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fit. 22H 38. Jahrgang

1. Seilage öes Vorwärts

Donnerstag,?2.Mai 1921

Groß-Serlln pfingftwanöerungen. SiechNnsee. Der Stechlinsee liegt an der Nordgrenze der Mark. Mit der Nordbahn nach Fürstenberg in Mecklenburg . Vom Südende der Stadt zum Südufer des Röblinsees. Auf schönem Pfad an das Westende des Sees. Durch prächtigen Wald zur Nordostecke des Peetschsees, von wo auf dem Ostufer unterhalb buchenbestandener chöhen ein Fußweg zum Augustablick führt. Weiter durch schönen Buchenwald , der späterhin in Mischwald mit vielen starken Eichen übergeht, an das Nordende des Stechlinsees. Meist in unmittelbarer Nähe des Wassers führt der Weg über Neuglobsow und Forsthaus Stechlin rund um den See zu seiner Nordspitze zurück. Von hier durch schönen Buchenwald in nördlicher Richtung zum Großen und Kleinen Glienitzsee und weiter gen Ost und Nordost nach Stein» sörde. Auf dem Südufer der Havel schöner Steig zur Steinhavel- mühle. Nun auf dem Norduser und am Röblinsee nach Fürstenberg zurück. Weglänge 3S Kilometer. Gelegenheit zum Uebernachten in Neuglobsow . Schlaubetal . Ueber Frankfurt a. O. und Mllllrose nach Mix­dorf. Vom Ostende des Dorfes nach Südost zum Kupferhammer. Von der Höhe des Weges schöner Blick über das Schlaubetal und die B�rgzüge, die es begleiten. Weiter auf dem Ostufer der Schlaube, die teils in einem engen Tal dahinfließt, teils seenartiae Erweite- rungen bildet. Die Ufer der Schlaube und die Talnieoerung sind von Erlen bestanden: die Berghänge bedecken Kiefern, vielfach mit Laubbäumen gemischt. Als Unterholz ist häufig Wacholder anzu- treffen. Bei der Oberförsterei Siehdichum zum Westufer hinüber. Hier zuerst der Hammersee, dann der Große Treppelsee mit zahl- reichen Buchten und Landzungen. Bei der Bremsdorfer Mühle wieder zum Ostufer hinüber. Anfangs ist das Tal ziemlich schmal, alsbald jedoch eine ausgedehnte Wiesenniederung. Aus den Berg- hängen rieseln vielfach Quellen. Bei der Kieselwitzer Mühle auf die Hochfläche und gen Ost über Kieselwitz und Kobbeln oder Möbis- kruge und Schlöben nach Kloster Neuzelle . Die Klosterkirche wird noch zum katholischen Gottesdienst benutzt. Im ehemaligen Kloster- garten einige Eiben von etwa 15 Meter Höhe und 40 Zentimeter Stammdurchmesser in 1 Meter Höhe über dem Boden. Derartige Naturdenkmäler sind äußerst selten in Deutschland . Rückfahrt von Neuzelle über Frankfurt a. O. Weglänge 38 Kilometer. Gelegen- heit zum Uebernachten in den Mühlen des Schlaubetals oder in Kieselwitz. Lanke. In der alten Hussitenstadt Bernau beginnen wir die Wanderung. Ein Rundgang zeigt uns die alle Stadtmauer mit dem Wallgraben, die Tore mit ihren Türmen und die Marienkirche. Wir verlassen die Stadt gen Nordwest auf der Chausiee nach Wandlitz . Bald zweigt der Uetzdorfer Weg rechts ab: er bringt uns zum Wald, der anfangs aus Kiefern besteht, die aber von Buchenbeständen ab- gelöst werden. An einer Wegkreuzung nach rechts, den Lanker Weg. Die Herrschaft Lanke mit ihren ausgedehnten Waldungen ist jetzt Besitz der Stadt Berlin . Oestlich vom Ort liegt der Hellsee. Tief ein- gebettet ist er in die Senke, die die von Buchen bewachsenen Höhen bilden. Bei der Hellmühle verläßt das Hellmühlenfließ den Hellsee. Es nimmt seinen Lauf nach Biesenthal und vereinigt sich hier mit mehreren anderen Fließen zur Finow. Von der Hellmühle zuerst gen Südost und dann gen Süd durch die Ladeburger Heide am Mechesee vorüber nach Ladeburg. In kurzer Wanderung bringt uns die Chausiee nach Bernau zurück. Weglänge 23 Kilometer. Brieselang . Mit der Hamburger Vorortbahn nach Finkenkrug. Das Waldgeb'iet des Brieselang liegt nördlich der Bahn. Als Ein- gangspforte wählen wir den im Jahre 1777 gegründeten Allen Finkenkrug. Die hochstämmigen alten Kastanien in der Umgebung bieten jetzt, zur Zeit der Blüte, einen schönen Anblick. Die Gestell- wege des Brieselang , deren Betreten allerdings meistens verboten ist, sind alle sehr schön. Wir wandern abwechselnd auf dem einen und auf dem anderen, bis wir zum Remontedepot und Forsthaus Brieselang kommen, das am Nordende des Waldes liegt, wo der Havelländische Große Graben vorüberzieht. Der Brieselang ist ein Laubwaldgebiet, das sehr viel sumpfige Stellen aufweist. Deshalb lassen es sich hier die Mücken in großen Mengen wohl sein. Auch an sonstigen Insekten ist das Gebiet reich, so daß es einen ausgiebigen 'Fundplatz für Jnsektenfreunde und Naturforscher bildet. Wir über- schreiten den Großen Graben und wandern in der Nähe des Luch- randes nach Westen. An der Schweinesteigbrücke vorüber� kommen wir zur Nauener Chausiee. Im Norden ragen die Türme der Telefunkenstation auf. Wir wenden uns gen Süd nach Nauen und beschließen mit einem Rundgang durch das Städtchen die Wände- rung. Weglänge 18 Kilometer.

Das Drama von VesenSahl. Ein neues Geständnis des Skrausberger Mörders. Der Strausberger Mord, der nicht nur die Strausberger, sondern in hohem Grade auch die Berliner Bevölkerung beunruhigt hatte, gewinnt durch das heutige Geständnis des Mörders Rehde wesent- lich an Klarheit. Es geht aus diesem Geständnis hervor, daß in dem Wald von Wesendahl sich ein regelrechtes Drama abgespielt hat, dem der unselige Werner zum Opfer gefallen ist. Der Arbeiter Max Rehde, der nach längerem hartnäckigen Leugnen zunächst gestand, seinen Vetter, den Zimmerpolier Werner im Walde bei Wesendahl in der Notwehr erschossen zu haben, hat jetzt sein Geständnis erweitert und einen mit Vorbedacht und Ueber- legung ausgeführten Mord eingeräumt. Er bleibt dabei» daß er gegen Werner einen tiefen Widerwillen empfunden habe, weil dieser nicht mehr gesonnen gewesen sei, an den Drahtdiebstählen teilzu- nehmen. Das allein hätte ihn jedoch nicht bewegen können, ihn um- zubringen. Hinzugekommen sei vielmehr noch ein Erpresserbrief, den er vor einiger Zeit von seinem Vetter erhalten habe. Daraus habe er sich entschlossen, ihn beiseite zu bringen und zu dem Zweck eine Diebessahrt unternommen, die Werner wieder habe mitmachen müssen. Wie Rehde sagt, schoß er auf Werner zunächst aus einer Entfernung von etwa 3 Metern. Der Schuß traf ihm in den Hinter- topf und streckte ihn gleich zu Boden. Jetzt ging Rehde hinterrücks dicht an den Getroffenen heran und gab blindlings noch vier Schüsse auf seinen Kopf und Rücken ab. Auch diese Schüsse wirkten nicht gleich tödlich. Werner glaubte, daß er als Drahtdieb von einem Wächter angeschossen worden sei und rief seinen Better Max um Hilfe an. Rehde ersah daraus, daß Werner nicht wußte, daß er selbst ihn niedergeschossen hatte, und spielte nun auch die Rolle des Helfers. Auf seinen Wunsch legte er ihm den Kopf auf«in Reisig- bündel. Werner bat ihn dann, weil es mit ihm ja doch zu Ende geh«, erst keinen Arzt zu holen und seine Werttasche an sich zu nehmen, um sie zu Hause abzugeben. Kaum hatte Rehde die Tasche eingesteckt, gab Werner seinen Geist auf. Jetzt drückte Rehde noch dem Toten den Revolver in die Hand, um einen Selbstmord vorzutäuschen, und fuhr dann mit dem Handwagen davon. Die Brieftasche lieferte er nicht ab, wie er sagt, um sich nicht als Mörder zu oerraten. Das Geld, das sie enthielt, gab er seiner eigenen Frau, ohne ihr mitzu- teilen, woher es stammt«, und mit der Weisung, seinem Bruder nicht zu sagen, daß er die Nacht über nicht zu Hause gewesen sei. Um alle Angaben des Verhasteten an Ort und Stelle nachprüfen zu können, wurde ein Lokaltermin anberaumt, zu dem Kriminal- kommisiar Tretttn ebenso wie zu der Obduktion der Leiche in Straus- berg den Mörder mit mehreren seiner Beamten vorführte. Im Laufe des gestrigen Nachmittags wurde auch der Bruder des Mörders noch- mals eingehend vernommen. Sein« Aussagen lassen erkennen, daß auch das neue Geständnis des Max Rehde nicht auf Wahrheit beruht. Aus den Bekundungen des Bruders geht hervor, daß auch dieser vorher um die Tat gewußt hat und Max Rehde den Werner nur umgebracht hat, um sich in den Besitz seines Geldes und später auch seiner Hinterlassenschaft an Möbeln und Kleidungsstücken zu setzen. Danach liegt also ein glatter Raubmord vor. Die Liebeskajüte. Ein Sittenfilm aus dem Leben und Lieben der»neuen Reichen". Geradezu erschreckende Sittenbilder wurden in einer Derhand- lung aufgerollt, welche gestern unter Vorsitz des Amtsgerichtsrats K r ö n k e das Schöffengericht Berlin-Mitte beschäftigte. Angeklagt wegen Diebstahls bzw.' Hehlerei waren der 22jährige Schneider- geselle Dobroschowski und fünf andere Personen, welche sich der Hehlerei schuldig gemacht haben sollten. Die Beweisauf­nahme entrollte Sittenbilder, gegen welche der Inhalt sämtlicher sogenannter Aufklärungsfilme harmlose Märchen sind. Die Haupt- rolle in dieser Angelegenheit spielte die jetzt 21jährige Tochter Emmi eines zu denneuen Reichen" zählenden Fabrikbesitzers I., der über Luxuswohnung, Motorboot und Auto verfügt. Das viel- versprechende Töchterchen dieses Zeugen stellt einen ganz beson- deren, leider aber nicht mehr seltenen Typ derMädchen von heute" dar. Wie von Justizrat Dr. D a v i d s o h n durch die be- antragte Vernehmung des Schisfskapitäns Trill und eines Fräuleins Margarete K. unter Beweis gestellt wurde, hatte der Angeklagte D. die Emmi I. auf einem Ausflug auf dem DampferNiederland " der Reederei Nobiling kennengelernt und war sofort von der I. zu einemStelldichein" in der Kajüte eingeladen worden, wofür sie in Gegenwart des T. von dem Angeklagten 20 M. verlangte. Trill machte letzteren auch sofort darauf aufmerksam, daß das Fabrikbesitzerstöchterlein auch mit sämtlichen Heizern des Dampfers in Beziehung gestanden und je S M. erhalten habe. Trotzdem kam

zwischen dem Angeklagten D. em Verlöbnis zustande. Als Ver- lobungsgeschenk erhielt D. von der holden Braut eine Photographie, welche sie in einem recht weit vorgeschrittenenZustande" zeigte. Wie D. unter Beweis stellte, habe die eigene Mutter der I. zur Verlobung gedrängt, da sie dann selbst einfreieres Leben" führen könne, da sie ein Verhältnis mit einem Korvettenkapitän habe, während ihr Mann zu einer Russin in Beziehungen stehe. Vor einiger Zeit erstattete der Fabrikbesitzer Anzeige, daß während seiner Abwesenheit aus seiner Wchnung mittels Einbruchs Perser- teppiche u. a. im Gesamtwerte von 80 000 M. gestohlen worden seien. Die Ermittlungen ergaben oas überraschende Resultat, daß das eigene Töchterlein den Einbruch inszeniert hatte, wie sie jetzt behauptet, auf Drängen des Angeklagten. Die Beweisaufnahme bestätigte, daß die Emmi I. bei dem Verkauf der gestohlenen Sachen zugegen gewesen war. Der Angeklagte behauptet seinerseits, daß die I. selbst den Lieblingshund ihrer Mutter bei demEinbruch" totgeschlagen habe. Auf Grund der von Iustizrat Dr. David- söhn und Rechtsanwalt Jul. W e r t h e i m gestellten. Beweis- antrage, deren Wiedergabe aus naheliegenden Gründen nicht mög- lich ist, kam das Gericht zu einer Freisprechung der sämtlichen Angeklagten, da der Zeugin I. jede Glaubwürdigkeit abgesprochen werden müsse. Die Lanöesversicherungsanstalt Serlin in Not! Einschränkung ihrer Fürsorgeeinrichtungen. Die in Nr. 217 von uns gebrachte Nachricht, daß die Landes- Versicherungsanstalt Berlin ihr« Kinderheilstätte Lichtenberg aus- löst, wird jetzt durch«ine noch sehr viel schlimmere Meldung er- gänzt. Sie besagt, daß Gesamtoorstand und Ausschuß der Landesversicherungsanstalt ein st immig folgenden Be- schluß gesaßt haben: Die Kosten der freiwilligen Leistungen der Landesversiche- rungsanstalt Berlin auf dem Gebiet der vorbeugenden Kranken- fürjorge sind durch die enorme Steigerung der Aus- gaben für Lebensmittel, Löhne, Gehälter und Materialien aller Art, insbesondere für Kohlen, derartig gestiegen, daß sie aus den laufenden Einnahmen nicht bestritten werden könney und bereits feit längerer Zeit eine starke Minderung des Vermögens der Landesversicherungsanstalt Berlin herbeigeführt haben. Wenn die Londesoersicherungsanstalt trotzdem bislang alle ihre Fürsorgeeinrichtungen uneingeschränkt aufrechterhalten hat, so hat sie dies in der bestimmten Erwartung getan, daß seitens der Reichsregierung die notwendigen Schritte zur Abhilfe des Notstandes getan werden würden. Zu dieser Erwartung war die Landesversicherungsanstalt Berlin um so mehr berechtigt, als der Reichstag m einer Resolutton die Reichsregierung ersucht hatte, gesetzgeberische Maßnahmen zur Beseitigung des Notstandes so rechtzeitig vorzubereiten, daß diese am 1. Juli in Kraft treten können. Obwohl nun bei der Landesversicherungsanstalt eine Ein- schränkung ihrer Fürsorgemaßnahmen um die Hälfte bereits da- durch eingetreten ist, daß sie den Umfang dieser Maßnahmen trotz der durch die Eingemeindung herbeigeführten Verdoppelung der Zahl ihrer Versicherten nicht vergrößert hat, so ist die Anstalt zu ihrem lebhaftesten Bedauern zur weiteren Einschränkung ihrer vorbeugenden Maßnahmen gezwungen. Gesamtvorstand und Aus- schuß der Landesversicherungsanstalt Berlin beschließen daher: 1. Die Kinderheilstätte Lichtenberg wird aufgelöst. 2. Die gesamte Zahnfürsorge wird eingestellt. 3. Die Zahl der Betten der Ar- beiterheilstätte Beelitz wird bis auf 300 bis 400 Betten für Lungen- kranke eingeschränkt, falls nicht bis spätestens zum 1. Juli gesetz- geberische Mahnahmen zur Beseitigung der Notlage herbeigeführt sind. 4. Alle sonstigen Fürsorgeeinrichwngen bleiben bis auf wei- teres bestehen." Diese Einschränkung der von der Londesoersicherungsanstalt Berlin bisher betriebenen Fürsorgeeinrichtungen bedeutet eine Katastrophe. Zur Abwendung der schweren Schädigungen, die davon für die heilungsuchende Arbeiterbevölkerung zu erwarten sind, wird die Reichsregierung schleunigst die notwen- digcn Schritte tun müssen. Zweifelhast kann allerdings noch scheinen, ob die Landesversicherungsanstalt Berlin wirklich schon unbedingt nötig hat, zu so gewaltsamen Mitteln zu greifen. Oder ist wahr, was über sie behauptet wird, nämlich, daß der größte Teil ihres einst so stolzen Vermögens in Kriegsanleihe angelegt ist? Da nimmt es sich sehr eigenartig aus, daß dieDeutsche Zeitung" nach berühmtem Muster auch diese für die Bolksgesund- heit verhängnisvollen Maßregeln agitatorisch ausnutzen zu dürfen glaubt. Sie meldet sie unter der SpitzmarkeZusammenbruch der Fürsorgeeinrichtungen unter dem neuen Re- g i m e". Nein, wenn die Fllrsorgeeinrichtungen der Landesversiche- rungsanstalt Berlin jetzt wirklich zusammenbrechen müssen, so haben auch sie das dem Kriege zu danken.

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Sline Menschenkind.

III. Der Sündenfall. Don Martin Andersen Nexö . Hier verbrachte sie ihre besten Stunden. So oft sie eine inüßige Stunde hatte, suchte sie ihr Kämmerlein auf. Kall genug war's im Winter drinnen gewesen mit der offenen Halbtür, aber nun ging es an. Dann nahm sie ihre verschiede- nen Schätze hervor und ließ sie durch die Finger gleiten; sie legte den einen Gegenstand hin und nahm den andern vor und glättete und legte alles hübsch ordentlich zusammen. Das konnte sie immer wieder tun und innige Freude darüber emp- finden. Da war eine Stickarbeit,� derentwegen sie von der Lchrerfrau gelobt worden war, während die Familie noch im Elsternnest wohnte, ein Stammbuch, in das ein paar Mit- konfirmanden etwas hineingeschrieben hatten, und eine Photo- graphie ihrer Konfirmandenabteilung. Das war das einzige Mal, wo sie photographiert worden war, und sie schaute immer gleich erstaunt und neugierig auf die kleine dünne Dirn, die sie selbst vorstellen sollte, die Kleinste der Schar und die Häß- lichste, wie il>r schien. Am meisten gespannt war sie darauf. ob sie wohl jemals ebenso nett werden würde wie die andern. Sie hatte keine übertrieben hohe Meinung von ihrem eignen Aeußern, woher sollte die wohl auch kommen? Nie hatte jemand von ihr gesagt: O, was für ein hübsches Mädchen! Wovon sollte sie denn auch hübsch werden? Das Blut, das durch ihren Körper rollte, war auf seinem Wege durch das Herz nicht gerade gesüßt worden; eine Menge Kümmer- niffe hatte es passiert, es führte die bitteren Abfallprodukte mit sich in den Körper, und aus ihnen hatte sie sich aufzubauen. Ihre Hautfarbe war noch bläulich davon, und das Eckige und Magere wich nicht von ihr, es sträubte sich gegen die beginnen- den weichen Formen. Die Schiefheit haftete ihr bis zuletzt an, die strenge Winterarbeit hatte gut dabei geholfen. Das Ergeb- nis war alles in allem gemischt, hübsch konnte sie nach wie vor Vicht genannt werden. Aber froh war sie; nie hatte sie sich über das Frühjahr gefreut wie in diesem Jahre. Und das Licht vergalt es frei- gebig. Es nahm ihr Gesicht und ihre ganze Gestalt, wie sie nun einmal waren, und die Lichtstrahlen jagten einander um alle Vorsxrünge und Kanten, Es konnte zu einem ganzen

Spiel von Sonne und Lächeln werden, wenn sie über den Hof kam, mit dem frühlingsstarkcn blauen Meer als Hintergrund. I. wie froh du aussiehst, Mädel!" rief Sine und lachte selber dabei.Kommt das vom Hüten?" Genau so sah sie aus an jenem Tag mitten im Mai, als sie wieder mit dem Vieh hinauszog. Und das Bieh sah aus wie sie. Es war langhaarig geworden im Lauf des Winters und auch mager, aber Licht und Wind durchspielten die Tiere, und übermütig waren sie. Sie schlugen närrisch hinten aus, als zielten sie nach der Sonne selbst, und jagten in wahn- witzigem Galopp den Feldweg entlang nach der Koppel hin. Und Stine folgte ihnen leichten Sinns. 9. Sommer. In den ersten Tagen, als Stine draußen war, hatte sie ihr Vesperbrot zu Rasmus Rytters Hütte gebracht. Jetzt kamen die Kinder selbst und holten es vor- und nachmittags. Sie fanden sich im Trupp ein und waren fast immer vor ihr zur Stelle: in einem der Nester lagen sie dicht beieinander und warteten auf sie. Sie waren scheu wie Kiebitzjunge und ver- steckten sich am liebsten vor den Leuten; sobald sie die Brot- schnitten bekommen hatten, machten sie sich, einer nach dem andern, aus dem Staube, als flöhen sie mit einem Raub. Waren sie ein Ende weit weg, so ließen sie sich jedes für sich irgendwo nieder und begannen zu essen. Stine mußte genau unter sie austeilen; es ging nicht an. dem einen auch die Por- tion des andern anzuvertrauen, dazu waren sie zu hungrig. Viel hatten sie nicht auf dem Leibe, zerlumpte Hosen und manchmal auch etwas, das ein Hemd vorstellen sollte, aber viel brauchten sie bei der Sommerwärme ja auch nicht. Und flink auf den Beinen waren sie! Eines Tages nahm Stine sich vor, ein bißchen von dem Dreck von ihnen herunterzuscheuern. aber daran erlebte sie keine Freude. Am nächsten Tage getrauten sie sich nicht bis zu ihr hin, sondern lagen oben an der Hecke und guckten hinab; näherte sie sich ihnen, so nahmen sie Reißaus. Sie hielt das Vesperbrot in die Höhe, aber das nützte nichts. Dann legte sie es da oben hin und ging wieder in die Sumpfwiesen zurück; und kurz darauf war es weg. Diese Kleinen glichen den Kätz- lein, die außerhalb von Haus und Heim in einem Heuhaufen geboren werden; halb wild und mißtrauisch waren sie, es war kein Auskommen mit ihnen. Waren sie aber in ihren eigenen vier Pfählen, so waren sie ganz anders. Daheim um die Hütte heyrnt lärmten sie den lieben langen Tag, so daß Stine es bis

hier herauf hören konnte, zusammen mit der scheltenden Stimme der Mutter, die Ordnung unter ihnen schaffte. Es fehlten fast immer Knöpfe an den Hosen der Kleinen, so daß sie sie beim Laufen festhalten mußten. Stine wurde ganz ärgerlich darüber, und eines Tages hielt sie einen der Jungen fest.Du bekommst nichts zu essen, wenn du mich nicht vorher den da annähen läßt," sagte sie und nahm einen Knopf aus der Tasche. Da fügte er sich in die Operation, aber er stand stampfend da, während sie nähte, und kaum hatte sie den Faden herumgewickelt und abgerissen, so eilte er davon, immer noch die Hose festhaltend.So laß doch los, Dumm- köpf!" rief sie lachend. Da ließ er los; und als er merkte, daß die Hose von selber hängen blieb, geriet er ganz außer Rand und Band, jagte in größter Geschwindigkeit im Kreise um sie herum und trabte immerzu in dem gleichen engen Kreise weiter, stark nach innen neigend wie ein Füllen am Tüder. Stine verstand so gut, daß das ein Geschenk für sie sein sollte, und folgte ihm bewundernd mit den Augen.Das ist ja groß- artig," rief sie.Schönen Dank! Aber jetzt kannst du nicht mehr, komm, nun sollst du dein Essen kriegen." O gewiß, er konnte noch ein ganzes Mal herum. Und dann kam er schnau- fend zu ihr und bekam fein Pesperbrot. Diesmal lief er nicht gleich weg, sondern legte sich bei ihr hin und verzehrte sein Essen. Nun blieben die andern auch, und sie fügten sich darein, daß Stine ihre Sachen ausbesserte. Nach und nach faßten sie Vertrauen zu ihr, und bevor sie sich's versah, hatte sie ein neues Nest zu versorgen. Da war so vieles bei ihnen, wobei man Hand anlegen mußte, und das befriedigte so sehr, Stine hatte eine ganz eigenartige Gabe, das Dasein mit den Händen zu genießen. Sie brachte es so weit, daß die Kinder ihr erlaubten, sie auch zu waschen, und da gab es Arbeit. Das Schlimmste waren die kleinen Köpfe, bei denen war fast nichts zu er- reichen. Sie mußte sehen, daß sie etwas Petroleum stahl und mit herausbrachte! Eines Nachmtttags hatte sie die Köpfe mit Petroleum überschüttet und erzählte den Kindern dabei von dem großen Klaus, damit sie still hiellen. Als es überstanden war, standen sie blinzelnd da und sahen aus, als wäre ihnen die ganze Welt fremd geworden.Brennt es?" fragte sie lachend. Ja, aber beißen tut's nicht mehr," erwiderten sie er- staunt. »Und. jetzt geht nach Hauje," jagte sie.(Forts, folgt.)