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2. Seilage öes vorwärts

Sonntag, IH. �nni?g2I

GroßSerün der grausame alte tzerr. In Lichterfelde-West war es, da stieg er in unser Abteil: ein kleiner alter Herr in schwarzem Rock mit weißem gepflegtem Spitzbart und nicht minder gcpsl- gtem Spitzbauch und einer wunder- schönen roten Weinnase. Der alte Herr war in Begleitung eines j anderen alten Herrn, der ein großes weiches Gcstcht hatte, in dem alles herabhing. Beide Herren von durchaus arischem Aussehen, Der weißbärtige alte Herr berichtete seinem Gefährten, daß seine Börsenpapiere am letzten Tag auf K8Z gestiegen seien. Mit 140 habe er ste im Frieden gekauft. 32 Proz. Dividende habe er erhalten. Aber verkaufen wolle er sie noch immer nicht. Jetzt drehte ich meine Zeitung um, da konnte der alte Herr den Titel lesen:Vorwärts". Einen Augenblick war Stille zwischen den beiden, dann ging es mit deutlicher Spitze los.Dieser Höltz, dieser Schurke, dieser.... na usw." Es wollte kein Ende nehmen. Ich holte einen Bleistift heraus und begann die grausamen Blutrünstig- leiten des alten Herrn zu stenographieren.An den Beinen müßte man ihn aufhängen, den Hölz. Zu Dreck müßte man ihn zerstampfen. Ueberhaupt die ganze rote Gesellschaft ist nichts anderes wert. An die Wand stellen.... alle zusammen. Der eine ist wie der andere." Nun zückte ich einen kleinen Rotstift und unterstrich einen Artikel, der betitelt war:Deutschnationale Verleum- düng". Dann drehte ich das Blatt um und hielt es dem kleinen blutrünstigen Herrn entgegen. Er begann nun zu schnaufen und sich auf seinem Sitz hin- und herzudrehen.Schlappe Regierung.... Schlappschwänze... alle nichts wert....(verstärkt wiederholt:) schlappe Regierung... überhaupt, es kann einen Hund jammern. .... Die Bayern die einzigen vernünftigen..... Elcherisch famoser Kerl, Kohr nicht minder. Und erst der Pöhner! großartig! Garcis, Liebknecht, Eisner, diese.... Gemeine Beschimpfungen folgten. Berlin kam nun näher, Friedenau , Großgörschenstraße. Der alte.Herr wurde immer stiller, holte endlich einenBerliner Lokal- Anzeiger" hervor und begann zu lesen. Der andere las bescheiden und still dieDeutsche Zeitung". Jetzt war Berlin erreicht. Die beiden Herren saßen dicht an der Tür, aber sie stiegen nicht aus. Ich auch nicht. Schließlich waren wir drei ganz allein im Abteil. Da erhoben sie sich langsam. Ich noch langsamer hinterher, denn mich interessierte zu erfahren, wer dieser kleine wütende Teufel war. Tie Alten kamen gar nicht vorwärts. Sie krochen die Treppe hinab. Der Kleine hatte so einen eigenen ängstlichen halben Blick rückwärts. Ich zündete mir eine Zigarette an. Im Borraum des Wannscebahnhofes standen sie still, ich stand beinahe ganz still. Jetzt verabschiedete sich der Kleine und verschwand durch den Seitenausgang. Mit einigen Schrillen war ich hinterher. Der kleine grausame Mann war spurlos verschwunden, trotzdem das Blickfeld nach allen Seiten frei war. Wo war er geblieben? Da fiel mir der andere Seitenausgang ein. Aha... hinterher. Gerade sehe ich den schwarzen Rockzipfel durch eine ganz bestimmte iiür ver­schwinden. Hinterher. In dem Raum gibt es sechs kleine Kabinen zu bestimmten diskreten Zwecken. Die Tür des einen Kabinchens schnappt gerade vor mir zu, und ich kann mir vorstellen, wie sich der kleine blutrünstige Kerl hier geborgen suhlt und wie froh er war. daß er sich von seiner Angst erlösen tonnt« und daß ihm in dem Neinen Lokal seinLokalanzeiger" so viel nicht allzu dünnes Papier spendet._ der Prozeß dock. Rektor Rock zu 1000 Mark Geldstrafe verurteilst Im Prozeß des Rettors a. D. B o ck wurde gestern nachmittag das Urteil gefällt. Nach Vernehmung des Kriminolkommisiars Dr. Kopp und des Oberregierungsrots Hoppe, welche dem Nebenkläger ein sehr gutes Zeugnis ausstellten, wurde Sanitätsrat Dr. Fritz Leppmann vernommen: nach seinem Gutachten ist 51 StGB, nicht anwendbar, der Angeklagte aber nicht als geistig vollwertig anzusprechen._

Noch Schluß der Beweisaufnahme beantragte Staatsonwall Steinbrecher in einem längeren Plädoyer 1000 M. Geld- strafe nicht Gefängnis, weil Bock aus idealen Gründen gehan- bell habe und immerhin die Möglichkeit seiner Unschuld bestehe. Rechtsanwalt Bahn hielt den Kampf, den Bock seit einem Jahr- zehnt um seine Ehre fühi e, für einen der ergreifendsten, den es gebe. Der Verteidiger geißelt sodann das immer noch herrschende System, auf Kinderaussagen Gewicht zu legen, anstatt nach dem Vor- gange des schwedischen Rechts, Kinder unter 16 Jahren überhaupt nicht als Zeugen zu vernehmen. Bock fei seinerzeit nur in drei

Hezirksverbanö Heelin öer SPD . Der nach den Satzungen des Bezirksvcrbandcs abzuhaltende Bezirkstag findet am Sonnlag. den 7. August, vormittags g Uhr. in den Armin­hallen, Sommandarlenftr. 58 SS. statt. Vorläufige Tagesordnung: 1. Stellungnahme zum Parteitag. 2. Wahl der Delegierten. 3. Geschäfts» und Kassenbericht. i. Wahlen: a) der Vorsitzenden. Schriftführer. Revisoren und der Vertretung der Frauen; b) der Preßkommission für denVorwärts"; o) des BildungSauSschufics; ck) der Mit­glieder für den Bezinsvorstand des Vereins Arbeiter- Jugend Groß-Berlin. Wenn die Tagesordnung am 7. August nicht erledigt werden sollte, ist für den 14. August die Fortsetzung des Bezirkstages vor- geseben. Die Wahl der Delegierten für den Bezirkstag geschieht in den Abteilungen. Wieviel Delegierte jede Abteilung zu wählen hat, ist in der Juninummer der SPD. -Mitteilungen bekanntgegeben. Die demenliprechende Anzahl Delegiertenkarten werden den Äbreilungen rechtzeitig zugehen. Desgleichen Gastkarten, soweit der Raum eS gestaltet. Die Kandidaten für die Delegation zum Parteitag werben in der Vertreterversammlung der Kreise in Vorschlag gebracht. Die Wahl selbst erfolgt auf dem Bezirkstag. Die Abteilungen werden ersucht, zu der Tagesordnung des Bezirkstages Stellung zu nehmen. Vorschläge und Anträge müssen zwei Wochen vorher dem Bezirkssekrctariat eingereicht sein.

Kostspielige Badereisen waren nach Semesterschluß aus Kosten der Potsdamer Geschäftswelt selbstverständlich. Ter Umsatz dieses Lebejünglings mit srcmdem Geld nahm derartige Dimensionen an, daß selbst ein Gerichtsbeamter Bürgschaft für ihn leistete. AIS Mitglied des Schutz- und Trutzbundes mußten auch die Schutz- bündler tüchtig herhallen. Die Polsdamer Strafkammer, vor der sich Jesse wegen obiger Betrügereien zu verantworten hatte, ver- urteilte den Angeklagten zu einem Jahr drei Monaten GesängniS.

Der Sezirksvorftanö.

Fällen wegen Sittlichkeitsverbrechens verurteilt worden, ein Zeichen, wie sehr die Sache, in welcher über 100 Zeuginnen ausmarschierten, aufgebauscht worden sei. Bock habe in dieser Verhandlung den vollen Leweis seiner Unschuld geliefert. Die Sache würde nur durch Freisprechung im Wiederaufnahmeverfahren zur Ruhe kom- men. Er beantragte die Freisprechung auch hier. Mit Rücksicht aus die Schwere der Beschuldigungen, in denen auch wörtliche Beleidigungen vorkommen, andererseits mit Rücksicht darauf, daß der Angeklagte seinerzeit über Gebühr in der Presse angegriffen worden ist, daß er über sein Schicksal sehr erregt ist und immerhin mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß seinerzeit Irrtümer vorgekommen sind, hat der Gerichtshof aus 1 00 0 M. Geldstrafe, eventuell für je 15 M. ein Tag Gefängnis erkannt. Das nnwidcrstchliche Monokel. Auf unglaublich einfache Weise hat eS ein 17jährigeS Bürschchen, der Hockischüler Karl Jesse auS Potsdam , verstanden, die für einen großen Teil der deutschen Geschäftswelt typische alberne Ehrfurcht vor dem Monokelträger auszunutzen. Man kann mit den Hinein- gefallene» um so weniger Miileid haben, als eS auf der anderen Seite der schlichte ehrliche Mann aus dem Volk und die Frau mit einfachem Kleid sind, die sich oft genug das Mißtrauen und die Mißachtung der GcschäflSleule gefallen lasten müssen. Der 17jShrige Jesse verfuhr folgendermaßen: Sobald feine Schulstunden um waren, klemmte er sich ein EinglaS ins Auge und suchte so, mit dem gläsernen Freibrief bewast'nct, die Bankhäufer, SchneideratelierS und andere GeschäflShäuier auf. Drei Anzüge auf einmal gab eine alte Schneiderfirma diesem Monokeljüngting. Banlhäuser gaben Darleben in Höhe von vielen Tausend Mark.

DZe Cntscheiüung über das Schloßiazarett. Erklärung des Reichsarbeilsministeriums. _ Die Frage der Auflösung des Schloßlazaretts scheint nun end- gültig geklärt zu sein. Nach den uns vorliegenden Nachrichten ist man tatsächlich zu dem Entschluß gekommen, für die Insassen ander- wellig Unterkunft zu schaffen und die Schloßräume, wie auch den schönen Park anderen Zwecken zur Verfügung zu stellen. Was man von den Befürwortern der Räumung bisher an Gründen für diese vorgebracht hat, kann aber als stichhaltig nicht anerkannt werden. Einem unserer Mitarbeiter wurde auf die Frage, wozu denn die Räumlichkeiten des Schlosses benutzt werden sollten, im Reichs- arbeits Ministerium erklärt, daß diese Frage dort nie inter- essiert habe. Richtig sei aber, daß die Abs! ch t zur Auflösung schon längere Zeit bestanden habe, weil die Wahl des Schlosses zum Krankenhaus schon aus hygienischen Gründen als eine glückliche nicht angesehen werden könne.(Von den Kranken sind uns hierüber keine Klagen zugegangen.) Von der Erholung im Park werde wenig Gebrauch gemacht. Uebrigens sei für das Lazarett in Tempel- Hof auch ein schöner Garten vorhanden. Nur auf Wunsch der Kranken habe die Auflösung bis zum September verschoben werden sollen, damit der Sommer besser ausgenützt werden könne. Wenn jetzt zur früheren Auflösung geschritten worden sei, so sei das ge- schehen, weil ein geordneter Betrieb infolge des Verhaltens der Kranken nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Die Aerzte hätten wiederholt erklärt, dieser Unmöglichkeit wegen die Behandlung niederlegen zu wallen. Es sei auch bereits verlautbar ge- worden, daß die Aerzte sich eventuell mit dem Gedanken befreunden würden, die Solidarität ihrer Berufskollegen hinsichtlich der Verweigerung einer weiteren Behandlung der Schloßlazarettinsassen anzurufen. Auch den Reichstag würden die Insassen bei ihrer beharrlichen Weigerung, den behördlichen Anordnungen nachzu- kommen, nicht hinter sich haben. Soweit die Erklärungen, die unserem Mitarbeiter gegeben wurden. Man wird nicht gut sagen können, daß sie geeignet sind, das Bild zu Ungunsten der Lazarettinsassen wesentlich zu verändern. Daß einige Kranke ihres Verhaltens wegen aetadekt werden müssen, ist bekannt. Aber man darf hierbei nicht übersehen, daß sie infolge der langen Leiden, der Zerstörung ihres Körpers und eines an- . dauernden Siechtums die Beherrschung ihrer Nerven verloren haben, daß sie also Nochsicht und Mitleid oerdienen. Ohne die im Affekt verübten Dinge beschönigen zu wollen, glauben wir doch, daß ihnenmildernde Umstände" zuerkannt werden müssen, und daß eine schreiende Ungerechtigkeit darin liegen würde, nunmehr alle Insassen aus den ihnen liebgewordenen Räumen hinauszubringen. Noch nie haben Schloß und Park einem so edlen Zweck gedient, als den, bedauernswerten Kämpfern für da? Vaterland eine Zu- fluchtsstätte zu bieten. Der Gedanke, daß Aerzte den Kranken, deren Nerven zum Teil völlig zerrüttet sind, ihre Hilfe versagen, ist so absurd, daß wir ihn nicht ernst nehmen. So viel ist klar, daß in dieser Angelegenheit dos letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Die neuen Höchstmicten find da! Mit dem heutigen Tage tritt die neue Verordnung des WohuungsvelbandeS über Höchstmieten in Krait. Die im§ 1 der Verordnung des Wohnungsverbandes vom 8. Juli 1020 festgesetzte Höchstgrenze für MietSzinssteigerungen wird von 30 auf 45 Proz. für Fabriträume, für Wohngebäude von 40 aus 60 Proz.. für Ge- schäits« und Jndustriehäuier von 50 auf 75 Proz. und sür Läden mit über 2400 M. FriedenSwert von 40 auf 60 Proz. bsraufgesetzt. Mit dieier Heraussetzung der Mieiszuschtäge sind die bis zum Tage der Veröffeutlichuiig dieserBekanntmachung eingetretenen Erböbuugen der öffentlichen Abgaben als abgegoiren anzusehen. Laufende Verträge werden von der Abänderung der Höchnzuschläge nicht be- rührt. Tie Verordnung, die öffernlich bekannt gemacht wird, regelt auch die Fragen der Heizung und Warmwasserversorgung, die Wahl von Mielerausschüssen, die Rechte des MieteinigungsamtcS usw.

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Die Rächer.

Roman von Hermann Wagner. Da zahlte er und gab ihr ein Trinkgeld, über dessen Höhe sie wieder stutzte, so sehr, daß sie vergaß, zu danken. Auf Wiedersehen," verabschiedete er sich von ihr.und vergessen Sie es nicht, daß Sie frei sind, frei und gesund!" Er winkte, nun völlig unbefangen, dem Kutscher, setzte sich in den Wagen und fuhr in den Ort zurück. Er hatte alle Scheu überwunden. Er war ein Mann, der von einem kleinen Ausflug zu- riickkshrte und der jetzt zu Mittag speisen würde, um sodann mit dem nächsten Zug nach Hamburg zu fahren, wo er daheim war. Jal Er trat in das beste Restaurant des Ortes und fühlte eine pochende Freude, als er wahrnahm, wie ihn die Kellner respektvoll begrüßten. Er setzte sich breit an den Tisch, mit jener Behagltchke,t. die der Ausfluß eines guten Gewissens ist, und studierte mit Ruhe und Umständlichkeit die Speisenkarte. Und er wählte sorgsam das, was ihm schmeckte, und ver- zehrte es wie einer, der die Mittel hat, es zu bezahlen. Ein wenig müde, zerrührte er nach dem Essen den Zucker in dem schwarzen Kaffee.Was haben Sie für Zigarren?" fragte er den Kellner. .Zu zehn, fünfzehn oder zwanzig?" fragte dieser eiftig, bemüht, den anscheinend wählerischen Gast durch Unter- würfigkeit zu ehren. Etwas Gutes!" Eine Importe?" Ja, er wählte eine Importe. Er besah sie skeptisch, schnitt ihr, an ihr herumbastelnd. sorgfältig die Spitze ab und nahm mit einer Miene, deren Hochmut durch Güte gedämpft war, das Feuer, das ihm der Kellner reichte.. Und nun sagen Sie mir, wann der nächste Zug nach Hamburg geht." befahl er weiter, sich daran, daß er Befehle geben konnte, weidend. Drei Uhr zwanzig, bitte sehr!" Gut, besorgen Sie mir einen Wagen!" Haben der Herr Gepäck?" Gepäck?" In seine Stimme, schien es, kam ein Mißton. Ganz leicht errötete er. Und er machte eine ungeduldige Be- wegung.»New!"

Mit einem wohligen Seufzer lehnte er sich in den Stuhl zurück und betrachtete den Rauch, den er wie im Spiel vor sich hinblies. Die Gedanken bestürmten ihn nicht mehr mit jener wirren Hast, die ihn unruhig und unsicher machte, sondern flogen ihm ruhig zu, einer nach dem andern, in Ordnung und voll harntonischen Gleichmaßes. Und es kam ihm so vor, daß es jetzt nichts mehr gab, das ihn erschrecken könnte. Auch der Pförtner des Gefängnisses nicht, dachte er grimmig, und ebenso wenig der Direktor, nein! Träten sie jetzt hier über die Schkdelle, dann-- Ja, er wußte es: dann brachte er die Ueberlegenheit auf, über sie hinwegzusehen, so, als ob sie gar nicht voryanden, als ob sie aus seinem Leben und Gedankenkreis gestrichen wären, was sie ja auch wirklich waren! Der Wagen fuhr vor. Reisner zahlte und schritt gleichmütig durch die Tür, die ihm der Kellner geöffnet hatte, Zum Bahnhof," sagte er draußen zu dem Kutscher. Und er warf sich in die Polster, schloß die Augen und wärmte sich an der Zufriedenheit, die in ihm war, in so starkem Maße, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er nahm ein Abtell erster Klasse. Dem Schaffner, der ihm öffnete, drückte er ein Geldstück in die Hand.Lassen Sie mich allein," sagte er in hoch- mutigem Tone. Der Zug zog an, bewegte sich fort, fuhr schnell, schneller.. Er fuhr an einem großen kasernenartigen Gebäude vor- bei, dem Gefängnis. Reisner sah es haßerfüllt an und ballte die Fäuste.Ihr," murmelte er,ihr da drinnen Und er wußte mit einem Male, daß es seine Bestimmung war, sich zu rächen, sich grausam zu rächen! '"-' 5. Smsner besaß eine Kraft der Selbstsuggestion, die freilich eine Schwäche war: er war imstande, sich jeder veränderten Lage, mochte diese auch noch so sehr zum Schlimmen aus- schlagen, nach kurzem Schrecken innerlich anzupassen und sich ihr zu fügen, auf welche Weise es ihm gelang, scheinbar Herr jeder Situation zu sein, während er doch in Wirklichkeit ihr blindester Sklave war. In dem Augenblick, wo er seinen Fuß auf das Hamburger Pflaster setzte, tat er es als ein Kämpfer wie er dachte, als ein Mensch, der gesonnen war, sich zu wehren, ohne dabei

erst den Anariff abzuwarten, als einer also, der durch seine Abwehr gleichsam den Kampf erst heraufbeschwor und herauf- beschwören wollte, diesen Kampf, den er von vornherein als etwas Gegebenes und Selbstverständliches annahm. Nicht im entferntesten kam ihm der Gedanke an die Mög- lichkeit, daß es vielleicht Menschen gab. die ihm die Schande seiner Strafe verziehen, und dieser Gedanke lag ihm deshalb so fern, weil er als ein Schwacher, der völlig im Bann der Dinge lag, diese Schande selbst noch nicht überwunden und sich verziehen hatte. Hier in Hamburg , dachte er, trage ich mein Mal für alle Zeiten auf der Stirn. Und dies erfüllte ihn mit einem ohnmächtigen Ingrimm. der sich mit Hochmut wappnete und der scheinbar Schläge aus- teilte, wo er doch jederzeit bereit war, Schläge zu empfangen. Er suchte vor allem den Mann auf, der ihn in seinem Prozeß verteidigt hatte, den Iustizrat Doktor Eberhard Lorm, einen Bekannten seines verstorbenen Baters, einen schon weiß- haarigen Herrn, der in dem Rufe eines Sonderlings stand, weil er in einem sonderboren Starrsinn alle und jede Gesell- schast mied und, von einer alten Wirtschafterin und einem ebenso alten Diener betreut, als einsamer Junggeselle in einer allen Besuchen unzugänglichen Villa in Harvestehude hauste. Reisner, der die Absonderlichkeit des alten Herrn kannte, machte dennoch den Versuch, in seinem privaten Heim vorge- lassen zu werden, und er gab dem Diener, der ihn am Garten- tor abfertigen wollte, seine Karte mit den Worten:Melden Sie mich nur: der Herr Iustizrat wünscht mich zu sprechen!" In der Tat kehrte der Diener gleich darauf zurück und meldete:Der Herr Iustizrat läßt bitten!" Reisner fand den alten Herrn in einem tiefen Klubsessel sitzen, der seine hageren Gliedmaßen gleichsam verschlang. Während Reisncr ein paar Worte der Begrüßung stammelte, machte der Iustizrat eine Bewegung mit seiner knöchernen Rechten, als bitte er um Entschuldigung, daß er sich nicht erhebe. Auf einen Stuhl zeigend, sagte er kurz und nüchtern:Da sind Sie ja. Es freut mich. Bitte, nehmen Sie Platz." Dieser absonderliche Empfang, dessen er sich gerade hier nicht versehen hatte, machte Reisner stutzig. Fast ohne es zu wollen, nahm er eine Kampfstellung an.Ich komme nicht als entlassener Sträfling," sagte er höhnisch,ich komme, weil ich Geschäfte mit Ihnen abzuwickeln habe. Sagen Sie es mir ruhig, wenn es Ihnen nicht paßt." (Forts, folgt.)