Mittwoch,
GroßSerlw kommunale Sommerarbeit. Der Entwurf der städtischen Wertzuwachs st euer- o r d n u n g ist vom Ministerium jetzt zwar genehmigt worden, jedoch nur mit der Maggobe. daß das Reich steuerfrei bleiben müsse, auch wenn es Grundstücke veräußert. Diese Maßregel war ursprüng- lich nicht oerlangt worden. Die bestehenden Bestimmungen ersor- dern es nunmehr, daß die Stadtverordnetenversammlung der Aende- rung zustimmt. Damit die Steuerordnung schleunigst in Kraft treten kann und weil andernfalls große Werte verloren gehen könnten, wird die Stadtverordnetenversammlung Donnerstag zu einer Feriensitzung zusammentreten. Auch im Magistrat sind wichtige Entscheidungen zu erwarten, die eigentlich auch der Zustimmung der Stadtverordneten bedürfen: so steht eine dringende Borlage über die Aufbesserung der städti- schen Altpensionäre zu erwarten, die nach Mitteilungen des Stadtkämmerers eine weitere Belastung des chaushalts um 23 bis M Millionen bringen dürste und für die nach neuen Deckungsmitteln gesucht werden muh. Für diesen Zweck wird gegenwärtig im Schöße des Magistrats und der Steuerdeputation eme Reihe neuer Steuervorlagen geprüft. Trotz der Ferien der Bollversammlung wird eine Reihe von Stadtocrordnetenausschüsien weiter Sitzungen abhalten. So wird die Untersuchung über die Geschäftsführung des Lebensmittelverbandes Groß-Berlin weitergeführt. Die neue Diätenvorlage soll noch beraten und die„M i II i 0• nen-Reklameunternehmen"', bieder Magistrat genehmigen will, bedürfen einer gründlichen Nachprüfung im Ausschuß, da es sich hier zum Teil um Unternehmungen handelt, die erst auf Grund der städtischen Zustimmung in der— Gründung begriffen sind. Man sieht: der Faden der Kommunalpolitik reißt trotz Ferien und Sommer nicht ab. Die Bezirksversammlungen sind überhaupt noch nicht in die Ferien gegangen und tagen in dieser Woche unermüdlich weiter. Das Spiel um die Stadtverordnetenwahle«. Die.B. Z. am Mittag' brachte gestern(Dienstag) unter der Ueberschnft.Stadtverordneten wähle» � im September eine Nokbricht, die folgendermaßen anfing:.Nachdem die Ungültigkeitserklärung der Berliner Stadtverordnetenwahlen feststeht, wird jetzt im Berliner Rathaus mit den Vorarbeiten für die kommenden Sradtverordnetenwahlen begonnen.' Nach unseren Erkundigungen erwartet man zwar täglich im Roten HauS das Eintreffen des Urteils, aber von dem Fe st stehen der Ungültig» keitSerklärung war bis zur Stunde noch nichts zu erfahren. Auch die bürgerlichen Abendzeitungen brachten keineswegs die Nach- richt, daß die Ungültigkeitserklärung feststehe. Entweder hat nun unsere.B. Z.* sehr intime Beziehungen zum Richterkollegium des Oberverwaltungsgerichts oder sie hat ihre Mitteilung aus jener genialen Befähigung geschöpft, die es ermöglicht, daß einer die Flohe niesen hört. Das letztere ist das wahrscheinlichere. Allerdings ist man im Berliner Rothaus vorsichtig genug und beugt vor, indem man sich bereits an die Ausstellung neuer Wähler- listen gemacht hat. Man glaubt, daß die Vorarbeiten ungeachtet der Sommerferien so gefördert werden können, daß die Wähler- listen noch im August ausgelegt werden, falls die Wahlen im September stattfinden sollen. Die besoldeten Magistrats Mitglied er bleiben noch dem Gesetz un- geachtet der Auflösung der Stadtverordnetenversammlung i m Amte, während nach dem§ 12 des Gesetzes über die Gemeinde Groß-Berlin die unbesoldeten Magistratsmitgtieder sowohl in der Berliner Zentrale als in den Bezirksoersammlungen ihres Mandats verlustig gehen._ Strenges Gericht über Sie Gräfin Wartensleben. 66 000 Mark Geldstrafe. Recht eigenartig« Verhältnisie in der Lebensmittelversorgung der Bewohner der Tiergartenstraße kamen in einer Verhandlung zur Sprache, welche gestern unter Vorsitz des Gerichtsassessors fj o l l ä n- der das Schöffengericht Berlin-Mitte beschäftigte. Wegen Ueber- tretung der Rationierungsvorschriften war die seinerzeit durch die Perlenhalsbandaffäre bekanntgewordene Gräfin Wartensleben angeklagt. Gegen die Angeklagte war ein Strafmandat über 2 00 M. Geldstrafe erlassen worden, weil sie nachweislich für ihren aus
sechs Personen bestehenden Haushalt in der Tiergartenstraße in den Jahren 1019 und 1020 täglich 5 Liter Milch und wöchent- lich 7 Pfund Bulter auf Karten bezogen hatte. Dies soll sie dadurch ermöglicht haben, daß sie, obwohl sie aus ihrem Gute Blankenfeld lebte, hier Personen ihres Haushaltes anmeldete, die gar nicht hier tätig waren, sondern sich ständig auf deni Gute auf- hielten. Gegen den erlassenen Strasbefehl über 200 M. ließ Gräfin?tz. durch ihren Rechtsbeistand Widerspruch erheben. Dies vcranlaßte den Borsitzenden zu der Bemerkung:„Ich verstehe nicht, wie die Staatsanwaltschaft nur einen Strasbefehl über 200 M. erlassen konnte, wo sie neulich gegen eine einfache Frau 300 M. beantragt hatte?' Der Rechtsbeistand der Angeklagten beantragte die Freisprechung, da jeder Nachweis fehle, daß die Gräsin sich selbst um den Hausholt bzw. die Lebensmittelkarten bekümmert habe. Tatsächlich habe sie erst jetzt durch den Strafbefehl Kenntnis von dieser Angelegenheit erhalten. Verantwortlich seien lediglich der Verwalter Dohms und die Mamsell Kcrger, welche die Anmeldungen vorgenommen hätten. Der Amtsanwalt führte aus. daß dies kein strafentbindender Grund sei. Die Angeklagte habe sich eben um ihren Haushalt bekümmern müssen, um solche unglaublichen Zustände zu oerhindern. Mit Rück-
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wir bitten unsere Bezieher, welche sich die Zeitung während der llrlaubszeit an ihre Sommeradresse nachschicken lassen wollen, die neue Adresse rolMens 6 im vorher anzugeben. Die Ueberweisuug nach dem neuen Aufenthaltsort erfordert eine Laufzeit von 4 bis ö Tagen, ehe dleLestellung durch die Post einsetzt. Ilm Unterbrechungen in derZnstellung derZeilung zu vermeiden, ersuchen wir höflichst, unserer Bitte zu entsprechen Die Postbezieher müssen die Umleitung an die neue Adresse bei ihrem Bestellpostamk bewirken Vorwärks-Verlag G.m.b.H.
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ficht darauf, daß durch derartige Geschehnisse der ärmeren Bevölke- rung, Kindern und Kranken wertvolle Nahrungsstoffe wie Butter und Milch entzogen worden seien, erscheine eine weit höhere Strafe am Platze, und deshalb beantrage er eine Geldstrafe von ins- gesamt 18000 M. Das Gericht ging angesichts der Bermögensverhällnisse der Gräfin Wartensleben und der Tatsache, daß durch ihr Verhalten ein Bergehen an dtr Allgemeinheit oerübt worden sei, weit über diesen Antrag hinaus und setzte für die drei Einzeloergehen die Höchst» st r a s e fest. Das Urteil lautete auf eine Gesamt st rase von 66000 Mark. Aus der Begründung dieses Urteils durch den Vorfitzenden konnte entnommen werden, daß das Urteil zweifellos auf Gefängnisstrafe gelautet hätte, wenn sich etwa ergeben hätte, daß die Verfehlungen in die Notjahre 1017 und 1018 gefallen waren. Lediglich der Umstand, daß das Vergehen in eine Zeit fiel, in der die Zwangswirtschaft schon abgebaut wurde, habe es die An- geklagte zu oerdanken, daß sie mit einer Geldstrafe davonkomme.
Nackttänze. Wegen Veranstaltung von Nackttänzen und Vergehen gegen die Gewerbeordnung hatte das Schöffengericht Berlin-Mitte den Kauf- mann Kurt Kohl sowie die Tänzer Bock und Frl. R e b e n t i s ch von der Anklage der Erregung öffentlichen Aergernisses freige- sprachen, Kohl dagegen wegen Schankvergehens zu 2000 M. Geld- strafe verurteill. Hiergegen legte die Staatsanwallschast und Rechts-
anwalt Bahn Berufung ein. Vor der Strafkammer wurde die ganze Angelegenheit eingehend erörtert. �_ Kohl hatte in einer abgemieteten Privatwohnung in der Friedrich-Wilhelm-Straße einen ausgedehnten Nachtbettieb unter- halten, in dem angeblich die„beste Gesellschaft" verkehrt haben soll. Als besondere Attraktion war das Tänzerpaar Bock und Rebentisch engagiert worden. Letztere soll bei dem Schein einer roten Ampel, nur mit einem Schleier bekleidet, den sie gelegentlich auseinander- breitete, einen Apachentanz mit Bock getanzt und dadurch das Schamgefühl verletzt haben. Der Zutritt zu diesen intimen Dar- stellungen war gegen Zahlung von 10 M. möglich: das Hauptgetränt der Gäste bildete Sekt zu 120 M. die Flasche. Eines Abends erschienen in diesem„Kunsttempel" zwei Kriminalbeamte, sahen sich den Tanz an und schloffen unter Protest der Gäste das Lokal. Gegenüber dem Antrage des Staatsanwalts auf 3 Monate Ge- fängnis beanttagten die R.-A. Bahn und Hans Wolfs die Frei- sprechung, indem sie das Moment der Oeffentlichkeit bestritten und behaupteten, daß andere Aufführungen, z. B. der Celln de Rheidt, viel„nackter" sich gezeigt hätten: außerdem hätten nicht einmal die Beamten„Aergernis genommen, sondern das Lokal nur wegen Gewerbevergehens geschlossen.— Das Gericht schloß sich diesen Aus- führungen im wesentlichen an und sprach die Angeklagten aus 8 183 StGB, frei, erhöhte aber die Strafe wegen Schankkontto- ventton auf 3000 Mark._ Amerikaner, Marke„Notes herz". Zur Aufklärung einer Irreführung. An den von uns in der gestrigen Morgennummer veröffentlichten Bericht über die„amerikanische" Kranzniederlegung am Denkmal des allen Fritz knüpften wir die Bemerkung, daß uns amerikanische Repu- blitaner, die ihre Kränze mit den Farben und Emblemen des wilhel- minischen Regimes ausstatten, höchst verdächtig erscheinen. Unsere Zweifel werden jetzt durch folgende Zuschrift bestättgt: Die Anfrage bei der amerikanischen Botschaft können Sie sich ersparen, lieber„Vorwärts". Kommen Ihnen bei dem Titel„Wahr- heitsbund" keine Erinnerungen an einen Hakenkreuzler Wilhelm Marten, der unter dieser Firma mit amerikanischer Geschäfts- tüchtigkeit in den ersten Monaten nach der Revolution von sich reden machen wollte? Denken Sie an die verrückte Sammelei, die unter der Reklamemarke„Rotes Herz" mit großem Brimborium und ver- dächtigen Begleiterscheinungen beim Truppenempsang in Berlin be- trieben wurde, bis die Polizei schließlich das Bureau des mystischen Geheimbundes aushob, weil auch die konfuse Pogromhetze dort eine ihrer Quellen hatte. Die„amerikanischen" Insassen der beiden Autos waren sicherlich die Gesamtmitgliedschaft des„Wahrheitsbundes", der „Leage of Truth". Sie sind auch tatsächlich übers Wasser nach Berlin gekommen, denn zwischen Berlin und Werder liegt— die breite Havel . Die Verleumdungen der„Rattcnkönig'-Broschüre sind im Gerichtssaal wie Seifenblasen zerplatzt. Vielleicht arbeitet nun die Firma„Wahrheitsbund" an einem neuen„Wahrhells"-Buch. für das die amerikanische Reklame mit dem alten Fritzen eine wirkungsvolle Vorbereitung fein sqll._ Schnlgeldermastignng an höheren Schulen. Die zentrale Schnldcputation hat auf Antrag des Stadtver- ordneten Löwenstein<USP.) folgende Schulgelderrnaßigung an den höheren und Mittelschulen beschlossen: Bei einem Gesamteinkommen der Eltern über 40 000 M. sollen keinerlei Schulgeldermäßigungen stattfinden. Bei einem Gesamteinkommen von über 80 000 M. wird für das erste Kind das volle Schulgeld bezahlt, beim zweiten tritt eine Ermäßigung van 25. Prozent, beim dritten ehse solche von 50 Proz. ein, alle übrigen Kinder sind schulgeldfrei. Bei einem Gesamteinkommen von 25—30000 M. tritt für da« erste Kind dne Ermäßigung von 25 Proz., bei dem zweiten eine solche von 50 Proz/: beim dritten eine solche von 76 Proz. ein, vom vierlen Kind ab schulgeldfrei. Bei einem Gesamteinkommen von 20 000—25 000 M. tritt beim ersten Kind eine Echulgeldermäßigung von 50 Proz. ein, beim zweiten von 76 Proz., vom dritten ab Schulgeldfreiheit. Bei einem Gesamteinkommen von 18000—20000 M. tritt beim ersten Kinde eine Schulgeldermäßigung von 75 Proz. ein. jedes weitere Kind ist frei. Ist das Gesamteinkommen der Eltern unter 13000 M„ so wird kein Schulgeld erhoben..Diese Richtlinien sollen zu gleichet Zeit mit dem erhöhten Schulgeld am 1. Juni 1921 in Kraft treten. Neue Autobuslinien. Da« Polizeipräsidium hat, wie schon mitgeteilt, drei neu« Eleltro-Omnibusllnien mit Zustimmung des Magistrats genehmigt. Diese drei neuen Linien werden aber erst im nächsten Jahre von Moabit aus in Betrieb genommen werden. Sie endigen in Friedenau -Steglitz , bzw. am Blücherplatz und Schlesischen Bahnhof.
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Die Rächer. Roman von Hermann Wagner.
10.
Es war März geworden, und Reisner hatte sich ent- schloffen, einige Wochen in die österreichischen Alpen zu reisen. Es war nicht allein Erschöpfung, was ihn trieb, der Arbeit den Rücken zu kehren. Er wollte einige Wochen wieder einmal der Jein, der er früher gewesen war, ein harmloser Mensch, der »em Leben nicht mit dunklen Absichten zu Leibe ging. In Berlin war das nicht möglich, hier galt allein feine Maske. Ob er diese Maske wirklich würde abwerfen können, darüber war er sich freilich noch nicht ganz klar. Oft dünkte es ihn, als ob er mit chr schon oerwachsen wäre, oder als ob das, was er für feine Maske hielt» in Wirklichkeit doch er selber war. Prokop bereitete die Reise vor. In ihm hatte Reisner einen Diener gefunden, wie ihn ein Mensch, der nicht für und nicht mit, sondern gegen und ohne die Mitmenschen lebte, brauchte. Es wäre nicht leicht gewesen, zu sagen, wie alt Prokop war: man konnte ihn ebenso gut auf dreißig wie auf vierzig Jahre schätzen. In seinem glatt rasierten, gelben Gesicht regte sich kaum je eine Falte. Die Haltung s-ines langen, geschmeidigen Körpers war jederzeit gerade, sei>. Gang, seine Bewegungen drückten Bestimmtheit aus und waren doch leicht. Er sprach nur, wenn man ihn fragte, und seine Antworten klangen knapp, sachlich und treffend. Er war immer zur Stelle, wenn man ihn brauchte, und verschwand sofort, wenn er sah, daß er zu verschwinden hatte. Er war ein bis ins Vollkommenste ausgeführter Auw- mat, der geräuschlos arbeitete und der doch dachte. Reisner zahlte ihm mehr als jedem anderen seiner An- gestellten. Prokop war der einzige, dem er wohl wollte und von dem er mit Bestimmtheit wußte, daß auch er an ihm Hing. Er war Reisners Schatten. Er las seinem Herrn die Wünsche von den Augen ab, und er fand immer die richtige diskrete Form, sie zu erfüllen, ohne daß man eigentlich sah, wie er es machte. In viele intime Angelegenheiten seines Herrn war er eingeweiht, in die ihm dieser oft mit drei, vier hingeworfenen Worten Einblick gewährte. Dabei verstieg sich Prokop doch nie dazu, eine Meinung, ein Urteil zu äußern. Er hatte wohl ein Ohr, das aufnahm, dafür keinen Mund. der zurückgab. Und sein Dienen war keine Arbeit, sondern eine Hivgabe, Cr liebte itmiL&sm*...>_________
Prokop füllte die zwei Koffer, die Reisner mit sich nahm. „Morgen mit dem Nachtschnellzug fahren wir," sagte Reisner zu ihm.„Aber heute kommt noch Besuch. Führe ihn in mein Zimmer." Reisner war abgespannt. Er warf sich in semem Zimmer in den Klubseffel und rauchte. Ich bin müde, und es ist Zeit, daß ich fortkomme, dachte er. Er fühlte sich als Kämpfer. Und er brach jetzt den Kampf klug ab, so lange, bis feine Kraft sich völlig wieder erholt haben würde. Im Untergrunde seines Bewußtseins regte sich freilich sogar so etwas wie eine Sehn- sucht nach Frieden. Aber gerade das war die Schwäche, deren er Herr werden mußte. Deshalb drängte es ihn fort. Er schalt sich jetzt, daß er nur einen einzigen Augenblick auf den Gedanken verwendet hatte, sich mit Frau von Mansch zu verbinden. Was konnte ihm diese Berbindung bringen? Eine Festigung seiner gesellschaftlichen Position vielleicht,— und das war etwas, das er nie erstrebt, auf das er klugerweise von vornherein verzichtet hatte. Einen beträchtlichen Zuwachs seines Vermögens, gleichsam im Spiel errungen,— und das war erst recht etwas, dessen er sich hätte schämen müffen, da sein Ehrgeiz doch dahin ging, sich seinen Reichtum und seine Macht ohne Hilfe Dritter zu erringen. Freilich, er konnte es nicht verhindern, daß die Gedanken an diese Frau zuweilen auch in anderer Form in ihm wach wurden, und nicht nur an diese eine Frau, nein, an die Frauen überhaupt, an das Weib,— das er haßte, und das sich über seinen Haß doch emporhob, mit einem dunklen Lächeln auf den Sphinxlippen, unverwundbar, ihm unendlich überlegen. So pochte in halbwachen Nächten ein roter, stürmisch drängender Wille durch sein Blut, der seinen Haß höhnte» der seine Liebe heroorlockte, die doch noch da war, irgendwo im Verborgenen seines Herzens, und die er demütig machte und die er fortschickte, arm und hungrig, auf daß sie suchen gehe und betteln. Die Erinnerung an dieses Zurückweichen und dieses Sich- beugen im Traume vor dem Feinde, mit dem es für ihn keinen Frieden gab, versetzte ihn am Tage in eine namenlose Wut. Und er sann nach Mitteln, seinem Blut zu gebieten, semem Blut und seinem Herz, und er fand kein anderes, als daß er einseitig seinem Blut scheinbar nachgab. Doch dieser List schämte er sich wieder und gab den Ge- danken an sie auf. All seine Triebe warfen sich dann mit zehn- facher Wucht und mit hundertfachem Hunger auf die Arbeit des Tages, die ihn so zerrieb, daß er dann nachts wie tot in L.ldllßlTL iXIClm. IT• JL..,..-■■_••_ n l
Ja, es war Zeit, daß er fortging.. wenn der Gedanke, daß er sich erholen muffe, auch nur ein Borwand war. Denn in ihm war ein sonderbarer Glaube erwacht, deZI Glaube an eine Möglichkeit, die wie ein Märchen anmutet«- Es schien ihm, daß es ihm wirklich möglich sein müsse, einige Wochen ein anderer Mensch zu sein,— diesen neuen Menschen nicht zu spielen, sondern er zu sein! Daß er dazu nur seine Maske abzulegen brauchte, das glaubte er nicht mehr. Eine große Verwirrung war in ihm. Wer war er wirklich, was war seine Maske? Er wußte es nicht mehr. Aber eine ge- Heime Stimme sagte ihm, daß er es erfahren würde, wenn er von hier flöhe... Ja, er beschloß, morgen zu fliehen. *** Prokop öffnete lautlos die Tür und ließ Frau von Marisch eintreten. Reisner erhob sich langsam, sah erschöpft aus und küßte ihr die Hand, die sie ihm mit einer Geste, die halb gewährte, halb abwies, überließ. Sie sah blaß und gequäst aus. Da er sich nicht entschließen wollte, zu reden, schwieg auch sie. Etwas Feindseliges hing zwischen ihnen, das sie beide spürten, das aber nur eines von ihnen zu überwinden wünschte: sie. Da sie sah, daß er zu apathisch war, um aus sich heraus- zugehen, nahm sie selbst einen Anlauf und sagte:„Ich bin ge« kommen. Haben Sie mich wirklich erwartet?" „Ich habe nicht darüber nachgedacht," gestand er ihr. Man sah ihm den Widerwillen an, den er zu überwinden hatte, um ihr zu antworten, um überhaupt zu reden. Er be- reute es jetzt, sie empfangen zu-haben. Immer wieder fragte er sich: wozu? Das Spiel war aus für ihn, sie sah es an seinem gereizten Lächeln. Von den Gedanken, die unausgesprochen in ihnen lagen, ausgehend, sagte sie trotzig:„Ich muß trotzdem mit Ihnen sprechen. Ich bestehe daraus. Sie werden sich mir nicht ent- ziehen." „Wozu?" fragte er nun laut. „Well Sie nicht nur ein Betrüger fem können! Des- halb!" Erst jetzt bemerkte er, daß sie jene Papiere, die er chr vor acht Tagen verkaust hatte, wieder mitgebracht hatte. Sie warf sie auf den Tisch. Die Gesellschaft, deren Aktien sie waren, hatte gestern liquidiert. Sie waren wertlos. ______________ l—...... iSo&Ws«.