Nr. 269.
Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. Desterreich Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.
Vorwärts
11. Jahrg.
Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Juferate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition ist an Wochentegen bis 7 Uhr Abends, an Sonn: und Festtagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet.
Berusprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse:
1ledwood JOB D
Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. Sonnabend, den 17. November 1894. Expedition: SW. 19, 33euth- Straße 3.
Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!
Der Lieutenant als Staatsretter. duftenden Blatt( Nr. 33, Beilage) veröffentlicht unser„ Herr Elend aus moralischer Feigheit über das Land gebracht zu haben.
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von" eine geistvolle Studie über die Revolution", und Das ist die Antwort auf Ludwig's Rede am Schaffot:" Ich bin unschuldig." Daß die Unteroffiziere Stellvertreter Gottes auf Erden sagt da: Ich habe schon 1848 immer gesagt( mit Ausnahme des sind, das hat uns der fromme Dr. Lingens gesagt, der so Die Revolution wächst naturgemäß in einer Skala, die mit stampfes in Berlin , der von oben geleitet werden muß):„ Wenn vollständig vom heiligen Geist durchtränkt ist, daß ihm auf dem" Defizit" beginnt; daraus folgt Steuerdruck; mit ihm steigt doch der König die Revolution zu besiegen den Lieutenants Erden und im Himmel nichts unbekannt sein kann. Aber die Unzufriedenheit. In dieser Periode benachtig der überließe, sie würden sehr schnell damit von der kulturgeschichtlichen Mission der Lieutenante hatten unzufriedenheit ein utopischer Gedanke, welcher das Uebel zu fertig werden, denn vom Major an fängt nach meinen wir bisher nichts gehört. beseitigen verspricht. Dies ist der Wendepunkt der Regierung; 48 er Erfahrungen auch der Kollege Bedenken" an. Die Lieutenant und Kultur höchstens mit Ausnahme der sie fängt an mit dem Feinde zu buhlen und verliert ihre Freunde Lieutenants find so prächtig unverantwortlich. Schnurrbart Kultur- galten bisher für unvereinbare Be- obne jene zu gewinnen, bis der erste Mordklaps" sie erstaunen Vom Major an ist jeder von des Gedanken Blässe der Verantläßt. Dies und manches andere erwägend muß man befürchten, wortlichkeit angetränkelt. Diese Krankheit tennt der griffe, und noch erinnern wir uns, welches heitere Gelächter daß wir ebenso der Revolution entgegentretben wie dem Kriege. Lieutenant noch nicht,( glauben wir gern. R. d.„ Vorw.") einst Adolf Glaßbrenner ( Brennglas") hervorrief, als er unter Die einzige Frage ist nur, ob wir zuerst in die Scylla der Re- wenn ihm auch die Freiheit gestattet wird der Rubrik denkwürdiger Ereignisse der Welt mittheilte, volution oder in die Charybdis des Krieges mit vollem Dampf Kolosse auszubrüten". daß in Berlin ein Lieutenant über den Zweck seines Daseins voraus steuern. Mir wäre der Krieg weit lieber, denn zu dem Also warten wir auf den Lieutenant, der Koloffe ausnachgedacht habe. Das ist nun freilich schon lange her; sind wir geschult. Der Revolution gegenüber find wir die reinen brütet". und der Moloch des Militarismus ist seitdem so riesig Waisenknaben, denn da lassen uns die Bestimmungen" im Stich. Vorläufig haben wir blos 3 merge, die brütend auf gewachsen, daß der Lieutenant, der doch ein Stückchen von Wir sind aber alle so geschulte Gesezesmänner", daß wir dem Siesem Moloch ist, nothwendiger Weise mitgewachsen sein Revolutionsmann, welcher alle Gesetze unter die Füße tritt, Windeiern fizen. ziemlich rathlos gegenüberstehen. Wer 1848 schon gedient hat, muß. Und heute hat er eine Kulturmission die höchste, wird mir beistimmen. Karl Moor sagt in Schiller's Räuber: die es im Reiche des Moloch giebt: die Vernichtung der„ Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug Umsturzparteien", die Vernichtung der Sozial- geworden wäre. Das Gesetz hat noch keinen großen Mann ge- Wie bereits kurz mitgetheilt, wurde unser Genosse Dr. Grad demokratie! bildet, aber die Freiheit brütet Roloffe aus." Rein Dichter der nauer vom Dresdener Schöffengericht zu 10 Monaten Gefängniß Sigen da seit Monaten die staatsweisen Herren in Welt hat ganz ohne Sachkenntniß, troß seines Jdealismus eine verurtheilt, weil er die Militärbehörde, sowie das InfanterieBivil und stecken seit Monaten die Mandarinenzöpfe zu- fo prophetische Gabe besessen, wie Echiller. Er schrieb diese Regiment 102 beleidigt haben sollte. Den Beweis, daß nicht er, fammen, um den moralischen" Achtmillimeter zu entdecken, Worte als 20 jähriger Karls- Schüler 1779 und 25 Jahre später sondern ein anderer die fragliche Notiz verfaßt, ließ das brütete die Freiheit den Kaiser Napoleon aus. Alle unsere Ge- Gericht nicht zu. Ein Kriminalbeamter Born erklärte, daß vermittelst dessen man den Kopf der Sozialdemokratie wie fühle, deren Thaten 1813 diefen Koloß wieder zerschmetterten, eigentlich nur Gradnauer die Zeitung redigire, während einen Topf in Scherben zerschießen" und ihr für immer das stehen zehn Jahre früher geschrieben im Tell, der Jungfrau, Don die anderen Redakteure lediglich mit Beitungslesen sich Lebenslicht ausblasen kann. Carlos, Demetrius und Wallenstein und begeisterten Breußen beschäftigten. Diese Angaben eines Polizisten über die Redaktion Was Teufel, moralische" Achtmillimeter! Un- nach des Dichters Prophezeihung. Wie würde er, wenn er es einer Zeitung dienten dem Urtheile zur Unterlage. Als der finn!" - ruft da plötzlich in die zusammensteckenden Man- noch erlebt hätte, die große Zeit gefördert haben. Schiller's oben hauptsächlichste Beweis dafür, daß Gradnauer der Verfasser der darinen- Böpfe hinein eine schnarrende Kasernenhof- Stimme- genannte Dramen wurden erst verstanden, als er todt und die beiden Artikel sei, wurde sein Geständniß" vor dem MilitärUnsinn! Was tönnen, geistige Waffen" uns nußen? Beit erfüllet war, die sein prophetischer Geist vorher gesehen gericht angesehen. Und dieses Geständniß" ist es, welches dem Militärgerichtsverfahren eine neue Beleuchtung giebt und Grade Berbrecht Euch nicht die Böpfe! Ich habe das Heilmittel, batte. nauer als Opfer des Militärgerichtsverfahrens erscheinen läßt. ich habe den Retter! ich habe den Erlöser er heißt Allerdings hat Gradnauer damals zugestanden", daß er der Verfasser sei, aber sehen wir einmal zu, wie und unter welchen Umständen dieses Geständniß" zu Stande tam und welcher Werth demselben deshalb beizulegen ist.
Lieutenant!"
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Der Fall Graduauer.
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Die Revolution will etwas erringen, der gefeßliche Staat will erhalten. Die Revolution greift an, der Staat vertheidigt. Der Revolution ist jedes Mittel recht, Brand, Raub, Mord, Man glaubt wohl, wir scherzen? Bei einem so ernst der sittliche Staat beschränkt sich selbst auf so peinlich abgewogene haften Ding wie dem Lieutenant hört aber der Spaß auf. Grenzen, daß er immer mit" halben" Maßregeln ficht und die Nein, es ist kein Scherz, es ist blutiger, militärischer ,,, edel- Revolution stets mit ganzen. Die Revolution hat nichts zu Ueber die Ursachen und den Verlauf des Prozesses schreibt fter" Ernst. Und um jeden Zweifel an unserer tief verlieren, der Staat alles. Die Revolution ist überall im Vor- die Sächsische Arbeiter- 3tg." noch folgendes: fittlichen Wahrhaftigkeit geben Wie erinnerlich, wurde Gradnauer im vorigen Jahre auf auszuschließen, wir theil gegen den Staat, und wenn der Staat seine ihm von Gott gleich den Namen und das Nationale" des Mannes anvertraute Macht nicht rechtzeitig gebraucht, so verfällt er den Antrag der Militärbehörden verhaftet infolge einer Notiz in mit der schnarrenden Kasernenhofs- Stimme. Er nennt Gerichten Gottes. Dieses Verbrechen gegen Gott und Menschen unserer Zeitung, deren Schluß besagte, Gradnauer habe während sich„ Herr von" natürlich!- Herr D. von Monteton". führte Ludwig XVI. auf das Schaffot. Sein Dulder- Muth war seiner zehnwöchentlichen Uebung dazu beigetragen, soweit es heroisch und bewunderungswürdig, aber von Königen fordern unter den schwierigen Verhältnissen möglich sei, den Sozialis Und die geweihte Stätte, wo er seine Stimme hat ertönen Gott und Menschen Herrschertugenden, aber keine Duldertugenden. mus unter die Leute zu bringen, welche die Bajonnette tragen. laffen, um den Messias zu verkünden, ist die" Deutsche Wenn Könige die Bösewichter nicht strafen und die Guten nicht Vor dem Militärgerichte gab Gradnauer den Verfasser δα er es für Armee Zeitung". In diesem Juchten- und Loyalität schützen, so jühnt ihr Tod feineswegs das Verbrechen, all dies an, ganz ausgeschlossen hielt, der Kugeln, das Zischen der Granaten, die Nachtwachen auf dem Dache des Hauses beschrieb, da sperrten seine fleinen Zuhörer Mund und Dhren auf, damit ihnen keines seiner Worte entging.
sid Tan
M
Feuilleton.
[ Nachdruck verboten.]
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Im Exil. Roman von Georges Renard. Autorisirte Uebersetzung
Brr! dachte René bei sich, so liebenswürdig wird sie nicht alle Tage sein. Was für ein Gletscher! Na, für diesen Preis tann ich auch nicht alles haben, Aussicht auf den See und mütterliche Zärtlichkeit obendrein.
ein kleiner Sauſewind, wie die Mutter sagte, der noch immer nicht daran denken wolle, daß er zwölf Jahre gewesen sei und nun ein gesetztes Fräulein werden müsse.
Annette, die den neuen Ankömmling aber mit ihrem schönsten Lächeln und ihrer schönsten Verbeugung begrüßt hatte, nahm jetzt eine schmollende Miene an und zuckte die Achseln.
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Sie sehen es ja, mein Herr, sagte Frau Roveray mit ärgerlicher Stimme. Du schämst Dich auch gar nicht, mein Fräulein! Ich werde Dich aus dem Salon schicken müssen!"
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Jetzt konnte Annette sich nicht mehr halten. Die Frage brannte schon lange auf ihren Lippen:
Und Sie haben keine Furcht gehabt? rief sie endlich. O freilich, sogar mehr als einmal, erwiderte René lachend. Allein ich habe immer so gethan, als ob ich mich ganz behaglich fühlte!
Nach dieser Antwort erreichte die Bewunderung der René bat für die kleine Sünderin um Gnade. Kinder ihren Gipfel. Sogar Frau Roveray trat aus ihrer Am selben Abend noch zog er mit seinem bescheidenen Es mag noch einmal hingehen, sagte die Mutter, aber Burückhaltung heraus, um, während ihre Stimme so etwas wie Gepäck ein. Man bot ihm zur Feier dieses Ereignisses im unter der Bedingung, daß ich Dich den ganzen Abend über Hochachtung ausdrückte, nach einigen Einzelheiten zu fragen. Salon eine Taffe Thee an. Der Salon war ein großes, nicht höre. Mit Ueberraschung sah René, welchen mächtigen Eindruck dieses tables Gemach, das einen strengen, beinahe klösterlichen Annette setzte sich refignirt. Aber wenn ihr Mund nicht ferne Paris , das besiegte, zerstörte, niedergebrannte, hier Eindruck machte. Alles war peinlich eigen gehalten, aber sprechen durfte, so sprachen ihre Augen für zwei, zuerst um ausübte, und wie es diese Menschen so zu interessiren verohne Eleganz und Komfort, kein Teppich, Vasen ohne dem jungen Manne herzlichen Dank zu sagen, dann um mochte, daß er in ihren Augen als etwas Besonderes da Blumen, blendend weiße Vorhänge an den Fenstern, ihrem Bruder irgend ein spöttisches Zeichen zu machen, um stand, nur weil er in Paris dabei gewesen war. graue Papiertapeten mit dunkelgrauen Blumenranten, auf einen vorwurfsvollen Blick mit stummem Troß zu Unterdessen hatte eine alte Magd den Thee herein als einziger Schmud einige mitleiderregende Kupferstiche, antworten und um, groß aufgeschlagen, das Interesse, gebracht, und sofort schnellte Annette in die Höhe, um ihn ein fleiner, grünlicher Spiegel, der die Gefichter in allen das fie an der Unterhaltung nahm, zu zeigen. zu serviren. von Paris . Regenbogenfarben wiederspiegelte; in der Mitte auf einem Man plauderte über die Belagerung Sachte! rief die Mutter. Ach, mein Herr, dieses Kind länglichen Zische eine große Bibel mit Metallflammern. René erzählte mit gutem Humor mit gutem Humor von den gastro- bringt mich noch zur Verzweiflung. Sie hat noch nicht am Episoden, die meisten Einige Möbel waren hier und da in peinlichster Symmetrie nomischen geeignet einmal gelernt, vernünftig zu gehen. aufgestellt, außerdem befand sich ein Piano, auf dem in waren, seine Zuhörer zu amüsiren, von dem Kohl, von dem Thatsache war es, daß das junge Mädchen wie ein schöner Ordnung Notenhefte geistlichen Inhalts aufgestapelt jedes Blatt fünfzig Centimes fostete, von den kleinen rofiger Schmetterling umherflatterte. Sie war flein für ihr Lagen, im Zimmer. Ein steifes, hartes Sopha schien jeden Näpfen mit Butter, die man einander als werthvollstes Alter, besaß aber vielleicht gerade darum diese Ueberfülle aufzufordern, sich nicht darauf zu sehen. Während René Geschenk zum Jahrestage überreichte, von den Gerichten, von Lebenskraft, die sich ununterbrochen in zierlichen, lebmit einem Blick diese ganze, altmodische und geschmacklose die man aus Pferdehufen bereitete, und die sich unter dem haften, beschwingten Bewegungen Luft machte. Ein drolliger, Einrichtung überflog, stellte Frau Roveray, steif und Messer wie Kautschuk krümmten, und wenn man sie in fleiner Kobold, dachte René für sich, wenn er sie gehen geremoniös wie immer, ihre beiden Kinder vor, zuerst ihren Wasser tochte, sich gar in eine schreckliche, gallertartige und kommen sah. Weiche, blonde Haare, deren Glanz an Sohn Henri, der ihr ähnelte, nur daß seine Züge weicher, Brühe auflösten. Die beiden Kinder betrachteten den Helden, den des Kupfers erinnerte, umgaben in wirrem Gelock das der Ausdruck sanfter war, einen Knaben von elf Jahren der den Muth gehabt hatte, Hunde, Kazen, Eselfleisch Köpfchen. Fast in jedem Augenblick mußte sie die Locken mit braunem Kopf und ernster nachdenklicher Miene. und viele andere undenkbare Dinge zu effen, mit un- aus dem Gesicht streichen, und dies war stets die VeranDann tam ihre Tochter Annette an die Reihe, verhohlener Bewunderung. Aber als er das Pfeifen lassung zu einer Bewegung, die kokett gewesen wäre, wenn
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