Rechtsschutz den Kleinpächtern!
Der Landtag letzte gestern die Beratung der sozialdemotra» tischen Großen Anfrage über die allgemeine Kündigung von Heuer- lingpachtoerträgen fort. Abg. ZReyer-Rheine(Soz.): Die Ausbeutung der Kleinpächter und Heuerlinge ist trotz der gegenteiligen Darlegung der Rechten unerhört. Di« Heuerlinge find in Wahrheit landwirtschaftliche Arbeiter. In ihrem Vertrag spielt nicht die Pacht die Hauptrolle, sondern die Pflicht, � u arbeiten. Wir wollen aber auch die kleinen und mittleren Pächter schützen. Der Fürst Salm wirft jetzt Erbpächter auf die Straße, die schon seit Generationen auf dem Hof gesessen haben. Die Regierung ist nicht richtig und nicht genügend informiert. Di« Kündigung erfolgt in überaus vielen Fällen tatsächlich aus politischen Gründen. Es ist dringend nötig, daß ein neues Pachtschutzgesetz Ordnung schafft und die kleinen Leute vor der Willtür der Hofbesitzer schützt. Bisher war hier nur vom Recht der Verpächter und nur sehr wenig oder gar nicht vom Recht der Heuerlinge die Rede. Die Juristen und Syndikusse, die die gutsituierten Bauern bei ihrem Vorgehen gegen die Heuerlinge unterstützen, machen dabei ein gutes Geschäft. Die Dinge liegen schlimm genug, und man sollte wenigstens von den Vertretern der Zentrumspartei erwarten, daß'sie uns unter- stützen, wenn wir den Heuerlingen helfen wollen. Wenn sie es ernst meinen mit der Hilf« für die Kleinpächter, dann stimmen Sie unserem Antrag zu, die Große Anfrage an den landwirtschaftlichen Ausschuß zu überweisen, damit Abhilfe geschaffen werden kann. Abg. Schulz-Reukölln(Komm.): Die Gesindeordnung aus dem Jahr« 1838 enthält dos reine Sklavenverhältnis für das Gesinde, und für diese Sklaverei begeistern sich die Herren auf der Rechten. Die Regierungserklärung ist geradezu eine Unverschämtheit. So was bietet man dem Landtage au! Den Heuerlingen muß das von ihnen urbar gemachte Land zu Eigentum gegeben werden. ?'■ Abg. Duberk(Soz.): Wir wollen die Pachtschutzordnung deshalb ausdehnen, weil zum 1. Oktober eine Menge kleiner Pächter nicht mehr aus noch ein weiß. Der Abg. Kaufhold hat eine Broschüre von Georg Schmidt so ent- stellt und verdreht zitiert, daß er wirklich nicht mehr das Recht hat, sich als den Hüter gesitteten Anstandes aufzuspielen. Das soziale Gefühl des F ü r st e n v. Bentheim, das von der Rechten so ge- priesen wird, zeigt sich vor allem darin, daß«r eine Menge alter, lange bei chm onsäfsiger Leute entlasten bat. well er für die drei Wochen, wo es für sie nichts zu kun gibt, keinen Lohn ausgeben will. Man will die kleinen Pächter gänzlich existenzlos machen zugunsten jener, die schon genug haben. Die Bauern gehen systematisch darauf aus, die Pächter hinauszudrängen, um allein wirtschaften� zu können. Rot und Elend der Heuerlinge auf dem Lande sind teilweise größer wie die der Proletarier in den Städten. Ein mir persönlich be- kannter Heuerling war so ausgebeutet, daß er sich nicht einmal ein Paar Stiefel taufen konnte: er mußte mit seinem Sohne das ganze Jahr für den Bauer arbeiten, der bei einem Viehstande von neun Pferden und vielen Rindern sich weder Magd noch Knecht hält. Ich babe den Eindruck, als wenn mir die Herrschaften von rechts den Vorwurf der Verhetzung machen wollten. Ich habe dieses Jahr noch keine einzige Heuerlingsoersammlung abgehalten. Der Heuersingsverband ist als rot verschrien. In Wirklichkeit ist er weder der Gewerkschaft angeschlossen, noch steht er auf dem Boden der freien Gewerkschaft, sondern die Führung liegt in der Hauvtsache in den Händen von Zentrumsleuten. Bei den vorjährigen Reichstaaswahlen begann der Aufruf an die Mitglieder mit den Worten: Wählt Zentrum! Außerdem hat der Verband bei den letzten Reichstagswablen eine eigene Liste aufgestellt, in der er uns bekämpft hat. Das kann uns aber nicht hindern, für die Interessen der Heuersinge einzu- treten und sie vor Ausbeutung zu schützen. Die Pachtschutzordnung muß mit rückwirkender Kraft in dem von uns vorgeschlagenen Sinne abgeändert werden, und zwar noch in dieser Landtags- s e s s i o n. Man kann die Heuerlinge vor ihren deutschnationalen Ausbeutern nur durch eine andere Zusammensetzung der Pacht- einigungsämter schützen. Als Beisitzer zu diesen Aemtern müssen Vertreter aller Parteien und vor allem Männer, die das wirtliche Vertrauen der Heuerlinge besitzen, gewählt werden. Eines steht fest: Wir haben keinen Pachtschutz für Pächter, sondern nur für Vervächter. Dir werden alles kun, um die Sleinvächter vor der wucherischen Ausbeutung der Großagrarier zu schützen. Deshalb ersuche ick um Zustimmung zu dem Antrag Meyer.(Lebhafter Beifall bei den Soz.) Abg. Logemann(Dnat. Vp.) behauptet, die Heuerlinge in der Provinz Hannover fühlten sich sehr wohl, und erklärt, daß die Großagrarier und Adligen Ochsen seien, well sie die Kommunisten noch nicht aus dem Lande gejagt haben. Damit ist die Aussprache geschlosten. Der Gegenstand wird dem Landwirtschaftlichen Ausschuß überwiesen.
Juristenreform! Es folgt die Große Anfrage des Abg. Braun(Soz.) über die sachliche Durchbildung der Anwärter des höheren Justiz- und Per- waltungsdienstes. Abg. Dr. Waentig(Soz.): Jahr um Jahr hoben die deutschen Rechtsfatultäten Konferenzen abgehalten über das heiß umstrittene Thema der Resorm des juristi- schen Studiums. Unter dem Iustizminister Beseler ist in Gegen- wart von praktischen Juristen tagelang darüber debattiert worden. Trotzdem ist alles beim alten geblieben. Man muß da- gegen protestieren, daß die Studien im Hinblick auf die Examens- anforderungen rein zivilrechtlich eingestellt sind, und daß das öffentliche Recht kaum gepflegt wird. Deshalb sind die Ver- waltungsbeamten infolge ihrer einseitigen Ausbildung den Aufgaben des öfsentlichen Rechtes in keiner Weise gewachsen. Die brennende Frage ist: Sollen wir überhaupt an der akademischen Vorbildung für die Justiz- und Derwaltunqsbeamten festhalten, oder soll eine mehr praktische Porbildung gefordert werden? Manches spricht für eine Teilung des Ausbildungsganges für die Beamten dar Justiz und die der Verwaltung. Auch die Frage des Schlußexamons muß gelöst werden. Wir verlangen, daß über alles dies in kurzer Zeit eine Entscheidung herbeigeführt wird. Es ist kein« Frage der Bureaukrati«, sondern eine eminent nationale. An ihrer Lösung haben besonders die ein brennendes Interesse, welche die Richtersprüche und Verwaltungsmaßnahmen über sich ergehen lasten müssen. Wir hoffen daher, daß der Landtag sich der Sache energisch annimmt. Kullusminister Dr. Decker: Auch die Regierung hält die Resorm des juristischen Studiums für dringend. Sie kann aber nicht allein von den Regierungen der Länder gelöst werden. Das Kultusministerium Hot sich durch«ine Rundfrage an die r e ch t s w i s s e n s ch af tl i ch e n Fa- kultäten gewandt und auch mit studentischen Organisa- t i o n e n Fühlung genommen. Auch auf den Konserenzen der Unterrichtsoerwaltungen ist das Problem erörtert worden und so weit gefördert, daß die einzelnen Staatsministerien jetzt in Erörte- runaen«intreten können. Wir glauben, die Frage einheitlich regeln zu können. Insbesondere muß die Reform durch Abbürdung entbehr. lichen Unterrichtsstoffes Raum schaffen für neue wichtige Rechts- gebiete. Auch im Unterricht muß auf die Zwecke der Verwaltungs- Praxis besonders Rücksicht genommen werden. Sobald endgültige Beschlüsse zwischen den Ressorts gefaßt sind, werden wir dem Hause Bericht erstatten. Auf Antrag Dr. Rosenseld(Soz.) wird die Besprechung der Großen Anfrage beschlossen. Abg. Leyer-Oberschlesien (Zentr.): Wir müssen die Ausnahme- stellung unserer Universitäten aufrechterhalten, um wistenschastlich konkurrenzfähig mit dem Auslande bleiben zu können. Abg. Dr. Kaehler-Greifswald (Dnat. Vp.): Di« Zulastung zur Staatsprüfung darf nur mit akademischer Vorbildung ermöglicht werden. Sonst wäre es schon bester, die Zulastung im Einzelfall von besonderen Persönlichkeits werten abhängig zu machen, wie es die S o z i a l i st e n fordern. Abg. Dr. Rosenseld(Svz.) weist auf eine Broschüre von Zittel. mann über die Reform des juriststchen Studiums hin. Wir ver langen, daß die Frage dem Unterrichtsausschuß überwiesen wird und wir wünschen, daß alle Parteien unseren Antrag annehmen, damit der Mangel der juristischen Ausbfldung, der für unser« Rechte pflege verhängnisvoll geworden ist, endlich verschwinde. Abg. Lichtenstein(USP.): Wir werden für den Antrag sttmmen, weil er ein Schritt, wenn auch nur ein sehr Neiner, zur Besserung ist. Abg. Eichhoff(D. Vp.): Sicher ist das juristische Studium reform, bedürftig. Dir haben nichts dagegen, daß der höhere Perwaltungs- dienst auch für juristsich nicht Porgebildete offensteht. Beim höheren Iustizdienst liegt die Sache anders. Der Parteisekretär, der in diesen eintreten soll, würde eines Tages in seinem Bureau vor einem Haufen Akten sitzen, den zu bewältigen ihm sehr schwer fallen dürfte. Abg. Waentiq(Soz.): Es ist ein« zwar traurig stimmende, aber unbestreitbare Tatsache, daß zu den Examina Leute kommen, die vom öffentlichen Recht, von Nationalökonomie und von Sozialpolitik keine Ahnung haben. Dieser Zustand spottet jeder Beschreibung. Samt- liche Studierenden müssen ein Mindestmaß allgemeiner Kenntnisse erhalten.(Beifall.) Heute ist es so, daß wir neben den Anstalten des Staates für die Ausbildung der Juristen noch Nebenorganisatio- nen haben, die den Leuten ein Heidengeld kosten. Die R e p i t i- torenwirtschaft ist skandalös. Die Universitäten leisten infolge der kranken Zustände nicht das, was sie leisten sollten.(Zuruf rechts: Dann leisten auch Sie nicht, was Sie sollten.— Gegenzuruf links: Quatsch!) Die Prüfungsordnung ist äußerst reformbedürftig. Auch muß man sich die Frage vorlegen, ob es genügt, daß das Examen an einem Tage erfolgt. Die Anfrage geht gegen die Stimmen der Rechtsparteien und des Zentrums an den Unterrichts-Ausschuß. Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr: Kleine Dorlagen, Volksschul- lehrerdiensteinkommensgesetz. Schluß 6 Uhr.
Gefangenenlager Nieöerzwehren.
Gestern begann vor dem Reichsgericht der' auf mehrere Tage berechnete Kriegsvrozeß gegen den Generalleutnant a. D. Hans v. S ch a ck und den Generalmajor Bruno K r u s k a. Erschienen sind 10 deutsche und 10 französische Zeugen. Als Sachverständige sind ge- laden: Geb. Medizinalrat Prof. Dr. D a u s ch- Göttingen, Geh. Ober- baurat B e n d a aus Kastel und General Hopf- Arnstadt . Als Dolmetscher fungiert der Leipziger Handelslehrer Müller-Bonjour. Die Anklage wird wieder vom Oberreichsanwalt vertreten. Die Ver- teidigung der beiden Generäle führen die Rechtsanwälte S e u f f e r aus Leipzig und Dr. L ü t g e b r u n e- Göttingen. Den Angeschul- digten wird in. der französischen Auslieferungsliste vorgeworfen, in dem Gefangenenlager Niederzwehren bei Kassel eine Typhusepidemie absichtlich und fahrlässig herbeigeführt und dadurch sowie durch Miß- Handlungen und Gewalttätigkeiten den Tod von etwa 3000 französischen Gefangenen verschuldet zu haben. Der Präsident bemerkt, daß eine förmlicheAnklage seitens des Oberreichsanwalts nicht erhoben worden ist,. weil die Beweiserhebungen keine genügenden Anhaltspunkte ergeben haben. Das Verfahren sei nur eingeleitet infolge der Anschuldigungen in der Auslieferungsliste auf Grund des neuen Reichsgesetzes von 1921. Das Lager von Niederzwehren stand vom 21. Januar 1915 unter Schacks Kommando. Die Epidemie ist erst im Februar eingetreten. Fleckfieber sei erst aufgetreten, als Ende Januar 1915 3 0 0 0 r u s s i- f ch e Gefangene aus dem Lager Langensalza eintrafen. In Langensalza war die Epidemie schon früher ausgebrochen als in Niederzwehren . Schock schildert, wie unter seiner Leitung in ganz kurzer Zeit eine Barackenstadt für 18 000 Menschen geschaffen wurde. Nach seiner Ansicht ist von allen Beteiligten mtt größter Pflichttreue bei der Aus- führung der Arbeiten verfahren worden. Als er das Lager abttat, war der Bau noch nicht ferttg. Es wurde keine Mühe gescheut, um die Uebelstände zu beseitigen. Die Zahl der Gefangenen betrug zuerst 4000. Für diese wurden sofort Zelte errichtet. Kein Ge- fangener brauchte in der Nacht im Freien zu schlafen. Die Erbauung der Barackenstadt wurde äußerst beschleunigt. Zu Ansang bestand das Auffichtspersonol nicht aus gedienten Soldaten, sondern aus| Zivilisten, die sich erst einarbetten mußten. Nach dem Bericht des
Sanitätsamts waren die Gesundheitsverhältniste in dem Lager besser als in anderen Lagern. Ein Pumpbrunnen wurde eingebaut und auch eine zweite Wasterleitung errichtet. Auszemen- kierte Latrinen waren in genügender Anzahl vorhanden. Infolge Aerztemangels wurden auch gefangene ausländische Aerzte heran- gezogen, was große Schwierigkeiten verursachte, da namentlich die französischen Aerzte in unerträglicher Weise die Stimmung der Gefangenen beeinflußten. Im Lager war ein Lazaretttaum für mehrere hundert Personen geschaffen und es waren auch Isolier- barocken errichtet. Die Verpflegung der Gefangenen war genau so gut wie in anderen Lagern und besser als die Ernährung der deutschen Zivilbevölkerung. Als das Fleckfieber in seinen Anfängen aufttat, hatte der Generalleutnant Bedenken, die Kranken in das Refervelazarett Kastel bringen zu lasten. Für Desinfektion wurde sofort gesorgt. Es wurde auch eine Desinfektionsanstalt erbaut. Der Ausbruch des Fleckfiebers ist auf die stark v e r l a u st e n Russen, für deren gründliche Entlausung nicht ausreichend gesorgt werden konnte, zurückzuführen. Wenn er gewußt hätte, daß die Laus das Fleckfieber verursacht, so würde er selbstverständlich alles aufgeboten haben, was nach diefer Richtung hin erforderlich war. Von keiner Seite fei er aber gerade auf diese Gefahr hingewiesen worden. Am 18. Oktober hat das Kriegsministerium die Mischung der Nationalitä- ten bekohlen, und am 16. November ordnete das Ministerium an, daß die Mischung bis in die kleinste Lagerabteilung durchgeführt werden sollte. Dadurch wurde unbeabsichtigt die Verlausung ge- fördert. Sie trat ober nicht so sehr in die Erscheinung und wurde von den Franzosen nicht besonders empfunden. Am 15. Oktober 1915 erhob das Generalkommando Vorstellungen beim Ministerium gegen die Vermischung. Die Gefangenen wurden überhaupt mit größte? Vorsicht behandelt, zumal Nachrichten einliefen, daß die deutschen Gefangenen bei unseren Feinden schlecht behandell würden. Der Angeschuldigte K r u s k a, der am 1. Oktober 1914 Loger- kommand.ant wurde und seinerzeit gesagt haben soll, er führe den Krieg auf seine Art, die andern draußen mit Kanonen, er mit Krank» hellen, bestreitet, diese Aeußerung getan zu haben, und gibt dann
eine Darstellung der Verhältniste im Lager. Die ankommenden Ge- fangen«» wurden sofort desinfiziert und entlaust. Das Esten hat Kruska regelmäßig geprüft und für gut befunden. Das Anbinden zur Strafe dauerte jedesmal eine Stunde. Der Epidemie sind im ganzen 7 bis 9 Franzolen erlegen. Zwei Franzosen sollen sich im Fieberwahn erhängt haben. Ferner starben eine Anzahl Russen sowie eine Reihe der behandelnden deui- schen Aerzle, Unteroffiziere und Mannschaften. Als die Seuche als solche erkannt war, wurden sofort entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen. Die Aeußerung, daß er den Krieg auf seine Art führe, soll er am Weihnachtsabend getan haben. Der Angeschuldigte hat einen Weihnachtsbaum anzünden lasten und eine Ansprache an die Gefangenen gehalten, in der er von dem Feste der christlichen Liebe gesprochen habe. Seine Aeußerungen seien offenbar falsch verstanden worden. Aus eine Frage gibt Kruska zu, daß die Erkrankten und Toten auf Tischen transportiert worden sind, well die Tragbahren nicht ausreichten. Es wird behauptet, daß auf den so benutzten Tischen später wieder Brot geschnitten wurde. Kruska hat dann verboten, daß die Tische weiter als Transportmittel benutzt werden und hat sie deshalb desinfizieren lasten. Es tritt hierauf eine halbstündige Pause ein. Der als erster Zeuge vernommene Direktor Edgar P a s ch a l i aus Straßburg behauptet, daß, als die Seuche ausgebrochen war, wochenlang nichts dagegen getan worden sei. Alle Dol- metscher deutscher Nationalität waren über diesen Zustand empört gewesen. Der Zeuge behauptet weiter, daß die deutschen Aerzle geslreiki hätten und daß die Bekämpfung der Seuche erst energisch in Angriff genommen worden sei, nachdem die französischen Aerzte eingegriffen hätten. Er will aber auch den Eindruck gehabt haben, daß der Seuche erst dann entgegengetreten worden sei, als auch Deutsche ihr erlagen, so daß man habe annehmen müssen, es sei den deutschen Behörden gleichgültig, daß Franzosen sterben. Der Oberreichsanwalt hält dem Zeugen vor, daß von 18 beut- schen Aerzten 4, von den französischen Aerzten aber nur 2 gestorben sind, so daß wohl kaum behauptet werden kann, daß den deutschen Behörden gleichgültig war, wie die Sache verlief. Josef A r n e l d, Direktor der Berlitzschule in Kassel , kann von einem Begünstigen der Seuche nichts angeben. Der Zeuge Paschali habe die Gefangenen ungünstig beeinflußt. Er habe ihn oft zur Rede gestellt. P a s ch a l i sei als Spion bezeichnet worden und habe den Franzosen geheime Befehle zugestellt. P a s ch a l i verwahrt sich hierauf gegen den Vorwurf, ein Ver, räter gewesen zu sein. Er habe nur gesucht, die Wahrheit zu er- forschen. Der französische Zeuge Moritz Roulon sagt, die Worte des Generals Kruska bei der Weihnachtsandacht habe er so aufgefaßt, daß der General den Krieg waffenlos führe. Im Januar zeigten sich die ersten Typhuserkrankungen, die dann von einem Bataillon auf das andere übertragen wurden. Da die Laza- rette nicht genug Raum boten, blieben die Kranken in den Baracken und steckten ihre Kameraden an. Der Zeuge glaubt, daß die Desinfektion nicht in ausreichendem Maße vorgenommen wurde, und meint, aus den ihm gerüchtweise zugegangenen Aeuße- rungen schließen zu sollen, daß General Kruska ein Mitver, schulden an den vielen Todesfällen treffe. Geheimrat Dr. Gärtner- Jena, als Zeuge und Sachver- ständiger, der seinerzeit nach Niederzwehren berufen wurde, schildert den Zustand der Zelte und Baracken, von denen letztere manche Mängel hatten. Die Russen, die in das Lager kamen, müssen stark infiziert gewesen sein. Zunächst war es sehr schwer, den Flecktyphus zu erkennen, weil in Deutschland diese Krankheit seit vielen Iahren nicht mehr vorgekommen war. Eine Schuld daran treffe niemanden. Jetzt stehe fest, daß der Flecktyphus nur durch die Kleiderlaus übertragen wird. Man glaubte erst, es mit Grippe oder Bronchitis zu tun zu haben. General Kruska habe alles, was er, Professor Gärtner, für notwendig erklärte, sofort be- willigt und angeordnet. Die Kranken wurden möglichst isoliert. Die Kost war gut. General Kruska habe außerdem für Milch und Kakao für die Kranken gesorgt. Täglich seien 4000 Liter Milch in das Lager gekommen. Man sei ganz energisch gegen die Krank- heit vorgegangen, aber eine Besserung sei von heute auf morgen nicht zu erreichen gewesen. Auch für Erneuerung der Klei- d u n g wurde gesorgt. Die Desinfektion der Gefangenen war eine sehr schwere Aufgabe. Alles, was an Desinfektionsapparaten zu be. schaffen war, sei herangebracht worden. Anfang Mai habe man bereits mit 14 Apparaten gearbeitet, fodaß täglich 2000 Leute desinfiziert werden konnten. Daß Kranke und Tote auf umgedrehten Tischen weggeschafft worden seien, sei nicht zu umgehen gewesen: es sei aber sofort für Tragbahren gesorgt worden. Das Trinkwasser hvbe nicht besonders geschmeckt, sei aber auch nicht gesundheitsschädlich gewesen: aber auch da sei nach Möglichkeit Abhilfe geschaffen worden. Aus der Wahl des Platzes für das Lager könne niemandem ein Vorwurf gemacht werden. Gegen 4 Uhr nachmittags teilte Präsident Dr. Schmidt die Ab- berufung der französischen Zeugen mit. Die Verhandlung wird morgen vormittag 9 Uhr fortgesetzt. k>oUanü unö Reichsflagge. Der.Nieuwe Courant*, eines der führenden bürgerlichen holländischen Blätter, läßt sich von seinem Korrespondenten auS Berlin über den Streit um schwarz-weiß-rot oder schwarz-rot-gold berichten. Die Aeußerungen des holländischen Blattes gewinnen wegen ihres Inhaltes große Bedeutung, wird in ihnen doch betont, daß es sich hier durchaus nicht um eine schiffahrtstechnische Frage handele. Die Sozialisten seien diesmal vollkommen im Recht, wenn sie behaupteten, daß die deutschen Schiffe mit der republikanischen Flagge als Boten eines neuen Deutschland erscheinen. Als solche würden sie sicherlich herzlicher empfangen werden, als wenn sie unter der Flagge deS Kaiserreiches führen. - Oaperische Justiz. München , 8. Juli. (Eigener Drahtbericht deS.Vorwärts*). Die Absicht der bayerischen Regierung, politische Justiz im Sj�ine ihrer Äuffastung zu üben, tritt neuerdings zutrage in der BeHand- lung der Mord- und Meineidsaffäre deS ehemaligen Landeshauptmannes der bayerischen Einwohnerwehr Kanzler. Der Justiz- minister hatte bei der Gareisdebatte im Landtag erklärt, er sähe sich veranlaßt, die Untersuchung des Falles der Durchführung einer Privatbeleidigungsklage zu überlassen. Er tat dies, wie jetzt durch den Beklagten festgestellt wird, in Kenntnis davon, daß das Gericht überhaupt noch keinen Termin in der Beleidigungsklage angesetzt hatte und zu jener Zeit vom Kläger ein Zeugenapparat von 60 Personen aufgeboten worden war. Ob- wohl die Privatbeleidigungsklage seit diesem Termin ruhen mußte, wurde weder der Hauplbeklagte noch einer der Zeugen staats- anwaltlich vernommen. Es wurden aber dem Privatbeklagten.zur Abschreckung* die Borschutzkosten der Zeugenverneh- mung aufgegeben. « München , 8. Juli. (TU.). Der StaatSkommisstar für München hat den Vertrieb und die Verbreitung der.Roten Gewerkschafts- internationale* und des.Kommunistischen Gewerkschafters*, zweier linksradikaler Organe, verboten. Deutsche Mattosen in Antwerpen verhaftet. In Antwerpen sind drei Mann der Besatzung des deutschen Schiffes.Virgilia* wegen der Einfuhr bolschewistischer Zeitschriften verhastet worden.