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Heilage öes vorwärts
Vleastag, s. September 1921
DieMbeiterfrage»«Hroß-Serliner Gemeinde Notwendigkeit der verantwortlichen Mitarbeit der Arbeiter.
Die Lohnbewegung der Berliner Tutsarbeiter schien an- fangs nicht von allzu großer Bedeutung, namentlich, was die Zahl der Beteiligten anbelangt. Im Verlauf de? Bewegung aber traten alle die Probleme zutage, die in bezug auf die Beschäftigung von Ar- b-itern und Angestellten in der Gemeinwirtschaft überhaupt erst noch zu lösen sind. Musterbetrieb, gute, möglichst bessere Arbestsverhältnisse, wie in der gleichen Betriebsart der Privatindustrie, und doch keine Defizitwirtschaft, sondern einen, wenn auch nur bescheidenen Gewinn. Das ist das zu lösende Problem. Muster- betriebe, auch im Sinne der m ihnen beschäftigten Arbeitnehmer, können Betriebe aber nur dann sein, wenn sie«ine entsprechend hohe Ergiebigkeit der Produktion zu verzeichnen haben. Es muß auch weiter Aufgabe des Magistrats bleiben, dies nach Möglichkeit zu fördern durch Zentralisation und äußerste Sparsamkeit in der Verwaltung. Einführung verbesserter Arbeitsmethoden und vor allem durch rationelle Ausnutzung der Arbeitskrast, was durchaus nicht gleichbedeutend sein soll mit übler Ausbeutung. An einer fach- gemäßen Verwendung der Arbeitskräfte ist aber die Stadtverwal- tung in den letzten Iahren vielfach behindert gewesen. In erster Linie durch die Folgen des Krieges. Infolge der DemobUmachungs- bestimmungen ist auch die Stadtverwaltung gezwungen, Arbeits- kräfte auch dann weiter zu beschästigen, wenn sie nach Lage der Sache mit weniger auskommen könnte. Zudem verpflichtet uns das Fürsorgeamt, Beamte und Angestellte aus den besetzten und ver- lorenen Gebieten einzustellen, statt überflüssig werdende aus an- deren Verwaltungszweigen dahin zu versetzen, wo solche fehlen. Und schließlich fordert die soziale Pflicht ganz allgemein, mit Arbeiter- entlasiungen äußerst sparsam umzugehen. Aber besonders haben die vielen Streiks und Streikandrohun- gen der städtischen Arbeiter der Stadt Schaden zugefügt. Die Forderungen der Arbeiter und Angestellten wurden meist mit Drohungen sofortiger Arbeitsniederlegung begleitet und oft sind die Ansprüche einer an Zahl nur geringen Arbestergruppe zum Anlaß genommen worden, die gesamten Betriebe der Stadt lahmzulegen, wodurch dem Gemeinwesen ungeheure Ver- luste zugefügt worden sind, gar nicht zu reden von dem Schaden in politischer Beziehung, denn alle diese Vorkommnisie waren Wasser auf die Mühlen der Reaktion. Wirtschaftlich waren sie geeignet, die Idee der Sozialisierung und Kommunalisierung auf das ärgste zu diskreditieren. Wenn unter diesen Um- ständen auch die sozialistischen Magistratsmitglieder nicht immer den Forderungen der Arbeiter und Angestellten im vollen Um» fange nachgeben tonnten, so ist das um so mehr zu begreifen, als ja schon die zerrütteten Finanzverhältnisse der Stadt zu äußerster Sparsamkeit zwingen. Es ist natürlich viel einfacher, ober im höchsten Grade verwerflich, wenn Vertreter eines Gemeinwesen» leichten Herzens aus agitatorischen Gründen alle Forderungen be- willigen, ohne Rücksicht darauf, daß dadurch die Schulden immer mehr anschwellen und der Kredst der Stadt untergraben wird. Wenn dieselben Vertreter dann auf der anderen Teste die Deckung der von Ihnen beschlossenen Ausgaben und selbst den von ihren eigenen Par- teimitgliedern mit aufgestellten und beschlossenen Etat ablehnen, dann ist damit ein Grad der Verantwortungslosigkeit er- reicht, der schlechterding» nicht mehr zu überbieten ist. Wenn wir zu gesunden Zuständen kommen und die zahlreichen Arbeiteunterbrechungen vermeiden wollen, dann müssen in der Zu- kunst andere Wege gesucht werden. Das S t r e i k r e ch t, da» sei gleich hier gesagt, muß selbstverständlich auch den städtischen Ar- beitern in vollem Umfange erhalten bleiben. Aber die Arbeiter müssen sich, mehr wie bisher, bewußt werden, daß sie nicht privatkapitalistischen Interessen, sondern dem Gemeinwesen dienen, daß alle überschwenglichen Forderungen, die nicht au» den Errräg- nissen des Betriebes selbst gedeckt werden können, der Gemeinde und damst ihren eigenen Arbeitsbrüdern wieder zur Last fallen. Jede Erhöhung der Löhne und Gehälter hat weitere Steigerungen der Preise für Gas, Elektrizität, Wasser und Erhöhung von Ge»
bühren zur Folge gehabt, die nur deshalb nicht im vollen Um- fange auf die Mieter abgewälzt werden können, well zurzest noch die Zwangswirtschaft die Hausbesitzer daran hindert. Die stetig sich steigernde Belastung der Stadt durch Löhne und Gehäller hindert ferner den weiteren Ausbau der sozialen Für- sorg«. Wir können nicht in dem Maß« für die Erwerbs- losen, für die Armen und Altpensionäre sorgen, wie wir es möchten. Das grauenvolle Elend, das es hier zu lindern gilt, sollten die städtischen Arbeiter, die immerhin eine, wenn zur- zeit auch bescheidene, so doch in der Regel auf Lebenszeit gesicherte Existenz haben, bei allen ihren Forderungen nicht unbeachtet lassen. Unsere Jugend- und Kinderpflege, wie die allgemeine Wohlfahrtspflege, müßten Millionen mehr zur Verfügung haben, um auch nur einigermaßen den berechtigten Anforderungen ent- sprechen zu können. Wenn schließlich den Arbeitern ein getreues Bild unserer städti- schen Finanzen gegeben wird, so werden sie sich der Einsicht nicht verschließen können, daß sie auf geraume Zeit hinaus ihr« Forderungen auf das Aeußerfte bejchränken müssen. Dabei soll kein Wort gesagt sein gegen die berechtigten Ansprüche der Arbeiter unv Angestellten an einen erhöhten Lebensgenuß, aber die ollge- m�ine Lage in Deutschland , die Verarmung unsere« Volkes, die Besteuerung, die die Entente uns aufzwingt, bringen uns eben alle in die bedauerliche Lage, unsere Ansprüche an das Leben und an die Kultur herabsetzen zu müssen. Auch der Umstand, daß den städtischen Arbeitern und Angestellten nach einem arbeits- reichen Leben im hohen Alter«in Ruhegehalt, das sie vor äußerster Not schützt, gewährt wird und das den Etat der Stadt mit vielen Millionen belastet, sollte bei der Beurteilung der Gesamtlage der städttschen Arbeiter nicht außer Berücksichtigung gelassen werden. Auf der anderen Seite muß den Arbeitern in den gemeinwirt- schaftlichen Betrieben Gelegenheit gegeben werden, bei der Rege- lung der Arbeitsbedingungen und bei der Fest- setzung der Löhne mitzuwirken. Dazu bietet das Gesetz über die Betriebsräte die geeignetste Grundlage. Die in Aussicht stehende Schlichtungsordnung wird eine weitere Handhabe dazu bieten, Differenzen in stiedlicher Vereinbarung zu beseitigen. Wenn in diesem Gesetz, wie es heißt, der Derhandlungszwang vorgesehen ist, so werden die Arbeiter, am allerwenigsten die städti- schen, hiergegen etwas einzuwenden haben, denn zu Verhandlungen haben sich die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter stets bereitge- funden. Wenn aber in Zukunft der Austragung von Konflikten durch Streiks noch ausgiebiger vorgebeugt werden soll, so muß der Gang der Verhandlungen ein anderer werden als bisher. Hat erst die in Frage kommende Berufsgruppe und hat erst die Organisation sich auf bestimmte Forderungen festgelegt, haben die Arbeiter sich sozusagen schon darauf eingerichtet, dann bestehen sie auf ihren ver- — wie das beim Gutsarbeiterstreik der Fall war—, daß vielleicht bei erster nicht ganz gründlicher Beratung die verschiedenen politischen Parteien sich festgelegt haben, oder infolg« nicht ganz genügender Unterlagen, dann fällt e» den Instanzen und Korporationen schwer, von dem einmal gefaßten Beschluß zurückzugehen und der Konflikt ist da. Der Konflikt mit dem Magistrat, der nunmehr er st in diesem weit vorgeschrittenen Stadium Stellung nimmt und der, nicht aus bösem Willen, sondern, weil er aus besserer Kenntnis der Finanzlage der Stadt sich in die bittere Notwendigkeit versetzt sieht, die Forderungen abzulehnen oder doch herabzudrücken. Auch oder vielmehr erst recht der„sozialistische Magistrat" muß nach dem Grundsatz handeln: Das Interesse der Allgemeinheit istdemdes einzelnen oderdem einzelner Erwerbs- gruppen voranzustellen. Wollen wir au» diesem Di- lemma heraus, dann muß, wie gesagt, ein anderer Verhandlungsweg gesucht werden. Beide Kontrahenten, der Magistrat und die Arbeiter, müssen in direkter, zunächst unverbindlicher Aussprache über die Not- wendigteiten und Möglich leiten verhandeln. Eine zum
Städtischen Lohnamt ausgebaut« Institution vereinigt Ma- gistratsmitglieder und Vertreter städtischer Arbeiter. Das Amt hat die statistischen Unterlagen zu beschaffen über die Löhne in den gleich- artigen Betrieben in der Privatindustrie. Die Indexziffern der Lebensmittelhaltung und Bedürfnisse sind zu prüfen. Hier hat der Magistrat Auskunft zu geben über die finanziellen Verhältnisse der Stadt. In diesem Gremium sind die Vertreter der Arbeiter nicht Partei, treten nicht als G e g n e r des Magistrats, sondern als gleichberechtigte Mitglieder auf: Sachverständige und Auskunftspersonen werden herangezogen. Erst wenn hier eine Klä- rung über das Notwendige und Mögliche erzielt ist, sollten Vor- schlüge an die betreffenden Arbeitergruppen gebracht werden. Heute wird jede Lohnforderung städtischer Arbeiter vom ersten Augenblick an zu einer P a r t e i s r a g e. Ob das im Interesse der Arbeiter liegt, wage ich zu bezweifeln, in dem der Allgemeinheit sicherlich nicht. Das letzte Wort bleibt selbstverständlich der Stadtverordneten- Versammlung. Solche Einrichtung läge in der Richtung der gewerkschaftlichen Forderung noch Fabrit-Konstitutionalismus, bei der die Alleinherr- schaft des Besitzers der Produktionsmitel aufgehoben ist. Das Der- antwortungsgefühl der Arbeiter würde wachsen. Mehr und mehr müssen sie sich einleben in den Gedanken, daß das ihnen an- vertraute Gut, Betriebskapital, Arbeitsgerät usw. der Allgemein- hett, also auch ihnen mitgehört und das sie zu hüten und zu schonen haben. Der von mir vorgeschlagene Weg würde dazu bei- tragen, die Arbeiter mit diesem Gedanken zu durchdringen. Um aus unserer Notlage herauszukommen, muß alles getan werden, den wirtschaftlichen Frieden aufrecht zu erhalten, die Ergebnisse der Produktion zu erhöhen, das Vertrauen zu unserer Verwaltung zu stärken. Ohne die Mitwirkung der Arbeiter ist dies un- möglich: ss» müssen also zu aller Verwaltungsarbest heran- gezogen werden, um mit ihrem wachsenden Selb st bewußt- sein gleichzeitig auch ihr Verantwortungsgefühl zu stärken. »Morüfache Erzberger". Der Worklaut des amtlichen Aufruf». An den Anschlagsäulen Groß-Berlins ist ein Aufruf erschienen, der eine genaue Bejchreibung der Mörder Erzbergers sowie eine im Faksimile wiedergegebene Schriftprobe der Täter enthält. Der Austuf hat folgenden Wortlaut: „Mordsache Erzberger". lieber die beiden Täter, die am Freitag, den 26. August 1921, vormittags gegen 11 Uhr, bei Griesbach in Baden den Reichstags- abgeordneten Erzberger durch mehrere Reoolverschüsse getötet haben, ist nunmehr festgestellt, daß sie vom Sonnabend, den 21. August, bis zum Mordtoge im Gasthaus„Zum Hirschen" in Oppenau unter den offenbar falschen Namen 1. Franz Riese, stud. für., aus Düsseldorf , 2. Knut Bergen, stud. phil., aus Jena , gewohnt haben und am 26. August 1921 mit dem um 6 Uhr 45 Min. von Oppenau abgehenden Abendzuge mit Fahrkarten 4. Klasse nach Offenburg abgereist sind Die von den Tätern vorgenommenen Eintragungen im Fremdenbuch des Gasthauses sehen folgendermaßen aus:(Folgen Schriftproben im Faksimile.) Beschreibung. 1. D e r G r ö ß« r e: 2ö— 36 Jahre alt, etwas über 1,76 Meter, schlank, aufrechter Gang, runde», gesundes Gesicht, Haare blond, teils als gescheitelt, teil» als zurückgestrichen geschildert, jedenfalls nicht kurz, kleiner Schnurrbart. Oberer Rand des linken Ohres zackig verstümmelt. Vielleicht wird versucht, diesen Fehler durch Heftpflaster zu verdecken. 2. Der Kleinere: 2S— 36 Jahre alt, etwas kleiner. Figur etwas stärker als der Größere, aber noch schlank, Haar dunkler, ebenfalls nicht kurz: Gesichtsfarbe auch gesund, aber nicht so frisch wie bei dem anderen: kleiner Schnurrbart: quer über die Nase, etwa über halber Höhe bläuliche strichförmige Narbe(kein Kneifer- oder Brilleneindruck). Kleidung: Die Täter trugen bei der Ankunft und Abfahrt in Oppenau dunkelblaue Straßenanzüge. An den dazwischen liegen- den Tagen haben sie Anzüge getragen, die teils als schwarzblau, teils als rehfarben bezeichnet werden. Der eine hatte noch einen
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Die Rächer. Roman von Hermann Wagner.
„Erbittert Sie das?" fragte Behrens rasch. „Nein," gestand Reisner und holte ttef Atem,„es... es— befriedigt mich. Daß es so ist, das macht es mir leichter. das alles zu tragen. Ja... Es mag sein, daß mir nicht un» recht geschieht. Aber dies, daß sie ganz verschont bleibt, daß sie glücklich werden und sich freuen darf, daß sie reich bleibt, ihr Kind behalten darf und nur nöttg hat, mich mit dem Fuß wegzustoßen,— das..." Reisner Äugen glänzten wie im Fieber, �... das— ist doch ein Verbrechen, an dem gemessen meine Schuld geringer und leichter wird." „Wehren Sie sich doch!" rief Behrens aus.„Warum wehren Sie sich nicht?" Reisner sah scheu zur Sette.„Rein, ich wehre mich nicht. „Warum?" „Weil.. Reisner stockte.„Ich weiß den Grund nicht. Aber ich kann nicht. Und ich mag nicht. Meine Frau soll tun können, was sie will. Und Sie sollen es auch. Ich hasse Sie nicht. Gar nicht. Sie sollen beide glücklich sein,— ja, ich wollte, daß Sie es würden... Aber ich will Ruhe. Ich brauche Ruhe. Die soll man mir lassen." „Und die suchen Sie im Gefängnis?" „Ja," rief Reisner leidenschaftlich aus,„ja.. Und er seh Behrens plötzlich prüfend in die Augen, gleichsam erstaunt. d,ß jener so ftage.„Wissen Sie das nicht, daß es allein im Gefängnis die Ruhe gibt, die ich brauche? Wissen Sie das nicht? Sie?!" Doch Behrens überhörte die Frage. Er legte Reisner die Hand auf die Schulter und rüttelte ihn.„Sie sind krankhaft überreizt. Besinnen Sie sich! Wer zwingt Sie, solch eine Dummheit zu machen?,— denn es ist eine Dummheit!... Wer? Niemand tut es. Im Gegenteil, man will Ihnen helfen. Ich will es sicher... Ich bin reich. Ich kann nicht einmal einen kleinen Tell der Zinsen verzehren, tue mir mein Vermögen abwirft... Sie sollen es g»t haben. Si« solkn gehen können, wohin es Ihnen beliebt, und soll reichlich haben, was Sie brauchen, mehr als reichlich... Vergessen Sie Ihre Frau! Streichen Sie sie aus Ihrem Gedächtnis! Und führen Sie in der Fremde«in Leben, da» Ihnen wirtliche Ruhe bringt,«. Können Sie da« nicht verstehen»"
„Nein," sagte Reisner blaß. „Was hält Sie ab?" „Etwas, das ich jetzt eben sehe, jetzt, in diesem Moment, da Sie das alles zu mir jagen.. „Was?" Reisner fuhr sich durch die grauen Haare.„Dieses, daß ich sehe, daß sich jeder Mensch— sein Glück erst... verdienen muß!" Sein Atem ging kurz und hastig, als er nach einer Weile noch hinzusetzte:„Und Sie haben in einem doch recht, wenn Sie mich damit auch höhnen wollten,— ja, in einem haben Sie ganz recht!" „In einem?" „Darin, daß Sie sagen, ich könnte noch hoffen... Ja. das tue ich jetzt. Ich hoffe noch. Ich kann noch hoffen!" „Worauf?" fragte Behrens von oben herab. „Auf den Tag, an dem ich wieder frei werde. Es wird der Tag meines ersten Glücks sein. Ja. Denn dann— bin ich — niemandem mehr... etwas schuldig.,." Behrens zuckte nur ungeduldig mit den Schullern.„Sie sind ein verrannter Mensch, Ihnen ist nicht zu helfen!" „Nein," beharrte Reisner fest und schickte sich an, zu gehen, mir ist nicht zu helfen." „Warten Sie," rief ihn Behrens, der ihn scharf beobachtet hatte, an,„geben Sie dies da her!" Und er zog aus der inneren Rocktasche Reisners einen Revolver heraus. „Ja, behalten Sie ihn," sagte Reisner,„ich brauche ihn nicht." Und er ging. Behrens wartet« eine Weile und verließ dann gleichfalls die Wohnung. Er sah Reisner unten eben um die Ecke der Gasse biegen und folgte ihm in einem gewissen Abstand. Er mußte viel Geduld haben, denn Reisner ging sehr langsam und doch wie blind. Auf dem Potsdamer Platz wäre er beinahe in die Räder eines Automobils gelaufen.„Mensch. können Sie nicht aufpassen?" schrie ihn der Chauffeur an. Allein Reisner hörte es nicht. Wie im Traum ging er weiter. kreuz und quer, durch Straßen. Gassen und Gäßchen, um schließlich vor einem großen Gebäude Hall zu machen, vor dessen Tor sein Schritt stockte. Wird er es tun? dachte Behrens, der unweit von ihm stand und ihn beobachtete. Reisner tat es. Langsam, den Rücken leicht gebeugt, stieg er die Frettreppe hinauf. Die Tür fiel hinter ihm zu. Behren» ging vor de« Portal auf und ab. eine kurze.
genau abgemessene Strecke, wie eine Wache. Wird er zurück- kommen? dachte er. Und er nahm sich vor, eine Stunde zu warten. Allein aus der einen Stunde, die er hatte warten wollen. wurden zwei Stunden, denen er weitere dreißig Minuten anhängte. Aber Reisner kam nicht zurück. Da blieb Behrens ein letztes Mal vor dem dunklen Portal stehen, das den anderen verschlungen hatte. Es ist geschehen, sagte er zu sich, es ist geschehen... Er kehrte wieder um und schlug langsam und erschöpft den Weg nach seiner Wohnung ein, zufrieden und heiter und doch zerschlagen: ein Mensch, der fein letztes Ziel erreicht hatte und der sich nun ausruhen durfte. Er rief feine Wirtin zu sich herein.„Frau Piefecke," sagte er zu ihr.„morgen ziehe ich fort." „Wirklich?" sagte sie erschreckt.„Und ich hatte gedacht..." Er nahm sie bei der Hand und führte sie durch das Zimmer, von einem Möbelstück zum anderen...Sehen Sie her: das alles kaufe ich Ihnen ab, für so viel Geld, daß Sie sich dafür Besseres anschaffen und in eine freundlichere Gegend ziehen können, wo Sie leicht Ihren Unterhalt finden werden. Nur eines müssen Sie mir versprechen: dies alles wird morgen vor meinen Augen zerhackt!" „Zerhackt—?" „Zerhackt und verbrannt, das ist meine Bedingung." Sie griff nach einem Zipfel ihrer Schürze und zupfte ver- legen daran herum. Ihre passive Feindseligkeit Behrens gegenüber hatte sich schon lange verloren. Nur war sie noch unsicher, als wisse sie nicht, was sie mit dem Sonderling an- fangen solle.„Warum kaufen Sie mir dies wertlose Zeug ab?" fragte sie.„Was haben Sie davon?" „Eine Freude, kümmern Sie sich nicht darum." Und er ging, als sie sich entfernt hatte, von einem Möbel- stück zum anderen, betrachtete ein jedes und streichelte es wie ein Wesen, das zwar noch lebte, das aber alt und krank war und sich nach dem Tode sehnte. Dann setzte er sich an eines der bsinden Fenster und starrte in die Dämmerung hinaus. Es war ihm recht schwer ums Herz. Er legte die Arme auf den Fensterrahmen, bettete den Kopf darauf und schloß die Äugen. So kostete er inmitten eines trauernden Schweigens die schmerzliche Wehmut eines Menschen aus, der weiß, daß er «m«ndgültig ollein stehst.(Forts, folgt.)