Kr. 291 ♦ ZS. Jahrgang
1. Oeilaae öes Vsrwärts
Donnerstag, 2Z. Juni 1921
GroMerün Umleitungsärge?. Die Nmleitungen von Straßenbahnlinien wegen Gleis. erneuernngSarbeiten sind eine Quelle schlveien Verdrusses sür Fahr. gaste und Slraßenbahnangesiellte. Wie wird eine Linienumleitung bekanntgegeben? Die Zeitungen bringen eine Mitteilung, die der Slratzenbahnvcrwaltung ein Inserat erspart. Im übrigen werden für die ganze Dauer der Ninleitung in allen Wagen der Linie rote Plakate mit einem bezüglichen Hinweis angebracht. Das könnte dock, genügen, sagt sich die Verwaltung,— und in der Regel genügt es auch für Leute, die täglich diese Linie benutzen. ES genügt aber in der Regel nicht für die vielen anderen, die nur gelegentlich an so eine umgeleitete Linie geraten. Die ZeitungS- notiz, die damals für sie kein Interesse hatte, ist von ihnen ent- weder nicht beackitet oder inzwischen wieder vergesien worden Warum aber, wird man sragen, machen sie nicht beim Ein- st eigen die Augen auf und halten Ausschau nach dem roten Plakat? Ja, wäre eS nur da angebracht, wo es dem Einsteigenden auffallen muß I Das Plakat wird im Wageninnern an je ein Fenster nahe den beiden Türen geklebt. Beim Einsteigen betrachtet mancher nicht zunächst die Fenster, sondern sieht bor sich auf den Weg durch den Wagen und sucht nach einem Sitzplatz. Und nach» her bietet sich dem Auge des Fahrgastes eine solche Fülle von ge- druckten Plakaten und ausgemalten Inschriften, daß ein Plakat mehr kaum noch ausfallen kann. Nun ist der Schaffner angewiesen, an der Umleitungsstelle in den Wagen hineinzurusen, daß jetzt der und der Weg eingeschlagen wird. Da gibt eS dann fast immer einige, die aufspringen und entrüstet den Schaffner fragen, warum er daS nicht früher gesagt habe. Schnauzt der Fahrgast den Schaffner an, so schnauzt ein empfindlicher Schaffner wieder und gibt unter Hinweis auf das rote Plakat dem Fahrgast den Rat, künftig die Augen bester aufzutun. Sollten solche verdießlichen Auftritte, die der Schaffner einer umgeleiteten Linie jeden Tag von früh bis spät über sich ergehe» lasten muß, wirklich nicht zu vermeiden sein? Wir empfehlen, eS einmal mit einer anderen Art der Bekanntgabe zu der- suchen. Bei Linieuumleitung bringe man an der Stirnseite des Wagens auf dem Doch neben der Linien nummer eine abends zu erleuchtende Inschrift»Umleitung!* an. Auf die Liniennummer des herankommenden Wagens siebt jeder, und der Fahr- gast wird dann beim Einsteigen sofort nach dem roten Plakar aus- schauen, das auch noch an der Außenseite de« Wagens nahe der Griffstange des Perrons angebracht werden könnte. Das find nur Anregungen und Vorschläge, die sich gewiß noch durch Besseres er- setzen ließen. Aber geschehen mutz etwas, um diesen unerquicklichen Auftritten, unter denen die Straßenbahnaugestellten begreiflicher- weise noch viel mehr als die Fahrgäste leiden, ein Ende zu machen. Man komme uns nicht mit der billigen Antwort, daß es immer Schlafmützen geben wird, die durch nichts aus ihrem Schlaf auf- zurütteln find. Ja, das stimmt, doch nicht für diese sprechen wir. Bei vielen anderen aber würden die von unS vorgeschlagenen Maß- regeln genügen, sie vor Lerger zu b e w a h r en— sie und das Personal. Mpftische Experimente. heilmagnekopathen vor Gericht. Der frühere Konfektionsschneider Lüdecke in Lichtenberg und besten Ehefrau betreiben seit sieben Jahren das Gewerbe als Heilmagne- tiseure. Sie haben großen Zuspruch von Kranken. Ein Teil der Kundschaft hat sich zu dem religiösen Verein„Aufwärts zur Sonne* zusawmengeschlosten. Eine Frau Ida Schmidt und deren schwach- sinniger epileptischer Sohn hatten nach anfänglicher großer Zu- friedenheit mit dem Ehepaar L. Anzeige wegen Betruges erstattet. Infolge der Anzeige begab sich der Lichtenberger Kriminaloberwacht- meister Kuhfeld in die L.'sche Wohnung und markierte den Kranken. Er zahlte sür zweimalige Behandlung zusammen 4 M. und fühlte sich geschädigt, obwohl das Honorar von der Behörde erstattet ist. Das Lichtenberger Schöffengericht hatte am 7. Januar die Angeklagten zu je SSV M. Geldstrafe wegen Betruges ver» urteilt, trotz der gutachtlichen Aussage des Medizinalrats Dr.
Störmer, daß in geeigneten Fällen durch mystische Experimente gute Wirkungen bei Kranken erzielt werden können. In der gestrigen Berufungsverhandlung vor dem Landgericht I drehte sich die Beweisaufnahme um die Frage, ob auch bei Lungen-, Geschlechts- und Augenleiden, überhaupt bei organischen Er- krankungen, eine günstige körperliche Beeinflustung durch Heilmagnetismus möglich sei. Mcdizinalrat Dr. Störmer verneinte das entschieden, während der zweite Sachverständige, Kreis- und Gerichts- arzt Dr. Hammer, an der Hand ärztlich-wistenjchaftlicher Literatur die Frage ebenso entschieden bejahte. Eine große Schar geladener Patienten der Eheleute Lüdecke sollte die Glaubwürdigkeit der An-
w
33=
P&simtQmmim welche die Erneuerung des Abenne- rnenls für den Monat Juni noch nicht vorgenommen haben, müssen sofort das Versäumte nachhoien, wenn keine Unterbrechung in der Zustellung der Zeitung erfolgen soll VoFwärtS'Verlag S. m. b. H.,
=EE
zeigenden erschüttern. Nachdem eine ganze Reihe dieser Zeugen sich als gebessert oder geheilt erklärt hatten, wurde auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichtet. Der Verteidiger, Rechts- anmalt Dr. H a e n d e l, wies auf das Rech» des Laien hin, auf einwandfreie Art Kranke aller Art mit Magnetismus zu behandeln, wenn in solchen Fragen, die eigentlich gar nichr vor das Forum der Justiz gehören, selbst in der medizinischen Wissenschast die größten Widersprüche bestehen. Schon die geringen Honorarsorderun- gen von 1—2 M. für die Einzelbehandlung sprächen doch gegen jede Betrugsabstcht. Nach kurzer Beratung kam der Gerichtshof zur Freisprechung, weil der Nachweis einer Täuschung von niemandem erbracht sei._ Sie»Mesengervinne" öes Milchamts. Das Milchamt Berlin teitt mit: Die Preste gibt die Mitteilung einer Korrespondenz wieder, wonach unter Angabe eines Rezeptes das Milchamt bei Herstellung von Sahne aus Frischmilch und Trockenmilch große Gewinne erziele. Dieses Rezept ist in jeder Hin- ficht eine böswillige freie Erfindung. Der dem Milchamt Berlin an- geschlossene Betrieb der Meierei Bolle stellt aus Milchpuloer und Butter eine niedrigprozentige und eine hochprozenttge Sahne her, deren Vertrieb verhindert hat, daß aus Frischmilch von Unbefugten Sahne hergestellt und damit der Frischmilchkonsum geschädigt wurde. Die Berechnung des Reingewinns ist phantastisch. Der Reingewinn beträgt zirka 13 Proz. Er dient mit zur Leroilligung der Frischmilch für Kinder. Es ist bezeichnend, daß diejenigen Kreise, die an der Bekämpfung der kommunalen Betriebe ein Interesse haben, ab- wechselnd bald die Vcrlustwirtschaft, bald den bei einem Geschäft erzielten Gewinn brandmarken.— Der„Vorwärts* hat sich selbstverständlich zur Verbreitung dieser durchsichtigen Nachricht nicht hergegeben._ Wem gehört das Taschentuch? Der Raubmord an dem Oberpostassistenten Splettstößer In der Borsigsttaße ist noch nicht aufgeklärt. Alle Vernehmungen und Nach- Prüfungen von Angaben aus dem Publikmu haben noch keinen An- halt geliefert. Vielleicht gelingt aber die Ermittlung des Mörders an der Hand eines T a f ch e n t u ch e s, das er am Tatort zurück- gelassen hat. Es ist ein Tuch von außergewöhnlicher Größe— für ein Taschentuch viel zu groß—, mißt 49x34 Zentimeter und besteht aus Baumwollbatist. Augenscheinlich ist es von einem größeren Stück, vielleicht von einem Hemd, abgeschnitten und an drei Seiten gesäumt, während eine Seite ungesäumt geblieben ist. Die Säu- mung hat wahrscheinlich eine Frau oder ein Mädchen zu 5)ause be- sorgt. Wer über dieses Taschentuch irgendeine Mitteilung machen kann, wird dringend ersucht, sich bei den Kommissaren Tegtmeyer und Dr. Anuschat im Zimmer 86 des Polizeipräsidiums zu melden. Das Tuch ist zur Ansicht für jedermann von heute ab in dem Aus- Hängekasten der Kriminalpolizei auf dem Lichthof des Polizeiprä- stdiums ausgestellt.
n]
Die Rächer. Roman von Hermann Wagner.
Reisner sprang in ein Auto und ließ sich in das Ge- schäftsviertel fahren. Vor einem der riesenhaften Kontor- Häuser ließ er halten. Der Paternosteraufzug brachte ihn in das vierte Stockwerk. Dort läutete er an der Tür eines großen Kontores. Als er eintrat, ging eine Bewegung durch die Reche der Angestellten. Reisner lächelte spöttisch, denn er sah, daß man ihn erkannte. Er wandte sich an einen der Buchhalter mit der Frage nach dem Geschäftsführer. Der Mann er- rötete stark, verbeugte sich ungeschickt und öffnete ihm eine Türe. Während Reisner die Schwelle überschritt, freute er sich im voraus des Eindruckes, den sein unerwartetes Erscheinen hervorrufen mußte. Niemand nämlich ahnte, daß ihm ein Jahr seiner Strafe im Gnadenwege erlaffen worden war. Er mußte allen, die ihn so unvermutet sahen, wie ein vom Tode Auferstandener erschienen. Die Wirkung, die er erzielte, war in der Tat enorm: Sigmund Lautenbach, sein Geschäftsführer, starrte ihn wie einen Geist an,— mit offenem Mund, aufgerissenen Augen und unfähig, ein Wort zu sagen „Nun," sagte Reisner, indem er in die Mitte des Zim- mers trat und so tat, als sei er kaum acht Tage vom Geschäft fern gewesen,»hat es Ihnen den Atem verschlagen?" Er lachte kurz auf, warf sich, die Arme über der Brust kreuzend, in einen Stuhl und sah sich flüchtig in dem Raum um. der früher jahrelang seine eigene Arbeitsstätte gewesen war.„Ich will Sie heute nicht lange aufhalten,* fuhr er fort, sich an der Bestürzung des anderen noch immer wei- dend.„Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu zeigen, daß ich wieder da bin: gesund, munter und ungebrochen. Und um Ihnen zugleich zu sagen, daß es trotzdem meine Absicht ist, sehr bald wieder von hier wegzugehen,— und zwar für immer.* Erst jetzt fing der Geschäftsführer an, sich allmählich in die Lage zu finden. Er stammelte eine Begrüßung, von der er fteilich allzusehr fühlte, daß sie zu spät kam und daß sie Kl gezwungen klang, als daß er es noch hätte wagen
dürfen, dem Mann, der unter einem sein Chef und ein ent- lassener Sträfling war, die Hand zu reichen. So half er sich damit, daß er nach einigen einleitenden Verlegenheitsworten sogleich daran ging, in knappen Um- rissen ein Bild vom Stande des Geschäftes zu entwerfen. Und das gab ihm nach und nach seine Sicherheit zurück, denn er hatte nur Erfreuliches zu berichten. Das Vermögen Reis- ners hatte sich in den verflossenen vier Iahren wesentlich vermehrt. Reisner hörte ihm aufmerksam zu. Keine Geste, kein Zug in seinem Gesicht verriet, was in ihm vorging, was er dachte. Immer hörte er die Mahnung des Alten: Zeigen Sie nie, daß Sie leiden, zeigen Sie auch nie, daß Sie sich freuen: bleiben Sie unter allen Umständen kalt! Und er sah, daß es gar nicht so schwer war, sich zu beherrschen, sich dem Einflusie der Persönlichkeit eines anderen zu entziehen und sich auf diese Weise überlegen zu zeigen, wenn man nur an die Richtigkeit des Standpunktes, den man einnahm. innerlich fest glaubte. Und daß er diesen Glauben hatte, diesen Glauben an sich selbst, das fühlte er jetzt. „Sie machten mir," nahm Reisner, nachdem der Ge- schäftsführer mit seinem Bericht zu Ende war, das Wort, „als ich vor vier Iahren von hier weggehen mußte, einen Vorschlag. Sie sprachen damals, wenn ich mich nicht irre, davon, daß Sie die Mittel besäßen, mir mein Geschäft, von dem Sie damals nicht annahmen, daß ich es würde weiter- sichren wollen, abzukaufen. Ich lehnte damals auf Anrät.n meines Anwaltes ab... Run, wie denken Sie heute dar- über?" Der Geschäftsführer war von dem Glücksfall, der sich ihm da plötzlich bot. auf das höchste überrascht.„Sie wollen... wirklich... verkaufen?" fragte er. „Ich trage mich mit dem Gedanken, jawohl." „Und Sie denken dabei... wirklich...an mich?" Reisner nahm den zitternden Unterton der Stimme wahr. Dieser heimliche Ton war ein demütiges Sichbeugen vor ihm. der, solange er über Reichtümer verfügte, auch die Macht behielt, andere von sich abhängig und sich dienstbar zu machen.„Ich denke an Sie," sagte er ruhig,„ja, gerade an Sie. Denn es ist mein Wunsch, an dem Geschäft als stiller Teilhaber auch fernerhin beteiligt zu sein, mit größeren Kapi- talien, die Ihnen, als einem Anfänger, wohl doppelt will- kommen fein werden." Er sah den Geschäftsführer voll au.
Mäöchenhänöler an öer Arbeit. Eine Warnung an die Mädchenwelk des Prolelariats. Das scheußliche und verruchte Gewerbe des Mädchenhandsls macht, sich anscheinend wieder breit, um mit falschen Versprechungen unter Anwendung der verschiedensten Lockmittel arglosen Mädchen, vornehmlich jene der mind-rbemittellen Klaffen, ein entsetzliches Los zu bereiten. Unter der Vorspiegelung, daß sie Stellen als Hausangestellte, Putzmacherinnen, Hauslehrerinnen, Kontoristinnen erhalten könnten, werden sie in das besetzte Gebiet und auch' in das Saarreoier gelockt, wo sie den für die französischen schwarzen Kolonialtruppen eingerichteten Bordellen überantwortet werden. Soeben wurde ein Trupp von fünf jungen Mädchen, der nach der Pfalz gehen sollte, in Frankfurt a. M. angehalten. Nach Ver- nehmung der Mädchen und der begleitenden Frau wurden die Stellungsuchenden vor der Weiterreise gewarnt, da sie aller Wahr- scheinlichkcit nach Mädchenhändlern in die Hände gefallen seien. Die Schlcpperin wurde vorläufig auf freiem Fuße belassen, da ihr Beihilfe zum Mädchenhandel nicht einwandfrei nachgewiesen wer- den konnte. Doch hat sich die Frankfurter mit der Berliner Polizei zum Zwecke weiterer Nachforschungen in Verbindung gesetzt. Man nimmt an, daß auf diesem Wege bisher etwa 490 Mädchen ins besetzte Gebiet verschleppt worden sind. Ihr Los ist ein unsagbar schreckliches, ihr leiblicher und seelischer Untergang gewiß. Wer deshalb derartige Stellen annehmen will, sollte es stets im Einvernehmen mit seiner Organisation bin.
Hetze gegen Pfarrer Hleier. Wie erinnerlich, hatte sich unser Genoffe Pfarrer Bleier seinerzeit in der Protestoersammlung der Charlottenburger Lazarettinsaffen in erfreulicher und warmherziger Weise für diese tief bedauernswerten Opfer des Weltkrieges eingesetzt. Der„Reichsbotc", das Organ der ultrakonservativen preußischen evangelischen Pfarrer, bekommt es tatsächlich fertig, darüber am 12. Juni folgendes zu schreiben: „Das Eintreten des Herrn Pfarrer Bleier für die Auf- rührer des Charlottenburger Lazaretts darf uns weiter nicht wundern. Er hat auch damals die Stirn gehabt, die Prot« st e gegen die schwarze Schmach im besetzten Gebiet zu verurteilen. Ieg- l i ch e s vaterländisches Empfinden ist diesem Herrn scheinbar völlig abhanden gekommen. Es ist aber tief bedauerlich, daß in dieser Zeit der größten Seelennot des deutschen Volkes ein der- artiger Mann als Seelsorger tätig i st.* Der letzte Satz läßt darauf schließen, daß man Pfarrer Bleier so bald wie möglich beseittgen möchte. Die Kriegsbeschädigten wer- den außerdem mit dem schändlichen Wort„Aufrührer" belegt. Darauf gibt es nur eine Antwort: Wer innerlich mit der evangelischen Kirche fertig ist, trete sofort aus. Die übrigen aber mögen dem„Reichsboten* und seinen Hinter- Männern wegen dieser Denunziation die entsprechende Antwort geben. Zufolge einem Bericht über die Kreissynode Friedrichswerder II im„Berliner Lokalanzeiger*, in dem der Fall des langen und breiten abgehandelt wurde, ist diese Synode einem Ketzergericht nicht un- ähnlich gewesen. Man kann es Bleier nicht verzeihen, daß er sich für die Charlottenburger Lazarettinsassen eingesetzt hat. Die Synode nahm folgende Entschließung an: „Die Kreissynode spricht ihr tiefftes' Bedauern darüber aus, daß der Syn. Dleier, dem, wie jedem Pfarrer, selbstverständlich die volle Freiheit seiner politischen Anschauung zusteht, in seiner außer- kirchlichen Tätigkeit das erforderliche Maß der Rücksicht auf kirch- liche Pflichten und auf die Gemeinsamkeit evangelischer Lebens- auffaffung vermissen läßt.* Der Synodalvorstand wird beauftragt, die Angelegenheit ernst- lich im Auge zu behalten._ Oeffentliche Aufzüge an Sonntagen. Der Oberpräsident hat für das Gebiet der Provinz Branden- bürg zu der Polizeioerordnung über die äußere Heilighaltung der Sonn- und Feiertage neue Bestimmungen getrossen. Danach sind öffentliche Aufzüge und Versammlungen, die nicht gottesdienstlicheu Zwecken dienen, sowie Leichenbegängnisse an Sonn- und Feiertagen während der Zeit des Hauptgottesdienstes verboten, sofern sie geeignet sind, den Gottesdienst unmittelbar zu stören.— Hoffentlich birgt der Schlußsatz nicht die Gefahr einer bureaukratischen Auslegung durch jene Herrschaften, die ein Jnter- esse daran haben, eine„unmittelbare Störung des Gottesdienstes* zu konstruieren.
Der sprang auf und streckte Reisner zögernd die Hand entgegen, so, als fürchte er, dieser könne sie zurückweisen. Und Reisner schien sie in der Tat nicht zu bemerken, so daß jenem nichts anderes übrig blieb, als sie schüchtern wieder zurückzuziehen, wobei er, beschämt und unsicher, mur- melte:„Ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen sehr!" Doch Reisner schüttelte den Kopf.„Es ist nicht nötig, daß Sie mir danken, denn das, was ich Ihnen vorschlage, ist ein nüchternes Geschäft, bei dem ich vor allem meinen eigenen Vorteil im Auge habe." Und er entwickelte dem anderen die Grundzüge, nach denen er einen Bertrag mit ihm zu schließen gewillt war. Die Bedingungen, die er stellte, waren hart und gingen bis an die äußerste Grenze dessen, was ein Gesellschafter sich bieten lassen konnte. „Wollen Sie?" fragte er, nachdem er seine Erklärungen mit einem kalten Raffinement abgegeben hatte, das dem Partner die künftige Abhängigkeit offenbar bis ins letzte Detail zum Bewußtefin zu bringen wünschte.„Wollen Sie oder wollen Sie nicht?" Zum ersten Male in seinem Leben kostete er den Genuß aus, aus einem Menschen, der sich nicht wehren konnte, das Letzte herauszupressen. Der Versuch, der völlig gelang, hinterließ ein prickelndes Gefühl der Befriedigung in ihm. Er war gleichsam ein Prüf- stein für die Kraft seines Willens, die, wenn er sie nur in der Kälte seines Herzens stählte, noch wachsen würde. Roch in der gleichen Stunde wurde der Vertrag auf- gesetzt, in zwei Exemplaren ausgefertigt und von beiden unterschrieben. Reisner steckte fein Exemplar in die Tasche, ohne daß sein Gesicht etwas anderes als Gleichgültigkeit ausgedrückt hätte.„Das wäre abgemacht," sagte er, indem er eine Ziga- rette in Brand setzte,„und wir hätten jetzt wohl Grund, uns ein wenig zu erholen." „Wie?" fragte der Geschäftsführer, der Reisner nicht verstand. Reisner blies eine dichte Rauchwolke vor sich hin und blickte ihr starr nach.„Ich meine, daß wir uns vielleicht etwas erholen könnten, indem wir ein Lokal aufsuchten.., Oder geniert es Sie, wenn man Sie mit mir sieht?" „Mich?... Aber bestimmt nicht!" lFortf. folgt.),