Nr. 276.
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Vorwärts
11. Jahrg.
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Bolksblatt.
Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. Dienstag, den 27. November 1894. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!
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noch
Die Zukunft unserer Industrie beiter so große Anforderungen stellenden Stahlindustrie Nationen in ein absolutes Gleichgewicht gefeht zu werden oder das mit Sheffield den Weltmarkt beherrschende sozial- fie werden so gestaltet, daß ihre wirthschaftliche Bedeutung sich and der Kampf gegen den„ Um ft urz". demokratische Solingen ist, daß Nürnbergs Arbeiter, für die Unternehmungen ausgleicht. In demselben Maße aber Ein Regierungsblatt dementirte unlängst die Nachricht, deren Produkte Weltruf haben, der Sozialdemokratie an tritt als entscheidender Faltor die lebendige Produktivantraft, deren jeder unternehmer bedarf, der Arbeiter daß die dem Bundesrathe zugegangenen Vorlagen betr. den hängen. stand, hervor und sichert das Uebergewicht und Kampf gegen den Umsturz" die Einlösung eines Ver- Sicherlich ist es auch nicht Zufall, sondern bittere vielleicht den dauernden Sieg der Nation, sprechens des zweiten Er- Reichskanzlers an die deutschen Nothwendigkeit für die Unternehmer, daß sie eine große die es verstanden hat, ihm die besten Bes Großindustriellen sei. Wir müssen es dahingestellt Anzahl ihrer Werkmeister und Vorarbeiterstellen mit dingungen törperlicher und geistiger Ent sein laffen, ob die Reichsregierung mehr formaler als that Sozialdemokraten besetzen müssen, sie müssen es thun, widelung zu sichern. Niedrige Löhne, lange sächlicher Unrichtigkeiten wegen die bez. Nachricht der weil dieselben die tüchtigsten und besten Arbeiter sind. Arbeitszeit, leichte Lenkbarkeit und ges Allg. 3tg." bestritten hat. Sicher bleibt aber, daß die Die preußischen Minister des Kriegs und der Eisen- duldiger Verzicht auf eine höhere soziale Vertreter der deutschen Großindustrie über die bahnen wissen, daß ihre Untergebenen, so tonservativ und Stellung seitens der Arbeiter waren nie die die Begleiterscheinung aufblühender Aufhebung des Sozialistengesetzes untröstlich waren, daß sie regierungsfromm sie auch sonst sein mögen, nur widerwillig Industrien, wenn auch vielleicht die Ursachen ihrer ftets durch ihren würdigen Vertreter im Reichstage, Herrn und oft auch garnicht die Befehle auf Ausschluß der sozial ersten Anlage. Zu ihrer Entfaltung auf höherer Entv. Stumm, die Bekämpfung der Sozialdemokratie mit allen demokratischen Arbeiter von den Staatsarbeiten ausführen. wickelungsstufe gehört auch steigenbes wirthschaft. Mitteln forderten, daß sie dem Kaiser und Kanzler, Wir wissen, daß sich in den Akten dieser Ministerien die Lich e 3 und technisches Verständniß der Ar. den Ministern und Geheimräthen in den Ohren lagen, Erklärung öfters findet, daß bei der Entlassung der sozial- beiter, ein wachsendes Maß von Bildung, Urtheilsfähigkeit damit endlich die Sozialdemokratie nicht blos mit den bis- demokratischen Arbeiter als der besten und tüchtigsten die und Manneszucht, das nur ein von Selbstvertrauen und her angewandten Mittelchen bekämpft würde, sondern daß Güte der Ausführung leiden müsse. Selbstbewußtsein erfüllter Arbeiterstand zu sie durch die praktische Anwendung neuer Kautschuck- Para- Unsere Industrie kann die sozialdemokratischen Arbeiter prästiren vermag. Wenn der englische oder amerikanische Arbeiter in 9 und weniger Stunden dasselbe leistet, wozu der hausgraphen geächtet und in der Agitation möglichst eingeengt nicht entbehren, nicht nur ihrer großen Zahl, sondern noch industrielle Arbeiter im Riefengebirge 96 Stunden benöthigt, so werde. Die Beherrscher unserer Industrie von des Kapitals weit mehr ihrer Fähigkeiten wegen. Unsere sozialdemokra- beweist dies, daß selbst eine bis zur physischen Erschöpfung ge Gnaden möchten am liebsten die sozialdemokratische Presse, tischen Arbeiter sind ihrer Mehrzahl nach für unsere Ju- triebene Arbeitsauspannung und die kümmerlichste Lebenshaltung das sozialdemokratische Vereins- und Versammlungsleben, dustrie unersetzbar, unersetzbar nicht blos als Arbeiter, son- der fortgeschrittenen Industrie nicht die Spiße bieten tönnen. das gewerkschaftliche wie das politische vollständig unmöglich dern in besonderem Maße als sozialdemokratische Arbeiter. Die Produktionsbedingungen dieser legteren aber find von einer machen. Damit schlägt ihre Politik Wege ein, die ein Ihre geistige Entwicklung, ihr hohes, wirthschaftliches und verkommenen Arbeiterbevölkerung nicht zu beherrschen. Je mehr zuschlagen ihren gefährlichsten Konkurrenten auf dem Welt- technisches Verständniß, ihre Bildung, und Urtheilsfähigkeit unser Unternehmerthum vorwärts schreitet, je sorgfältiger der Staat martte, den englischen wie auch den amerikanischen Unter- find eben wichtige Grundlagen der Bedeutung Deutsch - desto mehr Gewicht muß daher auch darauf gelegt werden, auf die Entwickelung unserer industriellen Kräfte bedacht ist, nehmern, nie beifallen würde. lands als Industriestaat. Diese hervorragenden Eigen den Arbeiterstand intellektuell und physisch zu heben, beziehungs Es giebt eigentlich keinen besseren Nachweis für die schaften würden aber die die deutschen Arbeiter nicht weise ihn gesund, kräftig und frisch zu erhalten. Das ist die Kurzsichtigkeit unferes Großunternehmerthums als die That- haben, wenn sie nicht Sozialdemokraten wären, wenn aufgabe der Sozialpolitik." sache, daß ihre Stellung zu der Arbeiterbewegung dieselbe sie nicht durch die Sozialdemokratie aus dem Schlafe auf- Der Schreiber vorstehenden Zitates war während seiner ist, wie die der zurückgebliebenen russischen Industrie, gerüttelt, zu denkenden Menschen gemacht worden wären, Lehrthätigkeit im Deutschen Reiche ein eifriger Wortführer während sie sich im vollen Gegensatze zu der von den wenn sie durch dieselbe nicht einen weiteren Interessenkreis der nationalliberalen Partei und Mitarbeiter der englischen Beherrschern des Weltmarktes eingeschlagenen Politik erhalten, aufein ganz anderes Nieveau gehoben worden Kölnischen Zeitung ". Er sollte demnach den Agitatoren befindet.m für die Bekämpfung der Sozialdemokratie ein ganz unverdächtiger Zeuge sein. Was er aber sagt, ist nichts anderes, als was wir behaupten, daß Deutschlands industrielle Entwickelung durch die Ertödtung der Sozialdemokratie sehr schwer leiden würde.
wären.
Ist es ein Zufall, daß die russischen Arbeiter, ohne Die deutschen Großunternehmer, deren höchstes Jdeal über ihr Schicksal nachzudenken, übermäßig lange arbeitend die Ausrottung der Sozialdemokratie ist, wissen nicht, daß ihr Leben verbringen und dabei nicht blos selbst auf einer sie, indem sie für dieses Ziel arbeiten, den Ast, auf dem niedrigen sozialen Stufe verbleiben, sondern auch die Kon- fie sigen, abzusägen versuchen. turrenzfähigkeit ihrer Produkte nichts heben können, wäh Hören wir, was darüber ein Bourgeoisökonom, der Unsere Unternehmer sind aber blind, sie fürchten jede rend England und die nordamerikanische Union wie die Professor der politischen Dekonomie an der Wiener Uni - kleine Unannehmlichkeit, die die Arbeiter ihnen bereiten Schweiz bei vollster Freiheit für die politische und gewerk- versität, Prof. v. Philippovich"), sagt: fönnten, sie möchten ihr aus dem Wege gehen, indem sie schaftliche Bethätigung der Arbeiter zu den führenden In der That, die technische und kommerzielle Bildung der die Selbständigkeit der Arbeiter ertödten. Wir wissen, daß Industriestaaten gehören. Ist es etwa ein Zufall, daß der Unternehmer, die maschinelle Ausrüstung der Fabriken, die or ihnen das nicht gelingen wird, daß aber, wenn dies mög von der sozialdemokratischen Agitation am meisten erfaßte ganisatorischen Einrichtungen der Unternehmungen, die Belich wäre, nicht blos die Arbeiter, sondern auch das dingungen des Verkehrs, des Transports, des Handels, sie sind deutsche Bundesstaat, das Königreich Sachsen, mit seiner, durch staatliche und private Bemühungen im Begriffe, bei allen Interesse der Unternehmer darunter sehr schwer leiden trotz aller Verelendung außerordentlich leistungsfähigen Arbeiterschaft der führende Industriestaat Deutschlands ist,*) In der sehr viele werthvolle Beiträge enthaltenden neuen Die industrielle But Deutschlands hängt im wesent daß der Hauptsitz der an die Tüchtigkeit der einzelnen Ar- Wiener Wochenschrift„ Die Zeit" I. Jahrgang auf S. 86. lichen ab von der Sozialdemokratie.
Feuilleton.
Am Exil.
Roman von Georges Renard. Autorisirte Uebersetzung
von Marie Runert.
würde.
einem zärtlichen Kuß, und in ihren Träumen sah Annette stellers, dessen Manuskript Herr v. Marnand weder zurückweisen, sich dann oft im Hochzeitskleide, von einer Wolfe von noch in seiner Weise verbessern konnte. Doch waren dies seltene Spigen und Schleiern umhüllt, wie sie aus René's Armen Glücksfälle. Er bezahlte, folglich war er auch der Herr ( Nachdruck verboten.] in die seiner Mutter glitt, die ihr wiederholte:" Meine und konnte es andern fühlen lassen. Eine Erwiderung gab 12 Tochter!" es nicht mehr, wenn er einmal gesagt hatte:„ Ich bin nicht ihre Miether zu einem Mittagsmahl einladen zu müssen, Nach zwei oder drei Wochen glaubte Frau Roveray dieser Ansicht, ich würde so nicht schreiben". Die bösen Zungen hatten ihn das„ Ich" genannt. Mit indem sie bemerkte, daß man nach Walliser Sitte um allen hervorragenden Männern des Landes hatte er sich Frau Roveray erwiderte den Besuch wie es sich gehört, 1 Uhr Nachmittags speisen würde. Herr von Marnand , überworfen, weil sie die Schwäche hatten, an ihren Ideen und nachdem das Eis einmal gebrochen war, verkehrten ihr Bruder, der an diesem Tage in Wieven wäre, würde und an ihrer Schreibweise festzuhalten. Mit den Leuten die beiden Familien als gute Nachbarn häufig miteinander. zum Kaffee kommen. Er wolle René's Bekanntschaft machen läßt sich nicht leben," sagte er dann geringschäßend. Was die Annette stieg vom Morgen bis zum Abend unter allen und hätte eine Bitte an ihn, fügte Frau Roveray ge- Jungen, die Anfänger betraf, so mochten sie sich ruhig neue möglichen Vorwänden die Treppe hinauf oft sogar ohne heimnißvoll hinzu. Einfälle, eine lebhafte Ausdrucksweise, Originalitäten gestatten. Er strich, beschnitt, korrigirte und formte den Stoff um. Wenn er so sechs Monate lang seine Herrschaft ausgeübt hatte, war der mißhandelte Mitarbeiter so schachmatt, so wohl disziplinirt, daß sein Geist fortan für sein ganzes
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"
Borward. Sie war bald die kleine Freundin der Frau Herr von Marnand galt in Lausanne als eine beMessant, und da sie stets mit Blumen in der Hand, Froh- deutende Persönlichkeit. Er war der Begründer und finn im Herzen, Lachen und Scherzen auf den Lippen fam, Direktor einer gutgesinnten Zeitschrift, die alle acht Tage war sie stets willkommen. Ganz sacht nistete sie sich in unter dem Titel" Romanische Revue" erschien. Die Revue die Zuneigung der alten Dame ein; sie schmeichelte ihren bekannte sich in Politik, Religion, Philosophie und Literatur Leben die graue Uniform der Revue trug. unschuldigen kleinen Schwächen; sie ließ sich all die zu höchst moralischen und schicklichen Ansichten, ste Seit seiner Ankunft in der Schweiz hatte René die tausend kleinen Nippessachen zeigen, die pomphaft auf waren nämlich ultratonservativ. Man hätte sie bezeichnen- Zeitschrift mehrmals durchblättert und dabei eine Anzahl Etagèren aufgebaut oder sorglich in den Schubladen auf der die graue Revue" nennen können. Grau war der Um- von süßlichen Novellen und farblosen Romanen gefunden, bewahrt waren; sie ließ sich Geschichten aus René's Jugend schlag, grau der Inhalt. Herr von Marnand schrieb selbst die man wie der Prospekt sagte -wie getrost jungen erzählen; sie verstand alle möglichen Listen, um die Bilder, nur langweilige, unverdauliche Sachen in einem matten, Mädchen in die Hände geben konnte. Es war in der That die ihn als Baby, als Gymnasiaft, als Student mit teimen- glanzlosen Stil, der in seinen Augen offenbar ideal sein unmöglich, dieser Art Literatur den Vorwurf, den man dem Schnurrbart darstellten, ansehen zu können. Wenn sie mußte, denn nach diesem Muster verbesserte er die Beiträge sonst so oft erhebt, zu machen, nämlich den, daß sei die ihn als Rind abgebildet sah, schien er ihr näher gerückt. seiner Mitarbeiter. Er besaß in einem bedeutenden Grade jugendliche Ginbildungskraft mit unrealisirbaren Träumen Buweilen widerfuhr ihr sogar die Ehre, in sein Arbeits- das Talent, ihre Prosa und ihre Gedanken noch nebelhafter und gefährlicher Begeisterung erfülle. Das alltäglichste und mußte genußzimmer eintreten zu dürfen und dort seiner Mutter beim und schwerfälliger zu gestalten, ja sie untenntlich zu machen. Alltagsleben abwechslungsreich Ordnen der Bücher und Papiere zu helfen. Sie verfuhr Es geschah gewiß gegen seinen Willen, wenn von Zeit zu ſein neben diesem Sammelbecken von Langerweile dabei mit einem heiligen Respekt, der Frau Messant in Zeit ein glänzend geschriebener Artikel in diese saft- und und geistiger Erbauung. Mit Erstaunen hatte René ihrer mütterlichen Liebe schmeichelte. Zur Belohnung kraftlose Gesellschaft hineinplatte. auch politische Artikel bemerkt, in denen die liebens
empfing fie dann ein„ Ich danke Dir, mein Kind" mit Er entstammte dann der Feder eines bekannten Schrift- würdigen Scherze französischer Monarchisten über die Repu