schreck; vor cht stand eine dunkle Gestalt, kaum wahrnehmbar in der Finsternis. Sttne wollte schreien und die Schals hinwerfen, machte sich aber auf einmal klar, daß es die Pumpe sei. Diese Entdeckung machte sie ganz keck, und sie schlug die Richtung nach der Scheunentür ein. Die Milch- schale des Katers hatte des Nachts ihren Platz in der Scheune, — damit er sich dort aufhielt. Während sie die Scheunentür öffnen wollte, fiel ihr der Erhängte ein, und wieder packte sie die Angst und jagte wie ein Windstoß über sie bin. Sie wollte flüchten, aber dann oer- schüttete sie ja die Milch des Katers. Einen Augenblick stand sie ausgerichtet da, die Schale mit beiden Händen umfaffend, — gelähmt. Dann lehnte sie sich hart gegen die Scheunentür,! damit niemand herauskommen und sie fassen könnte, während l sie die Schale in den Schnee stellte. Alz sie sich wieder aufrichtete, war Licht im südlichen Tell des Wohnhauses, wv die Bäuerin ihre Kammer hatte. Das beruhigte Stine— tmd zugleich machte es sie auch ein wenig neugierig; sie ließ sich letzt Zeit, obwohl es sie fror, daß die Zähne ihr im Munde zusammenschlugen. Karen kam in der Tür zur Vorratskammer zum Vorschein, mit einem flackernden Licht in der Hand. Sie war im Hemde, ihr Haar war in einem Nackentuch aufgebunden. Langsam und mit toten Bewegungen schritt sie durch die vordere Stubenreihe. Die Kerze hielt sie vor sich hin, und in der andern Hand hatte sie einen Gegenstand,— ein Messer vielleicht. Sie war wohl hungrig geworden und wollte gewiß in die Speisekammer, um ein Butterbrot mit Lammkeule zu essen! In der Wohnstube machte sie halt und hob das, was sie m der Hand hatte, vor sich in die Höhe. Sttne sah, daß es ein Strick war. und wieder gewannen alle Schrecken Gewalt über si«: Sie zo-z sich über den Hvfplatz zurück rücklings und leise: heulend nre ein nächst ranker Hund: den Rücken getraute sie! sich dem Bilde dort nicht zuzuwenden, ßkun ging Karen durch den Waschraum und trat in die Tür; da stand st«, fühlte stch>
mit dem Fuße vor und starrte in die Nacht. Die Kerze flackette hoch auf und erlosch. Wie Stine ins Bett gekommen war, wußte sie nicht; sie lag zusammengerollt und zitternd tief unter dem Deckbett und wünschte, sie möchte einschlafen, von all dem Entsetzlichen fort, und morgen wieder aufwachen, so daß nichts gewesen war. Das kam ja manchmal vor. Als sie am nächsten Morgen hinauskam, stand die Schale an der Scheunentür im Schnee, und daneben lag ein Strick; im Schnee sah man die Spuren von großen nackten Füßen. Karen selber aber hörte man im Waschhause schimpfon,— Gott sei Dank. 8. Der öde Winter nimmt seinen Lauf. „Freude macht einem das Leben hier auf dem Bakkehos nicht,— man wird ganz nervös hier," sagte Sine zuweilen. Und doch schien gerade sie sich am besten von allen zurecht- zufinden, rund und in sich gefesttgt, wie sie war. Es hatte den Anschein, als wäre auf dem Hof das Dunkel schwerer und die Kälte schärfer; alles Beschwerliche machte sich stärker geltend, mehr gesättigt mit seinem eigenen Wesen. Das Dunkel war hier manchmal so schwarz, daß Sine sich kaum hinein getraute; jeden Augenblick suchte es die Beine unter ihr wsazuschlagen, mit seltsamen Lauten und auf andere Weise. Sie kannte ja sonst die Angst vor der Finsternis nicht, aber hier befiel sie sie zuweilen; oann wagte sie nicht, ohne Laterne in die Scheune zu gehen, aus Angst vor Karls Vater, der sich da drinnen erhängt hatte. Für gewöhnlich wurde sie auf handfeste Art damit fertig. Aber es gab Zeiten, wo die böse Luft sich verdichtete— das hing mit Karens Unwesen zu- sammen—, und wo alle Dinge zu spuken begannen. Karl litt wohl am meisten darunter; es gab Tage, an denen er nicht dazu zu bewegxn war, ein Stück Tau in die Hand zu nehmen. Aber auf alle wirkte es. Die alten Bettücher, die sich vielleicht hundert Jahre hindurch vererbt hatten, rochen immer so wunderlich; und wenn das Grauen über dem Hofe lagerte, verwob sich der Geruch mtt Stines Träumen und er- füllte sie mtt Schreckensbildern. Der Gestank nach Tabak und Krankheit löste sich aus dem alten Bettbezug und führte sie hinüber in die Kammer, wo der schwindsüchtige Mann über dem Bettrande lag und hustete, daß ihm der rote Schaum vor dem Munde stand. Auf dem Betttand saß eine dicke Frau und blies ihm den Rauch ins Gesicht— und sie lachte, wenn es feine Wirkung tat. und auf dem Fußboden lag ein kleiner Kuabe i'nd zeichnete mtt de» Finarrn Fifture* in das Rote. Dann schrtt sie auf und erwachte, strich im Dunkeln ein Stteichholz an. obwohl es streng verboten war, und beruhigt« sich dann wieder.-.-(Forts, folgt.)