Einzelbild herunterladen
 

ttr. 26T 38. Iahrgasg

2. Seilage ües vorwärts

Sonntag, 5. 7uni 192?

Groß�erlw Vater spricht: Nee, Olleken, heute kriechste mir nich raus aus de Bude. Ick bleibe zu Hause, vastehste? Denn wozu? Soll ick mir volleicht in die Hühneroogen treten lassen? Soll ick in de Affenkasten der Stadt- bahn stehn, dat mir der Schwitz aus de Stiebeln rausläuft? Du machst so n gnietsches Ieftcht, Olle.... Also is jut, ich übcrlej et mir jrade, wir könn ja auch sehn. Aber det sare ick dir, det de mir Widder keene Kaleika machst, wenn ick per Zufall an so'n hibschet Frauenzimmer jedrängelt werde, so janz dicht an ihren....... na, ick will nischt weiter saren als det ecne: ick bin ooch bloß man 'n Mensch un noch in de besten Jahre, wo ma für weibliche Reize en Ooge hat.... is ja jut... is jut, ick wüßt et ja, wir bleiben. Du bist'n vaständijes Weib, nich? Siehste, laß doch de Jugend raus nach'n Wannsee un nach Friershagen. Laß je doch Varizen, immerzu, wenn't ihn'n bei de Hitze Spaß macht. Warum denn nich? Ick aber jeh jetzt zu Iustavn rum und hole mir'n paar Püllcken, von't neie Zwölfprozentije. Un jejen Abend, wenn't'n bißken stischer wird, jehn wir zu Alexn seine Laube.... Kiek mal, da komm'n schon janz dicke Wolken ruff. Pah uss, ick behalte recht, wenn ick sare: Bei de Hitze bleibick zu Hause. Schmerzenskinö Straßenbahn! Der Deutsche Transportarbeiterverband nimmt in längeren Ausführungen zu den Betriebseinschränkun- gen der Straßenbahn Stellung. Wir entnehmen daraus folgendes: Wenn nun gesagt wird, es fehle an Mitteln, den Betrieb wieder in die Höhe zu bringen, so beweisen einzelne Beispiele, w o Geld gespart werden kann. In der Hauptwerkstatt können Radsätze hergestellt werden zum Preise von 2(5 M., dazu 300 Proz. Betriebsunkosten= 104 SDl.; für dieselbe Arbeit erhält aber die RAG. 198 M., also ein Mehr von 94 M. Genau so liegt es mit der Herstellung von Kopf, und Wagenschildern: 4 bis 5 Unternehmer verarbeiten die jetzigen Aufträge. In der neuen Hauptwsrkstätte Wittenau ist für die Herstellung von Schildern eine Werkstatt eingerichtet worden, die mit den modernsten Einrichtungen aus- gerüstet worden ist: bis heute wurde in dieser Werkstatt nicht ein Schild angefertigt. Weiter sind, obwohl schon seit Monaten der Der- waltung die Verhältnisse im Betriebe bekannt sind, Aufträge vom 1. Juni er. ob in Höhe von 12 000 000 M. an eine Privatfirma, die RAG., abgegeben worden. Die für solche Arbeiten mit großen Unkosten angeschafften Maschinen und Einrichtungen stehen seit Monaten leer da, ohne daß an diesen produktwe Arbeit geleistet wurde. Hier zeigt es sich deullich, wohin der Weg führt. Es könnten noch genügend Beispiele angeführt werden, wo gespart werden könnte. Bezüglich der Einschränkungen des Verkehrs wird der ge- naue Beobachter feststellen müssen, daß eine Straßenbahnfahrt zur Zeit der starken Verkehrsstunden wirklich keine angenehme ist. Der Wagen wird bis zum Erbrechen vollgestopft und bei der jetzigen Witterung ist es ein Skandal, dem fahrenden Publikum so etwas zuzumuten. Die Linien werden in ihren Zwischenständen von 10 auf IS. ja sogar einzelne auf 20 Minuten und noch mehr erweitert. Die Folge davon ist die starke Besetzung der Wagen, die für dos Publikum zu Unzuträglichkeiten führen muß. Die Verwaltung will aber damit bezwecken, mit wenigen Wagen dieselben Einnahmen zu erzielen. Wie die Fahrgäste unter dieser Engstirnigkeit der Verwaltung leiden und e» sich ohne jeden Protest gesallen lasten, bleibt unverständlich. Man will kurz gesagt auf Kosten der Fahrgäste, die um ihre Bequemlichkeit kommen, diese Maßnahmen durchführen. Hiergegen muß von feiten des fahrenden Publikums Sturm gelaufen werden, damit diese Maßnahmen überhaupt nicht erst einreißen dürfen. Die Berliner Bürger haben ein Recht, vom Magistrat sowie von der Verwaltung der Straßenbahn und nicht zuletzt von der Polizei- behörde zu verlangen, daß ihnen eine menschenwürdige Behandlung bei der Benutzung der Verkehrsmittel zuteil wird. Soweit die Zuschrift. Der Magistrat bzw. die Verwaltung der Straßenbahn wird sich auf die darin erhobenen Vorwürfe eingehend zu äußern haben.

»Die Millionenbraut". Durch das phantastische Lügengewebe seiner früheren Verlobten ist der Redakteur Gustav Schabe auf die schiefe Ebene gebracht worden. Wegen Betruges in mehreren Fällen war Sch. vor der 3. Strafkammer des Landgerichts I angeklagt. Der Angeklagte hatte vor zirka zwei Jahren ein Fräulein Ann! Pätzold kennen ge- lernt und sich nach einiger Zeit mit ihr verlobt, nachdem die P. ihm erzählt hatte, daß sie von einem Onkel 450 000 ichweizerische Franken, d. h. bei der jetzigen Valuta über 4'/, Millionen Mark, geerbt habe und das Geld auf einer Bank in Genf deponiert sei. In einer unglaublich raifinierlen Weise verstand es die angebliche Millionenbraul, die Geschichte von den in der Schweiz lagernden Millionen so glaubhaft zu machen, daß der Angeklagte sie nicht nur völlig unterhielt und kleidete, sondern auch zwecks Erlangung des Geldes große Ausgaben mochte und sich in Schulden stürzte. Als er nicht mehr aus noch ein wußte, suchte er auf alle mögliche Weise sich Geld zu verschaffen und griff schließlich zu recht ver- werflichen Mitteln, indem er Kredit- und Heiratsschwindeleien be« ging. Schließlich beauftragte der Angeklagte sogar einen Berliner Rechtsanwalt, nach der Schweiz zu fahren, um das Geld abzuholen. Als dieser mit dem Bescheide zurückkam, daß die Geschichte mir der Millionenerbschaft Schwindel sei, beging die Anni Pätzold Selbstmord. Der Staatsanwalt beantragte gegen Sch. drei Jahre Ge- sängnis, 3000 M. Geldstrafe und 5 Jahre Ehrverlust, während Rechtsanwalt Dr. Waldeck darauf hinwies, daß der Angeklagte selbst da« Opfer einer raffinierten Schwindlerin geworden sei und deshalb Milde verdiene. Das Gericht schloß sich dieser Ansicht an und erkannte auf 1'/, Jahre Gefängnis unter Anrechnung der vollen Untersuchungshaft und entließ auch den Angeklagten aus der Haft. IPraktiken eines Grunewald-Tanatoriums. Wegen Schleichhandels hatte sich gestern der GeschäftSleiter des Sanatoriums Grunewald . Max Meyer, vor dem Wuchergericht des Landgerichts lll zu verantworten. Die Inhaberin des Sanatoriums ist die Ehefrau des Angeklagten. Infolge einer Denunziation ehemaliger Angestellter ist das Verfahren gegen ihn eröffnet worden. DaS Sanatorium steht in dem Ruke, daß man dort außerordentlich gut verpflegt wird und so sollen dann außer den wirklichen Patienten täglich viele Angehörige derselben und auch andere Personen daselbst in vorzüglicher Weise verpflegt worden sein. Dem Angeklagten wurde nun vorgeworfen, die dazu nötigen Mengen an Mehl, Zucker und Butter im Wege des Schleichhandels zu Schleichhandelspreisen über das gesetzliche Maß hinaus unter Ver- letzung der Verkehrsvorschriften erworben zu haben. Der Gerichts- Hof nahm dies auch an und erachtete den Angeklagten für schuldig, diese Verfehlungen 1919 und 1920 begangen zu haben, während der Angeklagte nur zugab, daß er im Interesse seiner Kranken, die mit der zugeteilten Butter nach ärztlichem Ermessen nicht auskommen konnten, Butter im Schleichhandel angeschafft habe, ohne persönliche Gewinnabsichten. Der Gerichtshof nahm jedoch an, daß er so ge« bandelt habe, um ans dem Betriebe einen Gewinn zu erzielen, nämlich durch den Ruf, daß man in diesem Sanatorium gut ver- pflegt werde, den Zuzug zu seinem Institut zu vermehren. Der Staatsanwalt beantragte 2 Wochen Gefängnis und 1000 0 M. Geldstrafe, das Gericht ging über den Antrag weit hinaus, er- kannte auf 3 Monate Gefängnis und 100000 M. Geld- strafe-ventl. ein Jahr Gefängnis. Der Antrag auf vorläufige Aussetzung der Strafe wurde abgelehnt.

Selbstmord Harry Waldens. Im Westen Berlins hat sich ein« entsetzliche Familienkatastrophe abgespielt, der der bekannte Schauspieler Harry Walden mit seiner Frau und seinem Sohne aus erster Eh« zum Opfer fielen. Alle drei wurden in ihrer Wohnung in Charlottenburg , Schlüter- straße 79, mit aufgeschnittenen Pulsadern vorgefunden. Alle drei Personen gaben noch schwache Lebenszeichen von sich, sie wurden sofort in ein Krankenhaus überführt, in dem im Verlauf des Nach- mittags Harry Waiden und sein Sohn verschieden find, während seine Frau die Nacht kaum überleben dürfte. Wer nur ein wenig mit dem Theaterlebcn Berlins Fühlung hat, der weiß, was Waiden war. In dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts spielt«r in dem Stück von Meyer-Förster Alt- Heidelberg '" den süddeutschen Erbprinzen, der auf der Universität

ein liebes Mädel aus dem Volk, Frl. Käthie, kennen und lieben lernt und sie auch heiraten möchte, aber durch die dynastischen Rücksichten gezwungen wird, das Mädel aufzugeben. Das Ganze war ein so rechtes Rührstück, wie es die Höberen Töchter von ganz Deutschland ohne Gefährdung ihrer Sinlichteit sehen konnten. Aber Harry Walden lieh dem Prinzen Züge, die ihn menschlich sympathisch machten. Wenn wir nicht irren, hat Walden auch ein paarmal die Mitglieder der ehemaligen Neuen Freien Volksbühne mit seinem Spiel erfreut. Später verblaßte sein Stern. In Wien , wo er zuletzt war, hatte er bereits einen Selbstmordversuch gemacht, der ihn schon geschwächt halte. Um die Tat selbst weben die «Schleier des Grauens und des Geheimnisfes. Alle drei Personen fand man mit geöffneten Pulsadern vor. DaS Motiv zu der Tat dürfte, wie von den Freunden und Bekannten des Künstlers ange« nommcn wird, in seelischen Depressionen liegen. Der Künstler und seine Familie waren zudem schon seit längerer Zeit schwer morphiumsüchtig. ver Hausbesitzer-Ireisinn an öie§ront! Demokraten für Groß-Berlin. Die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Mitglieder der städtischen Körperschaften innerhalb der Stadtgemeind« Berlin nahm nach einem Bericht des Stadtverordneten Oskar Meyer über die besonders von den Rechtsparteien betriebene Los-von-Berlin-Bswsgung folgende Entschließung an, in der es nach dem Wortlaut, den dieVoss. Ztg." veröffentlicht, heißt:Die Versammlung erklärt, daß sie an den Grundlagen der BeriinerEinheitsgemeinde, wie sie im Gesetze vom 27. April 1920 ausgesprochen worden sind, f e st- hält. Sie lehnt grundsätzlich eine Beschränkung der Zentralgewalt und des räumlichen Umfanges der neuen Stadtgemeinde ab. Sie spricht sich auch dagegen aus, daß die Bezirke zu Körperschaften des öffentlichen Rechtes umgewandelt werden und eine, wenn auch be- schränkte Steuerhoheit erhalten sollen. Ebenso entschieden erklärt sich die Versammlung gegen eine Ueberspannung des Einheitsgedankens, die durch dos Gesetz selbst nicht bedingt wird. Eine etwaige Revision des Gesetzes über die Berliner Einhsitsgemeinde kann unmöglich schon jetzt in Frage kommen, sondern muß einer Zeit überlassen bleiben, in der ausreichende Erfahrungen über die Wirkungen des Gesetzes vor« liegen.... Den Außenbezirken ist die nötige Zeit und Freiheit zu gewähren, damit sie allmählich in die Einheitsgemeinde hineinwachsen können. Diese Aufgabe kann ohne Aenderung des Gesetzes durch eine kluge Verwaltungspraxis gelöst werden. Die Uebergongsfchwierigkeiten, die sich während des ersten Jahres der Einheitsgemeinde herausgestellt haben, sind zum Teil daraus zurückzuführen, daß die sozialistische Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung und im Magistrat aus die Eigen- ort der früheren Vorortgemeinden nicht die erforderliche Rücksicht genommen hat. Eine Ueberspannung des Einheitsgedankens kann aber dauernd nur dadurch verhindert werden, daß bei den nächsten Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung die sozialistische Mehr- heit beseitigt und dem demokratischen Bürgertum, das Berlin groß� gemacht hat, der gebührende Einfluß in der Verwaltung der Ein- heitsgemeinde gesichert wird. Der zweite Teil der Entschließung ist eine Fanfare. In soziali- stischen Kreisen muß der Satz von dem..demokratischen Bürgertum", das Berlin großgemacht hat", unauslöschliches Gelächter erwecken. Wir denken dabei an jenen Berliner Hausbesitzer-Frei» sinn, an jene von echt demokratischem Geist strotzenden Bürger- meister, Stadträte und Stadtverordneten, die in Ehrfurcht ersterbend alleruntertänigst am Pariser Platz standen, wenn der Kaiser kam und an manches andere, wasBerlin groß gemacht" hat und worüber wir von nun ab doch wohl etwas mehr werden sprechen müssen, da die Demokraten ihr eigener Ruhm so wenig schlafen läßt. Polizeistunde für Berlin 11 Uhr 30. In Verfolg der von uns bereits gebrachten Verfügung des Mi- nisters des Innern hat der Polizeipräsident die Polizeistunde für Berlin von sofort ab bis zum IS. Oktober d. I. auf 11� Uhr festgesetzt._ TaS Oesterrcichifch- Deutsche Sommerfett im Zoo, daS am . Juni im Part und in sämtlichen Sälen stattfindet, dürste ein inter - eslanteS Ereignis werden. Dafür spricht schen die Tatsache, daß als Ver­anstalter das vom ReichstagSpräfidenten Löbe geleitete Kuratorium der Ocsterreichisch- Deutschen Volksbund- Spende" zeichnet. Aus der reichen Festfolge seien genannt: Konzert zweier großer Kapellen, Vorträge dreier GesangSvereine, Festzug, Ball, Kabarett, Wiener Heurigen'-Treiben, Tom-

SU

Stine Menschenkind.

III. Der Sündenfall. Don Martin Andersen Nexö . Wenn sie da so über die Straße ging, sahen die Leute ihr nach und schwatzten. Der Umstand, daß der Sohn vom Bakkehos sich öffentlich zu ihr bekannte und sich mit ihr ver- heiraten wollte, interessierte die Menschen. Die beiden waren ja ein wenig voreilig gewesen, nun ja, Herrgott, ein verlobtes Mädchen ist eine halbe Frau! Und er war obendrein ein Hof- befitzerssohn. Es mußte doch wohl mehr an dem Mädchen sein, als man so auf den ersten Blick sehen konnte, da er ver» sessen darauf gewesen war zu kosten sonst nahm die Sache meist den umgekehrten Gang. Er fand, wie gesagt, wohl etwas an ihr, was kein anderer sehen konnte, denn verschossen war er weiß Gott in sie. Ein gutes Mädchen war sie ja übrigens. Lars Peter war derjenige, der sich zuletzt bekehrte. Er blieb am längsten bei seiner Meinung, daß Karl halb verrückt sein müsse.Wie könnt' er denn sonst kommen und ganz krank sein vor Verlangen, für Mädchen und Kind sorgen zu dürfen. So ein Hofbesttzerssohn macht sich sonst wahrhaftig immer aus dem Staube. Er hat sicher eine Schraube los, so viel steht fest!" Aber treu war er jedenfalls, er folgte Stine wie ein Hund. Und Hand anlegen konnte er auch er war ein tüch- tiger Arbeiter. Mochte es auch mit dem Verstand nicht so weit her sein der Schädel des Mädchens reichte ja für beide aus. Als Lars Peter erst so weit war, fehlte nicht viel, bis er sich völlig ergab. Und nun war er bald so weit, daß Karl ihm leid tat.. Er ist so emsam und kriegt kein warmes Esien, sagte er.Es ist auch nicht richtig, daß er drüben in der Scheune liegt. Könnten wir es nicht so einrichten, daß er bei uns äße und oben auf dem Speicher schliefe? Dann hätte er doch auch wenigstens etwas davon, den Wochenlohn schleppt er ja trotz- dem hierher." m So einfach war es nun allerdings nicht. Lars Peter hatte sein Bett oben, und der Platz war recht beschränkt, da Werkzeug und anderes Gerümpel umherstand. Aber der Speicher über Dorioms Höhle war ja noch da: in den wollte niemand ziehen. Lars Peter hatte daran gedacht, dort ein Schwein zu halten, damit man für den Winter ein wenig Vorrat hatte. Abfall zum Füttern war genug vorhanden, und der Krugwirt sah nicht mehr alles. So wurde Karl in die Familie aufgenommen.

18. D a s E r n t e f e st. Es war der schönste Herbstmorgen, den man sich wün- scheu konnte, so recht ein Morgen, wie er einen besonderen Tag einleiten soll. Ueber der See hing weißer, unruhiger Nebel; nur ein wenig Sonne und eine leichte Morgenbrise waren notwendig, um ihn wegzufegen. Im Dorf war man vom ersten Morgengrauen an auf den Beinen, die Kinder konnten nicht schlafen. Der Tag war zu spannend, das erste Morgendämmern kitzelte ihnen in die Nasen, so daß sie aufwachten. Da war für die Mutter ja auch nicht mehr an Schlaf zu denken, und man mußte sich den Spröß- lingen fügen und aufstehen. Es war denn auch nicht viel zu früh, di» Boote kehrten heute ungewöhnlich zeitig nach Hause. Draußen im Nebel hörte man das hohle Nagen der Ruder gegen den Bootsrand. Bis Feuer angemacht war und das Kaffeewasser ins Kochen kam, konnten die Boote recht gut an Land sein. Es war die ärgste Schande für eine Frau im Dorf, wenn der Mann nach Haufe kam und sie ihn nicht mit etwas Warmem empfangen konnte. Jetzt brach die Sonne über den Dünen hervor und fegte den Nebel beiseite. Man sah, wie er sich aufrollte wie eine weiße Bettdecke und mehr und mehr von der Welt enthüllte. Zuerst tauchten die Hütten auf, aus allen Schornsteinen stieg blauer Rauch empor: nur dieTopplaterne", die Schlampe, hatte unterm Kessel noch nicht Feuer gemacht. Sie führte einem Fischer in der nördlichsten der Hütten die Wirtschaft, tonnte aber nur schwer aus den Federn herausfinden. Dann kam der Hafen zum Vorschein und ein paar Boote weiter draußen. Weißblau und lieblich lag das Meer da, der schönste blanke Stoff, den man vor Augen sehen tonnte. Der Krugwirt war bereits auf dem Wege zum Hafen; er wollte sich wohl vergewissern, wie der Herbstfang ausfiel; es war in diesem Jahre die erste Nacht gewesen, wo man die Netze für den Herbstheringsetzte". Der Krugwirt war von der Morgenkälte blau und eingefallen; die gewaltigen Kinn- laden waren zusammengeklappt, als umschlössen sie unmensch­lichen Kummer. Er hatte sich ja am Tage mit seinen Sorgen herumzuschlagen, die zu unfaßbar groß waren, als daß man hätte versuchen können, ihnen auf den Grund zu kommen; und Rasmus Olsens Martha konnte wohl selbst einem Menschen- fresier die Nächte bunt gestalten. Aber dies war also der Tag, kein gewöhnllcher Tag wie jeder andere, sondern der Tag selber, an dem man nicht arbeitete oder sich wegen des täglichen Brotes zankte, nicht einmal Esten kochte, sondern bloß und trank, rauchte und schwatzte, bis die Nacht und die Dünen einen ausnahmen. Die

Erwachsenen kannten den Tag und wußten, was er brachte; das Erntefest war, soweit die Aeltesten zurückdenken tonnten, die große Abrechnung mit den dreihundertvierundsechzig sauren Alltagen gewesen, vierundzwanzig Stunden im Schlaraffen» land, wo alle Not und Entbehrungen in Essen und Trinken völlig ertränkt wurden. Inwieweit das Fest gelang, wurde ganz einfach daran gemessen, wie viele Männer in den Dünen liegen blieben, und wie viele Frauen und Kinder am nächsten Tage Leibweh hatten. Ursprünglich war es ein Dankfest für guten Herbstfang, aber durch die Erfahrung über die Unzu- verlässigkeit aller Dinge belehrt, hatte man das Fest auf die Zeit des Beginns der Fischerei verlegt um wenigstens das Fest feiern zu können, wie immer der Fang auch ausfallen mochte. Weder der liebe Gott noch der Krugwirt konnten dann kommen und das Essen und Trinken zurücknehmen, das man einmal im Leibe hatte, mochten sie so grob auftreten, wie sie wollten. Für Lars Peters Kinder knüpften sich keinerlei Erfahrun- gen an das Erntefest: der Krugwirt hatte es zwei Jahre, be- vor Lars Peter in das Dorf zog, abgeschafft. Um so größer waren jetzt die Erwartungen der Kleinen. Für die Dorfkinder war's ein schwieriger Vormittag. Sie wußten nicht, wie sie sich die Zeit vertreiben sollten, die Span- nung steckte in ihnen als ewige Unruhe und trieb sie sofort zu etwas Neuem hin, sobald sie sich mit diesem oder jenem be- schäftigten. Allmählich landeten sie auf dem Festplatze, wo die Handwerker aus der Villa dabei waren, den Tanzboden zu legen und lange Tische aus rauhen Brettern zu zimmern. Auf der einen Seite einer flachen, grasbewachsenen Senkung der Düne wurde eine kleine Erhöhung geschaffen mit Tannengrün als Geländer: von dort sollte der Krugwirt predigen und die Musik zum Tanze spielen. Die Männer waren nicht viel besser daran als die Kinder. Vor zwei konnte man sich nicht gut einfinden, da hatte man reichlich Zeit. Rasmus Olfen stolperte vor seiner Hütte in Hosenträgern und blauen Düffellatzhosen umher. Der Latz hing an der einen Seite herunter, er wühlte mit der Hand am Hemde, kaute und spritzte schwarze Strahlen gegen die Mauer. Er träumte von dem Gelage und grübelte darüber nach, wie er seine Alte überlisten sollte, wenn sie kam und ihn mit nach Hause schleifen wollte.-- Rings um die Hütten trabten die Leute hin und her und gähnten verschlafen in die Lust. An Schlaf war nicht zu denken; man fuhr außerdem in der nächsten Nacht nicht auf die See; also war Gelegenheit genug, sich auszuschlafen. (Forts, folgt.)

y