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des Kindes sorgen, falls die Mutter bei oder gleich nach der Entbindung stirbt, ist dahin geklärt worden, daß sowohl Wochen- wie Stillgeld weiterzuzahlen sind. Neu aufgenommen worden ist dagegen die Bestimmung, daß die Familienwochenhilfe auch dann zu gewähren ist. falls der versicherte Ehegatt« oder Bater stirbt, wenn die Niederkunft innerhalb neun Monaten nach dem Tode des Versicherten erfolgt. Bedauerlich ist nur, daß unser Antrag, bei dieser Gelegen- heit auch die Beamtinnen und Beamtenfrauen in den Genuß der Wochenhilfe zu versetzen, keine Mehrheit gefunden hat. Wir haben den gleichen Versuch bereits vor einem Jahre gemacht, und wir wollen nur hoffen, daß die Regierung nunmehr allerschnellstens dem einmütig zum Aus- druck gekommenen Willen des Ausschusses, die Gewährung der Wochenhilfe durch ein besonderes Gesetz zu regeln, nachkom- men wird.» Die Unabhängigen glaubten es nicht unterlassen zu sollen, im Plenum eine Reihe von weitestgehenden Anträgen ein- zubringen. Diese bedeuteten eine Mehrbelastung von über einer Milliarde Mark jährlich, von der mehr als die Hälfte die Krankenkassen zu tragen gehabt hätten. Sie taten das, nach- dem ihre Vertreter im Ausschuß ausdrücklich ausgesprochen hatten, daß sie von weitergehenden Anträgen absehen wollten, da sie sich bewußt seien, daß bei dieser Gelegenheit das ganz« Problem der Mutterschaftsfürsorge nicht zu lösen sei, und sie da« Zustandekommen diese« Gesetzes nicht hinaus- zögern wollten. Aus rein agitatorischen Gründen desavou- ierten sie nun ihre Lusschußvertreter und ließen im Plenum ihre Anträge von Mitgliedern ihrer Fraktion begründen, die an den vorhergehenden Beratungen überhaupt nicht tell- genommen hatten und deshalb auch in die Materie nicht ein- gedrungen waren. Wir tonnten fvr diese Anträge nicht stimmen, ohne zu wissen, ob und wie es den Krankenkassen möglich sei. die Mittel aufzubringen. So sehr unser ganzes Arbeiten in dieser Angelegenheit in den letzten zwei Jahren Zeugnis abgelegt hat von unserer Erkenntnis, daß ein umfassender Wöchnerinnenfchuft notwendig ist, so konnten wir als Ar- beitervertreter doch nicht die Existenz der Kranken- lassen in Frag« stellen, die in erster Linie den Arbeitern zugute kommen. Eine wirkliche Mutterschaftsfürsorge ist nicht auf diesem Weg« zu schaffen.' zu dem Zweck müssen an- dere Mittel und Wege gesucht werden. Unsere Fraktion hat den Antrag gestellt, die Anträge der Unabhängigen dem sozialpolitischen Ausschuß des Reichstages zu überweisen, der dann im Herbst Gelegenheit haben wird, sich mit diesen, wie mit den Anträgen des Ausschusses des Reichswirtschaftsrates zu beschäftigen unter gleichzeitiger Würdigung der Beschlüsse, die in Washingtsn von einer Kommission des Bölkerbun- des in dieser Angelegenheit gefaßt worden sind.

�in Kronzeuge üer Reaktion. Der ungeheuerliche Hetzfeldzug der reaktionären Presse und Parteien gegen den Sendarmcriemajor Miiller-Brandenburg ist hier mehrfach besprochen worden. Don Berliner Blättern beteiligten sich an dem Kesseltreiben gegen den Leiter der thüringischen Schutzpolizei namentlich da» Spätabendblatt des Herrn W u l l e, ferner die ..Deutsch « Zeitung', dieDeutsche Tageszeitung" u. a. Als Kronzeuge fungierte dabei ein gewisser Leutnant Lampel, dessen phantastische Anschuldigungen von den genannten Blättern unter zollhohen Schlagzeilen gebracht wurden. Hier wurde schon festgestellt, daß in dem Augenblick, ol» LeuMant Lampel seine Anschuldigungen unter Eid erhärten sollte, er g l S tz l i ch s p u r l o« o e r s ch w a n d und für die Polizei unauf- findbar wurde. Trotzdem erschienen offensichtlich von ihm her. rührende Artikel weiter in der reaktionären Presse. Der berüchtigte Miesbacher Anzeiger" öffnete dem durch die Lappen gegangenen Denunzianten noch wie vor bereitwillig feine Spalten, und trotz der Unauffindbarkeit Lampel« druckte die reaktionäre Presse nach wie vor seine Beschuldigungen»it Behagen nach! Wegen dieser Artikel wurde nun von lintistehender Seite im thüringischen Landtag eine Anfrage

Sozialismus im Mittelalter. Don seinerAllgemeinen Geschichte de» Sozialismus und der sozialen Kämpfe"») hat Genosse M. Beer den zweiten Band er- scheinen lassen, ber das Dt i t t e l- l t e r behandelt. Wer den ersten Band(dasAltertum") gelesen hat, erwartete den zweiten Teil mit Spannung und Ungeduld. Und die Erwartung ist nicht enttäuscht worden. D«Mittelalter " reiht sich würdig an dasAltertum" an, ja infolg« der größeren Einheitlichkeit des Stoffgebietes hat die DqMellung noch gewonnen. Wieder bewährt sich die Methode der vmschen Gefchtcht». fchreibung, deren Wesen sich in einem Wort ausdrücken läßt: Kon- z e n t r a t i» n. Wie für da» gesamte Altertum, benöttgt Beer auch für da« ganze Mittelalter nicht mehr al» 100 Druckseiten. Diese Konzentration erschwert aber da, Verständnis nicht, sondern erleichtert»». Der ganz« Wust und Lallast loten Wissen« ist mit erfreulicher Entschiedenheit beiseit, geworfen. Die Geschichte de» Svziali»mus im Mittelalter muß im wesent« lichen ein« Geschichte de« Christentums, noch genauer ein« Geschichte der chrfftllchrn S e k t I» r e r und K e tz« r sein. Denn in jenem Zeltalter und noch weit darüber hinau» treten alle sozialen Strömungen tn religiösem Gewände auf. Wae immer in diesen Jahrhunderten an Sehnsucht nach größerer Gerechtigkeit, nach größerer Vollkommenheit des irdischen Daseins zutage tritt, hüllt sich in das Gewand einer kirchlichen Lehre. Natürlich ist das alles kein Soziali». mus Im heutigen Sinn«, denn für den heutigen Sozialismus fehlen dem Mittelalter all« wirtschaftlichen Voraussetzungen. Aber über«in Jahrtausend hinaus kann das Christentum seinen Ursprung nicht gänzlich verleugnen, seinen Ursprung al- Religion der Ar- men und Unterdrück te n.des römischen Reiches, die mit dem Christentum auch gleichzeitig ein« Art Kommunismus und Gütergemeinschaft verwirklichen wollten, freilich nach ihrer wirtschaftlichen Dasein,stufe nur eine Gemeinsamkeit des Verbrauchs und eine Teilung des Reichtums, nicht einen produktiven Sozialis- mus. Sehr richtig zeigt Beer im zweiten Band, wie es die In- telletturllen waren, die sich der Führung des Christenttims bemäch- «igten und ihm seine ursprünglich« Gestalt raubten. Ihnen war die D o g m a t i k, die Abgrenzung derreinen Lehre" die Hauptsache. nicht der pratkische wirtschaftliche Inhalt, an dem sie kein unmittel- bares Interesse hatten. Doch je mehr da» Christentum entartet, je mehr«» starrer Dogmenglaub« wird, desto stärker regt sich die Sehnsucht nach dem früheren Zustand, desto lauter schallt der Ruf nach Rückkehr zum Urchristentum. Dieser Ruf durchzieht das ganz- Mittelalter. Er äußert sich bald in friedlicher, bald in kämpferischer Form. Fried- lich gesinnt sind die Gründer der Mönchorden und Klöster, die sich ») Verlag für Sozialwissenschast. Berlin SW. 65.

gestellt, die am 6. Juli in Vertretung de« erkrankten Staatsministers v. Brandenstein Ministerialdirektor Jahn folgendermaßen beant- wartete: Es sei der thüringischen Staotsregierung nicht möglich, gegen Lampel vorzugehen, den auch sie für den Verfasser der Artikel halte, da Lampel unter dem Schutz de» ß St StGB, stände. Er befinde sich in einer die frei« Willensbestimmung ausschließenden geistigen Um- nachtung. Als Beweis dafür verlas Ministerialdirektor Jahn ein längeres ärztliches Gutachten über Herrn Lampel. Ein de- wegtes und zerklüftetes Leben tat sich auf. Dom Kausmann zum Theologiestudenten, Filmstatisten, Lüttwitz-Freischärler, Arbeiter in einer Holzleistenfabrik, Redakteur an einem Jagdblatte und so fort. Mehrere Fliegerunfälle während des Krieges zerstörten den Geistes- zustand de« Herrn, so daß er hochgradig sexuell anormal, ausgesprochen sexuell pervers sei. Mehrere Belege für Impotenz lägen vor, Homosexualität sei ausgeprägt. Das Cndgutachten lautete, daß Lampel im hohen Grade die Slaatspolizei kompromittieren müßte, wenn er ihr angehören würde. Auf der rechten Seite des thüringischen Landtages löste dieses Gutachten unendlich peinliche Verlegenheit aus. Es ist nun jeden- fall» festgestellt, wieeinKronzeugederReaktion gegen»inen republikanischen Offizier aussieht!

Worte und Taten. In einer Zeit, in der die Not der Arbeitslosen von Tag zu Tag wächst und immer weitere Kreise der werktätigen Beoölte- rung durch das Gespenst des Hungers bedroht werden, erscheint es vielleicht nicht angebracht, über die besondere Notlage einer Kaste zu schreiben, die durch einseitige Abschließung vom Volks- ganzen selbst nicht ganz schuldlos an ihrer Lage ist: des Offiziers st andes nämlich. Es wäre jedoch verfehlt, aus dem Hakenkreuzgeist, der heute große Kreise des Offizierskorps erfaßt hat. aus der offenen oder versteckten Feindschaft gegen die Republik , aus dem noch immer nicht ausgestorbenen Klassen- dunkel und Standeshochmut Rückschlüsse auf sämtliche Offizier« zu machen. Auch in diesem Stande gibt es Leute, die sich ehr- lich um das Verständnis der neuen Zeit bemühen, und im Interesse dieser Männer sei das folgende Schreiben zur Kennt- nis gebracht: Die sogenanntenationale" Press«, insbesondere die Zeitungen der Deutschnationalen Volkspartei , bringt unaufhörlich bewegliche Klagen über die Not und die jammervoll« Behandlung der ehemaligen Offiziere, welche teils alsganz gewöhn­liche" Handarbeiter, Bergleute, Schaffner, Ladenhelfer usw. ihr Brot verdienen, teil» von Erwerbslosenunterstützung und Almosen der Be- meinde leben müssen. Dieses Schicksal teilen sie allerdings mit taufenden anderen Deutschen , aber festgestellt muß einmal werden, daß die sog.nationalen" Kreise nichts, aber auch gar nichts persön- lich für die Offiziere tun, obwohl oder trotzdem diese meist zu ihrer Partei halten. Die millionenschweren Junker haben nichts für arme Offiziere übrig, höchstens, daß st« sie als bessere Knechte in der Landwirtschaft ausnutzen. Wohlfahrtseinrichtungen bei den nationalen Parteien bestehen so gut wie gar nicht, und Versuch«, sie einzurichten, scheitern an den g« s ch l o s s e n e n H ä n d e n der Parteimitglieder. Die wenigen Offiziere aber, welche in den Partei- bureaus usw. Unterschlupf fanden, sind gerade diejenigen, die. ihren armen Kameraden am wenigsten hilfsbereit gegenüberstehen. Die Offiziershilfsbünde sind natürlich überlastet und können nicht mehr tun, als geschieht. Die meisten Offiziere, welche Vermögen be- sitzen(durch Heirat, Erbschaft usw.), halten ebenfall» die Taschen zu- geknöpft. Gerade in Berlin lassen die nationalen Parteien arme Offiziere so hilflos wie nur je. Darum fällt die Schmach deutscher armer Offiziere in erster Linie auf die nationalen Parteien zurück, die helfen könnten, wenn sie nur wollten, es aber nicht tun, obwohl ihr« Mitglieder den größten Reichtum in Händen Hollen. Für nationalen Tamtam in der Presse und Agllationsreden usw. ist Geld genug da! Die Quittung werden die nationalen Parteien zur rechten Zeit schon erhalten, und hosfenttich wird sie deutlich genug aus- fallen. Expremier Valfour lebi! Nach einer Reutermeldung ist der ge- storbene Lord Balfour nicht der frühere Minister des Aeußern, sondern der ehemalige Staatssekretär für Schottland . von der Welt zurückziehen, um für sich«in kommunistisches Dosein zu führen. Sie gleichen darin, wie Beer richtig bemerkt, den neu­zeitlichen Utopisten, die hinter dem Rücken der bestehenden Ge- sellschaftsordnung durch Experiment im kleinen EM eine neue Ge- sellschaft aufbauen wollen. Wie diese ändern auch die Mönch« am Wesen der Gesellschaft nichts, ste werden daher von der Kirche ge- duldet. Energischer gehen die Sekten, die Ketzer vor. Mit großer Liebe und Anteilnahme schildert Beer ihren Leidensweg, der ein Blutweg ist, durch mehr Märtyrer gekennzeichnet, als der Irgendeiner anderen Bewegung. Auf das Grausamste wurden die Ketzer von der offi- ziellcn Kirch« verfolgt und auegerottet, und doch standen sie dem Geiste des Christentums viel näher als die streitbaren und herrsch- süchtigen Päpste des Mittelalters. Die Ausrottung der Albigenser verwüstet den blühendsten Landstrich de» Mittelalters, da» südlich« Frankreich . Zu Tausenden und Abertausenden sterben Katharer (die Reinen), Waldenser, Albigenser, Ortlieber, Beguinen und Begharden auf dem Scheiterhaufen. Dem deutschen Arbeiter sind diese Dinge sehr fern. Und doch stehen die Ketzer des Mittelalters in einer Art geistiger Ahnherrnschaft zum heutigen So­zialismus, indem sie da» Streben ihrer Zeit nach größerer Gerechtig- keit und Vervollkommnung des Daseins ausdrücken. In keiner Arbeiterbibliothek, auch nicht in der Bibliothek des einzelnen strebenden Arbeiter» sollt« Beer,Geschichte de» Sozia- lismus" fehlen. Die durch die größte Konzentratton erreichte Raum- beschränkung ermöglicht einen Anschaffungspreis, der weit unter dem anderer wissenschaftlicher Werk« steht. E. K r.

Rur ein Volkslied. Wissen wir Großstädter denn überhaupt noch, was ein Volkslied ist? Lernen unsere Kleinen es noch kennen? Wenn wir durch die Straßen der Großstadt eilen, dann will es uns dünken, als sei da» Volkslied verschollen. Was die Drehorgeln leiern, die Kinder summen, was sind es wohl für Weifen? Run, Voltslieder wahrlich nicht. Und doch strömt von den Volksliedern ein so eigenartiger Zauber aus; sie nehmen unser Herz gefangen, wenn wir sie nur hören oder gar selber singen. Unser Ich wird gewandelt, geläutert, wenn wir diesen Zauber auf uns wirken lassen. Untere Osterwanderung führte uns in ein kleines märkisches Dörfchen, wo wir Quartier nahmen. Am Abend saßen wir mit der Wirtsfamilie, einfachen Bauersleuten, zusammen um den Tisch. Und wir sangen. Mit Kinderlledcrn fing es an, zum Ergötzen der Kleinen, die sich wunderten, daß auch wir ihre Lieder kannten. Es konnte nicht anders sein, Volkslieder folgten. Da hättet ihr die Alten sehen sollen. Hingegeben lauschten sie den Tönen: ein Lächeln, ein Kopfnicken, wenn Erinnerungen an vergangen« Tage wachge- rufen wurden, da auch sie die gleichen Weisen gesungen. Und da merkten wir, es wurde ein Band um uns geschlungen, die wir uns nie vorher gesehen hatten:«ine Art geistiger Zusammengehörigkeit sühllen wir, mochten unsere sonstigen Anschauungen auch wellenfern auseinandergehen.

Reichsgerichtskontrolle abberufen. Paris , 8. Juli. (WTB.)Matin" meldet: In Verfolg der Frei- sprechung des Generals S t e n g e r ist die französische Regierung zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Anwesenheit einer französischen Abordnung bei den Verhandlungen vor dem Leipziger Reichsgericht nunmehr nicht nur unnütz, sondern auch lächerlich geworden sei. In- folgcdessen hat Briand gestern abend den französischen Vertretern die telegraphisch« Anweisung gesandt, unverzüglich nach Pari» zurück- zukehren. Er hat bei der englischen und belgischen Regierung ein gleiches Vorgehen angeregt. London . 8. Juli. (TU.) LautDaily Chronlcle" wollen die Alliierten einen gemeinsamen Protest bei der deutschen Regierung gegen die letzten Leipziger Urteile einlegen. DerPetit Parisien" spricht wegen der Freisprechung Stengers von Fortdauer der Sanktionen und Herve mahnt tn derDictoire". den Zorn über die Leipziger Urteile im Interesse der Aufrechterhal- tung des Systems Wirth und der deutschen Republik zu b e z ä h» men. DerJnttansigeant" phantasiert, daß, wenn ein halbes Dutzend französischer Flieger morgen die holländische Residenz Wilhelms II. mit einem Hagel von Domben in die Lust sprengen würden, die« all« Völker der Entente al» ein« Tat ausgleichender Gerechtigkell begrüßen würden. Man müsse nicht glauben, daß sich dafür niemand finde. Die holländische Gebietshoheit existtert also nicht für dies« Der- teidiger der belgischen Neutralität von 1914.... Ein Urteil über Kriegsverbrecher. Recht Beachtenswertes schreibt das Blatt der belgischen kommunistischen ParteiL'Exploite" zum Problem des Kriegsverbrechens: In den Ländern der Entente bekochtet man den irischen Patrw- ten Roger Easement als Verräter und ist der Ansicht, daß er zu Recht bestraft worden ist: aber man billigt das Betragen jener Elfässer, die fahnenflüchtig wurden, um im französischen Heer gegen Deutschland zu kämpfen. In den Augen der Verbündeten verdient der Zeichner Hansi einen Orden und Easement den Galgen. Ein Neukaler wird wahrscheinlich anders denken. Typisch ist der Fall Dorten. Der Mann von der rheinischen Republik ist ein Aktivist, ein deutscher Bonns. Ihn hebt die französische öffentliche Meinung zu den Wol- ken, weil er den annexionistischen Plänen dient. Aber von den Be- Hörden Deutschlands wird er als Verräter behandell. Er ist von ihnen festgesetzt und erst auf Befehl der Besatzungsarmee freigelassen worden, genau so wie die Mitglieder des Rates von Flandern von unseren Behörden eingekerkert worden sind und auf Anordnung des deutschen Gouvernements in Freiheit gesetzt wurden. Wenn Deutsch- land siegreich gewesen wäre und die Züchtigung der Schuldigen ge- fordert hätte, ist es wenig wahrscheinlich, daß sich französische Richter bereit gefunden haben würden, die Flieger zu verurteilen, die am Fronleichnam-tag- 80 an einer Prozession teilnehmende Kinder in Karlsruhe in Stücke schössen, oder die Offiziere der Koloniakegi- menter, die ihren Sencgalnegern väterlich erlaubten, deutsche Ge- fangene totzuschlagen und zu verstümmeln, oder aber die Untergebe- nen Jounarts oder des Generals Earrail, die in Saloniki Griechen, welche nicht Anhänger von Denizelos waren, niederschießen oder nach Frankreich deportieren ließen. Dorgänge, über die die Ententepresse unter der RubrikReinigung Griechenlands " berichtet hat. Ebenso zweifelhaft ist es. ob Deutschland von einem russsschen Gericht ein« Verurteilung derjenigen erlangt hätte, die verantwortlich wareu für die Inbrandsetzung von mehr als 80000 Häusern, für die gänzliche Zerstörung einer Reihe ostpreußischer Orte. In Belgien hat man sich über diese Heldentaten der Kosaken in jenen glücklichen Stunden ge- freut, wo die Druckwalze in Tätigkeit war, und hat nur bedauert, daß nicht das ganzeBoche-Land" das Schicksal von Ostpreußen und Dalizien erlitten hat. Niemand hat etwa- davon gehört, daß Lord Kitchener , der in seinen Zusammenziehungslagern Tausende von Burenfrauen und-lindern umkommen ließ, vor Gericht gestellt war- den ist. Im Gegenteil: er ist von seinem König mit Ehren überhäuft worden und hat beim englischen Volke ein Ansehen genossen, das Shakespeare bei seinen Lebzeiten niemals gekannt hat."

Wir Norddeutsche kargen mit dem Gesang, wir lassen ihn nicht bei jeder Gelegenheit hören: ander» flnd wir hierin al» unsere süd- deutschen Brüder. Und wenn wir singen, dann sind wir ernst, mögen die Weisen auch lustig klingen. Wir singen nicht allein mit der Stimme, sondern mit unserem ganzen Ich, wir erleben den Gesang gleichsam. Die Volkslieder spiegeln da» Empfinden de, Lölkes wider. Lust und Leid, Freud und Schmerz sind in ihren Grundzügen immer gleich geblieben, darum können die Volkslieder sich auch oft in nahezu unveränderter Art jahrhundertelang erhalten. Schlich: und einfach, wie das Volksleben sich abspiell, gehen auch die Sing- weisen. Ohne musikalische Kenntnisse kann sie jeder singen und be- hallen. Kehren wir wieder zurück zum Volkslied, pflegen wir«» mehr denn bisher. Unser innere» Leben wird dadurch vertieft, wir werden befähigt, die Sorgen de« Alltags leichter zu erkagen. Das Volks­lied ist«ine fest« Stütze auf dem steilen Weg de« Ausstiegs. I. Ch.

Der Verleger Ehristlaa Tauchaih ist kurz nach Dollendung seines 80. Lebensjahre» gestorben. Er war der Inhaber der von seinem Bater begründetenTouchnitz-Edition", die seit 1841 da» angel- sächsische Schrifttum in allen Ländern außer England und seinen Kolonien in tadeilo» korrekten und billigen Ausgaben vermittelte. Bi« zum Ausbruch des Krieges waren 4000 Tauchnitz-Bände von englischen und 400 von amerikanischen Autoren erschienen. Im Kriege wurde natürlich da» Unternehmen geboykottet und überdies heruntergemacht. Aber es ist weder zu ersetzen, noch hat e, seine»- gleichen in irgendeinem anderen Lande. Begründer Bernhard Tauchnitz stand in den besten Beziehungen zu den englischen Schrift- stellern seiner Zeit, denen cr freiwillig ein anständiges Honorar fiir den damals noch freien Nachdruck bezahlte. Sein Sohn hat die Sammlung im Sinne des Datcrs fortgesetzt. Der diesjährige Aerzletag wird vom 14. bi» 17. September in Karlsruhe zusammentreten. Tagesordnung: 1. Die praktische Aus- bildung zum Arzte. 2. Das ärztliche Unierstützunaswesen. 3. Der Arzt im Entwurf zum neuen Strafgesetzbuch. 4. Bericht der Kam- Mission über Verschmelzung des ärztlichen Aereinsbunde» imd des Leipziger Verbandes. Falls der Entwurf zur gesetzlichen Regelung der Kassenarztfrag« fertiggestellt ist, wird er an erster Stell« beroten werden.

Spielplanälldernng. Die Erstaufführung von Nndrejew» Schauspiel Der Herr, der die Mautichellen kriegt' in den Kammerspielen. muh«u? Dienstag, den IL.,»erlegt werden. Sonnabend u. Sonntag.Mesalliance' von Shaw. Das Programm der TtoatSoper für die Winterspielzctt siebt an neuen Weiten vor die Opern.Dt« Vögel' von HraunselS. .T h r i j: e l s l« i n' von Pfitzner,.Der Schatzgräber' von Schriller. die Ballet«.flaubergeiger' von Han» Nirimm und.Silvia' von Delibe». Neu ausgenommen werden: BucciuiS.T o» c a', Berlioz Trojaner ' und Supvs»Boccaccio'. An cytlischen Veranstal­tungen sind geplant 3 geschlossene Aufführungen deS.RingeS der Ntdelungen'. ein«.Varstfal'« Serie, sowie ein Cotlu« Richard Skauß'scher Werke, tzcrace wird wieder(Lue JUche hb»olkstümitch» ftonzotat gegebe»,