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Nr. 293 ♦ ZS.Fahrgaüg
Heilage öes Vorwärts
Freitag, 24. �uni 1921
Zentralisation öes Gewerbe- unö Kaufmannsgerichts. Beamten -, Angestellten- und Arbeitervertreter in Verwaltnngsdeputationen.
Die Stadtverordnetenversammlung arbei� tete gestern Reste auf, die vom Dienstag übrig geblieben waren. Die diesmal wiederholte Abstimmung über das für die Etalberatung zu beobachtende Verfahren brachte den Unabhängigen und den Kommunisten einen Reinfall. Um die Versammlung wieder beschlußunfähig zu machen, stürmten sie hinaus. Sie unterließen aber, für Feststellung der Beschluß Unfähigkeit zu sorgen. Unter schallendem Gelächter, bei dem sie verdutzU Gesichter machten, wurde der Beschluß proklamiert. Sie müssen ihren Redefluß noch zurückhalten, weil e r st der Ausschuß arbeiten soll.— Die notwendige Z e n tralisation des Gewerbe- und des Kauf mannsgerichts wurde glücklich unter Dach und Fach ge bracht. Es war höchste Zeit, daß die aus dem Ausschuß zu rückkommende Vorlage endlich erledigt wurde. Zum 30. Juni läuft die Amtsdauer der bisherigen Beisitzer des Gewerbe- und des Kaufmannsgerichtes ab.-- Die Vorlage wegen Hinzu ziehung von Vertretern der Beamten, Ange stellten und Arbeiter zu den Verwaltungs- de'putationen entfesielte noch einmal eine Debatte. Daß den Schaffenden der ihnen gebührende Einfluß auf die Verwaltungen gesichert werden muß, betonte unser Genosse B r o l a t. Die Vorlage wurde von den drei Fraktionen der Linken gegen alle Bürgerlichen angenommen Sitzungsbericht. Nach der Eröffnung der Sitzung(S Uhr S Minuten) teilt der Vorsteher Dr. W e y l den Eingang eines Dringlichkeits- a n t r a g e s mit, wonach den Arbeikern auf den städtischen Gütern ein Zuschlag von 10 Proz. zu den Bezügen zugesprochen werden soll. Müller(U. Soz.) bittet, gegen die sofortige Verhandlung keinen Widerspruch zu erheben; es handle sich um einen Millionen- besitz der Stadt, der gefährdet sei, wenn der Streit der Gutsarbeiter fertdauere.— Don der Rechten wird gleichwohl Widerspruch er- hoben. Der Antrag kommt daher erst in der nächsten Sitzung zur Beratung. Zur Beratung steht zunächst das neue Ortsstatut für das Gewerbe- und Kaufmannsgericht der Stadtgemeinde Berlin. — Die Vorlage ist am 8. Juni an die Versammlung gelangt und einem Ausschuß überwiesen worden. Der Magistrat schlägt für das Gesamtgebict ein Gewerbe- und e j n Kaufmannsgerichl vor; daneben sollen nach Bedarf Klageaus- nahmestellen und in den Vororten, wo ein Bedürfnis dafür vor- Händen ist oder sich herausstellt, besondere Gerichtstage ein- gerichtet werden.— Der Ausschuß hat die Vorlage mit einigen Abänderungen zur Annahme empfohlen. Ein schriftlicher Bericht liegt nicht vor; mündlich referiert P a n s ch o w(D. Vp.) über die Ausschußverhandlungen. In der weitschichtigen Erörterung, die sich an den mündlichen Bericht knüpft, werden von sämtlichen Rednern der Parteien auf der Rechten, auch vom Zenwum, vo» der Wirtschaftlichen Bereini- gung und von den Demokraten zahlreiche Bedenken gegen die Vor- läge und gegen die Ausschußbeschlüsie geltend gemacht. Bemängelt wird die späte Einbringung der Vorlage, die Ueberspannung des Zentralisationsbegriffs, die Unzulänglichkeit bzw. Unzweckmäßigkeit der Klageaufnahmestellen und der Gerichtstage; verlangt wird die Schaffung von Gewerbegerichten für jeden der 20 Bezirke und die Statuierung eines entsprechend geänderten Wahlverfahrens. Da die Ausfchußfasiung niemand beftiedige, wird Zurückverweisung an den Ausschuß beantragt. Brückner(Soz.): Das Verlangen nach je einem Kaufmanns- und Gewsrbegericht für jeden Bezirk ist nach dem Wortlaut des Gesetzes unstatthaft. Das Ortsstatut in der Form, wie es vom Magistrat vorgelegt ist, reicht völlig aus. Zur Beseitigung stehen- gebliebener Unebenheiten beantragen wir im Berein mit den Unab- hängigen Sozialdemokraten Abänderungen dahin, daß im Z 2 des Ortsstatuts für das Kaufmannsgericht die Zahl der Beisitzer von 250 auf 500 erhöht wird; ferner wollen wir die Amtsdauer der Beisitzer von 0 Jahre auf 3 Jahre oerkürzen.
Stadtrat Brühl legt dar, daß den Magistrat ein Verschulden an der getadelten späten Einbringung der Vorlage nicht trifft. Für die sofortige Erledigung der Vorlage und für die erwähnten Amen- dements der Soz. und U. Soz. spricht sich auch Ostrowski (Komm.) aus. Die Zurückverweisung an den Ausschuß wird abgelehnt, ebenso der Antrag der Deutschnationalen, das Ortsstatut als unzureichend und nicht den Gesetzen entsprechend abzulehnen: gegen diesen An- trag stimmen auch die Demokraten. Ueber den Antrag v. Eynern (D. Vp.), in den einzelnen Bezirken Kammern zu errichten, wird namentlich abgestimmt; das Ergebnis ist die Ablehnung mit 88 gegen 58 Stimmen. Darauf wird das Ortsstatut in der Ausschußfaflung mit den Anträgen Brückner angenommen. Eine Entschließung des Ausschusses, wonach die Reichsregierung ersucht werden soll, eine Notoerordnung zu erlösten, die die bestehen- den Gerichte bis zum Zusammentritt der neuen, längstens jedoch bis zum 30. September weiter in Funktion beläßt, gelangt ebenfalls zur Annohme. Hierauf wird die Abstimmung über die Frage nachgeholl, ob die Elaks-Generaldebatte nochmals aufgenommen oder bis zur Berichterstattung des Etats- ausschustes verschoben werden soll. Vor der Abstimmung verlassen die Unabhängigen Sozialdemokraten und die Kommunisten den Saal; mit großer Mehrheit wird beschlossen, von der Etatsdebatte für heute abzusehen. Der erweiterten Hinzuziehung von Vertretern der Beamten. Angestellten vnd Arbeiter mit beratender Stimme zu den Sitzungen der Deputationen und ständigen Ausschüsse, wie sie der Magistrat in einer Vorlage vom 25. April in Vorschlag gebracht hat, tritt Dethleffsen(Dnat.) in längerem Vortrage entgegen. Rechtliche und tatsächliche Bedenken ständen im Wege; die Unbefangenheit der Beschlußfassung werde ebenso wie die Geheimhallung der Beschlüste gefährdet.— Magistratsrat Dr. F r a n tz zerstreut die rechtlichen Bedenken des Vor- redners.— Letz(Komm.) häll im Gegensatz zu Dethleffsen die Teil- nähme dieser Vertreter für unerläßlich, die Vorlage gehe, wenn sie für jede Deputation 3 Vertreter in Aussicht nehme, eigentlich noch nicht weit genug.— D e t h m e r(U. Soz.) wendet sich namentlich dagegen, daß, wie Dethleffsen behauptete, die Versammlung gar nicht berechtigt sei, einer solchen Vorlage zuzustimmen.— v. Eynern (D. Vp.) wirst dem Magistrat vor, daß er hinsichtlich des Wesens der Deputationen gar keinen Unterschied macht, daß für jede Deputation die Beamtenkammern und die Betriebsräte die Vertreter zu be- nennen haben. Viele Deputationen hätten doch mit der Produktion nicht das mindeste zu tun und die Zeit der Arbeiter- und Soldatenrät« sei vorbei. man werde lediglich den einzelnen Verwaltungen Fremdkörper auf- pfropfen. Brokat(Soz.): Nach Art. 1KS der Reichs Verfassung und bei der Gleichberechtigung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist die Mitwirkung der Betriebsräte in den Deputationen usw. im wirt- schaftlichen Jntereffe des Wiederaufbaues trotz Herrn Dethleffsen und Herrn Koch eine absolute Notwendigkeit. Das Gleiche, gilt von der Beamtenvertretung. Beide Vertretungen werden ihr Recht, das ja nur mtt beratender Stimme ausgeübt wird, nicht mißbrauchen. Nach Ablehnung der Zurückverweifung erklärt die Mehrheit ihr Einverständnis mit der Vorlage und ersucht den Magistrat, zum Zweck der Durchführung Richtlinien für die Bezirksämter auf- zustell?». Die Vorlage wegen Erhebung einer Steuer auf Kraftdroschken wollen die U. Soz. nicht verhandeln, da sie verhindert waren, an der betreffenden Ausschußsitzung teilzunehmen; ihr Antrag auf Ab- setzung wird mit 67 gegen 59 Stimmen angenommen. Di« neue Satzung der Deputation für das G es u n d h e i t s- wesen wird nach kurzer Erörterung unverändert angenommen. Schneider(U. Soz.) begründet den Antrag Dr. Weyl und Genossen, das Polizeipräsidium zu ersuchen, gewiste ihm durch das ,' Lichlfpielgeseh eingeräumt« Befugnisse(Genehmigung der Filmreklame, Zulassung von Filmen über Tagesereignisse und von Filmen, die lediglich Landschaften darstellen, Genehmigung von früher hergestellten und� noch nicht zugelassenen Filmen) auf das Jugendamt der Stadtge-| meinde Berlin zu übertragen: die Ortspolizeibehörde soll zugleich den�
von den Bezirksjugendämtern mit der Ueberwachüng des Lichtspiel» Wesens usw. betrauten Personen die Eigenschaften polizeilicher Hilfs- beamten verleihen.— Frau Rötger(Dnat. Vp.) sieht auch die Filmzensur für ungenügend an, will ober die Befugnis der Polizei nicht«inschränken sondern sie nur ermächtigen, bei der Ausübung ihrer Befugnis entsprechend der Gepflogenheit der Fillnprüfungs- stelle Sachverständige heranzuziehen. Für diesen Antrag erklärt sich auch Dierbach (D. Vp.).— Dr. Michaelis(Dem.) lehnt beide Anträge ab.— Schließlich gehen aus Antrag L ö w y(Soz.) beide Anträge an einen Ausschuß. Ein Antrag der Soz. ersucht den Magistrat um eine Vor» lag«, in der die Einrichkvng einer„Offenen Tür- getrosten wird, also einer Anstalt, in der jederzeit Kinder aufge- nommen werden können, auch wenn sie nicht armenrechtlich hilfs. bedürftig sind.— Den Antrag begründet Frau Schmitz(Soz.). Ihr schließt sich Frau D e m m n i n g(U. Soz.) an.— Noch weiterer, zum Teil erregter Aussprache wird der Antrag fast ein- stimmig angenommen. Zuletzt wird der Antrag aller Parteien, die L i n i z 81 der Straßenbahn wieder bis Bergstraße— Steglitz lausen zu lassen, dem- Magistrat(Verkehrsdeputation) als Material überwiesen. Schluß der öffentlichen Sitzung �10 Uhr.
die Hölz-Mion der Kommunisten. Dem Aufruf der beiden kommunistischen Parteien, gegen dos Urteil Hölz' zu protestieren, waren die Anhänger der Parteien in ziemlicher Anzahl gefolgt, obwohl die Gesamtbeteiligung, auch durch das schlechte Wetter beeinflußt, bei weitem nicht den Erwartungen entsprochen haben dürfte, die sich die Veranstalter zweifellos nach den umfangreichen Vorbereitungen gemacht hallen. Um nur ein Beispiel zu nennen: An der Gustav-Mayer-Allee, dem Sammelplatz des Norddistritts, sammelten sich zur festgesetzten Stunde einige hundert Personen mit Fahnen und Fähnchen. Der in Aussicht genommene Platz an der Kaiser-Wilhelm-Ge- dächtniskirche war inzwischen von etwa 1000 Neugierigen umlagert. Man sah viele Kriegsbeschädigte unter der Menge. Ein« halbe Hundertschaft Sipo hatten mit Karamner und Handgranaten an der Kirche Aufstellung genommen, fand aber, soweit wir es übersehen konnten, keinen Grund zum Einschreiten. Privätautos mit komfor- tabler Einrichtung umfuhren den Platz, Photographen standen knips- bereit. Bon den Sammelpunkten waren die Leute inzwischen auf dem Schloßplatz zusammengekommen und machten an verschiedenen Stellen halt. Vor dem Denkmal Wilhelms I. wurden Ansprachen gehalten. Dann zogen Trupps vor den Haupteingang des Schlosses, nahmen dort Aufstellung und lauschten den Rednern, die vom Denk- mal des„Prinzen von Nassau" Ansprachen hielten. Der kommu- nistische Redner betonte, daß dos Urteil gegen den„Genossen" Hölz eine Herausforderung der gesamten Arbeiterschaft sei. Hölz sei ein echter Revolutionär und kein Plünderer. Die Arbeiterschaft müsse sich um das Banner der VKPD. scharen, weil nur diese den endgültigen Sieg verbürgt. Nachdem der Redner ge- endet, erkletterte ein Schwerkriegsbeschädigter mit einem Bein und zwei Krücken das Denkmal und forderte auf, den bereits vorausgeschickten Stoßtrupps der VKPD . nach der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu folgen und sie dort in ihrer Aktion zu unterstützen. Der Referent wendet sich dagegen und warnt, die Kraft des Proletariats in Teilattionen zu verzetteln. Darauf ruft der Invalide dazwischen:„Wer nicht nach der Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche mitgeht, ist ein Sch... kerl." Die Menge zeigte nicht die geringste Lust, dieser Parole zu folgen, widersvrach ihr und zog ab. Einige gestikulierende Gruppen unterhielten sich noch über die„beste Form der Abschaffung der Bourgeoisieherrschaft" und man hörte einen Redner ganz deutlich rufen: An allem haben die Gewerkschaften schuld. Sie sollten erst mal ihre Unterstützungen ab- schaffen, dann wird das Volk auch zur Besinnung kommen.--- * Der Biograph. Am letzten Tag des Prozesses nannte Hölz den Ludwig Berg- mann einen„elenden Verleumder". Am Tag darauf, in ihrer Hölz- nummer, kündigt die„Rote Fahne" eine Biographie des Max Hölz an. Verfasser: Ludwig Bergmann. Gnkel unü Neffe. Der Tod des Bullergroßhändlers Eitner. Unter der Anschuldigung des schweren Raubes mit Todeserfolg hat sich vor dem Schwurgericht des Landgerichts I der Kaufmann
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Die Rächer.
Roman von Hermann Wagner. Reisner lächelte, als berühre ihn das Ueberlaute des Protestes nicht im geringsten.„Gut," sagte er.„so gehm wir.. Es dämmerte schon, und Reisner schlug eines der vor- nehmsten Restaurants vor, in dem sie anständig soupieren könnten. Ein Auto brachte sie in wenigen Minuten hin. „Oh," sagte Reisner. indem er über die Schwelle des Lokales trat,„welch ein Leben!" Er hob seine Stimme, als wünsche er die Aufmerksam» keit auf sich zu lenken, was ihm auch gelang, denn an mehre- ren Tischen wandte man sich nach ihm um. Sein Begleiter zeigte auf einen Ecktisch, der frei war. „Wollen wir vielleicht hier—?" „Warum hier?" gab Reisner zurück.„Soll man uns nicht sehen?- Und er schritt, alle Anwesenden musternd, nach der Mitte des Lokales, nahm geräuschvoll Platz und befahl dem Kellner in lautem Ton, die Wein- und Speisenkarten zu bringen. Er schien sich außerordentlich wohl zu fühlen und sprach den Speisen und dem Wein tüchtig zu, ohne sich freilich da- durch davon abhalten zu lassen, die Unterhaltung laut weiterzuführen. Es war, als reize es ihn, den gepflegten und vornehmen Leuten, die rings um ihn saßen, zu zeigen, daß er ihre Formen verachte. Aber er ging darin doch nie so weit, daß er die Grenzen dessen, was gerade noch zulässig war, über- schritten hätte. So machte er alles in allem den Eindruck eines lebhaften Temperamentes, dessen Blut durch den Wein in Wallung geraten war. „Die Dummköpfe l" sagte er, indem er mit einer hoch- mütigen Bewegung seines Kopfes auf einen Tisch zeigte, an dem Leute saßen/ die ihn offenbar erkannt hatten und die mm, die Köpfe zusammensteckend, miteinander tuschelten. „Jetzt starren sie mich noch an! Wollen Sie wetten, daß
ich sie tu ewig« Monaten dahin bringe»«ich zu gxäbmf l brutalen Einbruch eines Fremd« verteidigen möchte,
Er dämpfte seine-Stimme und sprach mit der Miene eines Menschen, der in seine eigenen Worte verliebt ist, von seinen Plänen. Was er erstrebte, war vor allem eines: viel Geld zu erwerben. Nicht aus Habsucht stellte er sich dieses Ziel, nicht weil ihn eine schmutzige Neigung zum Gelde hindrängt», nein, nur um sich und der Welt zu beweisen, wie hoch ein Mensch, der hartnäckig, zäh und kalt seinen Willen auf ein einziges Ziel eingestellt habe, steigen könne. Um seinen Mund lag, während er sprach, ein Zug bitterer Härte. Wieder musterte er mit einem Spott, der in sich selbst versessen schien, die Leute ringsum. Nein, es gab nichts, nicht das geringste mehr, das ihn noch mit ihnen verband. Er stand allein. Und er wollte allein stehen, denn er wußte, daß genug Kraft dazu in ihm war. Und diese Kraft verdankte er dem Gefängnis, das ihm die vier nützlichsten Lehrjahre seines Lebens geliefert und in dem er zudem den einzigen'Menschen kennen gelernt hotte, der ihm Respekt einflößte. Er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, als denke er angestrengt nach. Und seine Stimme war völlig verändert. als er dann sagte:.Können Sie es sich vorstellen, daß es einen Menschen gibt, der, um ein Ziel zu erreichen, zwölf Jahre Gefängnis in Kauf nimmt? Und der die Riesen- kraft in sich spürt, diese Strafe ungebrochen zu überstehen? Der Stunde zu Stunde, Tag zu Tag, Woche zu Woche legt. der die Wochen zu Monaten formt und die Monate zu Jahren und der dann zählt: noch elf Jahre, noch acht Jahre. nur noch sechs, nur noch vier Jahre—?... Und der warten kann? Immerzu warten?" Er machte eine haßerfüllte Geste.„Einen solchen Mann kenne ich. Ich habe mit ihm im Gefängnis gelebt, und ich habe es von ihm gelernt, Geduld zu haben und zu warten... Und wissen Sie. was ihm die Kraft gibt, so lange geduldig zu sein?... Der Haß! Der Haß. den jeder Gefangene gegen die in sich trägt, die in Freiheit leben dürfen. Und mit dem er den Tag erwartet, an dem er sich rächen kann!" „Rächen? An wem?" In der Stimme des Geschäfts- führers zitterte das geheime Widerstreben des braven alt- eingesessenen Bürgers, der seine ererbten Ideale gegen den
„An wem? An der Welt! An der ganzen Welt, die sein'Feind ist und die er haßt!" „Wieso?" fragte mit dem sanften Augenaufschlag des Biedermannes der Geschäftsführer.„Was kann die Welt dafür, daß einer bestraft wird, der sich gegen die Gesetze ver» gangen hat?" „He? Wer hat denn den einen dazu getrieben, sich gegen die sogenannten Gesetze zu vergehen?" „Die Welt ?" Die Augen Reisners verdrehten sich auf höchst merk- würdige Weise, so, daß man einen Moment nur das Weiße in ihnen sah.„Ja, die Welt! Sie war es, nur sie! Denn alles, was einen dazu treibt, etwas zu tun, was gegen die Gesetze verstößt, liegt in der Welt, liegt in jedem einzelnen Menschen darin! Niemand tut etwas, was auch nicht eben- sogut ein anderer tun könnte! Und doch kehren sich alle immer gegen den einen, der der zufällige Täter ist, in blin- dem.ewigem Haß!" Mit einem Seitenblick auf die Tür, die sich geöffnet hatte, unterbrach er sich plötzlich. Sein Gesicht verzog sich zu einem häßlichen Lachen. Er stieß seinen Begleiter heftig an.„Sehen Sie! Kennen Sie die beiden?" Der Geschäftsführer hatte nicht Zeit zu antworten. denn die beiden, die soeben eingetreten waren, ein Mann und eine junge Frau, näherten sich jetzt der Mitte des Lokales. Der Geschäftsführer war rot geworden, machte den Ver- such, sich abzuwenden, erhob sich aber dann doch und grüßte. Beide dankten, der Mann mit einem Lächeln, die junge Frau mit einem leichten Neigen des Kopfes, bis,... bis sie mit einem Male beide in ein verzerrtes Antlitz sahen, das sie regungslos anstarrte... Die junge Frau stieß einen leisen Schrei aus. Ihr Mann stützte sie schnell und wollte sie lächelnd be- ruhigen.„Aber Erna..." Doch sie klammerte sich zu Tode erschreckt mit beiden Händen an ihn und drängte ihn nach dem Ausgang zu, wo ein Kellner, der den Vorgang beobachtet hatte, ihnen rasch )ie Tür öffnete vnd sie diskret wieder hinter ihnen schloß. Reisner warf den Kopf hoch, lachte hart und sagte so laut, daß man es an den benachbarten Tischen hören konnte: „Ja, das war einmal meine Braut 1" (Forts. folgt.)