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Nr. 237 3S. �ahrgaag

2. Seilage öes Vorwärts

Soaatag, 22. Mai 1921

GroßSerlw Sonntagsdienst. Wie war doch das Pfingstfest schon! Sonne, Wärme, Blüten, Düste, stohe Menschen. Tausende zogen hinaus, konnten hinaus- ziehen, weil andre da waren, die sie hinausbeförderten. Fernbahn, ljSrortzüge, Hochbahn, Straßenbahn, Autobusse, Dampfer, alles schwoll an von Menschen, quoll über, barst und schaffte es dennoch. Wie froh waren draußen die Menschen, wie jauchzten und sangen sie. Wieviele sagten:Die Sonne meint es gut". Wer ober hat das Wort gesprochen:Die Menschen meinen es gut!" ?sne Menschen, die dafür sorgten, daß die andern hinauskamen, die Verkehrsangestellten und Beamten. Während alle Männer ihre Frauen und Kinder hinausführen konnten, mußten Frauen dieser Männer zu Hause bleiben, denn der Boter hatte Sonntagsdienst, mußte arbeiten, und zwar angestrengter und verantwortungsvoller als in der Woche. Ringsum lachte, scherzte und sang eine befteite Menschheit. Diese Männer aber standen ernsten Blickes auf der Lokomotive, der Straßenbahn, im Führerhäuschen, im Stellwerk und im Kohlenlager. Mit unendlicher Geduld mußten sich die Be- amten und Beamtinnen der Fahrkartenschalter und der Kontroll- stellen wappnen. In doppelter Hitze arbeiteten die Heizer der Dampfer. Den Chauffeuren wurde besohlen:Schnell hinaus!" Und weiter: Mußten nicht die Kellner laufen und springen? Mußten nicht die Köche ihre Pflicht tun? Mußten nicht die fleißigen Mäd- chcn reinigen und auswaschen? Und abends der Ansturm auf alle Fahrangestellten noch einmal, noch viel stärker, noch viel ungedul- diger, und sie dazwischen mit ihren eigenen Angelegenheiten, Sorgen und Nöten, und doch für Arbeit und Dienst verpflichtet. Und weiter. Log in der Zwischenzeit die Riesenstadt vereinsamt? Keineswegs. Elektrizität, Gas, Wasier und Kanalisation mußten in Gang bleiben. Luch da arbeiteten Menschen, von denen keiner etwas sah und hörte, in stiller Pflichterfüllung. Auch die tapferen Feuerwehrleute fanden keine Sonntagsruhe und verharrten in Alarmbereitschaft. Die Po- lizeibeamten mußten gleichfalls Dienst tun. Die Hausverwalter mußten Häuser, Banken und Fabriken beobachten und die armen, geplagten Telephonfräulein wurden selbst an den Festtagen be- stürmt.' So war es an den Pfingsttagen. Run ober liegt der ganze weite Sommer vor uns, und die Berliner brauchen die Sonntags- erhclung nötig, sie wollen und müssen hinaus. Mit um so größerer Dankbarkeit und Anerkennung aber müssen sie dann auch aller derer gedenken, die an diesen sommerlichen Tagen nicht hinauskönnen, sondern im Gegenteil erhöhten Dienst tun müssen. Es ist ein stiller, eindringlicher Dienst am Boll, den all diese Männer und Frauen leisten. Und alle die, die diese Leistung in Anspruch nehmen, mögen sich Mühe geben, den anderen die Sonntagsarbeit nicht zu erschwe- rcn. In unseren Seelen muß steudige Dankbarkeit sein für alle, bin uns helfen, einen Sonntag der Erholung und der Freude zu verleben.» »« In der Zeit von Mittwoch, den 11. Mai, bis einschließlich Sonn- abend, den 14. Mai, sind in Berlin 334 233 Fahrtarten im Fern- verkehr(gegen 885 665 im Borjahr) verkauft worden. Die höchsten Verkehrszahlen weift in diesem Jahre wieder der Stettiner Bahn- Hof auf, von dem an den vier Tagen insgesamt 61 4A> Personen eine Fernreise antraten. An zweiter Stelle steht der Anhalter Bahn- bof, von dem insgesamt rund 50 000 Fahrkarten vertauft wurden. Mit diesen Leistungen im Fernverkehr ist sogar der Verkehr zu Vfingsten 1013 erheblich, und zwar um rund 44 000 Fahrkarten überboten worden. Auf den Stationen der Stadtbahn wurden am Himmelfahrtstag und am 1. und 8. Pfingftfeiertag etwas mehr als eine Million Fahrkarten verkauft, während auf den Ringbahn- stationen rund 1,14 Millionen Fahrkarten ausgegeben wurden. Insgesamt verkauften sämtliche Stationen des Stadt-, Ring- und Vorortverkehrs 4 188 615 Fahrkarten. Schüsse auf Mutter unö Kinö. Schreckenstat eines entmenschten Vaters. Wegen gefährlicher Körperverletzung hatte sich vor der Straf- kammer des Landgericht» II der Kutscher August Hen ningse n

zu verantworten. Der schon wegen Körperverletzung vorbestrafte Angeklagte lebte seit dem Jahre 1911 mit einer Arbeiterin Erlich in wilder Ehe. Diesem Verhältnis war ein jetzt sechsjähriges Kind entsprossen. Zwischen H. und seiner Geliebten kam es häufig zu Zank und Streit, da sie sich stets gegenseitig der Untreue bezich- tigten. Wiederholt kam es auch zu Prügeleien, und eines Tages zeigte die E. den Angeklagten wegen Körperverletzung an. Als H. am 11. Juni v. I. wieder einmal unter schweren Todesdrohungen von der Erlich die Rücknahme des Strafantrages verlangte, kam es zu einem Streit, den die E- dadurch beendete, daß sie sich mit ihrem Kinde zu Bett legte. Der Angeklagte gab nun aus nächster Nähe auf beide mehrere Schüsse ab, welche Mutter und Kind in den Kopf trafen und schwer verletzten. Staatsanwaltschaftsrat Dominik beantragte eine Gefängnisstrafe von 8 I a h r e n, während Rechts- anwalt Dr. Marx unter Bezugnahme auf das Gutachten des Sanitätsrats Dr. Friedrich L e p p m a n n, der den Angeklagten als einen stark nervösen, leicht reizbaren Menschen bezeichnet hatte, um eine mildere Strafe bat. Das Gericht erkannte auf 1(4 Jahre Gefängnis unter Anrechnung der fast ein Jahr betragenden Untersuchungshaft._ Wer ist der erschossene Verbrecher? Zu demRaubmordversuch an dem Juwelier Guschke in der Warten- burgstraße, über den wir vor einigen Tagen berilbteten. wird uns noch mitgeteilt, daß es bisher noch nicht gelungen ist, des flüchtigen Täters habhaft zu werden. Es liegt dies wohl in der Hauptiache daran, daß man die Persönlichkeit des erschossenen Spießgesellen noch nicht feststellen konnte. Gewisse Spuren deuten zwar darauf hin. daß eS sich um Mitglieder einer Weddingkolonne handelt, doch sind die Ermittelungen noch nicht geschlossen. Unter Hinweis auf die Belohnung werden alle Personen, die irgendwelche zweckdienliche Angaben machen können, ersucht, sich bei Kriminalkommissar Dr. Anuschat im Zimmer 52 de« Berliner Polizeipräsidiums zu melden. Eine weitere Meldung besagt, daß die Kriminalpolizei bestimmte Spuren verfolgt. Die Frau des Juweliers Guschke, die bisher in Zinnowitz weilte, ist dort von Beamten der Berliner Kriminal- Polizei vernommen worden und ist inzwischen in deren Begleitung in Berlin eingetroffen._ Jugend-Nachtlager im Sandkaste«. Am Pappelplatz steht ein Sandkasten der Städtischen Straßen- reinigung. AIS Sonnabend früh eine Streife der Schutzpolizei an dem Kasten vorbeiging, hörte sie ein kräftiges Schnarchen. Die Beamten hoben den Deckel hoch und sahen zwei junge Burschen, die im tiefen Schlafe lagen. Sie weckten die beiden Schläfer, fragten nach dem Woher und Wohin und nahmen sie schließlich beide mit zur Wacke, da eS sich herausstellte, daß sie die 16- bzw. 16 jährigen Gebrüder Kurt und Erich Sch. aus der Jugend« bewahranstalt in Pankow entwichen waren. Sie wurden der Anstalt wieder zugeführt.._ Kinder aufs Land! Mit Unterstützung der Stadtberordnetenfraktion der SPD. und anderer Fraktionen hat die Stadtverordnetenfraktion der USP. der Berliner Stadtverordnetenversammlung folgenden Antrag zugehen lassen: Die Stadtverordnetenversammlung ersucht den Magistrat, in den Haushaltsplan für 1921 Jugendamt fünfzehn Millionen Mark für Verschickung. von Kindern aufs Land einzustellen.

Reichskagspräsidenk Löbe wird in der Prvtestoersammlung gegen die Vergewaltigung Oberschlesiens , die, wie berests mitgeteilt, am Sonntag, den 82. Mai, vormittags um 11 Uhr, im großen Saale der, Philharmonie stattfindet, persönlich den Vorsitz führen. Eine Gedenkfeier der Verkehrstruppen wurde gestern in Berlin veranstallet. Man könnt« sie«in« Totenfeier nennen, denn die Der- kehrstruppen haben auf Anordnung der Entente aufgelöst werden müssen. Die Feiernden begingen die fünfzigste Wiederkehr des Tages, an dem im Jahre 1871 das Eisenbahnbataillon I, die erste Verkehrstruppe, gegründet wurde. Bei dem Gsnrrolappell und Feldgottesdienst, die am Vormittag aus dem Hof der Kaserne des ehemaligen 1. Eisenbahnregiments(Schöneberg ) stattfanden, wurden die chauvinistischen Phrasen noch ziemlich vermieden. Desto reichlicher strömten sie aber bei der Festsitzung, die am Abend in der Neuen Welt"(Neukölln) folgte. Einer der Redner, Oberst Laube, 'Vorsitzender des Vereins ehemaliger Offiziere der Eisenbahntruppen, gedachte auchu n s e r e S K a i s« r s". Er mahnt«:Treue wollen wir halten, zur Treue gehört aber die Kameradschaft." Und er schloß dann mit einem Hoch auf aie Kameradschaft. Derständni»

innig stimmte die Festversammlung ein. Auf dem Festprogramm stand u. a. auch ein Ball, der abends um 8 Uhr beginnen und(wie das Programm ankündigte)bis 6 Uhr morgens" dauern sollte. Das läßt auf eine Tanzlust schließen, die eigentlich schlecht zu der von den Rednern hervorgehobenentiefen Trauer um Deutschlands Schmach und Not" paßt. Hochbahn -Rennzüge. Zu den heutigen Rennen im Grunwald werden, wie wir hören, auf der Berliner Hock» und Untergrund­bahn wieder direkte Züge nach dem Bahnhof Sradion gefahren werden. Der direkte Zugverkehr beginnt mir dem Zuge ab Nord« ring 12,11 mittags, während weitere Züge in Abständen von 5 bis 10 Minuten bis um 2.21 nachm. folgen. Ter Zugverkehr in der Gegenrichtung, der alsbald nach Schluß der Rennen beginnen soll, wird nach Bedarf direkt nach dem Stadtinnern durchge'ührt oder durch Umsteigen in Bismarckstraße bis um 7.56 abends vorgesehen. Die Berliner Stadtverordnetenversammlung, die ihre nächste Sitzung am Donnerstag, den 26. Mai. abhalten wird, wird eine Tagesordnung von 47 Punkten zu erledigen haben. Davon sind 29 Magistratsvorlagen und 7 neue Anträge. Ueber die Entlassung städtischer Angestellter und Arbeiter wird es wahrscheinlich zu einer lebhaften Aussprache kommen. Streik im Eafe Tivoli, Chausseestraße 85. Wegen willkürlicher Entlassung von sechs Angestellten ist das gesamte Personal dieses Etablissements am Sonnabendabend in den Streik getreten. Die angebahnten Verhandlungen scheiterten an dem Herrenstandpunkt des lherrn Richard Weise, der auck Inhaber des Zell Nr. 1 ist. Kollegen, übt Solidarität. Verband der Gastwirtsgehilfen. Im Zoologischen Garte» findet am Sonntag von 4 Uhr nachm. ab großes Doppettonzert der Kapellen der Obermusikmcister Änoch und Loeser statt. Eintritt 4 M., Kinder unter zehn Jahren die Hälfte. Das Aqua- rium ist Sonntags von 9 8, in der Woche von 97 Uhr geöffnet. Brot und Mehl. In der Woche vom 23. bis 29. Mai darf Brot und Mehl nur auf die Brotkarte abgegeben und entnommen werden, deren Abschnitte das Stichwort SarottiHochfein" tragen. Brot und Mehl auf die Karte mit dem Stichwort Sarotti Hochfein" darf erst von Montag, den 28. Mai, ob verkauft«erden. Tonbstummenderanstaltnng. DaS Pflegamt für die wissenschaftliche Weiterbildung der Schwerhörigen veranstaltet am Sonntag, den 22. Mai, vorm. 11 Uhr, in der Urania, Taubenstr. 48/49, wieder einen Lichtbilder- Vortrag, lautend: Thüringen . Die Worte werden den Zuhörern mittels eines elektrischen BielhörerS klar und deutlich zu Gehör gebracht. DerFreh-Unnd", dessen Aufgabe in der vlonniäßigen Zusammen» ziehung nicht nur oller kuIMrwilligen Einzelpersönlichkeiten, sonder« euch bereits bestehender Bereine und Verbände zu gemeinsamer KnIMrarb'it liegt, veranstaltet am Sonntag, den 2 2. Mai,71ö Uhr abend», im großen Saale de? Künstlerhauses, Bellevuestr. Z, eine Frev-Lund -Feicr Leitung: Heinrich Nienkamp. Ueber das Haupt-Thema des Abends:Was bringt der Frey-Bund der Menschheit?" spricht Willv Schlüter. Studenten und Mitglieder von Jugendverbänden ermäßigte Preise.

Zilmsthau.

Mann über Bord." In dem U.T. Surfürstendamm laust neben dem flotten LustspielLeo und seine Kammerjungsra u", dem Lotte Werkmeister und Leo Peukert durch ihr gutes Spiel Leben und Bewegung verliehen, dos(leider) vieroktige SchauspielMann über Bord" von Georg Frank und Karl Grüne, unter der Regie Karl Grünes. Ganz abgesehen von einigen groben Regiesehlern ergeht sich das Thema in einer unoloublichen Hintcrtrcppenromantik. Um die Sentimentalität auf der Höhe zu halten, griff man auch noch zur Mitwirkung eines kleinen Kindes(das m vier Jahren auch nicht um einen Zentimeter wächst). Mit Ausnahme einiger guter Naturausnahmen im ersten Akt schleppte sich die Handlung träge und ohne Steigerung durch die anderen drei Akte. Grit tegesa, Erich Kaiser-Titz und Alfred Abel gaben sich Mühe, durch gutes piel das öde Bild zu beleben. I« Sport-Palaft ficht man den dritten Teil des FilmsDer Man« ohne Namen"Gelbe Bestien", den wir bereits besprochen haben. Er verfehlte auch hier nicht seine Anziehungskrast auf dos Publikum. Ferner amüsiert ein reizendes Lustspiel, betiteltF o x t r o t t s i m m e l", in dem der urwüchsige Albert Paulig die Lacher wieder aus seiner Seite hat. I« der Schauburg käustDer Schützling de! Todes". Tie Idee, die diesem Sensationssilm zugrundeliegt, ist insofern gut, als gezeigt wirb,. wie die Derhältniss« den Lebenslauf zweier Menschen bestimmen. Dos Gastspiel des Herrnfeld-Theaters war ein voller Erfolg, der sich auch äußerlich in zahlreichen Blunienspendcn kundtat. In zwei Akten persi- slieren sie die Moral der modernen Gesellschaft in so witziger und tress- sicherer Weise, daß das Haus von den Lachsalven geradezu erschüttert wurde.

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Stwe Menschenkind. III. Der Sündenfall. Bon Martin Andersen NexS.

Karl war so beschwerlich, er war das beschwerlichste Wesen, dessen sie sich je anzunehmen gehabt hatte. Er hatte niemanden, an den er sich halten konnte, und hing eifersüchtig an ihr; immer mußte er wissen, wie es um sie stand, und immer suchte er sie mit seinen Sorgen auf. Wie ein allzu nc aoohntee Kind war er. das sich nicht dreinreden ließ. Er war krank im Gemüt, war mit sich und der Mutter, mit allem unzufrieden. Nur Stine konnte ihn dazu bewegen, den Kopf zu heben und zu lächeln. Sie war stolz über diesen Schlag auf die Schulter und gab sich weiter Mühe mit ihm, suchte sich zu winden und dem Ganzen das Beste abzugewinnen, für sich und für ihn. Ihre kleine Kammer betrat er nicht mehr, auch nicht am Tage: er hatte Angst davor. Aber manchmal kam er in der Nacht und klopfte leise an. und sie mußte aufstehen und sich ankleiden, so todmüde sie war.Ich Hab' solche Schmerzen hier," sagte er und hielt sich mit beiden Händen den Hinter- köpf. Dann schlichen sie durch die Schlucht an den Strand hinab und saßen da unten auf den großen Steinen, hörten auf das einförmige Geplätscher des Wassers und plauderten. Sehr gesprächig war er nicht; hauptsächlich führte Stine das Wort, sie schwatzte von diesem und jenem. Er hörte inter- essiert zu, hin und wieder aber kam das Göttliche über ihn. und er erteilte ihr eine Zurechtweisung.Du bist so voll von welllichen Dingen," sagte er ernst. So laß mich doch bitte in Ruhe!" erwiderte Stine dann gekränkt. Und ein jeder hing den eignen Gedanken nach.

Eines Sonnabendabends war Schlußtanz beim Krug, der eine halbe Stunde ins Land hineinlag. Die hellen Nächte waren vorbei; es war mitten im August, die Nächte waren dunkel und stürmisch, mit dem Sommertanz war es für dieses Jahr vorbei. Stine durfte sich zurechtmachen, sobald das Abendbrot erledigt war: Sine schonte sie bereitwillig und übernahm

selbst alle Hantierungen am Abend. Stine zog ihr neues halbwollnes Kleid an, das sie noch nicht getragen hatte, flocht sich ein blaues Band in die Zöpfe und legte sie um den Kopf. Heut abend wollte sie fein sein und erwachsen! Karl war glücklicherweise zur Versammlung gegangen, aber um ganz sicher vor ihm zu sein, schlug sie einen Feldweg ein, der land- einwärts und hinten herum zum Dorf führte. Sie war so ftoh und summte im Gehen vor sich hin. Ganz zu innerst saß ein dunkler Schatten; aber der war wie ein böser Zahn. der sich beruhigt hat. Wenn man ihn nur nicht anrührte, so störte er nicht. Das Spiel war in vollem Gange, als sie kam. Der Musikant war nicht erschienen, darum veranstaltete man allerlei Spiele mit eingeflochtenem Tanz und Gesang. Da waren ältere und ganz junge Leute von den Höfen, Gesinde und ein paar Junge aus den Dorfwerkstätten: die Hof- bauernkinder ließen sich nie sehen, sie hielten sich für zu gut dazu. Man bildete einen Kreis und fang: Seht ihr den, der im Kreise steht I Stine reihte sich der Kette ein und faßte zwei Hände; sie war zwischen zwei Burschen geraten, aber heut abend war sie gar nicht bange oder scheu, sie war jetzt erwachsen. Sie sang laut mit und wartete gespannt dar- auf, ob einer der Männer im Kreise kommen und sie wählen werde: ihr Herz klopfte, so spannend war die Sache. Daran, wie oft man aufgefordert wurde, konnte ein jeder deutlich sehen, wieviel man galt. Es gab Mädchen, die die ganze Zeit über auf dem Rasen waren und kaum Zeit finden konnten, ihre Schuhbänder straff zu ziehen! Es traf sich so, daß Stine sofort ausgewählt wurde. Diel- leicht war es nur ein gutmütiger Zufall, aber sie flammte vor Freude, als sie wieder in die Kette eintrat. Dieses Auf- flammen, der Glanz der Augen, die Freude und Keckheit und das Selbstgefühl, mit dem sie frank und frei aufs Gras hin- trat, das alles machte sie schön. Ein jeder konnte es sehen! Hier trat eine Neue in den Ring ein, eine, die bis heute nicht nach viel ausgesehen hatte; wieder hatte so eine längliche Dirn die Haut gewechselt und war in den Kreis der schönen Jungfrauen eingetreten, um sich um den ersten Posten zu be- werben, um zu versuchen, diejenige zu werden, auf die alle sich zustürzten, wenn es galt. War Stine heute abend größenwahnsinnig? Dielleicht sprangen nicht so viele nach ihr hin, wie sie sich selber ein-

bildete. Aber jedenfalls war sie unter den jungen Mädchen. die von den Burschen zum Kaffee eingeladen wurden. Als sie wieder hinauskam, war es ganz dunkel. Der Krugwirt hatte eine Lampe in das Giebelfenster gestellt, da- mit sie die Wiese beleuchten sollte; bei diesem Licht wurde getanzt. Ein rotbackiger Bursch hatte sich während des ganzen Abends in Stines Nähe aufgehalten, aber nicht mit ihr ge- tanzt; jetzt im Dunkel getraute er sich heran. Stine mochte ihn gut leiden: er hatte feste, warme Hände, die ohne Hinter- gedanken Zugriffen, sein Atem war jung und roch nach Butter- milch wie der eines Kindes. Aber der Bursche war verlegen und trieb allerlei Narrenspossen, um sich Mut zu machen, so daß alle andern im Tanz innehielten und lachend dastanden. Nun wollen wir aufhören," sagte Stine; sie lachte selber auch über seine Allotria. Er wollte sie nicht loslassen, sondern fuhr fort, sie herumzuwirbeln, und plötzlich küßte er sie. Er bekam selbst einen Schreck, ließ sie los und sprang aus dem Hellen in die Dunkelheit, während die übrigen lachten. Sie hörten, wie er noch lange weiterlief. Stine stahl sich vom Tanze weg, bevor er zu Ende war, um nicht genötigt zu fein, sich von jemandem nach Hause be- gleiten zu lassen. Derjenige, der einen nach Hause brachte, hatte ein Anrecht an einen, das wußte sie, und sie wollte ganz ihr eigner Herr sein. Ein Ende weit erhob sich der rot- wangige Bursche Mogens hieß er, glaubte sie vom Graben und kam auf sie zu; es sah aus, als schösse er aus dem Erdboden hervor. Darf ich dich heute abend nach Hause begleiten?" fragte er in etwas unsicherem Ton. Ja, das darsst du," erwiderte Stine. Vor ihm hatte sie keine Angst. Schweigend gingen sie den Weg entlang; er hätte sie ja unterhalten sollen, aber er gasfte bloß zur Seite. Stine fand, er hätte sie recht gut bei der Hand nehmen können. Darf darf ich dich auch an einem andern Abend nach Hause bringen?" fragte er schließlich. Das weiß ich noch nicht, aber es kann ja sein," er- widerte Stine ernst.» Darf darf ich es auch jemand erzählen?" Nein, das gefiel Stine nicht.Dann wird bloß geklatscht, daß du mein Schatz bist," sagte sie. (Forts, folgt.)