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Nr. 270.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit tlluftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

Snsertions- Gebühr beträgt für die Fünfgespaltene Petitzetle oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Erpedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508, Telegramm- Adresse:

Sozialdemokrat Berlin !

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. Sonntag, den 18. November 1894. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!

Jena und Pjongjang . Gebahren ihrer Beherrscher das nämliche? Weil auch das Politische Und weshalb ist das Geschick beider Staaten und das|

Leberlicht.

Eine der beliebtesten Methoden der reptilischen Anwälte damalige borussische Regierungssystem dem heutigen chinesischen Berlin , den 17. November. der Umfturzbekämpfung ist es, offenkundige geschichtliche gleicht wie ein Ei dem andern. Zum Kampf gegen den Umfturz" meldet die Thatsachen auf den Kopf zu stellen, um sie gegen die Selbst- Hier wie dort die absolute Bevormundung des steuer­" Kreuz- Zeitung ": ständigkeitsbestrebungen des Voltes verwerthen zu können. zahlenden Volkes durch eine militaristisch- bureaukratische Dem Bundesrath ist heute der Entwurf eines Gesetzes zu­Der ehemalige Nährvater aller Reptilien ging ihnen Kaste, die mit Titeln und Orden, mit gelben Reitjacken und gegangen, betreffend Abänderung des Strafgeset da mit gutem Beispiele voran. Versuchte er doch Pfauenfedern ihren kindischen Ehrgeiz befriedigt. Hier wie buchs, des Militär Strafgefehbuchs und des die Sage vom blinden Hödur zu seinen Zwecken aus- dort das Volk rechtlos, zum Maulhalten und Steuer Gefeßes über die Presse. Wie es heißt, ist eine umfang und bei zunuzen, indem er behauptete, das Volk habe gegenüber zahlen verurtheilt sich reiche Begründung beigefügt. jedem Versuch,

haben.

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dem Streben erleuchteter Staatsmänner die Rolle des um sein eigenes Geschick zu bemühen, auf seinen Daß die politischen Zustände das Ergebniß der blinden glückszerstörenden Hödur gespielt, während beschränkten Unterthanenverstand verwiesen. Hier wie ökonomischen Verhältnisse sind, wird von unseren noch jeden Aufschwung der Nation, so nach den dort der nämliche dünkelhafte Uebermuth der Herrscher: Gegnern bekanntlich geleugnet. Mitunter haben sie aber Freiheitskriegen, nach der achtundvierziger Erhebung taste, hier wie dort die nämliche grausame Verfolgung lichte Augenblicke, wie z. B. die Vossische Zeitung", als die herrschende Bureaukratie mit dem giftigen Mistelzweige Aller, die für des Volkes Recht die Stimme zu erheben sie, anläßlich der tollen Reaktionsorgien in Sachsen vor der Reaktion getödtet hat. Es waren die preußischen wagen. Wenn die chinesischen Mandarinen sich etwas einigen Tagen folgendes schrieb: Minister, die in Karlsbad , in Olmüz die Rolle des Hödur alberner, grausamer und womöglich noch feiger be- Die wirthschaftliche Entwickelung ist im Königreich Sachsen spielten. Sie waren allerdings weder blöde noch blind; nehmen als ihre preußischen Vorbilder Jenaer An- weiter vorgeschritten als im übrigen Deutschland , höchstens einige mit sehenden Augen verrichteten sie ihr unseliges Werk. gedenkens, so liegt das daran, daß das Mandarinen- Theile von Rheinland und Westfalen ausgenommen. Eine Weit gleicher Unverfrorenheit, wie Fürst Bismarck und system in China einige Jahrhunderte länger Beit gehabt, Folge davon ist, daß auch die Klassenfämpfe feine Reptilien betreiben auch deren Nachkömmlinge die das Volk auszumergeln, als das Mandarinensystem in eine Höhe und Schärfe erreicht haben, wie sonst Geschichtsfälscherei; womöglich noch plumper gehen sie dabei Preußen, wo die Bureaukratenherrschaft doch erft vor etwa nirgends im Reiche. Wenn Tante Voß so fortfährt, bei uns zu lernen, zu Werke, als ihr Vorbild. Wir hatten dieser Tage Ver- zwei Jahrhunderten wie ein rocher de bronze ftabilirt wurde. wird sie vom Gozialismus balb einen annähernden Begriff anlassung, Bindter II. auf die Finger zu flopfen, weil er Der König hat eine Bataille verloren. Der König die Abgeschmacktheit beging, das zusammenbröckelnde und seine Brüder leben. Ruhe ist jetzt die erste Bürger Wir haben beiläufig wiederholt auf Sachsen hingewiesen, chinesische Regierungssystem auf sozialdemokratische Grund- pflicht!" Klingt das nicht genau wie eine Kundgebung, die das ideen zurückzuführen. War es das böse Gewissen, Mandarinenpack in seiner jämmerlichen Angst, höfischen als dasjenige Land, welches am deutlichsten die Kultur­das die Wortführer der preußischen Regierungs- Knechtseligkeit und Volksverachtung jetzt in Peking beim widrigkeit des Kapitalismus beweist. Die Sachsen sind maschinerie dazu verleitete, eine solche Absurdität Nahen der Japaner erlassen hat? So lautete aber das sprichwörtlich für ihre Höflichkeit und Gutmüthigkeit, Und vorzubringen, um von einer naheliegenden und zutreffenden Manifest, das der Kommandant von Berlin nach der doch ist Sachsen in neuerer Zeit sprichwörtlich geworden geschichtlichen Parallele die öffentliche Aufmerksamkeit abzu- Schlacht von Jena an die Mauern kleben ließ, um dann für die raffinirte Grausamkeit, mit welcher der Kampf gegen die Sozialdemokratie geführt wird, und für die bodenlose lenken? schleunigst auf und davon zu reiten. Was sich jetzt in China abspielt, wiederholt fast Zug Rohheit, mit der die sogenannten Ordnungsparteien zu Werke Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! um Zug Borkommnisse, die sich in einer nicht allzu fernen Das haben sie überall und von je gepredigt, die Wort- gehen. Was in Sachsen ist, wird in den ökonomisch rück­Vergangenheit des preußischen Staates abspielten. Bjöng führer einer starken" militaristisch- bureaukratischen Regie- ständigeren Theilen Deutschlands sein, sobald hier die jang ist das chinesische Jena , und der gesammte feige und rung. Sie erzwingen mit den Mitteln brutaler Gewalt felbftsüchtige Blunder der chinesischen Zivil- und Militär- herrschaft die Ruhe, die Ruhe eines Kirchhofes; bis Klaffengegensätze ebenso scharf zugespitzt sind und der Kapi­Mandarinen ist ein getreues Spiegelbild des ebenso feigen schließlich dem Voll die Geduld reißt oder bis von talismus in gleichem Maß seinen entsittlichenden und ver­und selbstsüchtigen Blunders der Generäle und Bureaukraten, einem auswärtigen Feinde das morsche Staatsgebäude des wesenden Einfluß ausübt.- in deren Händen am Anfang dieses Jahrhunderts die Ge- Mandarinenthums mit einem Ruck zusammengestoßen wird, schicke des preußischen Staates lagen. Die Namen sind wie Preußen bei Jena und China bei Pjongjang . verändert blos, doch sind's dieselben Helden lobebären."

Feuilleton.

Im Exil.

7

Roman von Georges Renard. Autorisirte Uebersetzung

Mode waren,

von Marie Kunert .

Eine Enquete über die Lage des Handwerks soll seitens der Regierung beabsichtigt sein. Daraus dürfte ge­schlossen werden, daß die Vorschläge des Herrn v. Berlepsch

Fräulein Rosa Krant war so entzückt, so in schweigende Nein, Fräulein, antwortete er dem jungen Mädchen, Bewunderung versunken, daß sie es kaum wagte, zu das sich stolz in die Höhe reckte, als es diese Anrede dieser bevorzugten Persönlichkeit emporzublicken, Persönlichkeit emporzublicken, wie hörte. Ich war in Gedanken dort unten, in Frankreich . [ Nachbruck verboten.] wenn sie seit langem auf die Hoffnung, auf den bloßen Jetzt bin ich wieder hier und bereit, alles zu thun, was in Gedanken sogar einer so glänzenden Eroberung verzichtet meinen Kräften steht. In der Umgegend von Paris habe hätte. Nur die wilde kleine Annette wagte es, ihrem ich mehr als einmal die Weinlese mitgemacht. Nur kommt triumphirenden Vetter ins Gesicht zu lachen. Sie hatte es mir so vor, als ob es bei uns lustiger dabei zugegangen ihm wegen seiner Aufschneidereien den Spiznamen Prinz wäre. Da wurde gelacht und gesprungen. Rodomont" gegeben und es gab keinen Schabernack, den sie nicht schon ausgeheckt hatte, um die studirte Harmonie seiner Toilette zu zerstören. Aber an diesem Tage kümmerte sie sich nicht um ihn, da sie ganz davon in Anspruch ge­nommen war, René zuzuhören, der, von den beiden Kindern begleitet, Mühe hatte, die zahllosen Fragen ihrer unersätt lichen Wißbegierde zu beantworten.

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Die zweite Persönlichkeit, die sich der kleinen Gesell­schaft angeschlossen hatte, war ein junger Geck von etwa zwanzig Jahren, der direkt von Lausanne gekommen war und in dem Gefühl seiner Bedeutung aufgebläht einher­schritt. Geschah dies nun, weil er in der Hauptstadt des Rantons wohnte, weil er Jules de( von) Marnand hieß, weil sowohl Anzug wie Spazierstock bei ihm nach der letzten weil er reich war und eines Tages So war man endlich an dem Weinberg la Pierrette- Bankier werden sollte? Man wußte es nicht. Aber dieses dies war der Name von Frau Roveray's Befihung an junge Gigerl, das der Neffe von Frau Roveray und ihr gelangt. Die Weinlese war mitten im Gange. Eine Schaar augenscheinlicher Liebling war, trug seine hohe Meinung Winzer und Winzerinnen schaffte eifrig, und Traube auf von seiner theuren Person und seine Mißachtung aller Traube fiel in die Körbe und Bütten, die im Augenblick übrigen Menschen so aufdringlich zur Schau, er war so gefüllt und auch wieder geleert waren. Mutter Pernet, sehr davon überzeugt, schön, geistreich und voll blendender eine dicke, rothbäckige Bäuerin, die so kräftig war, daß sie Vorzüge zu sein, er trug einen solchen Vorrath von treff es mit drei Männern aufnehmen konnte, vertheilte die Ar­lichen Ansichten über alle möglichen Dinge mit sich beit und schalt die Träger. herum, daß er René vom ersten Augenblick an unaussteh- Alles an die Arbeit! rief sie auch den Ankommenden entgegen. lich war. er betrachtete René, dem Jules de Marnand Jeder mußte fich nun ein bestimmtes Gebiet zum vorgestellt wurde, durch sein Lorgnon und ehrte ihn Weinlesen vornehmen, sogar der schöne Jules de Marnand, dann durch eine kurze, fühle Verbeugung seines tadel der sich dazu herabließ, die Trauben zu schneiden, ohne das René betrachtete traum­Los frisierten Kopfes, während sein hochmüthig herab- bei die Handschuhe abzulegen. gezogener Mund zu sagen schien: Was ist denn das? verloren die reizvolle Landschaft, die ihn immer entzückte Ein Schulmeister? Gewiß ein armer Teufel, der über- und dachte daran, wie er vor vier Wochen an dem­glücklich ist, wenn er einmal mit Leuten aus der vornehmen selben Tage Luft hatte, das berühmte Wort zu wieder­Welt zusammenkommen kann! Danach ließ er sein Lorgnon holen: Was mich am meisten in Erstaunen setzt, ist, daß nachläffig fallen, und ohne ein Wort weiter an René zu ich hier bin."

richten, wie wenn dieser aufgehört hätte für ihn zu existiren, Eine helle Stimme riß ihn aus seiner Träumerei. begann er seine Tante durch Erzählungen aus der eleganten Sie pflücken teine Trauben, Herr Messant? Lang­Welt, in denen die ganze Waadtländische Aristokratie weilt es Sie vielleicht? vorüberdefilirte, deren Held und Mittelpunkt aber Jules Annette war es, die diese Frage mit bekümmerter de Marnand war, in Bewunderung zu versetzen. Miene an ihn richtete.

Wenn weiter nichts fehlt, um Ihnen Vergnügen zu machen...! sagte die Kleine, und sie eilte schnell zu einem der Winzer und flüsterte ihm ein Wort ins Ohr. Sogleich begann dieser im Dialekt jener Gegend ein Lied zu singen, das in der langen Reihe der Winzer mit einem Male Froh­sinn und lachende Heiterkeit verbreitete.

René verstand den Sinn des Liedes nicht, aber er lachte mit, weil alles um ihn her lachte. Auf seinem Plaze zwischen Annette und Fräulein Rosa, die ihn nicht aus den Augen ließ, empfing er auch von rechts und lints auss Ein Lied folgte auf das andere, reichende Kommentare. bald heiter, bald melancholisch, bald französisch, bald waadt­ländisch vorgetragen. Der Kehrreini wurde immer im Chore wiederholt. Er war überrascht, als unter all den heiteren Gesängen auch ein geistliches Lied bei der Arbeit erklang, und noch mehr überrascht, als er sah, daß niemand sich darüber wunderte.

Indessen war die Reihe der Arbeiter immer höher hinauf gestiegen und hatte jetzt fast die Höhe des Wein­berges erreicht. Plötzlich vernahmen alle die mächtige Stimme der Mutter Pernet, die befahl: Alle Mannsleute den Weinberg hinunter! Ich auch? sagte René.

Sie gerad' so wie die andern.

Er gehorchte. Der kleine Henri mußte sich gewaltig dazuhalten, um den Männern folgen zu können. Nur Herr von Marnand verhielt sich unbeweglich und ablehnend. Die Frauen und Mädchen, die sich auf der Höhe zusammens gedrängt hatten, stießen sich mit den Ellenbogen an, lachten und schwaßten und schienen auf etwas besonders Lustiges zu warten.

Fräulein Rosa Kranz hielt sich die Hände vor das